Magazinrundschau
Spukhafte Resonanz
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
11.10.2022. Atlantic untersucht die linke Cancel Culture in der amerikanischen Kunstwelt, der New Yorker das nationalistische Anschwärzen in Bollywood. Die New York Times berichtet, dass auch im franquistischen Spanien ärmeren Familien die Kinder geraubt wurden. In der LARB blickt Swetlana Alexijewitsch auf Russland und versucht zu begreifen, wie der Rote Mensch faschistisch wurde. Eurozine setzt auf die Wahrheit von Frauen über 45. In Elet es Irodalom erkennt der Philosoph Mihály Szilágyi-Gál, dass Schweigen dem Monotheismus der Macht dient. Der Merkur vermisst den künstlerischen Mehrwert der Documenta Fifteen.
The Atlantic | New York Times | New Yorker | HVG | LA Review of Books | Aktualne | Quietus | Merkur | Eurozine | Elet es Irodalom
The Atlantic (USA), 01.11.2022

Weitere Artikel: Die im amerikanischen Exil lebende Bushra Seddique hofft gegen besseres Wissen, dass die afghanischen Frauen sich einen Rest Freiheit bewahren können: "Es wäre schön zu glauben, dass Frauen in der Privatsphäre ihres eigenen Heims frei geblieben sind; dass sie einer unterdrückenden Regierung, die sie nicht als vollwertige Menschen ansieht, den Rücken kehren und zumindest in ihren persönlichen Beziehungen weiterhin die sein können, die sie schon immer waren. Aber das ist nicht der Fall. Indem die Regierung die Frauen aus dem öffentlichen Raum entfernt hat, hat sie auch das Patriarchat im Haus wiederhergestellt, wo Männer wieder Richter und Geschworene sind." Und der Historiker Christopher R. Browning erinnert die Amerikaner mit dem Beispiel von Hitlers Aufstieg daran, wie man auch mit einer "legalen Revolution" die Demokratie unterminieren kann.
New Yorker (USA), 11.10.2022

Im New Yorker der letzten Woche erzählt David Kortava die Geschichte von Taras, einem Ukrainer aus Mariupol, der zusammen mit etwa 40 anderen Ukrainern von russischen Soldaten in ein Filtrationslager verschleppt wurde. Im Lager Kozatske konnte Taras den russischen Oppositionsjournalisten Eduard Burmistrow über Telegram kontaktieren. "Taras schickte eine Reihe von Nachrichten an Burmistrow: 'Eine Person hatte einen Mini-Schlaganfall. . . Wir werden alle krank... . . Jeder hustet. Wir gehen auf dem Feld auf die Toilette. Wir essen mit Löffeln, die nicht mehr gewaschen werden. Es gibt kein fließendes Wasser. . . . Es gibt keine Antworten auf unsere Fragen, warum wir festgehalten werden und wann wir freigelassen werden.' Mit der Erlaubnis von Taras plante Burmistrov, Teile des Berichts zu veröffentlichen. 'Dies kann nicht aufgeschoben werden', schrieb Taras. 'Wenn uns etwas zustößt, sollte die Welt davon erfahren!!!!!!!'. Aus Angst, dass sein Telefon kontrolliert werden könnte, löschte Taras den gesamten Austausch." Nach sechs Wochen wurden Taras und seine Mithäftlinge freigelassen. Doch viele verschwinden für immer in den Lagern. "Die genaue Zahl der Ukrainer, die in Filtrationszentren in Russland und den besetzten Gebieten festgehalten werden, ist nicht bekannt", so Kortava. "Nach russischen Angaben wurden bereits fast vier Millionen Ukrainer in irgendeiner Form gefiltert und nach Russland 'evakuiert', einige davon bis nach Wladiwostok im Osten, nahe der russischen Grenze zu Nordkorea. (Die USA schätzen die Zahl auf zwischen neunhunderttausend und 1,6 Millionen.) Ilja Nusow, ein in Russland geborener Rechtsanwalt und Leiter der Abteilung Osteuropa und Zentralasien der Internationalen Föderation für Menschenrechte, bezeichnete das russische Filtersystem als 'ein Programm zur Erleichterung der Zwangsumsiedlung eines großen Teils der Bevölkerung, das auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnte'."
Weitere Artikel: Rivka Galchen überprüft die Akkustik im renovierten Lincoln Center. Alex Ross feiert den Genius des Tenors Lawrence Brownlee. Anthony Lane sah Park Chan-wooks "Decision to Leave" im Kino. Peter Schjeldahl besucht die große Tillmans-Schau im Moma.
HVG (Ungarn), 11.10.2022

LA Review of Books (USA), 27.09.2022

Aktualne (Tschechien), 27.09.2022

Quietus (UK), 08.10.2022

Merkur (Deutschland), 01.10.2022

Eurozine (Österreich), 06.10.2022

Außerdem: Kian Tajbakhsh feiert Irans ersten feministischen Aufstand: "Ich glaube, wir sind Zeugen von etwas, das es in der iranischen Geschichte noch nie gegeben hat: eine feministische soziale Bewegung. Die erneute Forderung nach einer rechenschaftspflichtigen Regierung und individueller Freiheit - dem liberal-demokratischen Ideal - ist aus dem Kampf gegen die patriarchalische Kontrolle über den Körper der Frauen und die paternalistische Beherrschung des öffentlichen Raums hervorgegangen. ... Die heutige feministische Bewegung, Frauen wie Männer, sagt Nein: Frauen werden in der Öffentlichkeit existieren, nicht als Mündel unter der Kontrolle männlicher Hüter religiöser Gesetze, sondern als gleichberechtigte Bürger. Sie fordern die Anerkennung der grundlegenden individuellen Menschenwürde und Freiheit, wie sie der moderne Mensch zu erwarten hat. Auch wenn diese Forderungen im Moment politisch noch unausgegoren sind, so sind sie doch zum Teil bereits mit umfassenderen Forderungen nach politischen Veränderungen verbunden."
Elet es Irodalom (Ungarn), 07.10.2022

New York Times (USA), 08.10.2022

Bei Meta, dem Konzern, dem Facebook und Instagram gehört, läuft's nicht so gut. Das von Mark Zuckerberg herbeigesehnte Metaverse mit seinen Spielen und Konferenzen in virtueller Realität will und will sich nicht einstellen, und sogar die Mitarbeiter scheinen nicht recht motiviert zu sein, hat ein Reporterteam, das mit vielen Mitarbeitern des Konzerns gesprochen hat, herausgefunden: "Während der Druck wächst, hat Zuckerberg eine klare Botschaft an die Meta-Mitarbeiter gesandt: Macht mit oder verschwindet. In einem Treffen im Juni, über das Reuters zuerst berichtete, stellte der 38-jährige Milliardär fest, dass es 'wahrscheinlich eine Reihe von Leuten im Unternehmen gibt, die nicht hier sein sollten' und dass er 'die Erwartungen und Ziele höher schrauben' werde, wie aus Kopien seiner Kommentare hervorgeht, die der Times vorliegen. Seitdem heuert das Unternehmen fast nicht mehr an, die Budgets sind gekürzt, und Zuckerberg hat die Manager aufgefordert, leistungsschwache Mitarbeiter zu identifizieren. Angesichts möglicher Entlassungen fangen einige Meta-Mitarbeiter an, mehr Begeisterung für das Metaverse zu zeigen."
Noah Gallagher Shannon erzählt die erbauliche und sehr lange Geschichte, wie es Uruguay mit viel politischem Geschick und einer Ideologie des Verzichts schaffte, das Land zu 98 Prozent mit alternativen Energien zu versorgen. Und selbst die Methangas-Bäuerchen der zwölf Millionen Rinder des Landes werden klimaneutral kompensiert, da das Grasland, auf dem sie weiden, die gleiche Menge Klimagase in sich aufnimmt - diese Berechnungen seien allerdings umstritten, so Shannon. Nebenbei erfährt man in dem Artikel, dass ein Deutscher durchschnittlich 15 Tonnen CO2 pro Jahr verursacht, und ein Franzose 9 Tonnen. Gut wären 2.
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