Magazinrundschau

Ich entschied mich für eine .38er

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.09.2008. Das New York Magazine schildert faktenreich die prekäre Situation amerikanischer Buchverlage. Portfolio porträtiert den Milliardär Raymond Harbert, der immer lauter an die Tür der New York Times klopft. In Espresso amüsiert sich Umberto Eco mit Downgrading. In der Gazeta Wyborcza schildert der Historiker Jerzy Jedlicki die prekäre Situation der polnischen Intelligentzia. In der New York Review of Books lässt sich Charles Simic widerstandslos von Philip Roth eine Kopfnuss verpassen.

New York Magazine (USA), 22.09.2008

In einem epischen und faktenreichen Artikel schildert Boris Kachka die prekäre Situation amerikanischer Buchverlage. "Einer der Hauptvorteile des traditionellen Verlagswesens schien seine Marketingkraft zu sein: Man publiziert vielleicht nicht genau die Bücher, die einem am Herzen liegen, aber die Bücher, die publiziert werden, bekommen dafür die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Doch in den letzten Jahren haben genauere interne Verkaufszahlen gezeigt, was Verleger längst ahnten: Traditionelles Marketing ist nutzlos. 'Medien spielen keine Rolle, Kritiken spielen keine Rolle, blurbs spielen keine Rolle', sagt ein einflussreicher Agent. Niemand weiß, wo die Leser sind und wie man sie erreicht. Vor fünfzehn Jahren glaubte Philip Roth, es gebe etwa 120.000 ernsthafte amerikanische Leser - das sind die, die jede Nacht lesen - und dass ihre Zahl sich alle fünf Jahre verringert. Andere bestreiten das vehement. Aber wer weiß es wirklich? Gezielte Konsumentenforschung gibt es im Verlagswesen praktisch nicht. Was Leser wollen - und ob es besser ist, ihre Wünsche zu befriedigen oder zu formen - bleibt ein heiß diskutiertes Thema. Man muss nicht weiter gucken als auf die Seiten der New York Times Book Review oder die Regale von Border, um zu sehen, dass der Markt für Literatur schrumpft. Sogar bislang verlässlicher Schmonzes wie die Memoiren von Fernsehprominenten verkaufen sich nicht mehr so gut. Und 'das nächste große Ding', wie Sara Nelson von Publishers Weekly trocken bemerkt, 'sind nicht Bücher schreibende Blogger'."

Portfolio (USA), 01.10.2008

Es kursieren ja immer neue Gerüchte über Milliardäre, die die New York Times kaufen wollen. Einer ist der mexikanische Baulöwe Carlos Slim Helu, der gerade 6,4 Prozent am Konzern erworben hat. Ein anderer ist Raymond Harbert, der reichste Mann Alabamas, dessen Vater sein Vermögen mit Stahl machte. Sheelah Kolhatkar schreibt ein langes Porträt über Harbert: "So könnte es sein, dass das Schicksal der im ganzen Land (und vielleicht der ganzen Welt) meistbewunderten journalistischen Institution von diesem Vermögen mitbestimmt werden könnte. Es wurde einst von einem Mann gemacht, der sich mit einem Gewehr bei Betriebsratsgründungen blicken ließ und nie einen Republikaner traf, den er nicht mochte. Das dürfte den Nerv der New York Times für Ironie treffen..."

Etwas unheimlich wird einem auch bei Roger Lowensteins Besprechung des Buchs "The Numerati" von Stephen Baker, der die Beobachtung des Konsumentenverhaltens durch Google, Smartcards und Krankenversicherungen allen Ernstes als positive Utopie zeichnet.
Archiv: Portfolio
Stichwörter: Der die Mann, Alabama

Espresso (Italien), 21.09.2008

Umberto Eco hat seit längerem eine Theorie: Technologisch geht es nicht mehr nach vorne, sondern mittlerweile rückwärts. Der Fortschritt biegt sich in einer großen Schleife wieder auf Anfang zurück. Neuestes Beispiel ist für ihn Microsoft und der Wunsch des PC-Käufers Eco, nicht das neue, fehleranfällige Windows Vista zu benutzen, sondern lieber das gute alte XP. Der Rückschritt hat aber seinen Preis, wie er erfährt. "Downgrading ist die Möglichkeit, den eigenen Computer mit älteren Programmen zu beglücken. Zahlenderweise. Bevor man im Internet diesen wunderbaren Neologismus geschaffen hat, konnte man in einem normalen Italienisch-Englisch-Wörterbuch unter 'Downgrade' als Substantiv noch Niedergang, Senkung oder reduzierte Version finden, während als Verb zurückgehen, heruntersetzen, verkleinern und abwerten notiert war. Uns wird also angeboten, für einiges an Mühe und eine gewisse Summe, etwas abzuwerten und herunterzusetzen, für dessen Erhalt wir schon ein gewisses Sümmchen bezahlt haben. Das würde sich fantastisch anhören, wenn es nicht wahr wäre."
Archiv: Espresso
Stichwörter: Eco, Umberto, Microsoft

New Yorker (USA), 29.09.2008

In einem ausführlichen Porträt würdigt Louis Menand den amerikanischen Literaturkritiker Lionel Trilling (1905-1975), ein Mitglied der Gruppe New York Intellectuals, der lange Zeit an der Columbia University lehrte, für die Zeitschrift Partisan Review schrieb (die bis 2003 existierte) und sein Metier als Kulturkritik verstand. Trilling sei ein später "Apostel des stillschweigenden Hinnehmens" gewesen, davon überzeugt, dass jegliche Pathologie, von "revolutionärer Gewalt bis zu Narzissmus", aus einer Leugnung der absoluten Bedingtheit des Lebens resultiere. Darum fand er auch die Studentenproteste 1968 "kindisch und geschmacklos". Doch wenn "Leute in den späten Sechzigern die Unbeschränktheit glorifizierten - ob es nun um Fantasien bezüglich sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Autonomie ging, ob sie dachten, dass sich Universitäten unabhängig von einer Regierung machen könnten, deren Politik sie verabscheuten, oder sie sich selbst von einer Gesellschaft, deren Werte sie für krank hielten - waren dies eben die Konditionen jener Zeit. Man musste mit ihnen leben, im Wissen, dass sie die Saat ihres eigenen Ruins bereits in sich trugen. Aus jedem Vorstoß wird irgendwann ein Sog. Kritik handelt davon zu verstehen, wie das geschieht."

Weiteres: Jeffrey Toobin beschäftigt sich mit der juristischen Auseinandersetzung über die Frage, ob Haustiere Millionenerben sein dürfen. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Three" von Andrea Lee und Lyrik von John Ashbery. Nur im Print: John le Carre über Spione.

Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem dem neuen Roman von Philip Roth, "Indignation" (Houghton Mifflin). Hilton Als stellt eine Inszenierung von Shakespeares "Sturm" vor. Und David Denby sah im Kino den Western "Appaloosa" von Ed Harris und den Krimi "Righteous Kill" von Jon Avnet, in dem Al Pacino und Robert De Niro zwei New Yorker Detectives spielen.
Archiv: New Yorker

Gazeta Wyborcza (Polen), 20.09.2008

Immer mal wieder wird in den Medien über den Zustand der polnischen "Inteligencja" diskutiert und regelmäßig wird dabei ihr Ende angekündigt. Der Historiker Jerzy Jedlicki erlaubt sich im Gespräch einen Pessimismus anderer Art: "Immer öfter glaube ich, dass es uns nicht mehr darum geht, irgendeinen Einfluss auf die Gesellschaft zu haben, sondern nur darum, für uns selbst und unsere Nachfolger das große Kulturerbe zu bewahren, das in den Medien lediglich im Nachtprogramm oder auf Sonderkanälen vorkommt. Dadurch entsteht ein Reservat, in dem man noch Bach hören, Kunst betrachten oder über die Welt diskutieren kann. In Amerika, dem Mutterland der Populärkultur, gibt es zwar großartige Campus, wo in großem Stile Wissenschaft betrieben wird, aber die Gesellschaft nimmt kaum Notiz davon. Ich denke, Europa bewegt sich in die gleiche Richtung."

Eine Resolution des US-Kongresses hat das schwierige Thema der Rückerstattung jüdischen Besitzes in Polen und anderen ostmitteleuropäischen Staaten wieder auf die Tagesordnung gebracht. Die polnische Regierung arbeitet an einem Gesetz zur allgemeinen Reprivatisierung, was kontroverse Reaktionen provoziert. Die Gazeta Wyborcza hat seit einiger Zeit ein Schwerpunktthema daraus gemacht, und berichtet diesmal von unterschiedlichen Gesprächen mit Vertretern jüdischer Organisationen in den USA. "Es war schwierig, direkt zu fragen: Wollt ihr zurück, was euren Vorfahren gehörte? Es schien unangebracht und unanständig, aber ich wusste, dass die Frage fallen musste. (...) Niemand will die positiven Entwicklungen im polnisch-jüdischen Dialog stören. Nur dass das ungelöste Problem jüdischen Besitzes diesen Dialog seit Jahren wie ein Stein im Schuh behindert", schreibt Pawel Smolenski.
Archiv: Gazeta Wyborcza

Economist (UK), 19.09.2008

Der Economist bespricht Randall Stross' Buch über den Google-Konzern und wie er die Welt verändert. Vieles sei schon zutreffend beschrieben, meint der Rezensent, aber ein entscheidender Faktor bleibe völlig ausgeblendet: "Am besten ist Stross, wenn er beschreibt, wie Google nebenbei, aber mit tödlicher Wirkung so ehrwürdige Institutionen wie, nur zum Beispiel, das Urheberrecht und die Grenze zwischen öffentlich und privat attackiert. Und doch vergisst er den faszinierendsten Aspekt: die Menschen, die Google erfunden haben. Google ist, was es ist, wegen seiner zwei Gründer Sergey Brin und Larry Page, die sich als gutmeinende Über-Geeks begreifen und jenen grenzenlosen Optimismus verkörpern, der in Silicon Valley alles beherrscht. Die Welt kann vervollkommnet werden und sie sind die, die sie vervollkommnen - wenn man sie lässt."

Weitere Artikel: In der Titelgeschichte wird - nicht grenzenlos, aber doch optimistisch - erklärt, wie die Welt heil aus der Finanzkrise herauskommt. Außerdem weiß der Economist nicht so genau, ob man sich wirklich über den Einstieg des mexikanischen Multi-Milliardärs Carlos Slim bei der New York Times freuen soll.

Rezensionen gibt es auch zu zwei zu recht entgegengesetzten Ergebnissen kommenden Büchern über Al-Quaida und zu David Freddosos Pamphlet "The Case Against Barack Obama", in dem der Autor - recht überzeugend, findet der Rezensent - darlegt, warum Obama auch nur ein Politiker wie alle andere ist.
Archiv: Economist

ADN cultura (Argentinien), 20.09.2008

Anlässlich der Veröffentlichung von Eduardo Galeanos neuestem Essayband "Espejos" - "fast eine Universalgeschichte", wie der Untertitel ironisch verspricht - der binnen kurzem die lateinamerikanischen Bestenlisten erklommen hat, unterhält sich Jorge Urien Berri mit dem bekannten uruguayischen Journalisten und Schriftsteller, dessen vor mehr als dreißig Jahren erschienenes Buch "Die offenen Adern Lateinamerikas" - und sei es bloß aufgrund der Suggestionskraft des Titels - das Bild von eben diesem Teil der Erde so nachhaltig geprägt hat wie kaum ein zweites: "Die Bedeutung der Wörter ist heilig, dahin müssen wir wieder zurück. Gerade war ich in Paraguay: Dort sprechen heute - ein geradezu einzigartiger Fall - die Sieger die Sprache der Besiegten. Und in dieser Indianersprache Guarani, einer der beiden offiziellen Landessprachen Paraguays, bedeutet einundderselbe Ausdruck 'Seele' und 'Wort'. Das heißt, wer lügt, vergeht sich an der Seele. Die Politiker, Schriftsteller, alle, die mit der Sprache arbeiten, sollten diesen heiligen Charakter der Sprache im Bewusstsein haben. Die große Aufgabe der Politiker müsste es sein, zu erreichen, dass man ihnen glauben kann. Davon sind wir natürlich weit entfernt."
Archiv: ADN cultura
Stichwörter: Lateinamerika

New York Review of Books (USA), 09.10.2008

Charles Simic hat den neuen Roman von Philip Roth gelesen: "Indignation", die Geschichte eines 19-jährigen US-Soldaten, der im Koreakrieg einen langsamen, qualvollen Tod stirbt, verpasse einem genau den Schlag auf den Kopf, den wir ab und zu brauchen, um uns das eigene Glück zu vergegenwärtigen. "Das Verbot des Pentagons, die Rückkehr toter Soldaten oder ihre Beerdigungen abzubilden soll uns davon abhalten, für den Moment die Rolle des Schriftstellers anzunehmen, über ihr Leben nachzudenken und darüber, für welchen Zweck sie eigentlich gestorben sind. Diese Ordnung der Dinge, nichts über die Schicksale Anderer zu wissen, ist offensichtlich notwendig, wie Tschechow in einer seiner Geschichten bemerkte. Was er zu sagen hatte, traf auf das damalige Russland genauso zu wie auf das heutige Amerika: 'Anscheinend fühlt sich der glückliche Mensch nur deshalb wohl, weil die Unglücklichen ihre Last schweigend tragen und ohne dieses Schweigen das Glück unmöglich wäre.'" Diese Stille hat Roth, so Simic, meisterhaft durchbrochen.

Joseph Lelyveld blickt auf das politische Durcheinander im republikanischen Lager. Nach der erheblichen Aufmerksamkeit, die Sarah Palin schlagartig zuteil wurde, müsse McCain alles daran setzen, eine kohärente Strategie, ein "Narrativ" zu entwicklen. Diese Geradlinigkeit liefere eine Kandidation wie Palin: "Als ein Kandidat, der darauf aus ist zu gewinnen, war McCain mit einem Programm mehr als zufrieden, welches sich so drastisch von seinem eigenen unterschied, das Positionen vorgab, die er in der Strenge nie vertreten hatte, und es nach wie vor noch nicht tut, zum Beispiel bezüglich Abtreibung oder Immigration." Doch laut Lelyveld wird es schwer werden, die "unverantwortliche Entscheidung" für Palin zu rechtfertigen. "Überzeugende Argumente, sie ins Weiße Haus zu setzten, müssen noch erfunden werden."

Außerdem: Schriftsteller Michael Chabon berichtet über das Spektakel des demokratischen Parteitages in Denver. Edmund und Marie Morgan besprechen Annette Gordon-Reeds Buch "The Hemingses of Monticello: An American Family", in dem die Autorin der schweren Geburt des Jeffersonschen Ideals nachspürt.

Observer (UK), 21.09.2008

Robert McCrum ist nach Upstate New York gefahren und hat Philip Roth besucht. Anlass ist dessen jüngster Roman - eher eine Novelle, wie er selber zugibt - mit dem Titel "Indignation". Im Gespräch, das McCrum in seinem Artikel schildert, geht es um Roths Leben und Werk, den sich nähernden Tod, und auch darum, wie schwierig es ist, ein neues Projekt zu beginnen: "Roth ist gerade auf der Suche nach einem neuen Gegenstand und befindet sich also wieder einmal in diesem schrecklichen Limbo zwischen den Büchern. 'Ein neues Buch zu beginnen ist die Hölle. Du ruderst herum, bis irgendetwas passiert. Das ist schon ein Wunder. Aus dem Nichts, aus dem Nirgendwo kommt dann etwas. Darum sind kurze Bücher so problematisch. Man ist zu schnell wieder fertig damit. Und darum sind lange Bücher so wunderbar. Ich habe also beschlossen, dass ich ein großes Projekt finden muss, das mich bis zu meinem Ende begleitet. Am Tag davor fertigwerden, und dann - Exit Ghost.'"'
Archiv: Observer
Stichwörter: Roth, Philip

Elet es Irodalom (Ungarn), 19.09.2008

Angesichts der russischen Offensive in Georgien befürchten manche Veteranen des Kalten Krieges, dass bald russische Panzer auch vor den Toren Budapests oder Prags stehen könnten, wenn man nicht auf der Hut sei. Betrachtet man aber die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf die Georgien-Krise, gibt es ganz andere Gründe, die einem Sorgen machen könnten, meint der Soziologe Pal Tamas: "Das eigentliche Übel ist, dass es sich erneut erwiesen hat, dass das Verhalten der internationalen Organisationen - trotz unzähliger Abkommen, Foren und eifrig eingezahlter Mitgliedsbeiträge - äußerst unberechenbar und hochgradig verletzbar ist. Nirgendwo ist ein neuer Kissinger oder Talleyrand auf die Bühne getreten, der wüsste, was nun getan werden sollte. In der Innenpolitik haben wir uns schon längst damit abgefunden, dass wirkliche Fachleute des Regierens nicht mehr vorhanden sind, und dass sie von bloßen Kommunikatoren abgelöst wurden. Wir haben aber gehofft, dass wenigstens in der Außenpolitik noch Visionen und handwerkliches Können existieren. Die Welt sollte ja im Prinzip dennoch in Gleichgewicht gehalten werden. Und nun musten wir erfahren, dass auch hier ein enormer Fachkräftemangel herrscht."

London Review of Books (UK), 25.09.2008

R.W. Johnson, der in CapeTown lebt, erzählt die bittere Geschichte von einer Frau, die belästigt und vergewaltigt wurde, vor Gericht ging (was kaum jemand wagt) und nach der lächerlichen Strafe für den Täter um ihr Leben fürchten muss. Einleitend schildert Johnson die Verhältnisse, in denen eine solche Geschichte wohl als alltäglich zu gelten hat, und wie es kam, dass er sich selber eine Waffe zulegte: "Eine Mordrate von rund vierhundert pro Woche und eine Vergewaltigung alle 26 Sekunden, das kann man nicht ignorieren. Seit wir 1994 die Freiheit erlangten, gab es mehr als 270.000 Morde. Jeder Hobbesianer kann dir sagen, dass der Sozialvertrag, wenn eine Regierung derart versagt, schlicht nicht mehr gilt... Ich entschied mich für eine .38er, die mir eine freundliche alte jüdische Kommunistin lieh, die meinte: Ja, ich hab sie immer bei mir, aber schießen musste ich damit nie. Andere Freunde meinten, nichts gehe über ein Gewehr. Das Geräusch des Ladens und Entsicherns allein jagt den meisten Einbrechern den Schrecken in die Glieder. Schließlich kann man damit glatt durch Türen schießen."

Weitere Artikel: In großer Ausführlichkeit schildert Perry Anderson die Geschichte und Vorgeschichte der Demokratie in der Türkei. Donald MacKenzie erklärt, wie der als Libor bezeichnete Referenzzinssatz im Interbankengeschäft ermittelt wird und warum er so außerordentlich wichtig für die gesamte Weltwirtschaft ist.

Besprochen werden Quentin Skinners Auseinandersetzung mit den Liberalismus-Theorien nach Hobbes, die in ein Plädoyer für einen positiven, republikanischen Freiheitsbegriff mündet, eine Ausstellung des Cartoonisten und Illustrators Osbert Lancaster in der Londoner Wallace Collection und ein Band mit den Briefen von Penelope Fitzgerald.

Weltwoche (Schweiz), 18.09.2008

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler zeigt im Interview Verständnis für die Kritiker, die sich über die Darstellung der DDR im fünften Band seiner Gesellschaftsgeschichte aufgeregt haben. Der Vergleich mit der Bundesrepublik "fällt in meinen Augen in allen wesentlichen Bereichen negativ aus für die DDR. Schlagend ist zum Beispiel, dass 1988 85 Prozent der ostdeutschen Studenten aus den Familien der Nomenklatur kommen. Dass der Anteil der Arbeiterkinder an den Universitäten sehr viel geringer ist als in der Bundesrepublik, und die war damals schon Schlusslicht in der Europäischen Gemeinschaft. Manche haben von einer bewundernswerten Sozialpolitik der DDR gesprochen. Aber die ist, wo immer Sie hinblicken, hundsmiserabel: Sie gab den Menschen nur einen Dreissigstel des westdeutschen Rentenwertes. ... Ich glaube, dass manche sich an der unterschiedlichen Tonart stoßen, weil ich die Bundesrepublik trotz ihrer Fehler und Mängel doch für eine Erfolgsgeschichte halte. Und dass die DDR daneben in allem abfällt. Ich habe mir die Mühe gegeben, das zu belegen. Es waren in der DDR nicht 5.000 oder 10.000, die alle Schlüsselpositionen hatten und miteinander versippt waren, sondern nur 550! Viele, vor allem solche Kritiker, die 1968 bei Linksgruppierungen waren, finden, so dürfe man mit der DDR nicht umspringen."

Die militärische Lage in Afghanistan hat sich verschärft, die Kämpfe dehnen sich mittlerweile bis tief in den einst stabilen Norden aus. Urs Gehriger sprach mit John Nagl über das Land, das für den Militär-Strategen eine viel schwierigere Herausforderung als der Irak
ist. Nagl hält eine Aufstockung der US-Truppen im Umfang von 10000 bis 15000 Mann für unvermeidlich, gleichzeitig setzt er auf den "Bau eines Straßennetzes, das die Menschen verbindet. Dafür braucht es keine Panzer, sondern Lastwagen und Straßenwalzen. Der zentrale Teil des Anti-Guerilla-Kampfes ist Aufbauarbeit. Dollars und Euros sind die wichtigsten Kugeln in diesem Krieg, sie wirken nachhaltiger als Gewehrgeschosse."
Archiv: Weltwoche

Kenyon Review (USA), 23.09.2008

Einen etwas weitschweifigen, aber amüsanten Essay widmet Brian Doyle dem "Nein" des Redakteurs. Eine der besten Absagen habe jedoch der Autor Stefan Merken an einen Redakteur geschrieben, der eine seiner Kurzgeschichten abgelehnt hatte. "'Verzeihen Sie bitte, aber ich kann Ihre Absage nicht akzeptieren', schrieb Merken. 'Ich akzeptiere über 99 Prozent aller Absagen, die ich erhalte. Mit vielen bin ich nicht einverstanden, aber ich sehe ein, dass die Zusage, einen literarischen Text in einer Publikation abzudrucken, nach einem sehr subjektiven Urteil verlangt. Das Akzeptieren ihrer Ablehnung ist auch ein sehr subjektiver Prozess und darum schicke ich Ihnen Ihren Brief zurück. Ich habe Ihren Brief gelesen. Ich lese alle Briefe, die ich erhalte. Ihr Brief war gut geschrieben, aber meine Arbeit erlaubt es mir zeitlich nicht, redaktionelle Anmerkungen zu machen. Ich mache Fehler. Seien Sie als Redakteur nicht entmutigt durch diesen Rollentausch. Die Straße des Publizierens ist lang und steinig. Sie brauchen erfolgreiche Magazine und ich brauche erfolgreiche Magazine, in denen meine Geschichten gedruckt werden. Ich erwarte meine Geschichte in Ihrem nächsten Heft veröffentlicht zu sehen. Viel Glück für die Zukunft.'"
Archiv: Kenyon Review

New York Times (USA), 21.09.2008

In der Book Review bespricht der radikal unsichere Kantonist der Linken Christopher Hitchens mit viel Sympathie Bernard-Henry Levys Verteidigung einer nicht fundamentalistischen Linken, "Left in Dark Times": "Die Linke, darauf beharrt Levy, muss jede Version einer ultimativen oder apokalyptischen Geschichte ebenso zurückweisen wie verrückte Ideen, wie man den Himmel auf Erden schaffen könne. Ein säkularer, pragmatischer Humanismus ist weiß Gott anspruchsvoll genug. Levy wendet sich gegen die Sympathien der Radikalen mit Theokratien - und mit der Theologie -, indem er Pascal umdreht, wenn er sagt, 'wir müssen eine Gegenwette eingehen, nicht auf Gottes Existenz, sondern auf seine Nichtexistenz'. Das ist der Preis der Demokratie. Die Alternative, und zwar die einzige, ist der Teufel mit seinen Legionen mörderischer Engel.' Man wird ihm da nur das beste wünschen können beim Versuch, die Linke von ihren Dämonen zu befreien. Aber auch eine Gegenwette ist eine Wette und manchmal kann es scheinen, dass die dunklen Zeiten der Linken gerade erst beginnen."

Außerdem hat David Gates Philip Roths neuestes Werk "Indignation" gelesen und er staunt: "Von den jüngeren Romanen Roths bewegt sich dieses am weitesten in Bereiche des nicht Erkennbaren. Auf seine nie angeberische Art, voller genauer Alltäglichkeiten und mit gnadenlosem Skeptizismus, versucht Roth den Himmel zu erstürmen - ein geradezu verzweifelt kühn anmutendes Unterfangen angesichts der Tatsache, dass er todsicher zu sein scheint, dass es ihn gar nicht gibt."

Star-Kolumnistin Maureen Dowd überlässt für die Samstagsausgabe Aaron Sorkin das Feld, dem Erfinder der Fernsehserie "West Wing". Sorkin hat einen Dialog verfasst zwischen Barack Obama und dem "West Wing"-Präsidenten Jed Bartlet, der vor allem gegen Sarah Palin tobt, aber auch Aufmunterndes zu sagen hat: "Vor vier Wochen hatten Sie die beste Woche Ihres Wahlkampfs, auf die - unerklärlicherweise, das gebe ich zu - die schlechteste folgte. Und immer noch steht es unentschieden. Sie sind ein 47jähriger Schwarzer mit einem fremdländischen Namen, der in Harvard studiert hat und für den die Liebe zur Heimat sich nicht in Anstecknadeln erschöpft und Sie liegen nicht zurück gegen einen Kriegshelden und eine Boulevardheldin. In meinen alten Augen sieht das, Herr Senator, nach einem Fortschritt aus. Sie haben jetzt vier Debatten vor sich. Gehen Sie zurück an die Arbeit!"
Archiv: New York Times