Magazinrundschau

ABC1-Leser

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
26.07.2011. Bloomberg bereitet uns auf den Code War vor. Etwas europäischer wünscht sich El Pais Semanal die spanischen Demonstranten. Caffe Europa vertraut dem Netz. Der New Yorker misstraut dem britischen Leser. Le Monde sieht den Eurabia-Mythos wachsen. Der Guardian feiert ein Meisterwerk über Nekrophilie. Magyar Narancs analysiert die Ressentiments ungarischer und rumänischer Bürgerrechtler. Die NYT reist in den Jemen.

Bloomberg Businessweek (USA), 20.07.2011

In einer knochentrockenen, sehr spannenden Reportage erzählen Michael Riley und Ashlee Vance von einem neuen Kalten Krieg, der heute mit Cyberwaffen - vor allem Computerviren - geführt wird. In diesem Krieg gibt es inzwischen hochspezialisierte "Waffenhändler" wie die Firma Endgame, die mit Botnets, Viren und Sicherheitslücken handeln. Darüber sprechen will kaum jemand: "Die traditionelle militärische Logik wird bedeutungslos in diesem Code War. Abschreckung und Abrüstungsverhandlunen sind nur noch philosophische Konzepte, wenn unsichtbare Waffen involviert sind. Schuldzuweisungen sind bei solchen Attacken unmöglich, wenn sie durch Computer in einem halben Dutzend Länder ausgeführt werden. Die Angst vor dem Gegenschlag - die dafür sorgte, dass der Kalte Krieg nie heiß wurde - fällt weg."

El Pais Semanal (Spanien), 24.07.2011

Trotz aller Sympathie: Javier Cercas vermisst einen stärkeren Bezug auf Europa bei der neuen spanischen Protestbewegung. "Mehr und bessere Demokratie in Spanien kann es nur geben, wenn es mehr und ein besseres Europa gibt, soll heißen: weniger Nationalismus - weniger katalanischen oder baskischen Nationalismus, natürlich, vor allem aber weniger deutschen, französischen, spanischen usw. Nationalismus. Der einzige Ausweg aus der gegenwärtigen Krise besteht ganz offensichtlich nicht in weniger, sondern in mehr Europa, denn bloß eine ernstzunehmende europäische Regierung könnte ernstzunehmende Regeln für die Märkte durchsetzen, deren Regellosigkeit die Krise heraufbeschworen hat, wie auch bloß eine ernstzunehmende europäische Regierung uns aus der gegenwärtigen Klemme helfen könnte. Die griechischen Schulden belaufen sich auf etwa zwei Prozent des europäischen Bruttosozialproduktes - für ein vereinigtes Europa wäre das kein Problem; das gegenwärtige uneinige Europa dagegen schlittert hierdurch womöglich in eine Katastrophe."
Archiv: El Pais Semanal

Morning News (USA), 11.07.2011

Man weiß manchmal nicht, ob man lachen oder weinen soll, wenn Paul Ford erzählt, wie er und seine Frau versuchten ein Kind zu bekommen. Nach drei Jahren, tausenden von Dollarn, demütigenden Prozeduren und elf negativen Resultaten blieb nur noch eins, so die Ärzte: In-vitro-Fertilisation. "Wir hatten geschworen, dass wir dahin nie kommen würden. Wir fragten: 'Ist es das, was Leute tun, wenn sie an diesem Punkt angekommen sind?' Die Ärzte nickten. So wurden wir zu Menschen, die ein Baby aus dem Reagenzglas zu bekommen versuchten. Pille auf Pille, Schuss auf Schuss, erschöpft aber hoffnungsvoll. Dem Protokoll folgend. Meiner Frau wuchsen Eier - vielleicht dutzende von Eiern - die von ihrer Eileiter hingen wie Weintrauben. Sie war wund und hatte Schwierigkeiten beim Gehen."
Archiv: Morning News
Stichwörter: Pille

London Review of Books (UK), 28.07.2011

Groß ist Glen Neweys Freude über den selbstverschuldeten Niedergang nicht nur der Murdoch-Presse, sondern der Geld-und-Macht-Konzentrate im Medien-Business überhaupt: "Einsame Kämpfer mit Zugang zu Telefon und Internet sind jetzt potenziell Produzenten und Gegenstände der Nachrichten. Jeder mit Zugang zu einem Computer kann im Netz seine Meinung äußern... Die Nutzer stimmen ab mit dem Browser: Die Auflagen der Zeitungen stürzen ins Bodenlose, während Online-News-Plattformen wachsen. Liberal-demokratische Kommentare zu den arabischen Aufständen sehen edle Wilde, die sich Richtung politischer Reife tasten. Noch schlauere Demokraten loben den Umgang der Rebellen mit sozialen Medien und fragen sich nur, wie die das ohne viel Hilfe der Ersten Welt hinbekommen haben. Die Lektion aus dem Aufstand gegen NewsCorp ist, dass der Lernvektor in Wahrheit in die andere Richtung zeigt." (Es gibt Zahlen, die dagegen sprechen.)

Weitere Artikel: Abgedruckt ist ein Vortrag des Dramatikers Alan Bennett, in dem er über Bibliotheken in seinem Leben wie seinem Werk schreibt. (Sehen kann man den Vortrag aber auch.) Christopher Tayler porträtiert den Autor Alan Hollinghurst. Einen Sammelband zum Stand des Sozialismus bei Labor liest David Runciman. Nach Ansicht von Terrence Malicks Film "Tree of Life" fragt sich Michael Wood, "wie ein in so vielen Hinsichten missratenes Werk dennoch seltsam interessant" sein kann.

Caffe Europa (Italien), 24.07.2011

Mauro Buonocore hat vielleicht den wahren Grund dafür gefunden, warum Silvio Berlusconi in letzter Zeit kein Fortune mehr hat: Auch die Italiener vertrauen dem Netz immer mehr. Das steht zumindest in der neunten Medienumfrage des italienischen Statistikamts. Der Report stelle fest, so Buonocore, "dass sich ein wachsender Teil der Bevölkerung von der Presse löst, die Personen, die sich gewöhnlicherweise ohne Gedrucktes informieren, ist von 39,3 Prozent im Jahr 2009 auf 45,6 Prozent im Jahr 2011 gestiegen. Gleichzeitig fallen die Fernsehnachrichten, die in Italien mit 81 Prozent nach wie vor die Liste der Informationsquellen anführen, bei den Jugendlichen auf 69 Prozent zurück. Was überraschenderweise wächst, ist die Nutzung des Radios, das von den Hörern immer mehr als Informationsressource genutzt wird. Und das Netz wächst als Medium, dem am meisten vertraut wird. Es mag vielleicht seltsam erscheinen, denn wir wissen, dass es im Netz auch viel Unsinn gibt, aber ich glaube, dass im Fluss der Informationen der Schmarrn mit einer Art Selbstreinigungsmechanismus ausgekämmt wird. Lügen haben im Netz kurze Beine, übrig bleibt, was zählt."
Archiv: Caffe Europa
Stichwörter: Berlusconi, Silvio

New Yorker (USA), 01.08.2011

Anthony Lane lässt eine gesalzene Tirade vom Stapel - gegen die britische Boulevardpresse Murdochs, die britische Presse insgesamt, die sich immer mehr boulevardisiert, den britischen Humor und die britische Leserschaft: "Der aufschlussreichste Artikel im Guardian während des Murdoch-Skandals kam von einem ehemaligen Redakteur der Zeitung, Peter Preston, der Verkaufszahlen analysierte und so zeigte, dass mehr ABC1-Leser (also die mit der besseren Erziehung, den besseren Jobs und Gehältern und darum den Herzen der Anzeigeninserenten am nächsten) die News of The World lesen als die Sunday Times - mehr tatsächlich als den Observer, den Daily Telegraph und den Independent on Sunday zusammen."

Außerdem: Nicholas Lemann stellt den Kollegen einige unangenehme Fragen: "Sind Journalisten liebenswerte Spitzbuben oder Menschenrechts-Kreuzfahrer? Oder Menschen, die sich das Recht herausnehmen, zwischen beiden Identitäten je nach Laune hin und her zu wechseln?" David Denby sah im Kino die Komödien "Crazy, Stupid, Love" von Glenn Ficarra und John Requa und "Friends with Benefits" von Will Gluck. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Reverting to a Wild State" von Justin Torres.
Archiv: New Yorker

Le Monde (Frankreich), 25.07.2011

Im Interview mit Le Monde sieht der Rechtsextremismus-Experte Nicolas Lebourg die "Islamophobie" immer mehr zu einer verfestigten Doktrin einer neuen extremen Rechten werden: "Ein Zeichen ist der 'Eurabia'-Mythos, eine Art islamophobes Pendant zu den Protokollen der Weisen von Zion. Diese Verschwörungstheorie mit fremdenfeindlicen Elementen hat sich um so leichter verbreitet, als sie ihren Anhängern erlaubt, sich als 'Widerstandskämpfer' gegen 'Faschismus' und 'Besatzung' aufzuspielen. Das geht weit über den Bereich der extremen Rechten hinaus, dieser Diskurs wird auch von Intellektuellen und Politikern vertreten. Die 'Islamophobie' ist zugleich eine konsensfährige Ideologie, die die Massen mobilisiert, und ein Mythos, der auch 'einsame Wölfe' mobilisieren kann."
Archiv: Le Monde

Guardian (UK), 23.07.2011

Nichts für die U-Bahn, aber so großartig wie schockierend findet Nicholas Lezard die Novelle "The Necrophiliac" der deutsch-französischen Autorin Gabrielle Wittkop. Der Titel ist ganz buchstäblich gemeint, es geht um Sex mit Toten: "Es wäre ein abstoßendes Buch, wenn es nicht einen solch souveränen Ton hätte, solche Empfindsamkeit und Intelligenz... So intim wie es sich mit dem verwesenden Körper befasst, lässt es andere Einlassungen mit dem Tod und Makabren wie dumme und oberflächliche Flirts aussehen. Ich war, ganz wie Orwell fiktiver Leser, entschlossen, nicht beeindruckt zu sein. Aber ich war es sehr schnell. Dies ist ein Meisterwerk."

Zum Harrogate Crime Writing Festival steht die Guardian Review außerdem im Zeichen des Krimis. Etliche Autoren von Lee Child und Sara Paretsky bis zu Arnaldur Indridason und David Peace offenbaren ihre Lieblingsermittler. Und der irische Autor John Banville erzählt, wie er an einem stürmischen, verregneten Märztag die Idee hatte, Krimis unter Pseudonym zu schreiben: "Die Macht dieser Idee war so groß, dass ich das Auto an den Straßenrand fuhr, stoppte und aus unerklärlichem Grund lachte. Ein lautes Lachen, unregelmäßig und klang selbst in meinen Ohren etwas manisch. Im Nachhinein wird mir klar, dass es weniger ein Lachen war als der Geburtsschrei meines dunklen Zwillingsbruders Benjamin Black."
Archiv: Guardian

Magyar Narancs (Ungarn), 14.07.2011

Die bislang als ruhig und ausgeglichen geltenden Beziehungen zwischen Ungarn und Rumänien haben sich in letzter Zeit rapide verschlechtert. Boroka Paraszka sprach (unabhängig voneinander) mit der rumänischen Bürgerrechtlerin und Vorsitzenden der Liga pro Europa Smaranda Enache und mit der rumänischen Politologin Alina Mungiu-Pippidi über die Gründe dieser negativen Wende. Smaranda Enache stellt fest, dass weder die ungarische noch die rumänische Elite bereit ist, die Nationalfrage jenseits der ethnischen Dimension zu erörtern. Sie fürchtet, dass der Minderheitenschutz, wie er derzeit von Ungarn betrieben wird, zu einem neuen Radikalismus führen kann: "Die ungarische Politik hat sich stets für die Rechte der Ungarn [in den Nachbarstaaten] eingesetzt ... Doch Juden oder Roma werden nicht in Schutz genommen. Es scheint, dass sich die ungarischen Bürgerrechtler gegen die Rechte anderer einsetzen, und das ist sehr schmerzlich. Es gab bereits Fälle hier bei der Liga pro Europa, dass sich jemand darüber beklagte, an seinem Arbeitsplatz nicht ungarisch sprechen zu dürfen und fügte gleich hinzu, dass Budapest von den Juden aufgekauft und Ungarn von den Roma zerstört worden sei. Ähnliche Ressentiments sind oft auch bei Rumänen zu beobachten, die Intoleranz ist alltäglich."

Auf die Frage, ob der ungarische und rumänische Nationalismus zurückgedrängt werden und die europäische Identität eine Lösung dabei sein kann, antwortet Alina Mungiu-Pippidi: "Das Europäertum wird in diesen Konflikten keine Lösung bieten. Europa lässt der Verbreitung der verschiedenen Nationalismen freien Lauf - dieser Erfahrung müssen wir uns bewusst werden und mit den Illusionen abrechnen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, wie ein Zusammenleben möglich ist, und nicht darauf, wie die Identität so entschieden wie möglich vertreten werden kann. Wenn der Prozess aus dem Ruder läuft und die Beziehung zwischen den beiden Ländern und Völkern vom Identitätskampf bestimmt wird, wäre das ein riesiger Rückschlag, in dem alle nur verlieren."

Die ungarische Regierung hat massenhafte Entlassungen aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Rundfunk beschlossen - und beruft sich dabei auf wirtschaftliche Gründe. Magyar Narancs erinnert daran, dass es sich bei diesen Sendern - im Gegensatz zu den privaten - um das "eigene" Fernsehen und Radio der Ungarn handelt: "Da von diesem Blutbad die Nachrichtensendungen am meisten betroffen sind, gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass wir nach Ansicht unserer Regierung Nachrichten am wenigsten benötigen, da wir uns zu etwas hinreißen lassen könnten, wenn wir wüssten, was Sache ist. Und weil unsere Regierung seit ihrem Amtsantritt kontinuierlich ihre wohlbekannten und skrupellosen Lakaien in die Nachrichtensendungen unseres Fernsehens und Rundfunks hineinschleust, sind wir ziemlich sicher, dass uns nach Meinung der Regierung am meisten gedient ist, wenn wir tagtäglich nur von den aktuellen Wohltaten unserer Staatsführer informiert werden. Wir können auch nicht sagen: 'Okay, dann schauen wir diese Sender eben nicht, es gibt andere.' Wir haben nämlich keine anderen."
Archiv: Magyar Narancs

Boston Globe (USA), 23.07.2011

Leon Neyfakh porträtiert den am MIT lehrenden Linguisten Michel DeGraff, der ein originelles Programm hat, um den Kindern seiner Heimat Haiti Französisch beizubringen: Sie müssen erst Kreolisch lernen. Tatsächlich wird von den Kindern erwartet, dass sie an den haitianischen Schulen von vornherein auf französisch lernen - was sie gar nicht können, weil sie in Kreolisch - einer Mischsprache aus dem Französischen und allen möglichen anderen Einflüssen - aufwachsen. Linguisten haben das Kreolische längst als eigenständig anerkannt, aber das gilt nicht für die Eliten in Haiti und seltsamerweise auch nicht für den Rest der Bevölkerung.. "Die Alternative ist, die Kinder zuerst in Kreolisch das Lesen und Schreiben zu lehren und ihnen das Basiswissen in der Sprache zu geben, die sie sprechen. Dann können sie Französisch als Fremdsprache lernen. Diese Vision wird von langjährigen Erkenntnissen der Sprachwissenschaft und Pädagogik gestützt, die zeigen, dass Kinder wesentlich leichter lernen, wenn sie zuerst in ihrer Muttersprache schreiben lernen."

"We?re not going to Congress to ask for a penny", sagt Robert Darnton im Gespräch mit Richard Beck über sein Projekt einer nichtkommerziellen digitalen Bibliothek, die möglichst sämtliche Bücher der Welt umfasst. Bisher scheint er aber nur amerikanische Stiftungen gewonnen zu haben, die das Projekt mitfinanzieren. Interessant ist jedenfalls, dass Darnton sein Projekt ausschließlich als amerikanisches Projekt darstellt - und dass er bei den "verwaisten Büchern", deren Rechte noch nicht ausgelaufen sind, auf die gleichen Schwierigkeiten stößt wie Google Book Search: "Es gibt einige Ideen, dass man Bücher mit noch daran hängenden Copyrights 'verleiht'. Ich glaube, Harper Collins verfolgte ein Modell, nach dem man digitale Kopien von Büchern 26 mal verleihen kann, bevor sie sich zerstören. Ich weiß noch nicht, wie wir damit umgehen werden. Es ist ein enormes Problem."
Archiv: Boston Globe

Journal du Dimanche (Frankreich), 24.07.2011

Henri-Bernard Levy berichtet über seine jüngste Libyenreise, wo er den Alltag derjenigen beobachtete, die, ausgestattet mit französischen Waffen, gegen Gaddafi kämpfen. Auf der Straße von Gharian, der letzten Abriegelung vor Tripoli, sieht er bei Al-Rehebat eine Landebahn. "Es war 18 Uhr, als das Flugzeug landete (aus Richtung Benghazi), 19 Uhr, als es wieder startete (an Bord ungefähr zwanzig Überlebende aus Jabrah, einer der von Gaddafi am systematischsten bombardierten Städte). In der Zwischenzeit werden etwa dreißig mit khakifarbenen Planen abgedeckte Kisten abgeladen, die leicht bewaffnete Männer auf Lastwagen stapeln, die sofort nach Zintan, die Hauptstadt dieser Region verschwinden. Wir sind die ersten, die Zeugen dieser Szene werden. Vielleicht sind sie da, die berühmten Lieferungen von Militärmaterial, auf die Frankreich vergangenen Monat verwiesen hat."
Stichwörter: Journal Du Dimanche

Wired (USA), 01.07.2011

Brendan I. Koerner erzählt die Geschichte eines jungen Kubaners, der nach seinem Ingenieursstudium im lettischen Riga dort hängen blieb, weil er sich verliebte. Weil er von irgendwas leben musste, begann er Glücksspielautomaten des amerikanischen Herstellers IGT erst zu reparieren und dann nachzubauen. "Mitte 2007 merkte IGT, dass etwas falsch lief. Die Verkaufszahlen für Peru fielen plötzlich."
Archiv: Wired
Stichwörter: Peru, Kuba, Riga

Elet es Irodalom (Ungarn), 22.07.2011

Kürzlich ist in Ungarn W. G. Sebalds "Die Ringe des Saturn" erschienen. Der Literaturwissenschaftler Imre Kurdi sieht den gesamten Text als ein äußerst komplexes Raum-Zeit-Labyrinth, in dem sich der Autor hin- und herbewegt. Dieses Umherirren sei dennoch alles andere als zufällig, da sämtliche Punkte des Labyrinths von einem einzigen Fluchtpunkt bestimmt werden - der Melancholie: "Wohin wir in Raum und Zeit auch gelangen, wir sehen und erfahren überall und zu jeder Zeit immer dasselbe: die immer neueren Formen der stets unveränderten, sozusagen universalen Melancholie. Diese werden in oft anekdotischen und parabelhaften Erzählungen zum Ausdruck gebracht, und zwar mit vorsichtiger Selbstironie, wohl wissend, dass die Darstellung der Geschichte stets auch die Verfälschung der Geschichte ist. Und standhaft rührt die Reflexion an den Gründen dieser Melancholie: An der Skepsis bezüglich der rationalen Erkennbarkeit und Durchschaubarkeit der Welt, an der absurden Zwecklosigkeit der rationalen und dennoch kontraproduktiven Anstrengungen des Menschen, an der universalen Erfahrung der Vergänglichkeit."
Stichwörter: Labyrinth, Sebald, W.g.

The Nation (USA), 12.07.2011

Die CIA unterhält ein geheimes Gefängnis in Somalia, berichtet Jeremy Scahill in einer investigativen Reportage. Dort soll sich auch der 26jährige Ahmed Abdullahi Hassan befinden, der 2009 aus Nairobi verschwand. "Das Untergrundgefängnis, wo Hassan angeblich festgehalten wird, ist in dem Gebäude untergebracht, in dem einst Somalias schändlicher National Security Service (NSS) während des Militärregimes von Siad Barre hauste, der von 1969 bis 1991 regierte. Ein ehemaliger Gefangener, der Hassan dort traf, sagt, er habe draußen das alte NSS-Schild gesehen. Während Barres Regime war das berüchtigte Kellergefängnis und Verhörzentrum, das hinter dem Präsidentenpalast in Mogadischu liegt, ein wesentlicher Bestandteil des staatlichen Repressionsapparates. Man nannte es Godka, 'das Loch'."
Archiv: The Nation
Stichwörter: Somalia, Security, Nairobi, Mogadischu

New York Times (USA), 24.07.2011

In einer langen Reportage schildert Robert F. Worth den Jemen als ein Land auf der Kippe zum absoluten Chaos. Während Präsident Ali Abdullah Saleh einen irrationalen Krieg gegen die junge Demokratiebewegung führt, überlässt er gleichzeitig das Land im Süden den Islamisten und im Norden Saudiarabien und Iran, die dort mit gekauften Stämmen einen Stellvertreterkrieg führen. Was das für 23 Millionen Jemeniten bedeutet, beschreibt Worth so: "Wenn das Land weiter zerfällt, verlieren sie jede Chance, sich von der Gewalt und aus dem Chaos zu befreien, die ihr Leben so lange beherrschten. 'Sie greifen uns immer noch jeden Tag an, beschießen die Häuser von Aktivisten, verhaften Leute', sagt mir [die 31jährige Schriftstellerin und Aktivistin] Bushra al-Maqtari. 'Es ist als wollten sie uns wieder und wieder dazu drängen, Gewalt anzuwenden, so dass wir wie sie werden. Sie wollen die Revolution in einen Stammeskrieg verwandeln."

Weitere Artikel: Anthony Shadid bekommt in der syrischen Stadt Hama eine Ahnung, wie ein Leben nach der Diktatur Assad aussehen könnte.
Archiv: New York Times