Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.02.2005. In Afghanistan geht es aufwärts, meint die New York Review of Books - mit dem Drogenhandel. Prospect beschreibt eine schleichende Revolution in Asien, die China zur Hauptmacht der Region werden lässt. Im argentinischen Clarin erklärt Ariel Dorfman, wie es sich mit zwei Ehefrauen und zwei Geliebten lebt. In Al Ahram erklärt der Filmproduzent Wahid Hamed, warum es so schwierig ist, im ägyptischen Film einen sympathischen Homosexuellen zu zeigen. Der New Yorker erzählt, wie im südirakischen Basra Islamisten und Säkulare miteinander ringen. Im ungarischen ES-Magazin freut sich Istvan Eörsi, dass er endlich wieder in der Opposition ist. Im New York Times Magazine diskutiert Ian Buruma mit Schwerverbrechern über die Meiji-Periode. Im Guardian wünscht sich Tim Parks mehr Gewalt in der Literatur.

New York Review of Books (USA), 10.03.2005

Pankaj Mishra berichtet in einer großen Reportage von den vielbeschworenen Fortschritten Afghanistans, die er vor allem beim Opiumhandel ausmacht. "Viele Afghanen wundern sich zurecht darüber, dass die 18.000 amerikanischen Soldaten in ihrem Land nicht in der Lage sind, die berüchtigten Drogenbarone festzunehmen. Als ich dies an einen westlichen Diplomaten weitergab, antwortete er, dass auch Al Capone jahrelang als Mafiaboss bekannt war, bevor es genügend Beweise gab, um ihn zu verhaften. Er versprach jedoch Verhaftungen noch in diesem Frühjahr. Bis dahin dürfte man kaum all die Afghanen als Verschwörungstheoretiker abtun können, die behaupten, die USA ignorierten den enormen Anstieg der Mohnproduktion über die letzten drei Jahre, weil sie hoffen, dass ihnen dieses Geld die Kosten für den Wiederaufbau ersparen könnte. Doch zunehmende Hinweise, dass sich auch die Taliban und al-Quaida durch den Drogenhandel finanzieren, dürften die Regierung Bush alarmiert haben, dass der Direktor des UN-Antidrogenprogramms Antonio Maria Costa (hier eine Rede), durchaus recht haben könnte, wenn er - wie im Oktober 2003 - schreibt: "Afghanistan wird sich wieder in einen 'failed state' verwandeln, diesmal unter Drogenkartellen und Drogenterroristen."

Das ganze vorige Jahr wurde an George Balanchine (Biografie und Fotos) erinnert, eine seiner früheren Tänzerinnen, Toni Bentley, nutzt einen Rückblick auf die Feiern, um einige Giftpfeile gegen ihre Nachfolger beim New York City Ballet zu schießen: "Man kann wohl sagen, dass, wenn Balanchine noch am Leben gewesen wäre, sein hundertster Geburtag geschmackvoller begangen worden wäre, besonders von seiner Kompanie, dem New York City Ballet, wo nun der schlechte Geschmack mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit auftritt, und zwar sowohl bei den Produktionen als auch bei den Tänzern selbst. Viele von ihnen scheinen zu glauben, dass es bei einer Balanchine-Performance um ihr eigenes - zugegebenermaßen - liebliches Selbst geht, und so lächeln und wirbeln sie für jeden unpassenden und banalen Effekt. Doch wenn Balanchine seine Tänzer eine Sache gelehrt hat, dann war es, dass es beim Ballett, ob es ihnen nun passt oder nicht, nicht um sie geht, sondern um einen Dienst."

Weiteres: Der Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist Paul Krugmann (homepage) warnt vor einem demografischen Alarmismus, den in den USA etwa Autoren wie Laurence J. Kotlikoff und Scott Burns mit ihrem Buch "The Coming Generational Storm" betreiben: "Das Problem ist natürlich real. Es ist trotzdem von handhabbarer Größe." Andrew Delbanco beklagt den Niedergang der traditionellen Colleges in den USA. Und Luc Sante liest Bob Dylans "Chronicles" (hier das deutsche Bob-Dylan-Portal).

Prospect (UK), 01.03.2005

Joshua Kurlantzick weist auf die schleichende Revolution hin, die sich in Asien ereignet: China hat sich, während die USA anderweitig beschäftigt waren, die Gunst seiner Nachbarn erworben und dehnt seinen Einfluss immer weiter aus: "China kann natürlich keine Vision eines freien, rechtebasierten politschen Systems bieten, wie es die USA können. Aber das amerikanische Vorbild hat sich kompromittiert durch seinen jüngsten Unilateralismus und die offensichtliche Abwertung der Menschenrechte. Die chinesische Vision einer Welt, in der es mehrere Supermächte gibt und man sich möglichst nicht einmischt in die Affären anderer, wirkt auf viele Länder anziehend - darunter Russland, Indien und Thailand - die ernsthafte Probleme mit den Menschenrechten zu Hause haben und sich über amerikanische Kritik und Dominanz ärgern. China dagegen erteilt ihnen keine Lektionen in Sachen Menschenrechte und Demokratie."

Der Londoner Wirtschaftsprofessor Richard Layard erklärt die Leistungsgesellschaft für bankrott und verkündet hoffnungsvoll - in Anlehnung den Utilitarismus eines Jeremy Bentham - die Rückkehr zum Glücklichsein. Dabei stellt Layard zunächst klar, dass das Streben des Einzelnen nach sozialem Aufstieg zwangsläufig ein gesamtgesellschaftliches Nullsummenspiel darstelle und deshalb als Energieverschwendung anzusehen sei. Zudem habe Geld als Leistungsansporn und Glücksverheißung offensichtlich versagt. "In einer Kinderbetreuungsstätte in Israel verspäteten sich die Eltern oft beim Abholen der Kinder, so dass Geldstrafen für Verspätung eingeführt wurden. Überraschenderweise kamen daraufhin mehr Eltern zu spät. Sie sahen ihre Verspätung nun als etwas an, zu dem sie berechtigt waren, zumal sie dafür bezahlten. Die Geldstrafe wurde zum Preis." So werde genau das untergraben, was als Schlüsselfaktoren des Glücklichseins gelten können - "vor allem Beziehungen in der Familie, bei der Arbeit und in der Gemeinschaft".

Weitere Artikel: David Birch fragt sich, was der in Großbritannien geplante Personalausweis, der auch biometrische Daten speichern soll, für das Gemeinwohl und den Einzelnen leisten kann. Jonathan Ree berichtet über das merkwürdige Phänomen des Gehörlosen-Nationalismus. Nick Pearce spricht sich dafür aus, Telefonmitschnitte als Beweismittel bei Gericht zuzulassen - was in Großbritannien bis dato nicht grundsätzlich der Fall ist. Und der für seine Begriffe authentische (will heißen schreibwütige und am Rande des Existenzminimums lebende) Dichter Michael Horovitz spricht seinem Jugendfreund und Weggefährten, dem schillernden Verleger Felix Dennis, die Dichterweihen ab, denn: "Du bist ein Schwindler".
Archiv: Prospect

Outlook India (Indien), 28.02.2005

Die Bewohner der Andamanen und Nikobaren sehen noch immer kaum Licht am Horizont, wie Outlook recherchiert hat: "In der sengenden Hitze eines Auffanglagers schwitzt Shobita Khar, im neunten Monat schwanger, die Launen des Schicksals aus. Sie und ihr Mann Gobardhan, registrierte Tsunami-Opfer, haben Ende des vergangenen Jahres alles an die entfesselte See verloren. Fast zwei Monate später sind die Medienvertreter längst wieder auf das Festland zurückgekehrt, die NGOs haben ihre "Dispute" mit den regionalen Regierungsstellen beigelegt, die Offiziellen haben sich gegenseitig auf die Schultern geklopft - nur Shobita wartet noch immer auf anständige Unterkunft." Und nicht nur sie: Fast alle der überlebenden Inselbewohner befinden sich noch immer in Auffanglagern.

Die Regisseurin Aparna Sen dreht gerade ihren neuen Film "15 Park Avenue", "ein komplexes und vielschichtiges Drama über eine schizophrene Frau und die schwierige Beziehung zu ihrer Familie". Labonita Ghosh war am Set dabei und liefert die Fakten: Der Film wird in englischer Sprache gedreht um die Marktchancen zu erhöhen, und die Besetzung ist erstklassig: Shabana Azmi, Konkona Sen Sharma, Waheeda Rehman, Rahul Bose, Shefali Shah, Dhritiman Chatterjee ...

Auch Indien sucht seit einiger Zeit nach dem Superstar, während jeder Sendung stimmen 3 Millionen Zuschauer ab, welcher Sänger nach Bollywood oder zurück in die Obskurität soll. Bei Sony, das "Indian Idol" mit großem Aufwand produziert, klingeln die Kassen. Saumya Roy nimmt den Erfolg der Show ernst und meint: "In einem Land, in dem die meisten Stars aus Familien von Stars zu stammen scheinen, hat die Möglichkeit, selbst einen echten Star zu kreieren, eine große Attraktivität."
Archiv: Outlook India

New Yorker (USA), 28.02.2005

In einem langen Brief aus dem südirakischen Basra erzählt George Packer entlang der Geschichte zweier Schiiten vom Kampf zwischen Islamisten und Säkularisten im Irak und von der Rolle, die der Iran dabei spielt: Youssef al-Emara und Majid al-Sary flohen beide während des ersten Irak-Iran-Krieges nach Teheran, um der Brutalität Saddams und der Unterdrückung als Schiiten zu entgehen. Im Iran trennten sich ihre Wege - al-Emara schloss sich den iranischen Islamisten an, al-Sary "fand schnell heraus, dass er den revolutionären Iran so wenig mochte wie den faschistischen Irak". Jetzt sind beide wieder in Basra: Sary bekämpft als Mitglied des irakischen Verteidigungsministeriums die "indirekte Okkupation Basras durch den Iran", al-Emara, hoher Funktionär der iranischen Badr-Brigade, unterstützt mit aller Kraft die irannahe religiöse Partei des Schiitenführers Sistani.

In einer wunderbaren Besprechung der Biografie "Incompleteness: "The Proof and Paradox of Kurt Gödel" (Atlas/Norton) stellt Jim Holt den in Tschechien geborenen Mathematiker vor, der gern als "größter Logiker seit Aristoteles" bezeichnet wird. In Princeton traf Gödel auf Albert Einstein, die beiden verband eine tiefe Gesprächsfreundschaft - auch wenn offenbar niemand recht verstand. warum und worüber sie eigentlich sprachen. Denn, so Holt: "Während Einstein gesellig und humorvoll war, war Gödel ernst, ein Einzelgänger und pessimistisch. Als leidenschaftlicher Amateurviolinist liebte Einstein Beethoven und Mozart, Gödels Vorliebe ging in eine andere Richtung: Sein Lieblingsfilm war Walt Disneys 'Schneewittchen und die sieben Zwerge' und als seine Frau einen rosafarbenen Flamingo im Vorgarten aufstellte, fand er diesen furchtbar herzig (deutsch im Original)".

Weiteres: Peter Schjeldahl verteidigt die orangefarbenen Tore, die Christo und Jeanne-Claude im Central Park aufstellten, gegen die Kritiker des Projekts: Ihr Erfolg beruhe genau darauf, dass sie "im Ganzen gesehen letztlich ein großes Nichts" seien. Zu lesen ist außerdem die Ezählung "The Conductor" von Aleksandar Hemon.

Francine du Plessix Gray rezensiert die "erste ernsthafte" Kulturgeschichte der amerikanischen Stripshows ("Striptease: The Untold History of the Girlie Show"; Oxford). Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem der Entstehungsgeschichte des HipHop in der South Bronx. Hilton Als stellt drei Off-Broadway-Inszenierungen vor: Samuel Becketts "Happy Days", Tschechows "Kirschgarten" und den Monolog "Thom Pain (Based on Nothing)? von Will Eno. Alex Ross bespricht zwei Musikabende mit den Pianisten Radu Lupu und Piotr Anderszewski. Und Anthony Lane sah im Kino eine Dokumentation über den wohl erfolgreichsten und meist diskutierten Pornofilm aller Zeiten: "Inside Deep Throat".

Nur in der Printausgabe: eine besorgte Reportage über die nächste große Bedrohung: eine gigantische Grippewelle, ein etwas rätselhaft betitelter Artikel über "Bärte" beziehungsweise "die Musik, Bücher und Filme, hinter denen wir uns verstecken", und Lyrik von Vijay Seshadri und Mark Doty.
Archiv: New Yorker

Clarin (Argentinien), 19.02.2005

In der aktuellen Ausgabe von N, dem Kulturmagazin der argentinischen Tageszeitung Clarin, erzählt der chilenisch-argentinische Schriftsteller Ariel Dorfman - Salman Rushdie zufolge "eine der wichtigsten literarischen Stimmen Lateinamerikas" -, der seit Jahren in den USA lebt und sowohl auf Englisch wie auf Spanisch publiziert, von seinem Leben zwischen zwei Sprachen und Kulturen: "Traumatische Erfahrungen, Dinge, die für mich nur schwer wiederzugeben sind, erzähle ich lieber in der jeweils anderen Sprache: Etwas, das ich auf Spanisch erlebt habe, erzähle ich auf Englisch, und umgekehrt, das ermöglicht es mir, Distanz einzunehmen. In meinem Kopf sitzt ein Übersetzer, der zu arbeiten beginnt, sobald ich etwas erlebe, er beobachtet, kritisiert, macht Vorschläge, versucht mir etwas einzuflüstern. Laut Henry James ist man mit der einen Sprache verheiratet, und die andere ist die Geliebte. In meinem Fall gibt es zwei Ehefrauen und zwei Geliebte."
Archiv: Clarin

Plus - Minus (Polen), 19.02.2005

In der Wochenendausgabe der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita analysiert Piotr Jendroszczyk den Stand der deutsch-amerikanischen Beziehungen vor dem Besuch George W. Bushs in Mainz. Vor dem Hintergrund der vielen Konflikte in den letzten Jahren und der Hoffnung Deutschlands, die USA würden den Anspruch des Landes auf einen Sitz im Sicherheitsrat unterstützen, sei nicht zu verkennen, "dass Präsident Bush durch seinen Besuch in Mainz den entscheidenden Schritt zur Annäherung macht. Zumal das Treffen in einer Stadt statt findet, wo Bush senior vor fünfzehn Jahren die deutsch-amerikanische Partnerschaft zelebrierte. Die USA und ihre europäischen Partner, darunter auch Deutschland und Polen, sind bei der Lösung von Krisen wie die in der Ukraine aufeinander angewiesen und brauchen zuverlässige Partner", resümiert der Autor.

Außerdem porträtiert die Beilage Jean-Marie Lustiger, einen Nachfahren polnischer Juden, der zum Katholizismus konvertierte, Pariser Erzbischof wurde und sogar als möglicher Nachfolger von Johannes Paul II. gehandelt wird. Was 1981 eine der schwierigsten Entscheidungen des Papstes gewesen sei, habe sich letztendlich als eine der besten Personalentscheidungen des Vatikans dargestellt. Jean-Marie Lustiger, eine "lebendige Provokation", wie er sich selbst bezeichnet, verkörpere wie kaum ein anderer die Ambivalenz des modernen Katholizismus - "Offenheit gegenüber Anderen und Verständnis für die zeitgenössische Kultur bei gleichzeitiger Orthodoxie in Sachen Glaubensprinzipien".
Archiv: Plus - Minus

Guardian (UK), 19.02.2005

Von Kindheit an habe man ihm beigebracht, Schriftsteller zu bewundern, die die Gewalt aus ihrem Werk ausklammern und den Charakter eines Helden beim Brotschneiden oder beim Schuhezubinden ergründen und nicht in Kämpfen. Welch ein Fehler, ruft der Autor Tim Parks in einem aufregenden Artikel über die Gewalt in der Literatur. "Nicht nur im Leben, auch in der Literatur herrscht eine generelle Abneigung gegenüber der Gewalt, eine verständliche, intelligente Abneigung, die nach dem Ersten Weltkrieg aufkommen musste. Diese Abscheu teilen die etablierten Bannerträger der Lit-Krit-Industrie, die daher allen Büchern misstrauen, in denen ausführliche Gewaltdarstellungen vorkommen. Und doch: So sehr man auch die 'Ulysses' einem 'Braveheart'-Buch-zum-Film oder Homers epischen Kämpfen vorziehen mag, beschleicht einen doch das Gefühl, dass James Joyce falsch lag mit seinen Diktum über Charakter und Action, und dass es eigentlich doch viel interessanter ist, wie ein Mann in den Krieg zieht oder in gewalttätige Handlung verstrickt wird, als zu lesen, wie er seinen Hut aufsetzt oder mit dem Eierlöffel hantiert. Auch wenn uns am Bewusstsein liegt, setzt irgendetwas unseren Geist so sehr in Bewegung wie ein Moment realer physischer Aktion, die ungeheure Gemahnung unserer fragilen physischen Existenz in der Welt? Stellen Sie sich nur vor, wenn Bloom ein Gewehr schultern würde..."
Archiv: Guardian

Espresso (Italien), 24.02.2005

Leider nur eine Stippvisite stattet Riccardo Talenti dem letzten Juden in Afghanistan ab, der nach dem Tod seines Freundes nun alleine die Synagoge in Kabul bewacht.

Im Kulturteil der Online Ausgabe liest man nur von Filmen. Monica Capuani erzählt die Entstehungsgeschichte des Streifens "Ingannevole e il cuore piu di ogni cosa" ("Das Herz ist vor allem betrügerisch"), den die Schauspielerin Asia Argento nach der Lektüre von J.T. Leorys gleichnamiger Kurzgeschichtensammlung angeregt hat. Roberto Calabro kündigt die Verfilmung von Melissa Panarellos "erotisch-melancholischem" Überraschungserfolg 2003 an, "Cento colpi di spazzola prima di andare a dormire" ("100 Bürstenhiebe vor dem Schlafengehen").

Nur im Print liest man die Pläne von Fiat, eine Reportage über das Las Vegas des Orients im Grenzgebiet zwischen Birma und China oder ein Artikel über die Rolle des Zufalls.
Archiv: Espresso

Al Ahram Weekly (Ägypten), 17.02.2005

Alaa El-Aswanis "Imarat Ya'qoubian" ("The Yacoubian Building") ist der populärste Roman, der in dem vergangenen fünf Jahren in arabischer Sprache erschienen ist, schreibt Salonaz Sami. Kairo ist darin der Schauplatz eines "Panoramas der sozialen Archetypen: der Enteigneten, der Verwestlichten, der Ungebildeten". Doch ist das Buch auch umstritten, weil Homosexuelle darin vorkommen. Sami hat mit Wahid Hamed, dem Produzenten der gerade abgedrehten und hochkarätig besetzten Filmversion, darüber gesprochen. Hamed schildert, wie schwierig die Zeichnung von "Hatem Rashed war, einem homosexuellen Schriftsteller und Mitglied der vom Westen geprägten Elite der Stadt. 'Abgesehen von seinem Beruf hat er eine Persönlichkeit, die in der ägyptischen Gesellschaft unsympathisch erscheint', erklärt er. 'Ich musste extrem vorsichtig sein, um zu vermeiden, dass das Publikum ihn hasst, vor allem, weil er in professioneller Hinsicht bewundernswert ist. Aber viele Ägypter lehnen Homosexuelle ab, aufgrund unserer Kultur und Religion. Letztlich jedoch', fällt Hamed noch ein, 'können wir nicht leugnen, dass Menschen wie Hatem Rashed existieren...'"

Rania Khallaf nimmt den neuen Band von Omar Taher zum Anlass, ihn als Vertreter einer jungen Dichtergeneration vorzustellen, die sich des Erbes der Ammiya-Poesie, der Dichtung im umgangssprachlichen Arabisch annimmt. Ammiya-Dichtung, schreibt Khallaf, "war immer ein Vehikel des kollektiven Bewusstseins, das Medium, in dem der Meister der vorletzten Jahrhundertwende, Bairam El-Tonsi, und solche überragenden Persönlichkeiten wie Fouad Haddad und Salah Jahin in den 1960er Jahren nationalen und historischen Anliegen Themen verliehen - zumeist in feststehenden, aural wirksamen Formen, in denen das individuelle Selbst eine untergeordnete Rolle spielte." Genau um den Ausdruck des letzteren geht es aber Taher - das Talent als Rebell der Innerlichkeit.

Außerdem fragt Zahi Hawass: Wird die Ägyptologie von einer Mafia beherrscht? Aziza Sami porträtiert den Ex-Diplomaten und renommierten Politologen Gamil Matar. Und Mohalhel Fakih berichtet aus Libanon von einer Nation in Trauer und Schock über die Ermordung des früheren Regierungschefs Rafiq Al-Hariri.
Archiv: Al Ahram Weekly
Stichwörter: Ägyptologie, Libanon, Mafia

Elet es Irodalom (Ungarn), 18.02.2005

"Was tun, wenn sich ein kleineres Übel als unerträglich herausstellt", fragt sich im Gespräch mit dem ES-Magazin der Schriftsteller Istvan Eörsi. Er spielt damit auf das Lebensgefühl der Intellektuellen während und nach der Diktatur an. Der gemeinsame Feind verschwand nach 1989, aber gleichzeitig, so Eörsi, haben die großen Weltanschauungen und die Religion ausgedient. "Heute ist es am bequemsten zu glauben, dass es die Wahrheit nicht gibt oder dass sie unwichtig ist. Auch im zeitgenössischen Theater erwartet niemand, dass nach der Wahrheit gesucht wird ... Alle wollen die Zuschauer verblüffen, aber verblüffen kann man nur durch die Wahrheit.... Die meisten Theater setzen die auf moralische Konsequenzen aufgebaute klassische Dramaturgie in Klammern und liefern Vorstellungen, die keine Folgen haben. Das passt mir eigentlich auch wunderbar, weil ich mich wenigstens wieder in der Opposition fühlen kann."

In Ungarn wird in hitzigen Wortwechseln über den Umgang mit der Stasi-Vergangenheit debattiert, nachdem die Sozialisten (MSZP) einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf vorlegten. Die Mediensoziologin Maria Vasarhelyi macht auf die Doppelmoral der Politiker aufmerksam: "Die politischen Parteien und die Institutionen, die um Transparenz und Sauberkeit des öffentlichen Lebens bemüht sein sollen, posaunen, einander immer wieder überbietend in die Welt, dass sie den Schleier der Geheimnisse lüften wollen. Gleichzeitig schrecken sie vor den absurdesten Ideen nicht zurück, die Enthüllung zu verhindern. Wie ist es möglich, dass unsere demokratisch gewählten Politiker ohne jegliche Konsequenzen die gesamte Gesellschaft zum Narren halten können?"

Otto Tolnai wurde letzte Woche mit einer der wichtigsten ungarischen Literaturauszeichnungen, dem "Ungarischen Literaturpreis" geehrt. Das ES-Magazin druckt seine Dankesrede.

Economist (UK), 18.02.2005

Nur Tennessee Williams könnte ihm den Rang des größten amerikanischen Dramatikers des 20. Jahrhunderts streitig machen, behauptet der Economist in seinem Nachruf auf Arthur Miller. Das Schreinern und das Theaterschreiben habe ihm die gleiche architektonische Lust bereitet, doch seiner Baukunst seien keine - wie oft behauptet - didaktisch abgekarteten Konstrukte entsprungen: "Wie er gestand, verfolgte er eine Absicht, die jenseits des Belehrens lag. Und wenn er auch lehrmeisterhaft erscheinen mochte, so stellte er doch eigentlich Fragen. 'Wie können wir nützlich sein?' 'Warum leben wir?' Er war, wie er einmal bekannte, 'verliebt in das Wunder? das Wunder, wie Dinge und Menschen zu dem werden, was sie sind. Die Absicht jedes seiner Stücke bestand darin, zu entdecken, welche Verpflichtung oder welche Herausforderung seine Hauptfigur annehmen, und von welcher sie sich abwenden würde - 'dieser Moment, wenn sie aus einem Himmel voller Sterne plötzlich einen davon fixiert'."

Was Michael Grandage am Londoner West End Theatre aus Schillers "Don Carlos" macht, ist nicht nur gut, sondern auch erfolgreich, bescheinigt ein angenehm überraschter Economist. Und das, wo doch der germanisch-wortreiche Schiller auf britischen Bühnen als halsbrecherische Angelegenheit gilt.

Außerdem zu lesen: Warum George W. Bush bei seinem Europa-Besuch wohl kaum der Gesprächsstoff augehen wird (es gibt genügend Konfliktpunkte, die einer Klärung harren), dass ein neues US-Gesetz der "magischen Gerichtsbarkeit" Einhalt gebieten will, indem es Sammelklagen zur Zuständigkeit des - nicht so leicht zu beeindruckenden - Bundesgerichtshofs macht, warum Tony Blair seinen Charme jetzt besser ablegt, und warum der MBA - trotz vermehrter Kritik - nicht am unethischen Verhalten von Top-Managern Schuld ist.

Heraus aus dem Schatten der Türme: Der Economist hat ein Dossier zu New York zusammengestellt.
Archiv: Economist

Litera (Ungarn), 17.02.2005

Die Literaturkritiker Ungarns üben sich am liebsten in feiner Ironie und feiern ein Buch selten so laut, wie die Neuerscheinung des in Serbien lebenden ungarischen Autors Otto Tolnai. Der Literaturtheoretiker Lajos Janossy gerät in Litera, der größten ungarischen Online-Literaturzeitschrift vor lauter Begeisterung fast ins Stottern: "Ich möchte das Geheimnis nicht lösen, ich möchte keine Interpretationsvorschläge unterbreiten, ich möchte mich einfach nur freuen." Und das tut er dann auch: Tolnai, ein "Orpheus vom Lande", könne in seinen Texten in einer großartigen, "in einer Beckettschen Art und Weise stolpern ... Diese Prosa lebt, vibriert, atmet, ist ständig in Bewegung, sie ist ein Spiel der Erfahrung und der Reflexion, eine existentialistische und zauberhaft realistische Prosa zugleich." All das wird eingebettet "in ein von Schriftstellern und Künstlern bevölkertes kulturgeschichtliches Milieu, das wir lange als Jugoslawien kannten, und das nun leider der Vergangenheit angehört. Tolnai zu lesen ist eine wunderbare, romantische, großartige Sache." (Hier geht es zu einer Leseprobe.)
Archiv: Litera

Nouvel Observateur (Frankreich), 17.02.2005

Zwei üppige Lesestücke in dieser Woche. So denkt in einem Essay der Historiker Alain Corbin ("L?histoire du corps", Seuil), nachdem der verheerende Tsunami inzwischen wieder aus den Schlagzeilen verschwunden ist, über die Ängste nach, die das Meer seit jeher im Menschen weckt. Als für den Menschen von Grund auf feindliches Milieu sei das Meer zugleich "Träger von Fantasmen, Erzeuger von Schrecken, Quelle der Inspiration, Symbol der Unendlichkeit und der Allmacht". Corbin, Mitherausgeber des Begleitkatalogs zur Ausstellung "La mer. Terreur et faszination" in der Bibliotheque Nationale, schreibt darin unter anderem: "Die Dualität Land - Meer ist trügerisch, weil es ein drittes Element gibt: den Himmel. Für Michelet standen Himmel und Meer in einem ständigen Dialog. Das Meer spricht mit den Sternen, und auch der Himmel ist mit dem Wasser beschäftigt. Darin besteht die Dialektik von Süß- und Meerwasser. Die Erde filtert, der Himmel regnet, die Sonne verdunstet. Sie reinigen das Meerwasser."

Des weiteren stellt der Historiker und Professor an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences sociales, Pierre Vidal-Naquet, seine jüngste Veröffentlichung vor. In "l?Atlantide. Petite histoire d?un mythe platonicien" (Belles Lettres) spürt er der langen Geschichte des Mythos von Atlantis quer durch die Jahrhunderte und seinen Metamorphosen von Platon über Jules Verne und Montaigne bis zu den Nationalsozialisten nach.

Anlässlich des 10. Geburtstags der Pariser Bibliotheque Nationale wird in einem Artikel noch einmal an die ereignisreiche und pannengeplagte Baugeschichte der von Mitterand initiierten, teuersten Bibliothek der Welt erinnert.

New York Times (USA), 20.02.2005

Die New York Times Book Review druckt das Vorwort zu Halldor Laxness' Roman "Am Gletscher" ("Under the Glacier", Vintage International), das Susan Sontag einige Wochen vor ihrem Tod im vergangenen Dezember abgeschlossen hat. Darin schreitet sie die weitläufigen Grenzen des Genres ab. "Die lange Prosafiktion, die man Roman nennt, muss noch den Ruf abschütteln, eine Geschichte zu erzählen, die von Charakteren bevölkert ist, deren Möglichkeiten und Schicksäle aus dem gewöhnlichen, sogenannten realen Leben herrühren. Erzählungen, die von dieser künstlichen Norm abweichen, beziehen ihre Tradition aus Wurzeln älter als das 19. Jahrhundert, aber sie wirken auch heute noch ultraliterarisch oder bizarr. Um zu verdeutlichen, dass sie vom Stammterritorium des Romans weit abgelegene Gebiete besiedeln, werden spezielle Etiketten beschworen. Science fiction. Saga, Fabel, Allegorie. Philosophischer Roman. Traumroman. Visionärer Roman. Fantasyliteratur. Weisheitsliteratur. Bluff. Sexuell anregend ... Der einzige mir bekannte Roman, der in all diese Kategorien passt, ist Halldor Laxness' auf eine wilde Art origineller, mürrischer, tobender 'Under the Glacier'."

Weitere Besprechungen: Nicht halb so gut wie Betty Friedan's Vorbild 'Feminine Mystique' findet Judith Shulevitz die mit "Perfect Madness" betitelte Polemik gegen das amerikanische Mutterbild von Judith Warner (erstes Kapitel). Aber in einem Punkt habe Warner recht: Wahrscheinlich werde im Perfektionsdrang der Mütter im Kleinen das Versagen einer großen Gesellschaftsutopie deutlich. Wenig Neues entdeckt Ishmael Reed dagegen in den zweiten Memoiren von Soullegende James Brown. Owen Gingerich findet Simon Singhs turbulente Geschichte (erstes Kapitel) der wissenschaftlichen Erforschung der kosmischen Gesetze zu logisch und stringent erzählt. Maggie Galehouse stellt konzentriert einige neue Kurgeschichtenbände vor. Und in einem kleinen Essay untersucht Ben Yagoda schließlich recht kurzweilig die Renaissance des epischen Untertitels.

Der Asienkenner und Journalist Ian Buruma teilt im New York Times Magazine seine Erfahrungen als Dozent für jüngere japanische Geschichte im Hochsicherheitsgefängnis "Happy Nap" unweit von New York. Statt mit Gesprächen über Schwertkampffilme überraschten ihn die Häftlinge, die ihr Material oft auswendig konnten, mit differenzierten Fragen: über die wirtschaftlichen Hintergründe der Opiumkriege in China, die kriminellen Machenschaften arbeitsloser Samurai, den Einfluss japanischer Kultur auf westliche Ideen. Einer der schwarzen Muslime, ein harter New Yorker, erwähnte Alexis de Tocqueville im Zusammenhang mit der Meiji Restauration."

In der Titelreportage besucht Nir Rosen den Schmelztiegel Kirkuk im Nordirak, wo sich langsam aber sicher die politische Zukunft der Region abzeichnet. Ein eigener kurdischer Staat scheint nur noch eine Frage der Zeit. Jim Holt polemisiert ein wenig gegen die Kreationisten, die in der Natur ein intelligentes, also göttliches Design erblicken wollen. Eine Stilbeilage widmet sich der Frage, was Frau im sehnlichst erwarteten Frühjahr tragen soll.
Archiv: New York Times