Magazinrundschau

Der Empfänger von Irinas Fußmassage

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
03.09.2019. In der New Republic hält Evgeny Morozov seinen Literaturagenten John Brockman eine Mail unter die Nase, in der Brockman ihn mit den schönen jungen Frauen in Jeffey Epsteins Umfeld für dessen Netzwerk anzuwerben scheint. Im Spectator erklärt Ivan Rogers, warum ein No-deal-Brexit kein Abschluss, sondern ein Anfang ist. Im New Yorker überlegt Sterling Ruby, wie man als Künstler eine Jeans bepreist. Der Merkur prescht durch vierzig Jahre DDR-Literatur. In Elet es Irodalom rühmt der siebenbürgische Dichter Imre József Balázs die rumänische Avantgarde-Literatur. Und in der New York Times warnt Neil Young: Gestreamte Musik macht uns krank.

New Republic (USA), 22.08.2019

Evgeny Morozov möchte in seinem üblichen hochfahrenden Ton von seinem Literaturagenten John Brockman, Begründer von edge.org, wissen, welche Beziehungen er zu Jeffrey Epstein hatte und was er von den minderjährigen Mädchen wusste, die Epstein prostituierte. Dabei zeichnet er ein vernichtendes Bild Brockmans als eitlen, den Reichen und Einflussreichen sich andienenden Netzwerker. Anlass für seine harsche Frage ist eine Mail Brockmans vom 12. September 2013 an Morozov, die dieser jetzt in ganz neuem Licht sieht. Er zitiert aus Brockmans Mail: "Jeffrey Epstein, der Milliardär und wissenschaftliche Philanthrop, tauchte an diesem Wochenende bei der Veranstaltung per Hubschrauber auf (mit seiner schönen jungen Assistentin aus Weißrussland). Er wird in ein paar Wochen in Cambridge sein und hat mich gefragt, wen er dort treffen soll. Du bist einer der Leute, die ich vorgeschlagen habe, und ich habe ihm gesagt, dass ich ihm einige Links schicken würde. Er ist der Typ, der Harvard 30 Millionen Euro gegeben hat, um Martin Nowaks Programm für evolutionäre Dynamiken einzurichten. Er war sehr großzügig bei der Finanzierung von Projekten vieler unserer Freunde und Kunden. Er geriet auch in Schwierigkeiten und verbrachte ein Jahr im Gefängnis in Florida. Wenn er dich kontaktiert, ist es wahrscheinlich deine Zeit wert, ihn zu treffen, da er extrem intelligent und interessant ist. Das letzte Mal, als ich sein Haus besuchte (die größte Privatresidenz in New York), kam ich herein und fand ihn in einem Jogginganzug und einen Briten in Anzug mit Hosenträgern, der gerade eine Fußmassage von zwei jungen, gut gekleideten russischen Frauen bekam. Nachdem er mich eine Weile über Cybersicherheit informiert hatte, kommentierte der Brite namens Andy die schwedischen Behörden und die Anklage gegen Julian Assange. 'Wir glauben, die Schweden seien liberal, aber es ist dort eher wie in Nordengland im Gegensatz zu Südeuropa', sagte er. 'In Monaco arbeitet Albert 12 Stunden am Tag, aber um 21 Uhr, wenn er ausgeht, tut er, was er will, und niemand interessiert sich dafür. Wenn ich das tue, bin ich in großen Schwierigkeiten.' An diesem Punkt wurde mir klar, dass der Empfänger von Irinas Fußmassage seine Königliche Hoheit, Prinz Andrew, der Herzog von York, war." Diese Mail wieder lesend, kann Morozov nicht glauben, das Brockman "nichts von Epsteins wilden Sexeskapaden wusste - tatsächlich legt seine Mail nahe, dass er versuchte sie zu nutzen, um andere nützliche Idioten für Epsteins Netzwerk zu rekrutieren".
Archiv: New Republic

Elet es Irodalom (Ungarn), 30.08.2019

Der im siebenbürgischen Odorheiu Secuiesc (Odorhellen, Székelyudvarhely) geborene Literaturhistoriker, Übersetzer, Redakteur und Dichter Imre József Balázs spricht im Interview u.a. über den Einfluss der rumänischen Avantgarde-Literatur auf sein Schaffen. "In meiner Gymnasialzeit blitzten inselartig bessere Sachen auf, beispielsweise die Gedichte von Nichita Stănescu oder die Prosa von Mircea Eliade, obwohl der Unterricht der rumänischen Literatur in jener Zeit ziemlich veraltet war. Das Gute an der Avantgarde ist, dass sie eine internationale Bewegung und in jeder Literatur aufzufinden ist. In der rumänischen Kultur ist sie stärker, markanter und nachhaltiger. Auch auf internationaler Bühne ist sie bekannter - dazu gehören Autoren wie Tzara oder Brâncuși, doch auch die weniger bekannten wie Gherasim Luca oder Victor Brauner sind interessant. Ich hatte eine Idee, als ich im Jahre 2000 anfing mich mit der Avantgarde zu beschäftigen: So untersuchte ich auch mit komparativen Methoden, mit wem ungarisch-stämmige Dichter auf internationaler Ebene verbunden sein könnten. Ich fing damals bereits an rumänische Autoren zu übersetzen und plante eine Anthologie zur rumänischen Avantgarde auf Ungarisch, was genauso in Bearbeitung ist, wie die siebenbürgische Literaturgeschichte. Solche Gedichte wurden auf Ungarisch ganz einfach nicht geschrieben, und dadurch, dass ich sie übersetzte, entstand auch auf Ungarisch eine Dichtung dieser Art. Gellu Naum, und was die Bilderwelt betrifft Victor Brauner hatten große Wirkung auf mich, ich kann mir die literarische und visuelle Welt, die für mich essentiell ist, ohne sie immer weniger vorstellen."

Spectator (UK), 02.09.2019

Viele Briten haben genug von Brexit-Diskussionen. Sie wollen jetzt aus der EU aussteigen, egal wie, und die Sache hinter sich bringen. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, ein "No deal"-Austritt würde wenigstens einen sauberen Bruch bedeuten, wie Boris Johnson behauptet, erklärt Ivan Rogers, ein langjähriger Staatsbeamter, der Britannien zwischen 2013 und 2017 in der EU vertreten hat, seinen Landsleuten. Diese Vorstellung "ermutigt eine Öffentlichkeit (in der viele verständlicherweise die Nase voll haben vom Spiel der Politik) zu glauben, dass ein 'Abschluss' nur wenige Wochen entfernt sein könnte. Aber das ist völlig irreal. Die Realität eines 'no deal' ist, dass alle ungeklärten Fragen über unsere zukünftigen Beziehungen zur EU ungelöst bleiben und nicht einmal sicher ist, ob es danach überhaupt Verhandlungen zur Lösung dieser Probleme geben wird. Es wäre also nur der Anfang und nicht das Ende. Die von den Ministern propagierte Vorstellung, dass die Unternehmen nach einem 'No Deal'-Ausstieg in acht Wochen endlich die 'Klarheit' und 'Gewissheit' haben würden, die sie benötigten, ist lächerlich. Sie wüssten nicht einmal, ob es irgendeine Art von Präferenzabkommen (mit anderen Worten, eins, das wesentlich über die WTO-Verpflichtungen hinausgeht, aber wesentlich weniger tief geht als die Mitgliedschaft im Binnenmarkt und in der Zollunion und damit weniger Handelsvolumen mit dem Kontinent liefert, als wir es jetzt haben) mit unserem größten Handelspartner geben wird, geschweige denn, welche Art von Abkommen und wann."

Fraser Nelson, der Boris Johnson eigentlich für einen Guten hält, der nach dem Brexit mehr Globalisierung und Freihandel will, nicht weniger, hört beim Premier in jüngster Zeit einen "subtile, aber unwillkommene Änderung des Tons" heraus. In welche Richtung marschiert Johnson denn nun eigentlich, fragt er sich verwirrt. "Wir haben auffallend wenig über seine Vision von einem 'globalen Brexit' gehört, sein großes Thema als Außenminister war und seine angebliche Agenda für die Zeit nach dem 31. Oktober. Oder von seinem Versprechen eines 'liberalen Konservatismus', eine Waffe, die - versicherte er den Abgeordneten - sie vor der gelben Gefahr einer Renaissance der Liberaldemokraten retten würde. Seine Hauptpriorität ist es, Wähler von Nigel Farages Brexit-Partei zu gewinnen, und das erfordert eine andere Taktik. Statt des liberalen Toryismus hören wir also von Plänen, Menschen länger einzusperren und dafür mehr Gefängnisse zu bauen. Die Wähler der Brexit-Partei strömen zu den Tories, die nun über eine komfortable Mehrheit verfügen. Und es gibt noch mehr. Vor einigen Wochen wurde angekündigt, dass die Freizügigkeit, das visafreie System, das alle EU-Bürger überall auf dem Kontinent frei leben und arbeiten lässt, am 31. Oktober um 23.00 Uhr endet. Wodurch wird sie ersetzt? Die Regierung hat sich nicht entschieden. Das hat Millionen von Menschen in Unsicherheit und Panik versetzt: Was wird mit ihnen geschehen? Und ihren Kindern in der Schule hier?"
Archiv: Spectator

New Yorker (USA), 09.09.2019

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker porträtiert Christina Binkley den Künstler Sterling Ruby, der gerade eine eigene Modelinie produziert. Ruby hat schon als Teenager genäht, lesen wir, auch in seiner Kunst wird viel Stoff verbraucht. Nach einer Zusammenarbeit mit dem Designer Raf Simons erwachte dann in Ruby der Wunsch, eine eigene Modelinie zu kreieren. Seine Ideen dafür zeichnen sich durch eine höchst sympathische Punk- und Do-it-yourself-Attitüde aus: "Als Jugendlicher hatte er mit der Nähmaschine seiner Mutter Skater-Kleider genäht, und als Erwachsener hatte er Arbeitskleidung hergestellt, die er im Studio tragen konnte, indem er Stoff- oder Leinwandstücke verwendet hatte, die er zu Experimenten benutzt hatte - um Kunstwerke zu besprühen, mit Bleichmittel zu verätzen oder zu bemalen. Seine Arbeiten hatte schon immer eine handgefertigte, D.I.Y.-Ästhetik, die er mit seinen Arbeiterwurzeln verbindet; die Objekte, die er kreiert, ähneln Jumbo-Versionen von Dingen, die in einer High-School-Klasse entstanden sein könnten. Sie sind in keiner Weise ironisch." Doch schnell stand Ruby vor einem Problem: Wie sollte er seine Kleidungsstücke bepreisen, ohne sich als gut verdienender Künstler selbst zu schaden? "Eine Sterling-Rubin-Stoffskulptur kostet bis zu einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar. 'Wie bewertet man dann Kleidungsstücke, die von Sterling handgearbeitet wurden?', fragte sich Rubys Mitarbeiter Britt. Rubys General Manager Maturo schlug achttausend Dollar als möglichen Preis für einen einzigartigen Poncho aus gebleichtem Denim vor, ungefähr so viel wie eine Chanel-Jacke kostet. Ruby erinnerte sie daran, dass junge Leute sich S.R. Studio leisten können sollten; er bestand darauf, einige 'Einstiegsartikel' anzubieten und schlug vor, eines seiner Jeans-Designs für vierhundertfünfundneunzig Dollar zu verkaufen. Niemand auf der Sitzung stellte in Frage, dass eine 500-Dollar-Latzhose Ausdruck einer demokratischen Gesinnung sei. Britt wies darauf hin, dass es bei Kleidung - im Gegensatz zu einem Kunstwerk, das Eigentum einer Person oder Institution ist - 'um Erreichbarkeit geht'. Er fügte hinzu: 'Es wäre ein Misserfolg, wenn sie nicht getragen würde.'"

Auch Prince bleibt in den Erinnerungen von Dan Piepenbring, der als Co-Autor an Princes Autobiografie mitarbeitete, etwas unklar, wenn es um das Thema Copyright geht. "Seit wir uns zuletzt unterhalten hatten, waren seine Ambitionen für das Buch stärker geworden. 'Das Buch sollte ein Handbuch für die brillante Gemeinschaft sein, das in eine Autobiografie verpackt ist, die in eine Biographie verpackt ist', sagte er. 'Es sollte lehren, dass das, was du erschaffen hast, deins ist.' Es sei unsere Aufgabe, Menschen, insbesondere jungen schwarzen Künstlern, zu helfen, ihre Macht und Wirkung zu erkennen. ... Aber es genüge nicht, radikale Forderungen für kollektive Eigentumsrechte, für schwarze Kreativität zu stellen, erklärte er. 'Wenn ich sage, dass 'Purple Rain' mir gehört, dann klinge ich - wie Kanye.' Er hielt inne. 'Den ich als Freund betrachte.' Er glaubte, dass Eigentumsforderungen allzu oft als selbstverherrlichend verstanden würden. Es sei wirkungsvoller, sie von anderen Menschen aussprechen zu lassen. Er wollte einige formale Mittel finden, die das Buch zu einer Symbiose aus seinen und meinen Worten machen würden. 'Es wäre großartig, wenn sich unsere Stimmen gegen Ende vermischen würden', sagte er. 'Am Anfang sind sie unterschiedlich, aber am Ende schreiben wir beide.'" Was das für die Tantiemenverteilung bedeutet hätte, erfährt man nicht.

Weiteres: Hua Hsu erklärt, wie exorbitante Studiengebühren die amerikanische Mittelklasse neu strukturieren. Rebecca Mead berichtet über eine queere Adaption von E. M. Fosters "Howard's End". Carrie Batten hört das neue Album der Boyband "Gen Z". Und Anthony Lane sah die restaurierte Fassung von Joseph Loseys Film "Monsieur Klein" aus dem Jahr 1976, mit Alain Delon in der Hauptrolle.
Archiv: New Yorker

Merkur (Deutschland), 02.09.2019

Matthias Rothe prescht durch vierzig Jahre DDR-Literatur. Zwischen Erbauung und Völkerfreundschaft, Ermüchterung und destruktivem Verwalten, findet er die interessantesten Bücher in den sechziger und siebziger Jahren, als der Alltag zur Lebenswelt wurde und die Individuen mit der Gesellschaft in Konflikt gerieten: "Auch all das andere, was in der Produktionseuphorie besinnungslos mitgeschleppt wurde oder unbeachtet geblieben war, kommt nun literarisch zur Sprache: zum Beispiel der gewöhnliche Faschismus, die Mitläufer, Kleintäter, die marginalisierten Opfer und auch der alltägliche Widerstand, der nirgendwo aufgezeichnet ist... Vom Alltag aus, mit seinen kleinsten Gesten, stand also immer das Ganze, stand der Aufbau der DDR, das Projekt des Sozialismus auf dem Prüfstand. Die Utopie war der Kunst immer gegenwärtig, blieb lange zum Greifen nah. Das ist ein entscheidender Unterschied zur Kunst in der Bundesrepublik, die in den 1970ern natürlich die gleichen Themen entdeckte. Die DDR-Kunst operierte weitestgehend im Modus immanenter Kritik. Es ging nicht gegen den Staat, das System usw., sondern um die Rettung des Ganzen. Die Autoren und Autorinnen blieben selbst in radikaler Kritik dem Projekt DDR (Sozialismus plus Antifaschismus) zutiefst verbunden, zumeist noch im westlichen Exil. 'Man kann machen, was man will, man steht in einer Tradition, aus der man nicht heraus kann, ich bin hier geboren, dies ist mein Land, ich bin daran gefesselt in Hass-Liebe', schreibt Irmtraud Morgner an einen Freund nach dem Verbot ihres Romans Rumba auf einen Herbst (1965)."

Weiteres: Hanna Engelmeier umkreist die jüngste der regelmäßig aufploppenden Kanon-Debatten. In einem Leserkommentar zum Text plädiert dagegen ein Fritz Iff für einen deskriptiven Ansatz, der die einflussreichsten Werke anhand ihrer tatsächlichen Wirkmacht erklärt: "Die Arbeit an einem deskriptiven Kanon geht natürlich nicht in einer Woche, sondern würde wohl gute zehn Jahre beanspruchen - das wäre aber immer noch viel weniger Zeit, als mit den Bauchgefühl-Debatten vertan wurde und wird."
Archiv: Merkur

Tablet (USA), 27.08.2019

In Frankreich kann es hipp sein, der extremen Rechten anzugehören. Einige der Vordenker des Rechtsextremismus kommen aus Frankreich und haben sich häufig das theoretische Instrumentarium der hippen Linken angeeignet. Bruno Chaouat porträtiert den "Gay French Poet Behind the Alt-Right's Favorite Catch Phrase", Renaud Camus, der einst ein Freund Roland Barthes' war. Camus hat mit dem Begriff des "Bevölkerungsaustauschs" in seinem Buch "Le Grand Remplacement" eine zentrale Denkfigur des modernen Rechtsextremismus ersonnen, die auch in Parteien wie der AfD oder der FPÖ großen Einfluss hat. Chaouat, der seine einstige Faszination für Camus bekennt, insistiert, dass es wichtig sei, die Diskurse der Rechten nachzuvollziehen: "Das jüngste Argument, das Camus und seine Anhänger erfunden haben, um den Begriff des Bevölkerungsaustauschs akzeptabler zu machen, baut clever auf Argumenten der linken und großteils jüdischen Frankfurter Schule und ihre Kritik an der 'instrumentellen Vernunft' auf. So argumentiert ein Pamphlet mit dem Titel 'L'homme remplaçable', das den Begriff des 'grand remplacement' in eine allgemeine Kritik der Moderne einbettet. Alles wird in der Konsumkultur Kitsch und Trash und verfügbar, nichts hat Wert. Also werden auch Menschen als Verfügungsmasse begriffen. Und darum organisieren die Sozialingenieure in Brüssel eine Dystopie, indem sie Menschen aus der ganzen Welt herankarren, ohne die kulturellen Differenzen zu beachten. Denn alles, was zählt, ist Material, Quantität und Wachstum." Camus male Unruhen an die Wand, ja einen "europäischen Genozid".
Archiv: Tablet

Respekt (Tschechien), 31.08.2019

In Prag ist ein heftiger Streit entbrannt um die Statue des russischen Marschalls Iwan Stepanowitsch Konew, die im Stadtbezirk 6 steht und regelmäßig von kritischen Aktivisten mit Parolen beschmiert und dann für hohe Kommunalkosten wieder gereinigt und geschützt werden muss. Konew, der jahrelang als Befreier Prags am Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert wurde, leitete 1956 die Unterdrückung des Ungarischen Aufstands, war am Bau der Berliner Mauer beteiligt und bereitete 1968 den Einmarsch der Warschauer Truppen in die Tschechoslowakei vor. Bezirksbürgermeister Ondřej Kolář wäre dafür, die Statue deshalb zu entfernen - die russische Botschaft könne sie gerne in ihrem Garten aufstellen - und stattdessen ein allgemeineres Gedenkmonument für jene russischen Soldaten zu errichten, die für die Befreiuung der ČSSR vom Nazismus ihr Leben opferten. Konew gehöre nicht dazu. Nicht nur die Kommunisten, sondern auch der Sprecher des tschechischen Präsidenten warfen Kolář daraufhin vor, den Namen des Befreiers des Konzentrationslagers Auschwitz und der Tschechoslowakei öffentlich zu beschmutzen. Auch das russische Konsulat ist höchst empört. Im Interview stellt sich der Bezirksbürgermeister weiter auf die Seite der Statuenkritiker: "Nur einen Kilometer von der Konew-Statue entfernt steht eine Villa, in die der Geheimdienst SMERSch - den hatte Konew 1945 hierhergebracht - Leute aus [den Stadtteilen] Dejvice und Bubeneč verschleppte, die vor den Bolschwiken aus Russland zu uns geflohen waren. Es waren tschechoslowakische Bürger, die sie hier gefangen nahmen und direkt nach Sibirien verschickten. Menschen, die hier in Prag gelebt hatten. Manche direkt an dem Platz, auf dem jetzt die Statue steht. Mir erscheint das ihnen gegenüber als eine absolute Verhöhnung." Kolář steht inzwischen unter Polizeischutz, da er und seine Familie Todesdrohungen erhalten haben.
Archiv: Respekt

New Statesman (UK), 30.08.2019

In Britannien hat sich die Zahl der Studierenden in den vergangenen dreißig Jahren verfünffacht, die Zahl der Bestnoten hat sich vervierfacht, ohne dass viel mehr Geld für die Lehre ausgegeben wurde. In keinem anderen öffentlichen Sektor hat eine so dramatische Expansion jemals so wenig gekostet und so viel erreicht, spottet Harry Lambert in einer Attacke auf den "großen Bildungsbetrug": "Das Wunder ist reine Einbildung. Niemals zuvor verließen in Britannien so viele Studenten die Uni mit einem Abschluss, und niemals bedeuteten die Abschlüsse so wenig. Jedes Jahr produziert Britannien eine Welle von Subprime-Studenten, die alles andere als große Kaliber sind, aber nichtsdestotrotz bestens bewertet wurden. Wie Robert Penhallurick, ein Linguistik-Dozent in Swansea, 2009 vor einem Ausschuss des Unterhauses erklärte, 'mangele es an Courage und an der Bereitschaft, an den langjährigen Standards guter akademischer Arbeit festzuhalten'. Richard Royle, ein Jura-Dozent an der Universität von Central Lancashire, fügte damals hinzu: 'Es gibt eine Verschwörung des Schweigens im akademischen Betrieb.' Wenn die Standards tatsächlich aufrecht erhalten worden wären, erklärte vor zehn Jahren auch Lee Jones, Politik-Dozent an der Queen Mary, 'würden große Teile der Leute, die heute die Universität besuchen, scheitern."

Weiteres: Brendan Simms erinnert an die politischen Anfänge Adolf Hitlers vor hundert Jahren, ohne genau sagen zu können, was das für uns heute bedeutete: "Die Antwort ist alles und nichts."
Archiv: New Statesman

168 ora (Ungarn), 02.09.2019

Am 19. August besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Feierlichkeiten zum 30 Jahrestag des "paneuropäischen Picknicks" im ungarischen Sopron. Ihre Rede wurde sowohl von der Regierungspresse als auch von Oppositionellen als Legitimierung des Orbán-Regimes bewertet. Ákos Tóth ist da etwas vorsichtiger: Merkel "enttäuschte alle, die hofften, dass die große Schwester all das löst, wozu Ungarn selbst unfähig ist. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. (...) Der Skandal besteht nicht darin was Angela Merkel sagte oder nicht sagte, sondern darin was in allen Ansprachen nicht gesagt wurde. Nicht genannt wurden die Namen von Miklós Németh, damals Ministerpräsident, und Gyula Horn, damals Außenminister, die in der Tat Verdienste daran hatten, dass sich das paneuropäische Picknick vor dreißig Jahren so friedlich entwickelte. Sie hatten in der Tat etwas mit einer Entwicklung zu tun, über die Merkel sagte: 'Wir Deutschen erinnern uns mit großer Dankbarkeit an Ungarns Beitrag zur Überwindung der Teilung Europas und auch an Ungarns Beitrag zur Findung der Deutschen Einheit.' Der noch lebende Miklós Németh wurde nicht einmal eingeladen, als hätte er mit den Ereignissen nichts zu tun gehabt. (...). Die Orbán-Regierung bekräftigt so ihre Umschreibung der Geschichte, wonach der Held der Wende ausschließlich jener junge Mann war (nämlich Orbán selbst), der am Heldenplatz bei der Wiederbestattung von Imre Nagy in der Tat eine historische Rede hielt."
Archiv: 168 ora

Slate.fr (Frankreich), 01.09.2019

Es gab nicht nur Watergate. Es gab auch ein "Hollywoodgate", eine riesige Affäre mit gefälschten Schecks und Einnahmen, die Schauspielern und Mitarbeitern zugeschrieben wurden, die diese aber nie gemacht hatten, ein regelrechtes System der Korruption, das der amerikanischen Steuerfahndung vor ziemlich genau vierzig Jahren auffiel, das aber erst Wind machte, nachdem der bekannte Schauspieler Cliff Robertson das System, für das der Columbia-Studiobioss David Begelman verantwortlich war, in der Washington Post ausführlich anprangerte. Robertson fiel danach in Ungnade - erst im Jahr 2002 hatte er in "Spider Man" wieder eine Hauptrolle. Michael Atlan erzählt die Geschichte bei slate.fr: "In dieser Stadt gewinnen die Helden nur im Film. Dies ist sicher auch der Grund, warum diese Geschichte trotz zahlreicher Versuche seit dreißig Jahren nie für das Kino adaptiert wurde. Dieser Film wäre 'Der Pate' der Kinoindustrie gewesen, als den ihn der Produzent Edward Pressman ('Conan le Barbare', 'Wall Street', 'The Crow'), der die Idee hatte, beschrieb. Cliff Robertson hatte gesprochen. Er hatte die Korruption benannt. Und seine Karriere war beendet."

Hier spricht Robertson über die Affäre:

Archiv: Slate.fr

New York Times (USA), 01.09.2019

In der aktuellen Ausgabe des Magazins interviewt David Samuels Neil Young, der einen einsamen Kampf führt gegen Spotify und Co. und die krankmachende Verflachung des Klangs: "'Das Internet hat den Planeten Musik wie ein Meteor ausgelöscht. Der hohle komprimierte Klang des Streamings ist meilenweit weg vom Klang der CD und noch weiter vom Klang der Schallplatte', so Young. Jedesmal wurden reihenweise klangliche Details und Schattierungen ausgelöscht, wurde die Informationsmenge für das Format reduziert. 'Am Ende sind fünf Prozent der Originalmusik übrig', meint Young. Produzenten und Soundingenieure reagierten auf die Komprimierung, indem sie mit Tricks arbeiteten, die sanfteren Passagen eines Stücks lauter machten. Das macht den Sound flacher und täuscht das Gehirn des Hörers, auf dass er das Fehlende nicht mehr wahrnimmt, die klangliche Kombination spezifischer Musiker, die Noten und Klänge an einem spezifischen Ort, zu einer spezifischen Zeit hervorbringen und die Tonband und Schallplatte so erfolgreich einzufangen imstande waren. Für Young ist das Hören nicht nur seiner eigenen Musik, sondern auch von Jazz, Rock und Pop über Streaming-Formate wie der Besuch im Metropolitan Museum oder dem Musée d'Orsay ohne die tatsächlichen Werke - als könnte der Besucher Courbet und Van Gogh nur noch als verpixelte Thumbnails betrachten. Aber Young befürchtet noch mehr: Wir vergiften uns mit verflachter Musik, glaubt er, so wie Monsanto unsere Lebensmittel vergiftet. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns wird von den Sinnen bestimmt. Nimmt man zu viele Zeichen fort, finden wir uns in einem Raum ohne Fenster und Türen wieder. Das Ersetzen der kontingenten Komplexität biologischer Existenz durch abgestimmte Algorithmen ist schlecht für uns, denkt Young. Für einen Spinner gehalten zu werden, kratzt ihn nicht."

Außerdem: Jay Caspian Kang berichtet über die absurden Effekte positiver Diskriminierung an amerikanischen Elite-Unis. Jenna Wortham erklärt, wie queere Kandidaten das Dating-TV aufmischen. Und Willy Staley trifft New Yorks Skatewunder Tyshawn Jones.
Archiv: New York Times