Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.04.2007. Im Espresso beschreibt Andrzej Stasiuk den nationalen Stammeskult der Kaczynski-Brüder. In der London Review of Books entwickelt Colm Toibin angesichts des neuen Romans von Ian McEwan eine steile These. In der New York Review of Books erklärt Vaclav Havel, warum man sich als Präsident besser nicht an der Queen orientieren sollte. In der Revista de Libros überlegt der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro, was McLuhan wohl von einem Cybercafe halten würde. Das TLS feiert Rainer Werner Fassbinder. De Groene Amsterdammer meldet erste Studentenproteste in Russland. In edge.org stellt Larry Sanger die Alternative zu Wikipedia vor: Citizendium.

Espresso (Italien), 26.04.2007

Andrzej Stasiuk beschleicht das Gefühl, dass die Kaczynski-Zwillinge ihm langsam aber sicher sein Land wegnehmen. Alles ist politisch geworden, alles ist Kampf. "Jedes Zugeständnis ist eine Niederlage, jeder Kompromiss ein Verrat. Ihre Aussagen über ihre Gegner sind voller Gift, Unterstellungen und Verachtung. Nur in dieser Atmosphäre sind sie in der Lage zu regieren, ja überhaupt zu existieren. Deshalb haben sie in so umfänglicher Weise das Leben in Polen politisiert. Deshalb haben sie sich mit den fragwürdigsten Kräften der polnischen Politik verbündet: mit dem klerikalen Milieu, dessen Religiosität nichts mit Christlichkeit oder dem Katholischen zu tun hat, sondern nur mit einem nationalen Stammeskult. Und als ob das nicht reichen würde, haben sie sich auch noch mit einer Partei mit faschistischen Wurzeln zusammengetan. Hier sind die Zwillinge in ihrem natürlichen Element: Spaltung, Konfrontation, gegenseitige Ablehnung, Verdacht. Nur in dieser Umgebung können sie existieren. So ist ihrer Ansicht nach die Politik beschaffen und das Leben an sich."

Desweiteren erklärt Umberto Eco in seiner Bustina di Minerva, warum der Professor auch in Zeiten von Google und Wikipedia eine Daseinsberechtigung hat.
Archiv: Espresso

London Review of Books (UK), 23.04.2007

"Der Penis ist im Roman der Gegenwart von einer nicht zu übersehenden, ja von riesiger Bedeutung", beginnt der Autor Colm Toibin die Rezension des jüngsten Romans "On Chesil Beach" seines Kollegen Ian McEwan. Der Penis spielt darin insofern eine wichtige Rolle - in der Rezension wird das näher ausgeführt -, als das Buch im wesentlichen in der ersten Nacht der Hochzeitsreise eines jungen Paars spielt. Und auch wenn Toibin seine Besprechung "Die Zerteilung des Körpers" überschreibt - sehr spektakulär geht es nicht zu: "Der Stil des Buches mag unaufwendig scheinen: es gibt keine Satz-Kadenzen, die Effekt machen wollen, es gibt keine elaborierten Sätze oder Pyrotechnik irgendwelcher Art. Schließlich sind wir in England, wo die Wörter das bedeuten, was sie sagen. (...) Das große Geschick, mit dem dieser Ton aufrechterhalten wird, bleibt die meiste Zeit unsichtbar. Der Roman ist eine reine Komödie, erzählt allerdings aus der Perspektive der zwei Protagonisten, die das alles für überhaupt nicht witzig halten; trotzdem halten wir die beiden keinen Moment für langweilig."

Weitere Artikel: Michael Wood hat Zack Snyders Sparta-Fantasie "300" gesehen und stellt fest: "Der Autor der graphic novel und die Macher des Films sind keine Faschisten; sie sind nur verliebt in eine faschistische Fantasie, oder vielleicht nur in die Bildmöglichkeiten, die sie ihnen bietet." John Sturrock schreibt über die wenig rühmlichen Seeabenteuer britischer Soldaten im Irak (und/oder Iran). Jeremy Harding kommentiert die Lage vor den französischen Präsidentschaftswahlen. Colin Kidd informiert über die Gegenwart schottisch-britischer Beziehungen.

New York Review of Books (USA), 08.05.2007

Um noch kurz beim Thema von Colm Toibin und Ian McEwan zu bleiben: In einem Artikel über Sarah Bernardt zitiert Robert Gottlieb einen ihren Liebhaber, "ihr männliches vis-a-vis an der Comedie Francaise, Jean Mounet-Sully - ein Löwe von einem Mann. Im Alter sagte er: 'Bis ich sechzig war, dachte ich, es wäre ein Knochen.'"

Zu lesen ist ein Auszug aus Vaclav Havels Erinnerungen "Fassen Sie sich bitte kurz" an seine Zeit als Tschechiens Präsident, sozusagen die Schreckensjahre unter Premier Vaclav Klaus: "Ich erlitt viele Niederlage. Die schlimmsten Erinnerungen habe ich an die Mittwochstreffen. Klaus hatte diese an sich vernünftige Idee. So wie der britische Premier mittwochs die Queen informiert, wollte er auch jeden Mittwoch für eine Stunde auf die Burg kommen. Ich konnte nicht ablehnen. Diese Mittwochnachmittage wurden zu meinem schlimmsten Albtraum, von Dienstagabend an war ich nicht mehr zu gebrauchen. Die Treffen liefen immer gleich ab: fünfzehn bis zwanzig Minuten höfliche Konversation über Gott und die Welt, dann der Moment der Wahrheit: irgendeine Beschwerde über mein Verhalten. Es war immer Unsinn, aber es sollte keinen Sinn ergeben, es sollte mich in die Defensive bringen. Wenn Klaus seinen ersten Schlag gelandet hatte, konnte ich jede Erklärung geben, und er stimmte mir sogar zu. Aber ich konnte weder die Schönheit dieses ersten Schlags auslöschen noch aus der Defensive kommen."

Weitere Artikel: Das Autorenduo Hussein Agha und Robert Malley untersucht die Lage im Nahen Osten und kommt zu dem Schluss, dass es sowohl Israelis wie Palästinenser nicht mehr in der Lage sind, in bilateralen Verhandlungen eine Lösung des Konflikts erreichen. Elizabeth Drew erkundet die innenpolitischen Fronten in den USA in Bezug auf den Irakkrieg und das Dilemma der Demokraten, einen Krieg mitzufinanzieren, der immer unpopulärer wird. Hermione Lee stellt eine Reihe neuer Bücher vor, die nach Sinn und Zweck des Romans fragen. Besprochen werden auch Henry Gidels Buch über Sarah Bernhardt und Monografien zu Francis Bacon.

Revista de Libros (Chile), 22.04.2007

Pünktlich zur Internationalen Buchmesse Bogota und zum Welttag des Buches untersucht der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro (s. a. hier) den State of the Art der schwarzen Kunst: "Entgegen McLuhans Prophezeiung hat das Bild nicht die absolute Herrschaft übernommen. Würde McLuhan in einem Cybercafe wieder zum Leben erweckt, müsste er annehmen, in ein seltsames Mittelalter versetzt zu sein, unter lauter Mönche, die vor Bildschirmen geheimnisvolle Texte zu entziffern versuchen. Die Technik hat sich also mit dem Alphabet verbündet. Auf geradezu mythologische Weise leben wir damit weiter in einer von Büchern geschaffenen Welt. Die wichtigsten Religionen halten ihrerseits an diesem Glauben fest. Lesen ist immer noch die erfolgreichste Methode, um abstrakte Vorstellungen zu übermitteln und das Unsichtbare - indirekt - sichtbar zu machen."

Foglio (Italien), 21.04.2007

Andrea Monda porträtiert die Nonne Cristiana Dobner, eine sehr wache Intellektuelle, die sich als Feministin bezeichnet, aus zehn Sprachen übersetzt, Agatha Christie liebt und unter anderem als Literaturkritikerin tätig ist. "Als ich sie per E-Mail kontaktierte, sagte sie mir, sie benutze Skype: 'Es ist schneller als der Messenger und die elektronische Post. Es gibt immer mal wieder Störungen, aber die Verbindung wird immer besser. Meine Priorin weiß, dass ich es für die Arbeit benutze und vertraut mir.' Und so spreche ich also mit Cristiana über Skype, per Videokonferenz. Auf dem Monitor erscheint das schöne Gesicht einer Frau von etwa sechzig Jahren, eingehüllt von der Kopfbedeckung der Karmeliterinnen, in ihrem Fall wiederum eingerahmt von den weißen Kopfhörern beim Telefonieren."
Archiv: Foglio
Stichwörter: Christies, Messenger

Times Literary Supplement (UK), 20.04.2007

Leo A. Lensing, Professor of German Studies an der Wesleyan University, singt eine Hymne auf "the Wunderkind" Rainer Werner Fassbinder, von dem die Deutschen seiner Meinung nach immer noch nicht begriffen hätten, dass er einer ihrer größten Künstler des 20. Jahrhunderts war. Mit Freude hat Lensing sogar die frühreifen Gedichte "Im Land des Apfelbaums" gelesen: "Gefragt, ob sie die literarischen Neigungen des junger Rainer gefördert hätte, gab seine Mutter, die Schauspielerin Liselotte Eder, zu: 'Es machte mich nervös. Vergessen Sie nicht, der gesamte Fassbinder-Clan - sein Vater, sein Onkel, seine Cousins - alle schrieben Gedichte. Und sie klangen alle wie Rilke! Wenn man seinen Onkel und dessen Kinder besuchte, wurden einem sofort die Originalgedichte der Kinder präsentiert. Und ich sagte mir: 'Oh Gott, bitte, nicht auch noch Rainer!' Die Ergebnisse von Fassbinders frühem Dichten legen nahe, dass seine Mutter erfolgreich jeden Rilkeschen Einfluss verhindert hat."

Besprochen werden Kenneth O. Morgans Biografie des Labour-Politikers "Michael Foot", A.L. Kennedys neuer Roman "Day" und Hildegard Hammerschmidt-Hummels Studie zu Shakespeares Totenmaske "The True Face of William Shakespeare".

Elet es Irodalom (Ungarn), 20.04.2007

Die Karlsuniversität Prag lehnte den Vorschlag ihrer eigenen Geisteswissenschaftlichen Fakultät ab, die Ehrendoktorwürde für Adam Michnik, dem Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza zu verleihen. Die Entscheidung wurde nicht begründet. "Michnik wurde von mehreren berühmten Universitäten der USA die Ehrendoktorwürde verliehen, die Ehrendoktorwürde von Prag wird in seiner Sammlung nicht unbedingt fehlen", meint Martin M. Simecka, Chefredakteur der tschechischen Wochenzeitung Respekt in einem Gastkommentar. "Eher verdient die Karlsuniversität Prag unser Mitleid. Mitteleuropa irrt zwischen verschiedenen Werten herum, die Orientierungslosigkeit kommt in einem jeden Land unterschiedlich zum Ausdruck, aber eine Begleiterscheinung haben alle Länder gemeinsam: Misstrauen oder sogar Ablehnung gegenüber den Wortführern der ehemaligen demokratischen Opposition, die 1989 den Weg des friedlichen Wandelns vom kommunistischen Regime zur Demokratie bestimmten. ... Auch in Tschechien will man jetzt die Geschichte der letzten zwanzig Jahre umwerten oder sogar völlig umschreiben."

Spectator (UK), 20.04.2007

Putin wird vor nichts mehr zurückschrecken, fürchtet die Historikerin Anne Applebaum nach den jüngsten Ausfällen seines Regimes gegen Oppositionelle: "Garri Kasparow hat die harsche Polizeitaktik als Beweis dafür bezeichnet, dass das Regime Angst hat. Andere vermuten dahinter die Angst des Kreml vor einer Wiederholung der ukrainischen Orangen Revolution, deren Anhänger mit Straßenprotesten den Regimewandel herbeiführten. Ich bin mir da nicht sicher. Die neue Aggressivität kann, im Gegenteil, der Beweis sein, dass der Kreml derart selbstbewusst ist, dass er keine Rücksicht mehr auf die Sensibilitäten der westlichen Öffentlichkeit zu nehmen braucht." So habe sich auch der Ton verschärft, mit dem besonders Kasparow geschmäht werde: "Letzte Woche nannte die Website der Prawda einen 'politischen Bauern, der seine Seele an Verräter verkauft hat, die Russlands Untergang betreiben' und einen 'glutäugigen, aserbaidschanischen Beresowski-Anhänger', der 'nach westlicher Gewohnheit in seinem Millionärsappartement sitzt'... Nett, nicht?"
Archiv: Spectator

Groene Amsterdammer (Niederlande), 20.04.2007

Hubert Smeets rät Russlands Premier Putin, sich Frankreich zum Vorbild zu nehmen: "Die Verhaftung Kasparows zeigt, wie die Macht Putins schwindet. Denn für Kasparow gilt, was der französische Präsident Charles de Gaulle einst über Jean-Paul Sartre sagte: 'Einen Voltaire sperrt man nicht ein'. Nachdem Kasparow nun zu einem Symbol befördert wurde, hört der Ärger für den Kreml nicht auf. Auch an den Universitäten brodelt es. In der Lomonossow-Universität Moskau stehen sich Studenten und Dekanat gegenüber. Den Studenten der sozialwissenschaftlichen Fakultät zufolge wurde die Universität in eine Kaserne umgebaut, man versuche über Kameras und Passierscheine alle Bewegungen zu kontrollieren. Das Mensa-Essen sei überdies viel zu teuer, seitdem die Kantine privatisiert und durch den Sohn des Dekans übernommen wurde. Und das Curriculum habe mit den Anforderungen des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu tun. 'Wir wollen doch nur, dass diese Fakultät mehr ist als eine Schule für Lehrlinge', erklärt ein Student."

New Yorker (USA), 30.04.2007

In einem ebenso ausführlichen wie wunderbaren Porträt unter der Überschrift "Lady be Good" würdigt Anthony Lane die Schauspielerin Barbara Stanwyck, die im Juli dieses Jahres 100 Jahre alt geworden wäre. "Zu behaupten, Stanwyck habe nie zur ersten Garde der Schönheiten gehört, wäre zwar ungalant, aber wahr. Zu meinen, ihr habe deshalb ein bereitwilliges Angebot an männlichen Opfern gefehlt, wäre nachweislich Unfug. Sie hatte sündhaft geschwungene Wangenknochen, gewölbte Augenbrauen und eine stolze, zinkenhafte Nase, die ihr gelegen kam, als sie anfing, Figuren der gehobeneren Klassen zu spielen oder sie wie in "The Lady Eve" (1941) in Stücke zu reißen. Es war ein Gesicht, das tausend Fragen aufwarf: der Mund zu streng, um rosig zu sein, und eine für Slang geschaffene Stimme, ätzend und heiser. Wenn ich an die ruhmvollen Zeiten des amerikanischen Films denke, an seine schlagfertigste und höchste Samtigkeit, dann denke ich an Barbara Stanwyck."

Weiteres: Atul Gawande untersucht, inwiefern die Medizin einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung nützen kann. John Updike rezensiert eine neue Biografie über eine legendäre Predigerin, die in weißem Gewand und Militärumhang auftrat: "Aimee Semple McPherson and the Resurrection of Christian America" von Matthew Avery Sutton (Harvard). Joyce Carol Oates bespricht den Roman "The Pesthouse" von Jim Crace (Nan A. Talese/Doubleday). Paul Goldberger stellt den neuen Erweiterungsbau für das Nelson-Atkins Museums in Kansas City von Steven Holl vor. Und Anthony Lane sah im Kino die Krimiparodie "Hot Fuzz" von Edgar Wright und den neuen Film des Franzosen Francis Veber ("Ein Käfig voller Narren"), "The Valet".
Archiv: New Yorker

Point (Frankreich), 19.04.2007

Elisabeth Levy und Dominique Quessada haben Peter Sloterdijk, Frankreichkenner und einen der "erfinderischsten" deutschen Philosophen, nach seiner Sicht auf den französischen Präsidentschaftswahlkampf befragt. Sloterdijk hält die jetzige Wahl demnach für eine Chance, endlich das "Museum der Illusionen" zu verlassen und mit der "politischen Lyrik" zu brechen. Er meint: "Für die Mehrheit der Kandidaten ist Frankreich doch nur ein Vorwand. Sie sind auf der Suche nach einem Land, das sich ihren Phantasmen anschließt. Wir Deutschen haben sieben Jahre mit einem Kanzler verbracht, der die Inkarnation des puren Ehrgeizes war. Deutschland war das Symptom und das Spielzeug seines politischen Oberhaupts, wie Frankreich zum Symptom und Spielzeug von Sarkozy oder jemandem anderen werden könnte. Aber Frankreich braucht einen Präsidenten, für den es nicht nur ein Symptom ist."

In seinem Bloc-notes antwortet Bernard-Henri Levy auf Nicolas Sarkozys Ansicht, eine Boykottdrohung gegen die olympischen Spiele in China sei unter allen "dummen Ideen", die er je gehört habe, die "dümmste von allen". Levy, der einer der Wortführer dieser "Dummheit" ist, widerspricht: "Ich denke, im Gegenteil, dass [eine Boykottdrohung] Druck auf China ausüben könnte, seinerseits der Regierung des Sudan Druck zu machen, in Darfur endlich ein Massaker zu beenden, das für mindestens 300.000 Tote und 2,5 Millionen Flüchtlinge verantwortlich ist."
Archiv: Point

Dissent (USA), 01.05.2007

Dissent stellt die selbstkritische Frage: "Demokratieexport: Was haben wir im Irak gelernt?". Die meisten der Autoren bleiben bei ihrer Meinung, so auch Paul Berman ("Terror und Liberalismus"), dem heute vorgeworfen wird, dass er den Krieg befürwortete: "Ich glaube nicht, dass wir die Idee der Verbreitung von Demokratie aufgeben sollten, nur weil die Bush-Regierung dieses Projekt vermasselt hat. Die Vereinigten Staaten sind zu mächtig, um neutral zu sein - eine Art gigantische Schweiz ohne einfluss auf irgendjemand anderen. Wenn wir in den Vereinigten Staaten nicht Demokratie verbreiten, werden wir etwas Nichtdemokratisches verbreiten, also entweder die Diktatur (unsere Politik der letzten sechzig Jahre) oder Chaos (das wir jetzt erreicht haben)."

Viel kritischer klingt Michael Walzers Einschätzung im Editorial des Hefts. Nutzen bringt Krieg nur selten, schreibt er, entgegen Clausewitz' bekannter Formel vom Krieg als der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: "Positive Folgen wie die Errichtung liberaler, pluralistischer und demokratischer Herrschaft braucht einen politischen und ideologischen Kampf im Vorfeld, während und - besser: anstelle - des Krieges. Die Mittel politischen Kampfes - Agitation, Organisation, Erziehung, Demonstrationen - sind eng verbunden mit der Praxis der Demokratie. Sie sind sozusagen, Einübung des Ausübens von Demokratie. Krieg bringt nichts Ähnliches."

Weitere Autoren sind: Daniele Archibugi, Ofra Bengio, Seyla Benhabib, Mitchell Cohen, Thomas Cushman, John Lister und Shibley Telhami.
Archiv: Dissent

Elsevier (Niederlande), 20.04.2007

"Wir leben in seltsamen Zeiten. Der depressive Mörder kopiert den politisch motivierten Selbstmörder", bloggt der Juraprofessor Afshin Ellian in Elsevier über den Amoklauf des Studenten Cho Seung-Hui in Blacksburg. Doch sieht er darin ein Beispiel für den gewalttätigen Charakter der amerikanischen Gesellschaft? "Nein, so etwas kann überall passieren, auch in Holland. Der moderne Mensch ahmt andere gerne nach. Hat so eine Tat etwas mit dem Waffenbesitz in den Vereinigten Staaten zu tun? Auch nicht. In Amsterdam wäre Cho, trotz Waffenverbot, problemlos an die beiden Handfeuerwaffen gekommen. Das alles sagt etwas Schreckliches über uns aus, über unsere Erziehung und unsere Moral. Wir sind beinahe machtlos gegenüber dem modernen Egoismus, der außerhalb des eigenen 'Ich' nichts mehr kennt."
Archiv: Elsevier

Economist (UK), 19.04.2007

Die Titelgeschichte des Economist ist dem Massaker von Blacksburg gewidmet. Im Aufmacher erklärt die Zeitschrift, warum sie bei aller sonstigen Liberalität für stärkere Kontrollen in Sachen Waffenbesitz eintritt: "Was die meisten gefährlichen Produkte angeht - Drogen, Zigaretten oder schnelle Autos - verficht diese Zeitschrift liberalere Positionen als die amerikanische Regierung. Im Fall von Handfeuerwaffen, automatischen Waffen und anderen Gegenständen, die ausdrücklich zum Töten von Menschen gedacht sind, glauben wir an die Notwendigkeit von Kontrolle, nicht zuletzt deshalb, weil wir, wenn wir diese gefährlichen Waffen nicht kontrollieren, andere Freiheiten einschränken müssen. In Amerika findet jetzt freilich statt einer Debatte über Waffen eine über die Sicherheit amerikanischer Universitäten statt."

Weitere Artikel: Jane Austens "Pride and Prejudice" wurde in einer Umfrage zum beliebtesten Buch der britischen Literaturgeschichte gewählt - Grund genug für ein kurzes Porträt der Autorin. Vorgestellt wird eine freche Kriegs-Komödie mit dem Titel "Ekhrajiha" ("Die Ausgestoßenen"), die in iranischen Kinos für Aufsehen sorgt. Auch nach den jüngsten Käufen sieht der Economist Google nicht auf dem Weg zum Monopolisten. Rezensiert wird ein Buch des irakischen Politikers Ali Allawi, der die US-Verantwortlichen gemeingefährlicher Ahnungslosigkeit zeiht. Der Streit zwischen Evolutionisten und Kreationisten ist, wie der Economist ausführt, auf dem Weg, vom amerikanischen zum globalen Phänomen zu werden. Die jüngsten Gewaltakte gegen die Opposition in Russland sieht der Economist als Signal, dass die "rücksichtslosen Paranoiden" an der Regierung keine Zurückhaltung mehr kennen. In der Oettinger-Filbinger-Affäre habe Angela Merkel ein weiteres Mal Führungsstärke demonstriert, meint der Economist. Außerdem gibt es einen Nachruf auf Kurt Vonnegut.
Archiv: Economist

Edge.org (USA), 19.04.2007

Larry Sanger, Mitbegründer von Wikipedia, hat eine neue online-Enzyklopädie gegründet, Citizendium. Jeder darf mitmachen, genau wie bei Wikipedia, aber - und das ist der Unterschied - eine Gruppe von "Experten" wird die Einträge auf ihre Richtigkeit hin kontrollieren. Auf edge.org erklärt Sanger, warum. Um seine Glaubwürdigkeit aufzubessern, hat Wikipedia vor einiger Zeit angefangen, seinen Artikeln Quellen und Fußnoten hinzuzufügen. Das bestätigt für Sanger nur, dass Experten eine wichtige Rolle spielen, auch wenn Wikipedia das leugnet. "Wenn Wikipedianer tatsächlich glauben, die Glaubwürdigkeit der Artikel werde verbessert, indem man Zitate von Experten anführt, würde sie dann nicht noch mehr verbessert, wenn diese Experten eine bescheidene Rolle in dem Projekt spielen würden? Und auf der anderen Seite, wenn es nicht stimmt, dass die zitierten Passagen von Experten stammen, wozu sind sie dann gut? Zur Zeit haben sie einen mysteriösen, talismanartigen Wert. Es scheint, dass Fußnoten für uns alle einen Artikel glaubwürdiger machen - aber warum? Was auch immer der Grund ist, Wikipedianer würden nie zugeben, dass es daran liegt, dass die Leute, die zitiert werden, glaubwürdige Autoritäten auf ihrem Gebiet sind."
Archiv: Edge.org
Stichwörter: Wikipedia, Edge.org

Magyar Hirlap (Ungarn), 15.04.2007

Über 500.000 ungarische Juden wurden während des Zweiten Weltkriegs verschleppt und in Konzentrationslagern ermordet. "Nicht nur die Opfer, auch die Mittäter waren ungarische Bürger", betonte Zoltan Pokorni, Vizepräsident der rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz, während des Gedenktags des ungarischen Parlaments und wischte damit gleich zwei Behauptungen der Antisemiten vom Tisch: die ungarischen Juden seien gar keine Ungarn gewesen, und die Täter waren ausschließlich Deutsche. In einem Artikel fordert die liberal-konservative Zeitung ihre Leser auf, gemeinsam gegen den neuen Antisemitismus aufzutreten: "Die Vergangenheit ist nicht abgeschlossen. Die Not, Leid und Tragödie des zwanzigsten Jahrhunderts muss bewältigt werden. Während der Diktatur konnten wir sie nicht verarbeiten, weil Fragen über die Vergangenheit damals künstlich verdrängt wurden. ... Wir machen immer die Anderen, das andere politische Lager dafür verantwortlich. Tausende Menschen zogen gestern durch Budapest, um des Holocausts zu gedenken: nur gemeinsam können wir die Vergangenheit bewältigen und den neuen Antisemitismus bekämpfen."
Archiv: Magyar Hirlap

New York Times (USA), 22.04.2007

Nach Outlook India äußert sich nun auch die New York Times sehr wohlwollend über Mohsin Hamids Roman "The Reluctant Fundamentalist", in dem ein in Princeton ausgebildeter Pakistani einem unbestimmten Gegenüber seine Weltsicht vor bzw. nach dem 11. September 2001 erklärt. Karen Olsson sieht das Besondere in der mehrschichtigen Figurenkonzeption des zwischen seiner Zu- und Abneigung gegenüber den USA schwankenden Erzählers: "Der Titel scheint ironisch gemeint und führt zu der Frage, ob jeder muslimische Kritiker der USA als Fundamentalist gelten kann oder ob die Bezeichnung nicht doch besser auf die Vertreter der kapitalistischen amerikanischen Oberschicht passt. Allerdings ist der Roman interessanter als solche Erwägungen: Der Fundamentalist und potentielle Attentäter scheint nämlich auf beiden Seiten des Tisches zu sitzen."

Weiteres: Liesl Schillinger empfiehlt die geheimen Tagebücher des New Yorker Society-Kolumnisten Leo Lerman mit dem vielverheißenden Titel "The Grand Surprise". Rachel Donadio befragt britische und amerikanische Historiker zu den abenteuerlichen Recherchebedingungen in Putins Russland und stellt fest: Die Staatsarchive waren schon einmal leichter zugänglich.
Archiv: New York Times