Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
18.04.2006. Dem New Republic gruselt es vor Atomwaffen in den Händen ehemaliger Kindersoldaten im Iran. Der Espresso kann sich über den Wahlausgang nicht so recht freuen. Nepszabadsag sieht den konservativen Politiker Viktor Orban so weit rechts, dass er schon wieder links ist. Die London Review feiert eine neue Robespierre-Biografie. Das TLS sucht nach britischen Intellektuellen. In Le Monde diplomatique blickt der Soziologe Lahouari Addi bitter auf die Vergangenheitsbewältigung Algeriens. In Le Point wundert sich Bernard Henri Levy über das Schweigen angesichts der Verbrechen weißer Muslime an schwarzen Muslimen in Darfur. Die New York Times rät: Sichern Sie sich das Eigentum an Ihrem Gewebe - bevor es jemand anders tut.

New Republic (USA), 24.04.2006

In einem sehr interessanten Beitrag über den Iran beschreibt der Politologe Matthias Küntzel, was es mit den fanatischen Basitschi auf sich hat, die Präsident Ahmadinedschads wichtigste Bastion darstellen. Hervorgegangen sind diese "Sturmtruppen der islamischen Revolution" aus den Truppen von Kindersoldaten, die Ajatollah Chomeini im irakisch-iranischen Krieg in die Minenfelder gejagt hatte. "Der Basitschi-Kult der Selbstaufopferung ließe einen auch in jedem anderen Land frösteln. Im Kontext des iranischen Atomprogramms jedoch wirkt ihr obsessives Märytertum wie eine brennende Lunte. Heutzutage werden die Basitschi nicht mehr in die Wüste geschickt, sondern in die Laboratorien. Basitschi-Studenten werden ermuntert, sich in technischen und wissenschaftlichen Fächern einzuschreiben. Laut einem Sprecher der Revolutionären Garden ist das Ziel, den 'technischen Faktor' zu nutzen, um die nationale Sicherheit zu stärken. Was bedeutet das? Vielleicht das, was vor drei Jahren der damalige iranische Präsident Hashemi Rafsandschani erklärte, dass nämlich schon 'eine einzige Atombombe auf Israel alles zerstören' würde. Wenn Israel dagegen mit seinen eigenen Atomwaffen reagiert, würde es nur 'Schaden in der islamischen Welt anrichten'." (Auf Deutsch ist der Artikel in der Antifa-Zeitschrift Phase 2 zu lesen).
Archiv: New Republic

Espresso (Italien), 20.04.2006

Edmondo Berselli sieht nach dem knappen Sieg Romano Prodis wenig Grund zum Jubeln. Viel liegt im Argen, und das Land ist gespalten. "Das endgültige Ergebnis ist eine Wirklichkeitsdusche, die einige Tatsachen ans Licht bringt. Die Auflösung des Mitte-Rechts-Lagers hat nicht stattgefunden. Auch die zwei Wackelkandidaten Gianfranco Fini (AN) und Pier Ferdinando Casini (UDC) haben ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Aber was wichtiger ist: die politische Klasse steht vor zwei Italien, geteilt durch einen Hauch an Stimmen und einen Abgrund der Feindseligkeit. Die Gesellschaft könnte noch lange gezeichnet sein von einem Wahlkampf, der in einen mittelalterlichen Bandenkrieg ausgeartet ist und Spuren hinterlassen hat, die zu beseitigen schwer fallen dürfte."

Andrzej Stasiuk denkt an Weißrussland in der Nacht und die verlorenen Demonstranten in Minsk."Stellt Euch die Einsamkeit dieses Grüppchens vor, die gegen die Wahlbetrügereien in Minsk protestieren. Stellt Euch die Kälte vor, den Schnee, die Dunkelheit, die Hundertschaften bis an die Zähne bewaffneter Polizisten, die in der Dunkelheit lauern. Stellt Euch diese absolute Einsamkeit an der äußersten Grenze unseres Kontinents vor. Sie glaubten nie daran, gewinnen zu können. Sie waren sich sicher, dass sie früher oder später zum Schweigen gebracht würden. Sie wollten nichts Besonderes, nur neue Wahlen. Sie wussten ganz genau, dass diesmal auch ohne Betrug der Diktator wieder gewinnen würde."
Archiv: Espresso

Nepszabadsag (Ungarn), 17.04.2006

Wenige Tage vor den entscheidenden Stichwahlen gilt die Wahlniederlage der rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz als immer wahrscheinlicher. Auch ehemalige Mitstreiter machen Oppositionsführer Viktor Orban dafür verantwortlich, und entdecken hinter seiner erzkonservativen und euroskeptischen Fassade linkspopulistische Inhalte. Eine der Hauptfiguren der Nationalen Rundtischgespräche von 1989, der Bürgerrechtler und Politologe Peter Tölgyessy kommentiert: "Viktor Orban war Sprachrohr der antiwestlichen Einstellung des traditionellen rechten Lagers und der ländlichen Bevölkerung. Statt die Sehnsucht der Menschen nach einem bürgerlichen Ungarn anzusprechen, baute er auf ihre vom Kadar-Regime geschürten Instinkte, auf die dunkle Seite der ungarischen Seele. ? Viktor Orban entfernte sich sehr von den bürgerlichen Idealen von 1989."

"Das ungarische Volk ist gar nicht so weise und großartig, wie einige Politiker stets behaupten, aber auch nicht so blöd, wie sie die gleichen Politiker insgeheim einschätzen" - schreibt Fidesz-Politiker Andras Hont, der den Parteichef und Oppositionsführer Viktor Orban scharf kritisiert: Als die Fidesz 1998 die Wahlen gewann, "gewann nicht eine einzelne Person, sondern eine Gesinnung, eine Mentalität das Vertrauen der Wähler. Die Menschen wollten mehr individuelle Initiative statt staatlicher Fürsorge, mehr Kreativität und Tatkraft statt Ohnmacht und Passivität des Kadar-Regimes, sie wählten den für sich selbst und seine Umgebung Verantwortung übernehmenden Bürger statt die Verantwortungslosigkeit des Menschen im Staatsozialismus. Die Fidesz hat all diese Ideale vergessen, ? sie lebten nur noch in Äußerlichkeiten weiter."
Archiv: Nepszabadsag

London Review of Books (UK), 20.04.2006

Hilary Mantel ist hin und weg von Ruth Scurrs scharfsinniger Robespierre-Biografie "Fatal Purity: Robespierre and the French Revolution", die jenem unerbittlichen Akteur der Französischen Revolution nachspürt, der zum Inbegriff des Schreckens werden sollte und dem nichts verhasster und unheimlicher war als Doppelzüngigkeit und Janusköpfigkeit. "Oder war er etwa selbst doppelzüngig? Er war nicht konsequent, und Scurr erkennt, warum. Er unterschied strengstens zwischen dem, was einerseits in einem in Frieden lebenden Land und was andererseits in einem Land möglich ist, das sich sowohl von außen als auch von Bürgerkrieg bedroht sieht. Unter normalen Umständen, dachte er, gibt es keine Notwendigkeit für die Todesstrafe, weil der Staat über genügend Macht verfügt, die Straffälligen zu züchtigen und sie unschädlich zu machen. In Kriegszeiten hingegen, wenn dem Staat Sabotage droht, kann er sich nicht unbedingt selbst verteidigen - man kann nicht von Soldaten verlangen, dass sie die Feinde auf dem Schlachtfeld töten, wenn der Staat nicht ähnliche Strafen für seine inneren Feinde bereithält."

Weitere Artikel: Dinah Birch hat in Eitan Bar-Yosefs Studie über die Darstellung des Heiligen Landes in der englischen Kultur ("The Holy Land in English Culture 1799-1917: Palestine and the Question of Orientalism") lesen können, wie seltsam menschenleere Darstellungen Palästinas in englischen Berichten des 19. Jahrhunderts den Eindruck erwecken sollten, man könne dieses Gebiet rechtmäßig besetzen. Ilan Pappe muss sich doch sehr darüber wundern, dass von den israelischen Parteien jede einzelne in ihrem Wahlprogramm behauptet, die Lösung des "demografischen Problems", sprich der drohenden palästinensischen Überzahl auf israelischem Boden, gefunden zu haben. August Kleinzahler hat die Lektüre von Roy Fishers Gedichtanthologie "The Long and the Short of It: Poems 1955-2005" sehr genossen, auch wenn Fishers Lyrik zugegebenermaßen die Wärme einer Kameralinse besitzt. In Short Cuts stöhnt Thomas Jones über schlechte Manieren bei der Postzustellung. Und Peter Campbell haben die zwei Ausstellungen "Modernism: Designing a New World" (im V&A) und "Albers and Moholy-Nagy: From the Bauhaus to the New World" (in der Tate Modern) davon überzeugt, dass eigentlich alles um uns herum entweder von der Moderne vorhergesehen oder gar bereits von ihr entworfen wurde.

New Yorker (USA), 24.04.2006

Jill Lepore stellt einige Historiker vor, die sich mit der Geschichte der Pilgerväter befassen oder befasst haben, zum Beispiel den Konteradmiral Samuel Eliot Morison, dessen größte Gabe ihrer Meinung nach darin bestand, dass man ihm Recht geben musste, auch wenn man es partout nicht wollte. In seiner Arbeit hatte Morison alles daran gesetzt, die Puritaner von ihrem Image als freudlose Miesepeter zu befreien. "Morison gab für dieses Vorurteil den Victorianern die Schuld, die die Puritaner als prüde abstempelten, um sich selbst im Vergleich freigeistig zu fühlen. Wie Morison mit charakteristischer Klarheit darlegte, ist es ein schwerwiegender chronologischer Fehler, sich auf das 19. Jahrhundert zu verlassen, wenn man das 17. Jahrhundert verstehen will. 'Die richtige Herangehensweise an die puritanischen Gründer Neuenglands ist historische betrachtet das Mittelalter', erklärte er, 'sie waren sozusagen Engländer, die die Reformation, aber nicht die Renaissance akzeptiert hatten'."

Nick Paumgarten erkennt in den Navigationssystemen, in Google Earth und MapQuest, eine zivilisatorische Rolle rückwärts. Denn sie basieren auf Landschaftsbeschreibungen: "Sie verwenden Algorithmen, die den vorbereitenden freundlichen Cowboy personifizieren, der weiß, wohin er geht, oder den Passanten, der dir sagen kann, was du siehst, wenn du zu weit bist. Bevor es Karten gab, gab es solche Wegbeschreibungen, Abfolgen von Richtungshinweisen. Karten waren eine Sache des Fortschritts, ganz zu schweigen von der Fähigkeit, sie zu lesen. Sie setzen ein viel höheres Abstraktionsvermögen voraus. Die derzeitige geografische Revolution ist in vielerlei Hinsicht eine Rückkehr zu primitiven Techniken: Es ist die High-Tech-Glasur für eine Low-Tech-Methode."

Weitere Artikel: Steve Martin unternimmt einen Wiederbelebungsversuch der in Misskredit gebrachten Society-Kolumne "Page Six". Tad Friend berichtet, dass bei NBC gleich zwei Serien eingegangen sind, die hinter den Kulissen von "Saturday Night Life" spielen; nur eine wird durchkommen. Jonathan Stern gibt uns eine "Lonely-Planet"-Tour durch sein Apartment.

Besprochen werden die Veronese-Ausstellung in der Frick Collection, Kaija Saariahos in Paris uraufgeführte Oper "Adriana Mater", sowie die beiden neuen Filme "American Dreamz" von Paul Weitz und "I Am a Sex Addict" von Caveh Zahedi.

Nur im Print: Patrick Radden Keefe schreibt eine Reportage über "Sister Ping?s people-smuggling empire", und Michael Specter porträtiert Kirsan Nikolajewitsch Iljumschinow, Präsident des Weltschachverbandes FIDE und der Republik Kalmückien.
Archiv: New Yorker

Polityka (Polen), 15.04.2006

Vom Bildersturz zu den Mohammed-Karikaturen - Publizist Adam Krzeminski zeichnet in einem lesenswerte Essay die Geschichte des Umgangs mit bildlichen Darstellungen des Göttlichen in der abendländischen Kultur bis in heutige Tage nach. Was die Diskussion um die Pressefreiheit und Religion angeht, schreibt Krzeminski: "Es gibt weder die absolute Meinungsfreiheit, noch den absoluten Schutz der religiösen Gefühle. Die Grenzen der Freiheit aber werden durch das Recht bestimmt, nicht durch das individuelle Taktgefühl oder durch die Erpressung seitens einer aufgebrachten Menge. Im Westen ist das Recht nicht - und darf es nicht sein - identisch mit einer religiösen Moral. Deshalb darf es die Veröffentlichung von Karikaturen, selbst von schlechten, nicht verbieten - was nicht heißt, dass man sie nicht kritisieren und verdammen kann".

"Im April 1986 kam es in Tschernobyl zum größten Unfall in einem Atomkraftwerk, das man sich vorstellen konnte. Und? Und nichts. Es kamen 31 Menschen ums Leben, weniger als beim Halleneinsturz bei Kattowitz." Zbigniew Jaworowski, Experte für radioaktive Strahlung und seinerzeit verantwortlich für den Schutz der polnischen Bevolkerung vor den Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl, hält die "große Katastrophe" für einen Mythos: "Schon 2000 stellte ein UN-Bericht fest, der später von anderen UNO-Behörden bestätigt wurde, dass ein Einfluss des Unfalls auf die Zahl der Krebserkrankungen nicht nachgewiesen werden kann. Die Reaktion der UdSSR war verspätet und hysterisch - hätte man nichts getan, statt 336.000 Menschen zu evakuieren, hätte man weniger Schaden angerichtet. Ich kann mit aller Verantwortung feststellen: in Polen war durch die Katastrophe niemand gefährdet. Die Strahlung, die wir abbekommen haben, war ohne jeden Einfluss auf die Gesundheit." (Allerdings geht der umstrittene UN-Bericht von 4.000 Toten aus. Hier ein Interview mit Jaworoski zum selben Thema und hier ein Aufsatz von ihm über Strahlungsrisiken und Ethik.)
Archiv: Polityka

Times Literary Supplement (UK), 15.04.2006

"Gibt es so etwas wie britische Intellektuelle?", fragt Michael Saler nach Lektüre von Stefan Collinis "geistreichem" Buch "Absent Minds", das J. R. Seeley berühmtes Diktum wörtlich genommen hat, wonach die Briten ihr Empire in einem Moment der Geistesabwesenheit errichtet haben. Für Saler genug Grund, dem nachzugehen: "Selbst in den benachbarten Niederlanden erscheint das intellektuelle Klima wärmer, der niederländische Historiker G.J. Renier war etwa so perplex über das ungezügelte Banausentum in England, dass er sich 1931 dazu veranlasst sah, ein Buch zu schreiben, dessen Titel alles sagte: 'Die Engländer: Sind sie menschlich?'. Gilbert Adair drückte es 1993 nicht weniger drastisch aus: 'Was hat es mit dem Land und dem Verstand auf sich?'. 'Britischer Intellektuelle' klingt wie ein Oxymoron und ihre Abwesenheit scheint so charakteristisch für das nationale Leben zu sein wie warmes Bier, lange Schlangen, der öffentliche Verkehr und die stoische Haltung, mit der dies alles hingenommen wird."

Weitere Artikel: Michael Caines will die Aufregung um die Wiedereinführung von Personalausweisen in Großbritannien nicht verstehen: "Wir hatten doch so viel Spaß das letzte Mal - während des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren darauf." Alastair Macaulay räumt mit dem Irrtum auf, Harold Pinter hätte nur über Krieg, Krebs und Tod geschrieben: Frauen und Sex haben ihn durchaus auch beschäftigt. Und Katherine Duncan-Jones geht Shakespeares Statusangst nach.

Economist (UK), 14.04.2006

Es gibt europäische Muslime, doch gibt es einen europäischen Islam? Oder gibt es lediglich den Islam in Europa? Trotz vereinzeltem Fanatismus kann der Economist sich nicht vorstellen, dass die europäischen Muslime nicht auch den Islam verändern werden. "Europas aufstrebender Islam hat bislang noch keinen rechten Eindruck auf fernere Gefilde gemacht. Doch es ist schwer zu glauben, dass ein Islam, der sich der Demokratie, der Gleichheit der Geschlechter und der Modernität gegenüber offen zeigt, keine Wirkung auf den Mittleren Osten haben sollte. Und so unsicher und allmählich seine Heranreifen auch sein mag, dies ist der Islam, den die europäischen Muslime zu erschaffen versuchen."

Weitere Artikel: Von wegen haarsträubende Karikatur! Glaubt man dem Economist, bleiben selbst die kühnsten amerikanischen Romane weit hinter der höchst bizarren amerikanischen Wirklichkeit zurück. Weiter behauptet der Economist, dass Nordirland und insbesondere Belfast schon so lange im Ausnahmezustand lebt, dass sich Normalität wie ein Schock ausnehmen würde.

Es ist Ostern und der Economist schaut auf Jerusalem: Wie wird das Leben in der von der Sicherheitsmauer geteilten Stadt aussehen? Und welchen Status erlangt dabei "die explosivste Immobilie der Welt", der Tempelberg? Schließlich rät der Economist israelischen und palästinensischen Politikern, die Clowntruppe Boomchucka Circus auf ihrer Tournee durch die Gebiete auf beiden Seiten des Nahostkonflikts zu begleiten.
Archiv: Economist

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 13.04.2006

Der in Lyon lehrende Soziologe Lahouari Addi blickt mit Bitterkeit auf den Schlussstrich, den die algerische Regierung unter das vergangene Jahrzehnt der Gewalt ziehen will. Per Referendum hat sie eine Amnestierung der Täter und einen finanziellen Ausgleich für Opfer beschließen lassen. "Mit juristischen Mitteln will das Regime auch die vielen Initiativen der Familien der Verschwundenen zum Schweigen bringen: Sie gelten seit dem 28. Februar als aufgelöst. Der einschlägige Paragraf verbietet bei Strafe, 'alle schriftlichen Erklärungen oder anderen Einlassungen, die die Wunden der nationalen Tragödie nutzen oder instrumentalisieren, um den Staat zu schwächen, seine Institutionen anzugreifen und die Ehre seiner Vertreter zu verletzen... oder dem internationalen Ansehen Algeriens zu schaden'... Nur einzelne Kommentatoren unabhängiger Tageszeitungen äußern Zweifel am Kurs der Regierung. In El Watan gab Adlene Mehdi auf dezente Weise zu bedenken, dass Paragraf 46 des Erlasses vom 28. Februar mit Artikel 36 der Verfassung, der die Meinungsfreiheit garantiert, unvereinbar sei."

Außerdem in dem Schwerpunkt zu Algerien: Wendy Kristianasen stellt die "Emanzen von Algier" vor. Jean-Pierre Sereni beklagt die unsagbare Verschwendung der Petrodollar durch die algerische Regierung. In weiteren Artikeln geht es um Frankreichs Vergangenheitspolitik, Japans Geopolitik in Ostasien und Berlusconis Hinterlassenschaft.

Spectator (UK), 14.04.2006

Im Prinzip ist die Schwäche von Italien und Frankreich gut für die EU-Politik der Briten, meint David Rennie. "Es ist wahr, eine gewisse Freude erfüllt das Herz jedes freigeborenen Engländers beim Anblick eines Frankreichs, das in den Seilen hängt." Starke Regierungen auf dem Kontinent läuteten immerhin das Ende von Margaret Thatcher ein. Aber die Sache ist komplizierter, so Rennie weiter. "Wenn Demonstranten auf dem ganzen Kontinent verlangen, dass sie vor jeder Veränderung und jeder Reform beschützt werden müssen, dann könnte eine starke Straße noch schlimmer sein" als eine starke französische Regierung.

Weitere Artikel: Michael Moorcock, der vor Jahren nach Amerika gezogen ist, erzählt, wie er in einer texanischen Bar bekannt hatte, einst die Sozialisten (Labour) gewählt zu haben. Die Reaktion eines "6ft6 cowboys" trug zu seinem Entschluss bei, amerikanischer Staatsbürger zu werden. Peter Osborne hat einen Wahlkämpfer der BNP (British Nationalist Party) begleitet und stellt fest, dass die Partei vor allem frühere Labourwähler anzieht, die sich vergessen fühlen.
Archiv: Spectator

Al Ahram Weekly (Ägypten), 13.04.2006

Nach seiner Restaurierung in den USA kehren die 13 Papyrusblätter des in der liturgischen Sprache der Kopten verfassten "Judasevangeliums" nach Ägypten zurück. Nevine El-Aref erklärt die prekäre Bedeutung des im vierten Jahrhundert entstandenen Dokuments, das von den frühen Kirchenvätern unter Verschluss gehalten wurde: "Es stellt Judas als Jesus' Lieblingsjünger dar und den Verrat als Teil einer Mission, die die Kreuzigung und also das Christentum initiierte. Im Text sagt Jesus zu Judas: 'Du wirst alle anderen Jünger übertreffen, weil du denjenigen opferst, der dich ernährt.'"

Weiteres: Der Literaturwissenschaftler Mohamed Enani spricht über die Ablösung des vor- und frühislamischen durch das moderne Arabisch in der arabischen Shakespeare-Rezeption. Und Jill Kamil besucht die Ausstellung "American Contributions to Egyptian Archaeology" im Ägyptischen Museum in Kairo.
Archiv: Al Ahram Weekly

Weltwoche (Schweiz), 13.04.2006

Pierre Heumann und Alain Zucker widersprechen den Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt, die in einem Essay das große Gewicht Israels in der amerikanischen Außenpolitik beklagt hatten. Die großspurigen Erfolgsmeldungen von Lobbyorganisation wie Aipac seien mehr als Wunschdenken zu verstehen. "Hätte die Pro-Israel-Lobby tatsächlich einen derart großen Einfluss, würde sie ihn kaum derart an die große Glocke hängen." Und "in Washingtons erbarmungslosem Wettbewerb der Interessen und Ideen gibt es viel einflussreichere Strömungen. Gemäß dem Center for Responsive Politics hat die proisraelische Seite im letzten Wahlkampf lediglich sechs Millionen Dollar gespendet. Die Juden machten damit wohl mehr Geld locker als etwa die amerikanischen Muslime, doch immer noch viel weniger, als etwa die Ölindustrie springen ließ (25 Millionen), die auch ein vitales Interesse am Nahen Osten hat."

Außerdem berichtet Franziska K. Müller über die heftigen Reaktionen auf Alison Wolfs Artikel im Prospect, in dem sie Karrierefrauen vorwarf, die Schwesternschaft der Frauen aufzukündigen. Und Mark van Huisseling schreibt darüber, wie es ist, Christoph Schlingensief zu treffen. "Ich mag ihn, er ist nett und gescheit, und manchmal sagt er tolle Sätze, aber irgendwie versteh ich ihn nicht. Ich glaub, das ist einfach so, wenn man Künstler interviewt."
Archiv: Weltwoche

Point (Frankreich), 13.04.2006

In Darfur, einer Region des Sudan (mehr dazu bei Wikipedia), werden von den herrschenden Arabern nicht mehr nur Christen, sondern auch Muslime verschiedener Stämme umgebracht, die in den Augen der Herrschenden den Nachteil haben, schwarz zu sein: purer Rassismus also. Neu ist, so schreibt Bernard-Henri Levy in seinem "Notizblock" in Le point, dass den letzten Hilfsorganisationen nun der Zugang zu den Regionen der ethnischen Säuberung untersagt wird: "Neu ist in einem Wort die Erklärung des UNO-Sonderbeauftragter für die Verhinderung von Völkermorden Juan Mendez, der meint, dass die Ausweisung der letzten Hilfsorganisationen das Zeichen sein könnte, dass das Regime in die letzte Phase seines Plans eingetreten ist - in der man lieber keine Zeugen haben möchte." Levy kritisiert auch die Organisationen der "Nachfahren von Sklaven" in Frankreich, die dieser Konflikt völlig kalt zu lassen scheint: "Hat der Feind hier etwa nicht das richtige Gesicht? Verkompliziert dieser Konflikt zwischen arabischen und nicht-arabischen Muslimen etwa das Schema? Sollte er die schreckliche Bestätigung der These sein, dass der Mord an den Schwarzen in Afrika ebenso ein afrikanisches und besonders arabisches wie westliches Verbrechen war?"
Archiv: Point

New York Times (USA), 16.04.2006

Faszinierend und beunruhigend zugleich findet John Horgan Ann Finkbeiners Buch "The Jasons". Es beleuchtet die Geschichte des gleichnamigen geheimen Verbands von Wissenschaftlern, die sich die amerikanische Regierung seit den späten fünfziger Jahren als sogenannte unabhängige Berater hielt. Was, so formuliert Horgan die den Band durchziehende Frage, bewegte Nobelpreisträger wie Steven Weinberg, sich mit dem Teufel einzulassen? "1966 kam ein Jason-Team zu dem Schluss, dass der Einsatz von Nuklearwaffen in Vietnam keinen miltitärischen Nutzen brächte ... Der beunruhigende Subtext dazu lautet: Unter anderen Umständen allerdings schon."

Außerdem: William Logan hält das von David Lehman herausgegebene "Oxford Book of American Poetry" für eine vertane Chance. James Wood sieht in "Flaubert" von Frederick Brown die Flaubert-Biografie "dieser Generation" (Leseprobe). Und James Wolcott erinnert an den Journalisten Dwight Macdonald, der dieses Jahr 100 geworden wäre.

Im Magazin der New York Times untersucht Rebecca Skloot das obskure "Nachleben" menschlicher Blut- und Gewebeproben: "Wissenschaftler und Chirurgen nutzen sie zur Herstellung von Impfstoffen oder zur Penisverlängerung". Skloot erzählt die Geschichte des krebskranken John Moore, der eines Tages herausfand, dass sein Arzt sich die herauspräparierten Zellen seines Patienten patentieren lassen hatte und damit legalerweise viel Geld verdiente: "Was dieser Fall nicht berührt, ist die Eigentumsfrage betreffend das Gewebe, das sich noch an seinem Platz in deinem Körper befindet ... Falls es wissenschaftlich wertvoll ist, kannst du dein eigenes Biotech-Unternehmen aufziehen."

Ferner porträtiert Fernanda Eberstadt den in Marrakesch lebenden spanischen Schriftsteller Juan Goytisolo. Und im Interview erzählt Cyndi Lauper aus dem Leben einer suicide blonde.
Archiv: New York Times