Magazinrundschau

Schlanker, fieser Bürgerschreck

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
18.03.2008. In der Lettre erzählt ein chinesischer Leichenwäscher, wie er einst einen toten Rotgardisten verschönte. Schlechtes Englisch ist kein Grund für Selbstmord, findet Outlook India. Der Spectator tanzt Kizomba in Harlesden. Im Middle East Quarterly erklärt der Journalist Mohamed Sifaoui, warum Al Qaida für den Irakkrieg betete. Großes Theater sorgt bei Al Ahram für eine Depression. Im Guardian erinnert sich Blairs Stabschef Jonathan Powell an eine Tischrunde mit Sinn Fein. Nepszabadsag will nicht mehr Ostmitteleuropa sein.

Lettre International (Deutschland), 14.03.2008

Vier Interviews mit "einfachen" Chinesen hat Liao Yiwu geführt - mit einem Rechtsabweichler, einem Guquin-Meister, einem Dreifachfräulein ("Mädchen, die mit ihren Gästen Karaoke singen, trinken und schlafen") und einem Leichenwäscher, der einst einem erstochenen Anführer der Roten Garden ein Lächeln ins Gesicht massierte: "Ich nahm eine Zahnbürste und stach damit in ein Nest von Würmern, die Zunge war schon weggefault! Ich bin schnell hinausgerannt, um frische Luft zu schnappen. Schließlich kam ich zurück, putzte ihm gründlich die Zähne und verteilte kesselweise Desinfektionsmittel darin. Das nennt sich Leichenverschönern - es war wie Kloputzen! Ich verwendete einen ganzen Nachmittag darauf, um diesen grimmigen Gesichtsausdruck wieder in das altbekannte Lächeln zu verwandeln. Die Roten Garden waren ganz gerührt von meiner gewissenhaften Arbeit und streiften mir ein rotes Band über den Arm, skandierten laut 'Man lerne von der Arbeiterklasse!' und machten mich zu einem regelrechten Mitglied ihrer Organisation."

Außerdem in diesem sehr lesenswerten Heft: Giwi Margwelaschwili führt uns in das Herzgebirge der Gedichtwelt. Abgedruckt ist eine Rede von Seymour M. Hersh, der in Groningen über Vietnam, Irak, Iran und das Versagen der Presse sprach (hier das Original als pdf). Dokumentiert werden drei Artikel von Milan Kundera (Auszug), Vaclav Havel und wieder Milan Kundera, die sich 68/69 über die Bedeutung des Prager Frühlings für die tschechoslowakische und europäische Geschichte stritten. Wolfgang Kraushaar schreibt über Sartre in Stammheim (Auszug). Abgedruckt ist ein Auszug aus dem Buch "Glowa w mur Kremla - Mit dem Kopf gegen die Kremlmauer" der polnischen Journalistin Krystyna Kurczab-Redlich: Über Jahre hat sie akribisch Indizien dafür zusammengetragen, dass nicht tschetschenische Terroristen, sondern der russische Geheimdienst FSB für die Sprengungen von Wohnhäusern in Russland 1999 verantwortlich ist (mehr hier).

Outlook India (Indien), 24.03.2008

Immer wieder gibt es Fälle brillanter indischer Ingenieursstudenten, die Selbstmord begehen, weil sie am Ende nicht gut genug Englisch können, um einen Job zu finden, berichtet Anjali Puri im Aufmacher des aktuellen Hefts. Aber Hilfe naht heran: "Der British Council hat seine Enerigen gebündelt, um Trainer für indische Englischlehrer auszubilden, sagen Kevin McLevine und Jill Coates vom Council. Eine schlaue Politik, kommentiert der Linguist N.S. Prabhu, denn sie wird britischen Ideen, Produkten, Spezialisten und Institutionen helfen, den indischen Markt zu überfluten. Der britische Premierminister Gordon Brown glaubt, dass Englischuntericht eines der wichtigsten britischen Exportgüter werden wird. Er kündigte bei seinem letzten Indienbesuch an, dass Großbritannien in den nächsten fünf Jahren 750.000 Englischlehrer aus- und weiterbilden wird. Die Boulevardzeitung The Sun nannte das 'PM Brown's English invasion'. (Nun ja, der antikoloniale Widerstand gegen das Englische ist ein für alle Mal tot.)"
Archiv: Outlook India

Spectator (UK), 15.03.2008

Ex-Brokerin Venetia Thompson (mehr hier und hier) langweilt sich in Chelsea. Sie tanzt lieber Kizomba in Harlesden, einem Londoner Stadtteil, der für seine vielen Waffen berüchtigt ist - und gerät im Jet Set Club prompt in eine bewaffnete Auseinandersetzung. Thompson sucht Rat auf der Website von Trident und klickt auf den Link "Way out": "Mir wird gesagt, ich solle 'aufhören wie ein Gangster zu reden, wie ein Gangster zu handeln und mit Gangstern rumzuhängen'." Keine befriedigende Lösung für Ms. Thompson. Sie macht einen anderen Vorschlag: "Bring den Gangster aus seinem Gangland und du hast eine schlanken, fiesen Bürgerschreck, den du in Chelsea ausführen kannst. Er wäre besonders nützlich, um die koksdealenden Privatschüler zu vertreiben, die in den bevorzugten Tränken der jungen Royals akzeptiert werden."

Und: Douglas Murray berichtet über den kommenden Skandal in den Niederlanden - Geert Wilders Film über den Koran.
Archiv: Spectator
Stichwörter: Wilders, Geert

Middle East Quarterly (USA), 14.03.2008

Diese Ausgabe beschäftigt sich mit dem radikalen Islam. Der in Frankreich lebende algerische Journalist und Buchautor ("Mes freres assassins: Comment j'ai infiltre une cellule d'Al-Qaida") Mohamed Sifaoui erklärt im Interview, warum er den Islamismus für faschistisch hält, und warum er gegen den Irakkrieg war: "Zwischen Oktober 2002 und Januar 2003 verbracht ich vier Monate damit, eine Zelle der Al Qaida in Frankreich zu infiltrieren. Zwei Monate vor Beginn des Irakkriegs, mitten in der Gruppe, sagte einer der Islamisten, 'jetzt beten wir, dass George Bush den Irak angreift'. Ich war überrascht und fragte dumm: 'Wirklich? Warum willst du, dass Amerika deine Brüder tötet?' Der klügste, Amara Saifi (der Emir der GSPC in London), flüsterte mir zu: 'In der ganzen Welt beten unsere Brüder, George Bush möge den Irak angreifen. Es muss zum Krieg zwischen der muslimischen und westlichen Welt kommen. Unglücklicherweise sind die Muslime zu gespalten. Viel zu viele beten nicht regelmäßig und leugnen die Religion und den Dschihad. Um all diese Menschen zu vereinen und zu mobilisieren müssen wir fortführen, was wir am 11. September angefangen haben.'"

Elet es Irodalom (Ungarn), 14.03.2008

Seit den 1990er Jahren scheint die Zeit in der ungarischen Dokumentarfilmszene stehengeblieben zu sein, findet der Filmkritiker Lorant Stöhr, ist aber angesichts mancher Werke junger ungarischer Dokumentarfilmer, die bei dem diesjährigen Filmfestival in Budapest im Februar gezeigt wurden, optimistisch: "Im einst experimentierfreudigen, heute aber verknöcherten ungarischen Dokumentarfilm scheinen Spielfilmelemente ein Tabu geworden zu sein: Schließlich müsse die objektive, distanzierte und ernste, oft schon düstere Darstellung der Armut für sich sprechen. Und in der Tat sprachen die von gebrochenen Schicksalen zeugenden Gesichter, die Bilder der Verödung und Zerlumpung eine Zeitlang für sich, doch durch die heutige, von Privatsendern ausgestrahlte Flut der sozialen Schauergeschichten ist der Zuschauer gegen das bloße Bild des Elends immun geworden. Humor, persönlicher Ton und Adaption spielfilmischer Mittel - das sind die Charakteristika, die die Werke der jungen Künstler, die sich von den moralischen Skrupeln des soziologischen Dokumentarfilms befreit haben, entschiedener als je zuvor kennzeichnen. Diese Stilmittel allein garantieren zwar keine Qualität, können aber den Weg zum jüngeren Publikum ebnen, dessen Affinität für den Dokumentarfilm erweckt werden muss, um dieses Genre am Leben erhalten zu können."

Al Ahram Weekly (Ägypten), 13.03.2008

Nehad Selaiha ist total erschlagen von der Flut an interessanten Theaterinszenierungen, die über Kairo hereingebrochen ist. Das reiche Angebot löst tiefe Selbstzweifel aus: "Sind wir auf dem Weg zu einer richtigen Zivilgesellschaft? Hat das Theater als sozio-politische, kulturelle Praxis - und nicht nur als 'Entertainment' oder vom Staat manipuliertes Propagandaorgan - sich endlich von der staatlichen Kontrolle befreit und sich auf seine eigene fröhliche Weise verzweigt? In diesem Augenblick bin ich geneigt zu schwärmen, Überbleibsel einer alten Krankheit, und verkünde laut, dass der Marsch des Theaters weitergehen wird, gleichgültig, wieviele fallen und blutend am Wegesrand liegen bleiben werden. Aber Alter, Erfahrung und die Reste eines rigorosen akademischen Trainings hemmen mich. Von weitem funkelt das Bild, aber kommen Sie nicht zu nahe. Wenn Sie es tun, werden Sie feststellen, dass es alles zu riskant ist, ein Strohfeuer, das keine dauerhaften fundamentalen Strukturen hinterlässt, die man unterstützen oder überlebensfähig halten könnte."
Archiv: Al Ahram Weekly

New York Review of Books (USA), 05.04.2008

Sue M. Halpern arbeitet einen Stapel Ratgeber für ein glückliches Leben ab, fragt sich allerdings, wofür wir sie brauchen, da eh alle Welt glücklich zu sein scheint: "Die Massai in Kenia, die Soccer-Moms aus Scarsdale, die Amish, die Inuit in Grönland, europäische Geschäftsleute - alle sagen, dass sie glücklich sind. Als Glücksforscher Ed Diener, der frühere Präsident der International Society of Quality of Life Studies, 916 Umfragen mit insgesamt über einer Million Menschen in 45 Ländern auswertete, fand er heraus, dass sich die Menschen im Durchschnitt auf einer Skala von null bis zehn auf der sieben platzieren."

William Dalrymple zeichnet nach einer Reise durch Pakistan ein erstaunlich hoffnungsvolles Bild von der Lage im Land. "Pakistan ist nicht dabei auseinander zu fallen, zu implodieren, in einem Bürgerkrieg zu versinken oder ein Taliban-Staat zu werden, in den Lkws voller Mullahs vom Khyber-Pass nach Islamabad strömen. Es ist nicht ganz klar, ob Pakistans korrupte Polit-Elite in der Lage sein wird, das Land zu regieren und ob sie die Wahlen als Möglichkeit zu mehr Demokratie ansehen oder nur zur persönlichen Bereicherung nutzen werden. Aber sie wird wahrscheinlich nie wieder eine solche gute Gelegenheit habe, dieses strategisch entscheidende Land zu einer stabilen und moderaten islamischen Demokratie zu machen."

Weiteres: Der Dichter Charles Simic sieht in der Unabhängigkeit des Kosovos kein gutes Zeichen für die Zukunft des Balkans:"Solange nationale Identität fast auschließlich durch den Hass auf andere definiert wird, wird es in dieser Region mehr unglückliche als glückliche Völker geben." Richard Dorment besucht die Jasper-Johns-Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum.

Guardian (UK), 17.03.2008

In einem Auszug aus seinem demnächst erscheinenden Buch "Great Hatred, Little Room" (der Titel zitiert Yeats) erinnert sich Tony Blairs damaliger Stabschef Jonathan Powell an das historische Treffen der britischen Regierung 1997 mit den Sinn-Fein-Führern Martin McGuinness und Gerry Adams in Downing Street. "Als sie durch die Tür kamen, begrüßte Tony sie und schüttelte ihre Hand. Martin McGuinness kam, um meine Hand zu schütteln, aber ich führte die anderen um den Tisch herum auf die gegenüberliegende Seite. Die Vergangenheit lag schwer auf dem Treffen. Bevor er sich hinsetzte, hielt Guinness kurz inne und bemerkte: 'Also hier ist es, wo der ganze Schaden angerichtet wurde.' Alle erstarrten, bestürzt über diesen Eröffnungszug. Ich sagte: 'Ja, die Granaten landeten im Garten hinter Ihnen. Das Golfkriegskabinett, eingeschlossen mein Bruder Charles, der außenpolitische Berater des Premierminsters, tauchten unter den Tisch, bevor sie sich nach unten in die Gartenzimmer zurückzogen. Die Fenster zersplitterten, aber niemand wurde verletzt.' McGuinness sah verletzt aus. 'Nein, ich meinte, es war hier, wo Michael Collins die Vereinbarung von 1921 unterzeichnete.' Wir hatten mit unserem Kurzzeitgedächtnis an den Anschlag der IRA 1991 auf Downing Street gedacht, während sie, mit ihrem viel weiter zurückreichenden Sinn für das historische Leid, an den Vertrag über die irische Unabhängigkeit dachten, der den Bürgerkrieg ausgelöst hatte."

"Die Religion ist nicht verschwunden. Sie zu unterdrücken ist wie die Unterdrückung von Sex - ein selbstzerstörerisches Unterfangen", befindet der Philosoph John Gray in einem Essay für die Book Review, in dem er sich scharf gegen Richard Dawkins, Christopher Hitchens und andere Atheisten wendet, die glauben, "intellektuelle und moralische Oberhoheit" zu besitzen: "Niemandem sollte erlaubt sein, Freiheiten zu beschneiden, und keine Religion hat das Recht, den Frieden zu brechen. Der Versuch, jedoch, Religion auszulöschen, führt nur zu ihrer Wiederauferstehung in grotesker, schlimmerer Form. Ein vertrauensseliger Glaube in die Weltrevolution, universelle Demokratie oder die okkulte Macht von Mobiltelefonen beleidigt den Verstand mehr als die Mysterien der Religion."

Weiteres: Steven Pool jubelt über Alex Ross' Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert "The Rest is Noise". Besprochen werden weiter Mark Harris' Filmgeschichte "The Birth of the New Hollywood", Sari Nusseibehs Analyse des Nahost-Konflikts "Once Upon a Country" und E.L. Doctorows vor vierzig Jahren erschienener Roman über Ethel and Julius Rosenberg, "The Book of Daniel".
Archiv: Guardian

Rue89 (Frankreich), 16.03.2008

In einem Interview spricht die russische Journalistin Oksana Chelysheva über die prekäre Situation der Presse in ihrem Land. So ist ihre Zeitung Novaya Gazeta, eine der letzten Bastionen eines unabhängigen Journalismus, für die auch ihre ermordete Kollegin Anna Politkovskaja schrieb, Repressalien ausgesetzt. Chelysheva erklärt: "Die Regierung hat es fast geschafft, die unabhängige Presse zu vernichten. Selbst wenn sie Novaya Gazeta nicht dicht macht, hat sie eine Atmosphäre der Einschüchterung geschaffen, die dazu führt, dass Journalisten Angst haben und sich selbst zensieren. (...) Am Jahrestag von Annas Tod wurden unsere sämtlichen Computer beschlagnahmt und es wird wegen des Gebrauchs illegaler Software gegen uns ermittelt. (...) 2005 wurden in Nizhny Novgorod Handzettel mit Todesdrohungen gegen mich sowie meinem Namen und meiner Adresse verteilt, auf denen ich beschuldigt wurde, tschetschenische Terroristen zu unterstützen und eine Verräterin Russlands zu sein."

Ein weiterer Artikel wirft nach dem Start der Netzzeitung MediaPart (mehr hier) einen Blick auf vergleichbare Projekte und untersucht, wie diese mit der Form des Zahlabonnements zurande kommen und ob sie es sich leisten können, auf Werbung zu verzichten.
Archiv: Rue89

Nepszabadsag (Ungarn), 14.03.2008

Der Anfang der 1980er Jahre von Jenö Szucs geprägte Begriff "Ostmitteleuropa" hat ausgedient, meint die Historikerin Maria Ormos im Interview mit Laszlo Hovanyecz. Neue Wege in Richtung Mitteleuropäertum müssten eingeschlagen werden: "Der Begriff 'Ostmitteleuropa' war einmal ein Ausdruck des Mitteleuropäertums. Er wies nämlich - zur richtigen Zeit - darauf hin, dass Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn niemals Teil des von der Sowjetunion beherrschten Ostens gewesen waren und es auch nicht werden können. Darüber haben sich die betroffenen Länder sehr gefreut, aber auch westliche Historikerkreise, ja sogar die Politik hat diesen Begriff übernommen. Ich bin aber der Meinung, dass er heute überholt ist: Er vermittelt den Eindruck, als seien wir zwar der EU beigetreten, aber dennoch anders geblieben."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Tschechien, Slowakei, 1980er

Kommersant (Russland), 14.03.2008

"Die moderne Moskauer Architektur ist kein amüsanter Anblick", beschwert sich der Architekturkritiker Grigory Rewsin in seinem Essay "Das Ei und die Renaissance". "Wenn man sich bei einem Stadtspaziergang schon am Rande einer Depression glaubt, ist es ratsam sich das Ei von Sergey Tkachenko anzuschauen. Dieser kleine Neubau liegt im historischen Zentrum der Stadt und wurde in Anlehnung an die Kunstwerke des weltbekannten russischen Juweliers Faberge erdacht und konstruiert." Allerdings liege der Wert des Werks Tkachenkos hauptsächlich in seiner Idee: "Leider hat das Gebäude von den filigranen und raffinierten Kunstwerken Faberges, die im 19. Jahrhundert für die Zarenfamilie hergestellt wurden, nur sehr wenig abbekommen", weshalb es nicht mehr als eine kuriose Randerscheinung innerhalb der gegenwärtigen Moskauer Architekturlandschaft darstelle. Aber, so Rewsin: "Moskau war schon immer eine Stadt, in der es üblich war, Kapriolen zu schlagen. Nach vielen Jahrzehnten der Massenarchitektur erlebt diese Tradition eine Renaissance."
Archiv: Kommersant

Weltwoche (Schweiz), 13.03.2008

Endlich mal eine Antiheldin im Kino, freut sich Beatrice Schlag über Jason Reitmans Film "Juno". Es geht um eine 16-Jährige, die schwanger wird. "Natürlich gab es auch junge Frauen in eckigen Rollen, wie Christina Ricci in Ang Lees 'The Ice Storm'. Aber ihr Anderssein machte sie nicht zu Teenageridolen, sondern zu Randfiguren. Die winzige Juno (Ellen Page ist knapp 1,53 m groß) hingegen watschelt mit ihrem immer riesiger werdenden Bauch durch den Film, als sei Anderssein der einzig mögliche Weg für einen Teenager, der seine Sinne beisammenhat."

In der Schweiz bastelt man an der nächsten sexuellen Revolution, berichtet Matthias Meili: "Neue biomedizinische Techniken werden die Lagerung von unbefruchteten Eizellen ermöglichen, die der jungen Frau entnommen, in reiferem Alter befruchtet und wiedereingesetzt werden. Wenn eine Frau will, wird sie künftig ihre eigenen Eizellen befruchten lassen und ihr eigenes Kind austragen - eine Eigenspende über die Zeit hinweg also. Diese Option wird es Frauen auch ermöglichen, ihre Fruchtbarkeit weit über die Wechseljahre hinaus zu bewahren - die Familienplanung erhält eine neue Berechenbarkeit. Die Geburtenraten könnten wieder steigen. Viele Schweizer Fruchtbarkeitsinstitute sind auf diesem Gebiet tätig geworden."
Archiv: Weltwoche

Bookforum (USA), 17.03.2008

James Gibbons rühmt den Autor Richard Price als Porträtisten eines aus der sozialen Ordnung gefallenen Teils der USA: "Richard Prices fiktive, im Norden von New Jersey gelegene Stadt Dempsy hat sich im Laufe der Romane 'Clockers' (1992), 'Freedomland' (1998) und Samaritan' (2003) in eine Art Yoknapatawpha County postindustrieller Hoffnungslosigkeit entwickelt. Dempsey ist ein lebendig und im Detail entworfenes Mosaik aus verschmutzten Boulevards, gammeligen Fast-Food-Restaurants und Wohnanlagen, in denen das Verbrechen allgegenwärtig ist; es ist die nervöse Banlieue unfreundlicher Vernachlässigung, eine No-Go-Area für alle außer ihre in der großen Mehrzahl afroamerikanischen Bewohner, die Polizei und die Kunden, die von den Kids an der Ecke ihre Drogen erhalten, ohne überhaupt ihr Auto verlassen zu müssen. Sowohl eine 'meiner Fantasie entsprungene Stadt' (so Price) als auch ein Ort, der 'für jede mittelgroße städtische Umgebung in den USA steht'."

Weitere Artikel: Nana Asfour stellt vier neue Romane von im Exil lebenden Iranerinnen vor. Das Comic-Genie Chris Ware feiert anlässlich einer opulenten Publikation den Schweizer Rodolphe Töpffer als Erfinder der Comic-Kunst und J. Hoberman bespricht enthusiastisch Marc Evaniers Jack-Kirby-Biografie, die den - wie Hoberman meint, durchaus passenden Untertitel - "König der Comics" trägt. Außerdem finden sich Rezensionen unter anderem zu David Goldblatts Weltgeschichte des Fußballs "Der Ball ist rund" und Martin Amis' Post-9/11-Buch "Das zweite Flugzeug".
Archiv: Bookforum

Nouvel Observateur (Frankreich), 13.03.2008

In einem Interview plädiert der amerikanische Schriftsteller Russell Banks entschieden für Barack Obama als nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten: "Wenn Obama als Kandidat der Demokraten designiert wird, wird das der desillusionierten und pessimistischen amerikanischen Jugend wieder Hoffnung geben; doch wenn McCain ihn schlägt oder er gar ermordet werden sollte, wird sich diese Desillusionierung angesichts der geweckten Hoffnungen noch verschlimmern. Die USA werden in Verzweiflung und Negativität versinken. Dies wäre eine Rückkehr zur gängigen Tagesordnung, ohne Ideal, die nichts als Stillstand und Resignation hervorrufen würde. Und sollte es Hillary Clinton werden, die bei den Demokraten die Oberhand gewinnt, wird die populäre Koalition, die sich um Obama geschart hat, bald auseinanderbrechen."

New York Times (USA), 16.03.2008

Noah Feldman, Rechtsprofessor an der Harvard University und außenpolitischer Berater unterstützt in einem längeren Essay für das Sonntagsmagazin der Zeitung die Ansichten gemäßigter Islamisten über die Scharia: "Für viele Muslime, die heute in korrupten Autokratien leben, ist der Ruf nach der Scharia nicht ein Ruf nach Sexismus, Obskurantismus oder drastischen Strafen, sondern nach einer islamischen Version dessen, was der Westen als sein heiligstes Prinzip der Politik betrachtet - nach der Herrschaft des Gesetzes." Feldmans Essay, der einem demnächst erscheinenden Buch entnommen ist, schließt mit dem Satz: "Bei allen Risken und Gefahren ist der Wunsch der Islamisten nach Erneuerung alter Ideen über die Herrschaft des Gesetzes kühn und edel - und könnte den Pfad zu gerechten und legitimen Regierungen in großen Teilen der muslimischen Welt weisen."
Archiv: New York Times