Magazinrundschau
Verklemmt, aber glücklich
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.09.2008. Die New York Review of Books erzählt, wie Putin den Ukrainern und Balten eine Botschaft zukommen ließ. In Le Point verleiht Bernard-Henri Levy Putin dafür eine Goldmedaille. Prospect lernt die beste und gerechteste Gesellschaft der Welt kennen. Rue89 fragt, ob Frankreich in Ruanda einen revolutionären Krieg geführt hat. Elet es Irodalom fordert eine Operation Paprika für Ungarns Theater. Die Gazeta Wyborcza erinnert an die polnischen Danziger. Folio geht auf Traumreisen. The Nation schildert, wie New Orleans beinahe wieder die Segregation eingeführt hätte.
New York Review of Books (USA), 25.09.2008

Prospect (UK), 01.09.2008

Weitere Artikel: Richard Dowden erklärt, warum westliche Demokratiemodelle sich in Afrika als problematisch erweisen, und schlägt vor, dass auch bei Wahlen Unterlegene, statt reine Opposition zu sein, in die Regierung eingebunden werden sollten. Alexander Fiske-Harrison glaubt unter der Überschrift "Ein edler Tod", gute Argumente für seine Liebe zum Stierkampf auf seiner Seite zu haben. Über Sinn und Unsinn der in Mode gekommenen Verhaltensökonomik streiten Pete Lunn und Tim Harford. Sally Laird weiß, warum die glücklichen Dänen von heute mit den aus "Hamlet" bekannten rein gar nichts zu tun haben.
Point (Frankreich), 28.08.2008
Nachdem er unlängst für seinen Bericht aus dem Kriegsgebiet in Georgien und seinen Beitrag mit Andre Glucksmann in Liberation scharf kritisiert worden war (mehr hier), listet Bernard-Henri Levy in seinen Bloc-Notes die notwendigen Schlüsse auf, die aus den "Aggressionen dieses Sommers" zu ziehen seien und stellt sich noch einmal entschieden auf die Seite der Georgier. An der russischen Regierung empört ihn am meisten "diese unvorstellbare Dreistigkeit dieser Leute. Zum Beispiel ihre Art, wie sie 'den Kosovo' als Präzedenzfall anführen: Als ließen sich der Fall einer von einer grauenvollen ethnischen Säuberung bedrängten, gemarterten und zerstörten serbischen Provinz und die Situation eines Ossetien als Opfer eines 'Genozids? über einen Kamm scheren, der nach jüngsten Meldungen (laut Human Rights Watch) 47 Tote gefordert haben soll... Die Goldmedaille für Monsieur Putin bei den Olympischen Spielen der Sinnverzerrung und des Zynismus."
Rue89 (Frankreich), 27.08.2008
In Rue89 ist ein kleines Dossier zu dem Anfang August veröffentlichten Abschlussbericht der Mucyo Commission zu lesen (hier als pdf), welche die französische Rolle beim Völkermord 1994 in Ruanda untersuchen sollte. In einem Beitrag stellen Gabriel Peries und David Servenay diesen Bericht in Auszügen vor, zu dem Frankreich bisher offiziell nicht Stellung nahm. Beim Außenministerium war nur von "unannehmbaren Anschuldigungen" die Rede.
In einem Folgebeitrag untersuchen die Autoren, inwiefern Frankreich zwischen 1990 und 1994 in Form einer indirekten Strategie tatsächlich einen heimlichen Krieg geführt habe, der sich an eine in der Militärführung wohlbekannte Doktrin des revolutionären Krieges anlehnt, die auf einen französischen Offizier im Indochinakrieg 1953 zurückgeht. "Was das alles mit Ruanda zu tun hat, fragen Sie? Die Parallelen sind so zahlreich, dass sie über den Status harmloser Zufälle hinausgehen... Die französischen Soldaten haben ihr Wissen nie verloren. Trotz eines Verbots, diese Doktrin im französischen Mutterland zu lehren, was De Gaulle nach dem putsch des generaux (1961 in Algerien) verfügt hatte, trotz politischer Alternativen hielten die Elitekorps (Truppen der Marine, der Legion und der Polizei) an dieser Errungenschaft fest, vor allem in Afrika." In einem dritten Artikel schließlich untersuchen sie die "intellektuelle Matrix" dieser Kriegsdoktrin und werden dabei unter anderem bei dem Buch "Der totale Krieg" des deutschen Militärs, Putschisten und NS-Reichstagsabgeordneten Erich Ludendorff von 1934 fündig.
Ein weiterer Beitrag geht der Frage nach, ob nach dem Vorpreschen Silvio Berlusconis, der Gaddafi fünf Milliarden Dollar zur Begleichung einer italienischen "Kolonialschuld" zusagte, nun auch auf Frankreich und andere Länder mögliche Entschädigungszahlungen zukommen. Vorläufiges Fazit: "Eine Büchse der Pandora"
In einem Folgebeitrag untersuchen die Autoren, inwiefern Frankreich zwischen 1990 und 1994 in Form einer indirekten Strategie tatsächlich einen heimlichen Krieg geführt habe, der sich an eine in der Militärführung wohlbekannte Doktrin des revolutionären Krieges anlehnt, die auf einen französischen Offizier im Indochinakrieg 1953 zurückgeht. "Was das alles mit Ruanda zu tun hat, fragen Sie? Die Parallelen sind so zahlreich, dass sie über den Status harmloser Zufälle hinausgehen... Die französischen Soldaten haben ihr Wissen nie verloren. Trotz eines Verbots, diese Doktrin im französischen Mutterland zu lehren, was De Gaulle nach dem putsch des generaux (1961 in Algerien) verfügt hatte, trotz politischer Alternativen hielten die Elitekorps (Truppen der Marine, der Legion und der Polizei) an dieser Errungenschaft fest, vor allem in Afrika." In einem dritten Artikel schließlich untersuchen sie die "intellektuelle Matrix" dieser Kriegsdoktrin und werden dabei unter anderem bei dem Buch "Der totale Krieg" des deutschen Militärs, Putschisten und NS-Reichstagsabgeordneten Erich Ludendorff von 1934 fündig.
Ein weiterer Beitrag geht der Frage nach, ob nach dem Vorpreschen Silvio Berlusconis, der Gaddafi fünf Milliarden Dollar zur Begleichung einer italienischen "Kolonialschuld" zusagte, nun auch auf Frankreich und andere Länder mögliche Entschädigungszahlungen zukommen. Vorläufiges Fazit: "Eine Büchse der Pandora"
Elet es Irodalom (Ungarn), 29.08.2008

Folio (Schweiz), 01.09.2008

Der Kosmonaut Sergei Krikaljow beschreibt Ulrich Schmid, wie das All riecht: "Unvergleichlich. Nichts auf der Erde riecht so. Verstehen Sie mich richtig: Ich spreche nicht vom Geruch der Kapsel, nicht vom Raumanzug. Ich spreche vom All. Ich weiss, das ist eigentlich unmöglich. Man kann das Vakuum des Weltraums nicht riechen. Aber eigenartigerweise geht es allen Kosmonauten so. Wir sehnen uns nach diesem seltsamen, metallischen Geruch. Ich kann es nur schwer beschreiben. Vielleicht sind es bestimmte Gase, bestimmte Ionen, die im Vakuum ihre Struktur ändern. Es ist faszinierend.
Weiteres: Eric Weiner hat die zehn glücklichsten Länder der Welt bereist. Die Schweiz ist auch dabei, wie Lukas Egli und Mikael Krogerus im Interview erfahren. "Auf den ersten Blick seid ihr Schweizer verklemmt. Auf den zweiten Blick verklemmt, aber glücklich." Desweiteren sucht Arnon Grünberg sein Traumziel im Irak, und Rohland Schuknecht erzählt, wie es war, als DDR-Bürger nach der Wende nach Kenia zu fahren.
Luca Turin geht in seiner Duftnote diesmal nicht auf einen weiteren Wohlgeruch ein, sondern warnt vor toten Tintenfischen, wie er aus seiner Zeit als Hilfswissenschaftler im Aquarium von Neapel weiß, wo Tintenfische als Versuchstiere dienten. "Manchmal verstarb eines dieser armen Geschöpfe und rächte sich an uns (mir oblag auch die Reinigung der Becken) durch Absonderung des bestialischsten Geruchs der Welt, eines so atemberaubend ekligen Gestanks, dass wir minutenlang nach Luft schnappten."
Gazeta Wyborcza (Polen), 30.08.2008

Der Politologe Pawel Swieboda gewinnt dem herrischen Auftreten Russlands im Georgien-Konflikt auch etwas Positives ab: "Europa brauchte immer eine Krise, um über seinen Schatten zu springen. Jetzt kann es seine Mission und sein Selbstbewusstsein wiederfinden", schreibt der Autor im Hinblick auf den EU-Gipfel. "Jetzt hat die EU die Chance, geschlossen gegenüber Moskau aufzutreten, und sie - und nicht etwa die USA - kann auch Russland dabei helfen, von dem hohen Ross runterzukommen, auf das es sich begeben hat."
Espresso (Italien), 28.08.2008

Nouvel Observateur (Frankreich), 28.08.2008
Mit seinem Buch "La Revolution française n'est pas terminee" kratzt der Sozialist und ehemalige Europaabgeordnete Vincent Peillon an einem französischen Nationalheiligtum, dem Historiker und Spezialisten für das Thema Französische Revolution, Francois Furet. In einem Gespräch mit dessen Schüler Philippe Raynaud begründet und verteidigt er seine Thesen. "Unsere noch immer dominante historische Erzählung ist eine, die uns daran hindert, zu unserer Gegenwart zu gelangen. [Francois Furet] hat unsere nationale Erzählung entlang einer Reihe von Oppositionspaaren geschrieben: Freiheit/Gleichheit, Katholizismus/Protestantismus, Individuum/Staat, II. Republik/III. Republik, gute Revolution von 1789/schlechte Revolution von 1793, Liberalismus/Sozialismus. Ich widerspreche gleichermaßen seiner historischen Lektüre, den philosophischen Grundlagen, auf die sie sich stützt, und den politischen Schlussfolgerungen, die er daraus zieht. (...) Zu sagen, die Revolution sei beendet, hieße, dass es keine Umstürze, Gewaltakte, letztendlich keine Debatte mehr gäbe."
Al Ahram Weekly (Ägypten), 28.08.2008

Guardian (UK), 30.08.2008

Vor knapp zwei Jahren starb Alexander Litwinenko in einem Londoner Krankenhaus an einer Vergiftung durch das radioaktive Polonium. Wer es denn nun gewesen ist, kann auch Alan Cowell in seiner "forensischen" Untersuchung auf 448 Seiten nicht klären, bedauert David Hearst. Am Ende sind mehr Fragen offen als beantwortet. "Aber Cowell gelingen auch Enthüllungen. Er legt die Rolle eines Polizisten offen, der an Litwinenkos Bett stand; er beschreibt, wie ein Toxikologe realisierte, dass der Patient nicht die klassischen Symptome einer Thallium-Vergiftung zeigte und den Urinbeutel zu den Nuklearwaffenexperten nach Aldermaston schickte. Er beschreibt, wie das Attentat verpfuscht wurde und wie es zuvor schon mehrere Versuche gegeben hatte."
Außerdem: Der Linguist Peter K. Austin - Autor eines Buches mit dem Titel "1000 Languages" - stellt die zehn wichtigsten vom Aussterben bedrohten Sprachen vor. Besprechungen gibt es zu Mark Thompsons "meisterlicher" Geschichte der italienischen Front im Ersten Weltkrieg, Francis Becketts Porträt von Mick Costello, Englands bekanntester Kommunist, und Kenan Maliks "schicker" Polemik zur Rassenfrage.
Times Literary Supplement (UK), 29.08.2008

The Nation (USA), 15.09.2008

Weitere Artikel: William Deresiewicz bespricht Salman Rushdies neuesten Roman "The Enchantress of Florence", Alexander Provan hat das Buch des Statistikers John Zogby "The Way We'll Be" über den Wandel amerikanischer Werte gelesen.
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