Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
06.02.2007. Das NRC-Handelsblad fordert nach Lektüre der christlichen Schulausgabe des holländischen Dudens eine zünftige "Halal"-Edition. The Nation berichtet, wie ägyptische Blogger einen Fall von Polizeifolter publik machten. Al Ahram wirft einem UN-Report über die arabische Welt feministische Propaganda vor. In der New York Times erklärt Tariq Ramadan Ian Buruma, was islamische Weiblichkeit ist. Ayaan Hirsi Ali erklärt dem Observer, wer Tariq Ramadan ist. In Folio erklärt die Teheraner Künstlerin Jinoos Taghizadeh, warum sie auch am Privatpool lieber keinen Badeanzug trägt. HVG beschreibt Schandtaten und Nöte rumänischer Journalisten. DU reist nach Asakusa. Die London Review of Book reist ins Second Life.

NRC Handelsblad (Niederlande), 02.02.2007

Eine "christliche" Schulausgabe des holländischen Dudens Van Dale wurde nach heftiger Medienschelte (auch in NRC) vom Verlag kurz vor der Veröffentlichung zunächst zurückgezogen. 2.500 strenggläubige Protestanten hatten zuvor einen "keuschen Van Dale" mit der Begründung gefordert, ihre Kinder seien zu jung für Worte wie "Sex" oder "Sperma". Sprachexperte und NRC-Kolumnist Ewoud Sanders hat die "christliche" Ausgabe durchgeblättert und konstatiert: "Van Dale hat seine Unabhängigkeit verspielt. Steht zum Beispiel in der Standardausgabe 'keusch' für 'rein, sauber, in sexuellem Sinne ehrbar', wird daraus in der christlichen Ausgabe schlicht 'rein, sauber, ehrbar'. Sollten sich also evangelisch-reformierte Schulkinder fragen, warum für bestimmte religiöse Ämter 'Keuschheit' vorgeschrieben wird, werden sie mit diesem Van Dale in der Hand nicht wissen, was das genau bedeutet. Wäre ich ein Moslem, würde ich sofort 2.500 Unterschriften sammeln, um eine 'Halal'-Edition des Van Dale beim Verlags zu bestellen."
Archiv: NRC Handelsblad

The Nation (USA), 19.02.2007

Negar Azimi führt uns in die Welt der äygptischen Blogger, die immer wieder von den Behörden drangsaliert werden, aber hin und wieder auch einen Erfolg verbuchen können, zum Beispiel mit einem Video, das folternde Polizisten zeigt. Zwei von ihnen wurden nach der Veröffentlichung verhaftet. "Einfach indem er das Video auf ein Blog hochlud, erreichte der als Demagh MAK bekannte Web-Impresario gewaltig Aufmerksamkeit, sowohl zu Hause wie im Ausland. Den Link zum Video, der unter Aktivisten und Journalisten weitergereicht und auch bei YouTube gepostet wurde (bis es wegen seines obszönen Inhalts entfernt wurde), griffen schließlich die etwas mutigeren Zeitungen in Ägypten sowie arabische Satellitensender wie Al Dschasira und Dream TV auf. Sogar einige Dschihadi-Webseiten ergriffen das Wort, empört über die Exzesse des ungläubigen ägyptischen Regimes."
Archiv: The Nation
Stichwörter: Al Dschasira, Dreamer, Exzess, Folter

Internationale Politik (Deutschland), 01.02.2007

In einem aufsehenerregenden und scharfen Artikel kritisiert Alfred Grosser nach langer Vorrede über den mangelnden Mut westlicher Öfentlichkeiten den Staat Israel: "Die Lage in Gaza ist so dramatisch, weil Israel jeden Handel unterbindet, die Fischerei und die Flughafenbenutzung verbietet, die Grenzen immer undurchdringlicher macht..." Und Grosser schließt sich einem Leitartikel von Ha'aretz an: "'Die Gewalt ist das Problem. Nicht die Lösung.' Die Gewalt, die immer mehr nichtjüdische israelische Bürger, immer mehr Palästinenser und so viele Libanesen in die Arme des Terrorismus wirft, so viele verzweifelte Jugendliche der Indoktrinierung aussetzt und sie zum selbstmörderischen Attentat verführt. Um dies zu erkennen, müsste es eine moralische Wende geben - in Israel und auch außerhalb Israels."
Stichwörter: Grosser, Alfred

Al Ahram Weekly (Ägypten), 01.02.2007

Amany Abulfadl Farag (mehr hier), Mitglied des ägyptischen Zentrums für die Angelegenheiten der Frau (MARAM), wittert die feministische Propaganda neokolonialer Aliens in dem von der Uno initiierten Arab Report of Human Development 2005, der die Ungleichbehandlung der Geschlechter in der arabischen Welt zum Thema hat: "Der Report widmet zwei Seiten (S. 116 - 118) Ehrenmorden, häuslicher Gewalt und der Beschneidung von Frauen. Nur ein Absatz handelt von Frauen unter Besatzung. Darfur wird nicht erwähnt. Ehrenmorde forderten in den letzten zwei Jahren das Leben von 20 Frauen in den arabischen Ländern, besagt der Report. Im Irak hat der bewaffnete Konflikt das Leben von 100.000 Frauen gefordert." Auch in der westlichen Welt werden Frauen misshandelt, so die Autorin, ohne das dies in regionalen Reporten festgehalten werde. "Die Fixierung auf arabische Frauen macht arabische Intellektuelle misstrauisch. Sie weigern sich, arabische Frauen als Vorwand für fremde Kräfte benutzen zu lassen, die uns ihre ausländischen Vorstellungen aufzwingen wollen. Die Befürchtung, Frauenthemen könnten zum raison d'etre für ausländische Einmischung werden, ist wohl begründet - der Report betont die Wichtigkeit 'externer Reformen' (S. 63)."

Weiteres: Rania Khallaf (hier) und Hadeel Al-Shalchi (hier) schildern ihre Eindrücke von der 39. Internationalen Buchmesse Kairo, auf der es offenbar nur wenig internationale Literatur zu lesen gibt (dafür war die Lesung des islamkritischen algerischen Religionswissenschaftlers Mohamed Arkoun gut besucht). Und im Interview mit Ezzat Ibrahim erläutert der amerikanische Politikwissenschaftler Ian Shapiro ("Containment: Rebuilding a Strategy against Global Terror") seinen Vorschlag zu einer neuen US-Politik in Nahost: Kontrolle statt Konfrontation.
Archiv: Al Ahram Weekly

New York Times (USA), 04.02.2007

Im Magazin der New York Times widmet Ian Buruma dem umstrittenen Islamwissenschaftler Tariq Ramadan ein langes Porträt. "Eine der schärfsten Kritiker Ramadans in Frankreich, Caroline Fourest ("Frere Tariq"), fürchtet, er wolle auf lange Sicht den europäischen Säkularismus durch religiöse Bigotterie in Frage stellen. Sie sagte mir am Telefon, Ramadan sei 'gefährlicher als die offensichtlichen Extremisten, eben weil er sich so gemäßigt anhört'. Die Schlüsselfrage sei seine Haltung zu Frauen. Ich wollte wissen, was genau Ramadan mit 'islamischer Weiblichkeit' meint, die er in seinem Buch 'Western Muslims and the Future of Islam' mit Begriffen wie 'natürliche Ergänzung' und 'Autonomie des weiblichen Seins' beschreibt. Das klang etwas vage. Er antwortete: 'Wenn man für seine Rechte kämpft, kann man einen legalen Status erreichen. Das ist notwendig. Wir müssen für die gleichen Rechte der Frauen kämpfen. Aber der Körper darf nicht vergessen werden. Männer und Frauen sind nicht dasselbe. In der islamischen Tradition werden Frauen als Mütter, Ehefrauen oder Töchter begriffen. Jetzt existiert eine Frau als Frau.' Ich war mir nicht sicher, dass diese Antwort mich klüger machte." Am Ende vergleicht Buruma Ramadan mit Ayaan Hirsi Ali. Letztere erreiche die Muslime nicht mehr, weil sie ihrem Glauben abgeschworen habe. Ramadan dagegen bestehe darauf, dass "eine vernünftige, wenn auch traditionelle Auffassung vom Islam Werte anbietet, die so universal sind wie die der europäischen Aufklärung. Diese Werte sind nicht säkular, noch sind sie stets liberal, aber sie sind auch nicht Teil eines Heiligen Krieges gegen westliche Demokratien. Ramadans Politik ist eine Alternative zur Gewalt - Grund genug sich kritisch, aber furchtlos mit ihm zu befassen."
Archiv: New York Times

Guardian (UK), 04.02.2007

Im Observer, der Sonntagsausgabe des Guardian, stellt Andrew Anthony die jetzt auf Englisch erschienene Autobiografie von Ayaan Hirsi Ali vor. In seiner Besprechung porträtiert er sie - nicht ohne Bewunderung - als jemanden, der "kein Blatt vor den Mund nimmt". Aber entfremdet dieser Klartext die Muslime nicht noch mehr von der westlichen Gesellschaft, fragt Anthony. Hirsi Ali fährt zwar nicht aus der Haut, "aber es ist ganz klar eine Anklage, die sie irritierend findet. 'Tariq Ramadan ist voller Geringschätzung für Muslime, weil er glaubt, sie seien unfähig zur Vernunft', antwortet sie in einem verführerisch freundlichen Ton, als würde sie anmerken, dass er einen exzellenten Geschmack bei der Wahl seiner Hemden beweist. 'Wenn ich sage, Terrorismus wird im Namen des Islam ausgeübt, dann soll das zu terroristischen Anschlägen führen? Er schreibt mir viel mehr Macht zu als ich habe. Warum machen meine Bemerkungen aus ihm keinen Terroristen? Weil er darüber steht. Wie viele Anhänger des Multikulturalismus setzt er sich aufs hohe Ross." Auf den Vorwurf, sie spreche vor allem weiße Liberale an, antwortet sie, "dass es wichtig sei, diese anzusprechen, denn sie müssten sich von der Selbszensur, der Folge postkolonialer Schuldgefühle befreien. 'Wenn ihr euch schuldig fühlen wollt', schnappt Hirsi Ali zurück, 'fühlt euch schuldig, weil ihr uns nicht mit John Stuart Mill bekannt gemacht und uns nur dem Koran überlassen habt. Es hilft nicht weiter, wenn ihr sagt, eure Vorfahren hätten unsere Vorfahren unterdrückt, und euch für immer schuldig fühlt.'"
Archiv: Guardian

Folio (Schweiz), 05.02.2007

Die Teheraner Künstlerin Jinoos Taghizadeh erzählt, wie sie einmal an einem öffentlichen Strand die Männer um ihre leichte Kleidung beneidete, es später aber auch nicht wagte, sich an einem privaten Swimmingpool im Badeanzug zu zeigen. Ihre Schlussfolgerung: "Der öffentliche Raum ist für euch der Ort, wo gesetzestreue Bürger ihre Freiheiten ausleben - uneingeschränkt von Ideologie oder Religion. Für uns ist jedoch vor allem das Private wichtig. Der private Raum ist für uns nicht nur ein Domizil, sondern auch ein Refugium vor den Zumutungen der Außenwelt. Draußen sind wir gezwungen, uns auf bestimmte Weise zu benehmen, uns Gesetzen zu beugen, die nicht die unseren sind, und die Existenz anderer zu akzeptieren, deren Träume und Wünsche mit den unseren kollidieren. Drinnen haben wir unseren Zufluchtsort vor einer Welt voller Ungerechtigkeit, Laster, Täuschung und Unglück. Vor diesem Hintergrund ist auch unsere Sehnsucht nach Migration zu verstehen - die Sehnsucht, sozialen und materiellen Zwängen zu entfliehen. Ihr im Westen schürt sie, indem ihr behauptet, die Freiheit, die wir im Privaten erleben, sei bei euch auch im Öffentlichen gewährleistet. Vermutlich ist dies der Hauptgrund, warum wir die westliche Welt idealisieren. Doch eure äußere Freiheit ist eine andere als unsere innere."

Die mittlerweile in Zürich lebende Zeichnerin Parsua Bashi schildert die alltäglichen Zumutungen eines Lebens unter Männern, vor denen auch der Tschador nicht schützt: "Bis zum Büro waren es etwa zehn Minuten. Wenn ich an Leuten vorbeiging, sah ich Fußpaare, weibliche Füße, männliche Füße, Kinderfüße, zu zweit, allein, zu dritt, in einer Reihe. Ich wich allen Blicken aus und wünschte mir auch nichts zu hören: 'Baby!' - 'Dich vernasch ich!' - 'Schau dir diese Titten an!' - 'Willst du meine Telefonnummer?'"

Weiteres: Bahman Nirumand erinnert sich von Berlin aus sehnsuchtvoll an Teheran, das er unter dem Schah hatte verlassen müssen, in das er 1979 zurückgekehrt war, nur um drei Jahre später wieder flüchten zu müssen. Farsin Banki und Victor Kocher liefern Eindrucke aus den vergnüglichen Nischen des Gotteststaat. Ulrich Tilgner berichtet, wie Teherans Studenten die Buchmesse nutzen, um Kontakte zum Westen zu knüpfen. Und Rudolph Chimelli entschleiert die vielen Gesichter des Mahmud Ahmadinedschad. Und schließlich: Luca Turin hat den Glauben an die Parfümiers wiedergefunden - Chanels neuer Duft "Rue Cambon", auf der Basis eines Pfeffer-Iris-Akkords, löste bei ihm ein Gefühl aus, "das ich seit Jahren nicht mehr verspürt hatte: die erregende Spannung weiblicher Schönheit".
Archiv: Folio

HVG (Ungarn), 01.02.2007

Korruption ist ein großes Problem der rumänischen Medien, lautet das Urteil von Cristian Tudor Popescu, Chefredakteur der rumänischen Tageszeitung Gandul und Vorsitzender des Rumänischen Presseklubs: "In der Provinz passiert es nicht selten, dass jemand die Redaktion besucht, Geld auf den Schreibtisch legt und einen bestimmten Artikel dafür verlangt. Oder umgekehrt: die Journalisten erpressen einen Unternehmer mit Beweismaterial und werden dafür bezahlt, es nicht zu veröffentlichen." Gleichzeitig seien Attacken der Politiker gegen die Medien an der Tagesordnung. Vor allem Präsident Basescu versuche, die Presse als unglaubwürdig darzustellen und dadurch seine eigene Popularität zu stärken. "Dan Voiculescu, Chef der an der Regierung beteiligten Konservativen Partei (PC) erklärte neulich den gesamten Berufstand der Journalisten zu den neuen Securitate-Spitzeln Rumäniens."
Archiv: HVG
Stichwörter: Geld, Rumänien, Hvg, Spitzel, Schreibtische

Nouvel Observateur (Frankreich), 01.02.2007

Anlässlich des Erscheinens seines Buchs "Une sorte de diable. Les vies de John M. Keynes" (Grasset, Auszug) unterhalten sich dessen Autor, der Wirtschaftswissenschaftler Alain Minc und sein Kollege Daniel Cohen über den Einfluss des englischen Ökonomen, Politikers und Mathematikers John Maynard Keynes. Minc meint: "Für Keynes war die Ökonomie viel stärker in die Gesellschaft eingefügt als für Marx. Paradoxerweise ließ er die Gesellschaft aber völlig außen vor. Sein soziologisches Denken ist ziemlich armselig und seine historische Kultur begrenzt. Er wird niemals bedeutender als Marx werden." Cohen dagegen findet: "Er war eine Proust'sche Persönlichkeit: in seinem Privatleben ein unerträglicher Snob, und er verehrte die aberwitzigsten Leuten, aber am Abend heckte er ein Werk aus, das seinem Leben unendlich überlegen war."

Zu lesen ist außerdem ein Beitrag des Wissenschaftlers, Theologen und Dominikaners Jacques Arnould zu seinem neuen Buch, in dem er sich ein weiteres Mal kritisch mit dem Kreationismus auseinandersetzt: "Dieu versus Darwin. Les creationnistes vont-ils triompher de la science?" (Albin Michel).

Spectator (UK), 03.02.2007

Toby Young zerstört den Mythos von Robert Redfords Sundance Festival als Festival des unabhängigen Films. Vielmehr holen sich dort in Wahrheit von den Studios produzierte Filme nur ihren Authentizitäts-Stempel ab. "Die meisten der dort erstmals gezeigten Filme haben noch keinen Verleih gefunden, werden aber kurz nach dem Debüt von einem Verleiher gekauft - typischerweise von einer der studioeigenen Independent-Firmen wie Miramax. Tatasächlich wimmelt es bei Sundance nur so von Angestellten dieser Unternehmen. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis in Hollywood, dass viele der Filme, die auf dem Sundance Festival einen Abnehmer finden, von den Studios vorfinanziert wurden, die nur so tun, als würden sie erst nach der Produktion an Bord kommen. So wirkt der entsprechende Streifen nicht nur wirklich 'unabhängig', sondern profitiert auch noch zusätzlich von dem Umstand, dass er auf Sundance 'entdeckt' wurde."
Archiv: Spectator

Gazeta Wyborcza (Polen), 03.02.2007

Das Gesicht der alten Textilmetropole Lodz in Zentralpolen verwandelt sich. Vor kurzem wurde entschieden, dass der luxemburgische Architekt Rob Krier ein 90 Hektar großes Areal im Zentrum der 800.000-Einwohner-Stadt neu bebauen soll. Vorgesehen sind u.a. ein Museum für Zeitgenössische Kunst und ein Haus, in dem das unlängst von David Lynch gegründete Kulturzentrum für Weltkunst untergebracht werden soll. Im Interview stellt Krier seine Ideen für Lodz vor: "Ein Stadtorganismus ist wie ein menschlicher Körper, er muss atmen, denken und ruhen. Das muss wieder hergestellt werden. Die vorhandenen Gebäude werden für kulturelle Zwecke hergerichtet und mit neuen Gebäuden komplettiert. Es gibt hier zu viel aufgeblasene großbürgerliche Architektur." Auf die Frage, ob Star-Kollegen wie Frank Gehry oder Daniel Libeskind (der in Lodz geboren wurde) zugezogen werden sollten, antwortet Krier: "Ihre Kunst ist fantasievoll, aber agiert gegen die Stadt. Aber wenn Libeskind sich an den Rahmen halten würde, warum nicht? Daniel, du musst disziplinierter werden, dann kannst du mitmachen!"
Archiv: Gazeta Wyborcza

Nepszabadsag (Ungarn), 01.02.2007

Warum tun die ungarischen Grenzbehörden so, als wäre Rumänien der EU nie beigetreten? Journalisten der rumänischen Zeitung Romania Libera haben mit einer versteckten Kamera aufgenommen, wie einreisende Rumänen an der Grenze schikaniert werden. Istvan Tanacs kommentiert: "Die rumänisch-ungarische Grenze zu passieren ist heute genauso bedrückend wie zu Zeiten der Diktatur. Die EU-Mitgliedschaft bedeutet hier nicht, dass die Landesgrenzen durchlässiger und die Bürger freier werden, sondern dass sich die Grenzbehörde jetzt auch noch auf die Brüsseler Beschlüsse berufen kann, um die Einreisenden zu schikanieren... Ungarische, ukrainische, serbische, rumänische, mazedonische Zöllner sind daran gewöhnt, dass die Uniform nicht für den Dienst an allen Bürgern steht, sondern für die uneingeschränkte Willkür des Kleinbürgers über andere Menschen. Dass Politik und Medien die Bedeutung dieses Zwischenfalls nicht erkennen, ist höchst besorgniserregend."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Rumänien

DU (Schweiz), 05.02.2007

Das neue DU reist diesmal nach Asakusa. Hier, in Tokios ältestem Viertel, residiert die Göttin Kannon, und seine Einwohner nennen es stolz eine Hure, weil sich Asakusa so gut zu verkaufen weiß, wie Silke Pfersdorf erzählt: "Jesus warf die Händler einst aus dem Tempel - in Asakusa wurden sie willkommen geheißen. Die Götter, fand man in Japan stets, wollen unterhalten sein, das stimmt sie gewogen. Theater, Farben, Licht und Lachen, als Götterschmaus ein gutes Essen - was soll da noch schiefgehen? Das Vergnügen tanzte den Veitstanz in Asakusa. Aus der Stadtmitte Edos, wie Tokio früher hieß, verbannten die Shogune im 19. Jahrhundert die Kabuki-Theater nach Asakusa, auf den Bühnen gab es die verwegensten Stücke zu sehen, das Denkikan, Japans erstes Kino, zog 1903 in den Bezirk, noch bevor Amerika und England ein Lichtspielhaus kannten. Durch den 1853 eröffneten Hanayashiki-Blumengarten flanierten schäkernd die Pärchen, bevor der Welt neueste Karussells sich dort breitmachten; in den Misemono-Buden stellten sich die Kleinwüchsigen und Entstellten zur Schau und die Händler boten entzückende Kimonostoffe und Bänder und Kämme feil. Katzen- und Mädchenfänger, Vergnügungsboote auf dem Sumida, Spieler und Spelunken; ein einziges Irrenhaus sei Asakusa, notierte der Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Yasunari Kawabata über die 1920er Jahre in seinem Buch 'Die rote Bande von Asakusa'."
Archiv: DU

Letras Libres (Spanien / Mexiko), 01.02.2007

"Operacion Che": Pünktlich zum 30. Todestag Ernesto Che Guevaras wurden im Sommer 1997 auf Anordnung Fidel Castros in einer großen Haupt- und Staatsaktion die von einem kubanischen Suchtrupp "endlich gefundenen und identifizierten" sterblichen Überreste des "Guerrillero Heroico" von Bolivien nach Kuba überführt und im eigens geschaffenen Mausoleum von Santa Clara beigesetzt. Oder war das alles nur ein Fake? Das behaupten gut dokumentiert Maite Rico und Bertrand de la Grange in der neuen Ausgabe der mexikanisch-spanischen Zeitschrift Letras Libres, die mittlerweile zu großen Teilen frei im Netz lesbar ist: "Die Knochen und die medizinischen Daten gehören zu einundderselben Person - nur ist es nicht der Che. Der 'Fund' seiner Überreste war weder eine Heldentat noch ein Wunder: es handelte sich um eine als wissenschaftliche Mission getarnte Geheimdienstoperation. Höchstwahrscheinlich erfolgte die Manipulation der Grabstelle noch vor dem Eintreffen der renommierten argentinischen Forensiker. Wie schafften es die Kubaner aber, aus sechs Leichen sieben Skelette zu zaubern?"

Der polnische Lyriker Adam Zagajewski sorgt sich derweil um das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Literatur: "Die neue Vorherrschaft der Provinzen sorgt für einen Überschuss an Literatur, die sich vornehmlich mit den Menschen als Kollektiv beschäftigt, mit der Politik, der Unterdrückung, der Gesellschaft, etc. Heute steht manchmal die Erinnerung der Imagination im Wege, als fände neben soviel geschichtlicher oder persönlicher Erinnerung die Imagination ihren eigenen Ort nicht mehr."
Archiv: Letras Libres

London Review of Books (UK), 08.02.2007

Jenni Diski erlebt in Second Life eine Art Identitätskrise. "Nach einer Weile gab ich es auf, über die Erde zu wandern und stellte Fragen an die hilfreichen Angestellten von Linden Labs, die aus virtuellem Fleisch waren und verfügbar, um dem verwirrten Novizen zu helfen (Sprache wird eingetippt und erscheint in einer kleinen Box auf dem Bildschirm). Sie beantworteten meine Frage 'Was kann ich hier tun?' ohne Ausnahme mit: 'Nun, was würden Sie denn gern in RL tun? Sie können Leute treffen, tanzen, spielen, sich verabreden, Kleider kaufen, rumhängen ... was immer Sie wollen.' Tatsächlich tue ich nur zwei dieser Dinge gerne, aber spielen tue ich ohnehin im Cyberspace und Kleider interessieren mich nur, wenn sie tatsächlich in meinem Schrank oder auf meinem Körper hängen. 'Warum soll ich hier Dinge tun, die ich in der wirklichen Welt schon tue?' 'Weil Sie sie hier besser tun können.' Ich erwärmte mich für die Idee, ein großer Maler zu werden, aber mir wurde nicht klar, wie ich in Second Life etwas gut machen sollte, dass ich im wirklichen Leben auch nicht konnte."

Weitere Artikel: In einem interessanten Artikel rollt Thant Myint-U die Geschichte Burmas seit 1885 auf, um am Ende ein paar Ratschläge für die Zukunft anzubringen. Dazu gehört: Der Westen sollte Burma wirtschaftlich unterstützen und dabei gleichzeitig helfen, Reformen auf den Weg zu bringen, statt auf Reformen zu warten und dann erst zu helfen. Und James Meek stellt ein Buch des Journalisten Lawrence Wright über den Weg Al Qaidas bis zum 11. September vor: "The Looming Tower".

New Yorker (USA), 12.02.2007

Jonathan Rosen porträtiert den Naturforscher und Philosophen Alfred Russel Wallace, "den verkannten Doppelgänger Darwins", über den seit 2000 fünf Biografien erschienen sind. "Es war Staunen, das ihn in die Natur zog, und eine instinktive Missachtung von Autorität, die es ihm leicht machte, die religiösen Überzeugungen einer gesamten Kultur in Frage zu stellen. Das tat er, als er 1858 eine Abhandlung vorlegte, in der er eine Theorie der Evolution mittels natürlicher Auslese vertrat. Anders als Darwin, der eine ähnliche Schlussfolgerung zwanzig Jahre lang aus Angst für sich behalten hatte, war es Wallace vollkommen egal, was die Leute dachten. Diese totale Unabhängigkeit von der öffentlichen Meinung ist einer von mehreren Gründen, dass er fast völlig aus dem Bewusstsein verschwunden ist."

Weiteres: Zu lesen ist ein Interview mit Ann Goldstein, die Primo Levis Kurzgeschichte "A Tranquil Star" übersetzt hat und eine amerikanische Gesamtausgabe seiner Schriften vorbereitet. Peter Schjeldahl schreibt über eine große Tintoretto-Retrospektive im Prado in Madrid, die zweite seit 1937 überhaupt. Und Anthony Lane begeistert sich für den Film "Das Leben der Anderen" - "ein Regiedebüt, auf das wir mit Recht neidisch sein können" - und findet, "wenn es irgendeine Gerechtigkeit gibt", müsse er den Oscar als bester ausländischen Film bekommen.
Archiv: New Yorker