Magazinrundschau
Rhetorik ist wichtig
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
16.06.2020. Der New Yorker lernt von David G. Marwell und Götz Aly, wie die Nazis sich ein alternatives Universum mit eigener Wissenschaft und Akademia erschufen. Die LRB denkt am Beispiel von Nazi-Deutschland und den USA über Kompensation für Unrecht nach. En attendant Nadeau erzählt von einem ganz speziellen 1968 in Polen. In Dalit Camera denkt Arundhati Roy über Rassismus nach. In Magyar Narancs weiß die Lyrikerin Orsolya Karafiáth: die Mehrheit steht nicht hinter den Mutigen.
New Yorker (USA), 22.06.2020

Außerdem: Luke Mogelson berichtet, wie sich Minneapolis unter dem Eindruck der jüngsten Demonstrationen gegen Rassismus verändert. Jill Lepore kritisiert all die Ausschüsse und ihre Berichte, die über die Jahrzehnte den Rassismus dokumentiert und doch nichts verändert haben. Rachel Aviv schickt eine Reportage aus amerikanischen Gefängnissen, wo Corona fast ungehindert wüten kann. Sarah Resnick stellt die Autorin Brit Bennett vor. Paul Elie fragt, wie rassistisch die Autorin Flannery O'Connor war. Jennifer Homans begutachtet den Tanz in Zeiten von Corona. Und Anthony Lane sah Spike Lees Netflix-Drama "Da 5 Bloods".
London Review of Books (UK), 18.06.2020

Im Aufbegehren gegen Rassismus und Polizeigewalt sieht Adam Shatz - bei aller Sympathie - eher eine Welle des Protestes als eine neue Bewegung: "Die Proteste bieten einen unausgereiften Mix aus Marxismus, Antikolonialismus, Black-Power-Rhetorik, intersektionalem Feminismus, radikaler Achtsamkeit und (das ist schließlich Amerika) Anrufugungen von Jesus und anderen Propheten. Es ist eine Zeit des Handelns, und die Demonstranten arebiten ihre Ideen und Pläne auf den Straßen aus, ohne die charismatische Führer, die in den fünfziger und sechziger Jahren die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung prägten. Diese anfängliche Stärke kann sich, wie in der arabischen Revolte zu einer Schwäche wandeln kann."
En attendant Nadeau (Frankreich), 15.06.2020

H7O (Tschechien), 11.06.2020

Dalit Camera (Indien), 15.06.2020

Magyar Narancs (Ungarn), 14.05.2020

Public Domain Review (UK), 11.06.2020

Paula Findlen erzählt die Geschichte des italienischen Dichters Francesco Petrarca, passionierter Briefeschreiber, Chronist seiner Zeit, Freund von Boccaccio und vor allem Zeitzeuge zahlreicher Pestwellen, die er schreibend - und oft geprägt vom Verlust von Freunden - begleitete. Nicht nur den Wert der Freundschaft definierte er in seinen melancholischen, von Trauer geprägten Briefen neu, sondern holte auch zur Kritik an Quacksalbern aus: "Während der zweiten Pandemie hob Petrarca zu einer geharnischten Kritik an den Astrologen an und welche Rolle sie dabei spielten, die Rückkehr der Seuche und deren Verlauf zu deuten. Den Wahrheitsstatus, den diese für ihre Darlegungen in Anspruch nahmen, wies er als Produkt des Zufalls aus: 'Warum täuscht ihr sinnlose Prophezeiungen vor, nachdem sich etwas ereignet hat, oder gebt Eure Glückserfolge als Wahrheiten aus?' Er strafte Freunde und Gönner dafür ab, wenn sie in ihren Horoskopen nachschlugen, die er für falsche Wissenschaft aus, die astronomische Daten missbrauchte. ... Petrarca war nicht der einzige, der darauf hinwies, dass die Schlüsse der Astrologen auf keinerlei astronomischer Datengrundlage und auch nicht auf der tatsächlichen Verbreitung der Krankheit beruhten. Sie boten auf den Marktplätzen falsche Hoffnungen und trügerische Gewissheiten feil. Petrarca suchte vernünftigeren Antworten auf die Pandemie, die auf tauglichere Instrumente zurückgriff als die Wissenschaft von den Sternen. Was war also von der Medizin zu halten? Petrarca war berüchtigt für seine Skepsis gegenüber Ärzten, die zu viel Gewissheit und Autorität für sich beanspruchten. Er vertrat die Ansicht, dass Mediziner, wie alle anderen auch, sich als ersten Schritt auf dem Weg zu mehr Wissen das eigene Nichtwissen eingestehen müssten."
New York Times (USA), 14.06.2020

Außerdem: Emily Bazelon überlegt, wie die amerikanische Polizei zu reformieren wäre. Steven Johnson erklärt, wie die Erhebung und Verarbeitung von Daten schon im 19. Jahrhundert im Kampf gegen Epidemien erfolgreich eingesetzt wurde. Und Clive Thompson macht sich Gedanken über das Homeoffice als neuem Standard.
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