Magazinrundschau
Morbid-intimes Sentiment
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.02.2012. Der Economist und Himal schildern die unerfreuliche Lage Homsexueller in islamischen Ländern. Wired porträtiert die Pariser Untergrundbewegung Urban eXperiment. Dem Guardian läuft in Wien ein Proustscher Schauer über den Rücken. Caffe Europa betrachtet die verführerische Unordnung in Japan. In Russland können Linke, Rechte und sogar Liberale Nationalisten sein, notiert Nicu Popescu in Open Democracy. Sony untergräbt die langsame Liberalisierung der indischen Zensur, fürchtet Outlook India. Die NYRB fühlt mit kleinen mutlosen Italienern.
Economist (UK), 04.02.2012

Außerdem findet sich ein Ausblick darauf, was die Zukunft für Facebook nach dem Börsengang bringen könnte: Enorme Profite einerseits, aber auch diverse Risiken und nicht zuletzt ein noch erbitterter Kampf mit Google und Konsorten.
Himal (Nepal), 07.02.2012
Wie schwierig es ist, als Lesbe oder Schwuler in Pakistan zu leben, erzählt der Filmemacher Hira Nabi. "Es geht nicht nur darum, dass das Strafgesetz Homosexualität kriminalisiert. Bestimmte Vertreter des Islam, wie er in Pakistan praktiziert wird, verurteilen ihn ebenfalls. Am Ende ist das wirkungsvoller als das ererbte koloniale Gesetz, denn die Furcht, eine 'Sünde' zu begehen, ist für die meisten größer als die Furcht, nach Artikel 377 angeklagt zu werden. Die südasiatische Geschichte ist voller Beweise für sich ändernde Sexualpraktiken, aber im modernen Pakistan ist das Umschreiben der Geschichte besonders signifikant. Klassische Dichtkunst enthält Hinweise auf Homoerotik; Denkmäler und Legenden legen Zeugnis ab von homosexuellen Liebesaffären und schwuler Hingabe; Liebe wird ohne Ansehen der Orientierung gefeiert. Auf diese Vergangenheit kann sich jedoch nur schwer beziehen. Polyamouröse Liebe - jederzeit mehrere Sexualpartner zu haben - wurde ebenfalls aus der Geschichte dieser Region gestrichen, sie ist fast verschwunden aus der öffentlichen Vorstellungskraft."
Wired (USA), 20.01.2012

Ansonsten viel High- und Future-Tech: Tom Vanderbilt leckt sich die Finger nach dem Auto der Zukunft, das vollautomatisch fahren wird. Warum die Clean-Tech-Blase geplatzt ist, erklärt Juliet Eilperin und David Wolman, wie wir in Zukunft unsere Abfälle nicht mehr recyceln, sondern mit Hilfe von heißem Plasma in treibstofffähiges Gas verwandeln werden. John Bohannon stellt "Stars of Science" vor, eine arabische, quotenstarke Reality-TV-Show, in der keine zukünftigen Superstars, sondern Super-Wissenschaftler im Wettbewerb gegeneinander antreten - hier ein Ausschnitt:
Elet es Irodalom (Ungarn), 03.02.2012

Guardian (UK), 04.02.2012
William Boyds neuer Roman "Waiting for Sunrise" spielt vor und während des Ersten Weltkriegs in Wien. In dieser Stadt begann für ihn die Moderne, erzählt er im Guardian. Und sie ist immer noch gut präserviert! "Es war sehr still, als ich vor vier Jahren an einem Frühlingsmorgen [zu Freuds Wohnung] ging. Niemand war zu sehen, als ich unter dem Eingangsbogen hindurch in den kleinen Innenhof dahinter ging. Drei Bäume wuchsen dort, wie ich mich erinnere. Ich kletterte die Stufen zum ersten Stock hoch und fand zwei benachbarte Türen auf einem Absatz. An der einen Tür hing ein Schild: 'Prof. Dr. Freud'. Die linke Tür führte zur Privatwohnung der Familie Freud, die andere in die Praxis. Ich blieb einen Moment auf dem Absatz stehen, sah in den Hof und fühlte einen seltsamen Proustschen Schauder - Zeitreise. Es gab nichts um mich herum, nichts war in Sicht, das 21. Jahrhundert sagte."
Gillian Slovo, Präsidentin des englischen PEN, berichtet von einer Konferenz über Pressefreiheit in Mexiko City: Für Journalisten ist Mexiko neben Pakistan das tödlichste Land der Welt. Neben Büchern werden außerdem zwei Londoner Ausstellungen besprochen: "Lucian Freud Portraits" in der National Portrait Gallery und "Mondrian/Nicholson in Parallel" in der Courtauld Gallery.
Gillian Slovo, Präsidentin des englischen PEN, berichtet von einer Konferenz über Pressefreiheit in Mexiko City: Für Journalisten ist Mexiko neben Pakistan das tödlichste Land der Welt. Neben Büchern werden außerdem zwei Londoner Ausstellungen besprochen: "Lucian Freud Portraits" in der National Portrait Gallery und "Mondrian/Nicholson in Parallel" in der Courtauld Gallery.
Caffe Europa (Italien), 02.02.2012

Open Democracy (UK), 03.02.2012

"Nationalismus ist wie eine Software, die auf verschiedenen Plattformen laufen kann - von Windows bis Android", meint der polyglotte moldawische Politologe Nicu Popescu über den - in diesem Fall russischen - Nationalismus. Früher gab es den erobernden, kosmopolitischen, imperialistischen Nationalismus, heute ist der isolationistische, ausländerfeindliche, Russland-den-Russen-Nationalismus auf dem Vormarsch. Und jetzt gibt es neuerdings noch einen jungen demokratisch-liberalen Nationalismus, der von Leuten wie Vladimir Milov und Alexei Nawalny verkörpert wird. Letzterer wird in Moskau bereits als zukünftiger Präsident gehandelt: "Nawalny ist ein Demokrat. Er ist bekannt für sein Engagement in demokratischen Gruppen und Bewegungen in den letzten zehn Jahren. Er ist für Gewaltenteilung, Transparenz und andere wichtige Werte. Nach seiner ausgesprochenen Überzeugung 'ist es der Zweck des Staates, seinen Bürgern ein komfortables und würdiges Leben zu sichern und ihre individuellen und kollektiven Rechte zu verteidigen. Ein Nationalstaat bedeutet, dass Russland dem europäischen Weg folgt und sein eigenes nettes, behagliches, aber starkes und solides kleines europäisches Haus baut.' Gleichzeitig beteiligt er sich am 'russischen Marsch', einem notorischen jährlichen Treffen von Nationalisten."
Außerdem: György Schöpflin, EU-Parlamentarier und Fidesz-Mitglied, beklagt sich über die ungerechte Behandlung Ungarns durch die europäische Linke.
Prospect (UK), 25.01.2012

Außerdem: Evan Hughes stellt das so schlichte, wie enorm erfolgreiche Weblog PostSecret samt dessen Betreiber Frank Warren vor, der dort wöchentlich eine Auswahl aus rund 1000 anonym eingeschickten, indivuell gestalteten Postkarten veröffentlicht, die ein intimes Geheimnis ihres Absenders verraten. Anita Desai schreibt über das nicht immer einfache Verhältnis als Schriftstellerin zu ihrer eigenen Familie. Und würde Garry Kasparov die Welt regieren, hätten wir bald schon alternative Energien und eine Marsstation.
Outlook India (Indien), 13.02.2012

London Review of Books (UK), 09.02.2012

Außerdem: Thomas Jones deutet die politische Lage Italiens mithilfe des Unglücks der Costa Concordia. Perry Anderson liest neue Buchveröffentlichungen über China, die, wie er findet, nicht so sehr um ein Verständnis der chinesischen Kultur bemüht sind, sondern um die Beantwortung der Frage, was für den Westen von China zu halten ist. Jenny Diski bespricht eine kulturhistorische Studie über wissenschaftliche Konzeptionen des Erinnerungsvermögens im Laufe der Zeit. Brian Dillon schaut sich in der MK Gallery experimentelle 16mm-Filme von Daria Martin an. Die David-Hockney-Ausstellung in der Royal Academy sei "bewusst überwältigend" angelegt, konstatiert Daniel Soar.

The Nation (USA), 20.02.2012

Außerdem: In einem sehr langen Artikel beschreibt Jonathan Blitzer die Lage linker Tageszeitungen wie El Pais und Publico in Spanien.
Monde (Frankreich), 06.02.2012
Er habe sich niemals wacher gefühlt als derzeit, erklärt der ägyptische Regisseur Yousry Nasrallah in einem Gespräch über seinen Film "Apres la bataille", den er gerade in Paris fertigstellt. Es handelt sich dabei um einen der ersten Filme überhaupt, der die Ereignisse am Tahrir-Platz vor einem Jahr fiktionalisiert erzählt: eine Demonstrantin verliebt sich in einen der Reiter, die die Aufgabe hatten, die Demonstranten anzugreifen. Exakt diese Figur gelte es, in ihrer Ambivalenz zu verstehen. "Ich habe gesehen, dass diese Reiter zunächst überhaupt nicht bewaffnet waren und dass sie darauf am heftigsten von den Demonstranten verprügelt wurden. Ich habe mich für ihren Hintergrund interessiert und mir wurde klar, dass sie keine Handlanger der Macht waren, sondern arme Teufel, die total instrumentalisiert wurden ... Ich glaube, dass man nichts von der ägyptischen Revolution begreift, wenn man nicht damit beginnt, diesen Menschen zu verstehen, vielleicht sogar zu mögen."
Zu lesen ist außerdem ein Bericht über das Filmfestival in Rotterdam, dessen Schwerpunkt in diesem Jahr auf den arabischen Revolutionen lag.
Zu lesen ist außerdem ein Bericht über das Filmfestival in Rotterdam, dessen Schwerpunkt in diesem Jahr auf den arabischen Revolutionen lag.
New York Review of Books (USA), 23.02.2012

Charles Rosen bricht eine Lanze für das Virtuosentum des Franz Liszt, dessen Fantasie er einfach atemberaubend findet: "Er hatte weder die aristokratische Anmut, die tadellose Kunstfertigkeit und das morbid-intime Sentiment von Chopin noch die lyrische Passion von Schumann. So viel von Liszts Werk hat jedoch so viel Kraft, jede Kritik zu lähmen und Fragen des Geschmacks irrelevant zu machen."
Weiteres: Andrew Hacker liest einige Bücher zur wachsenden Ungleichheit in den USA und stellt fest, dass Amerikas Reiche nicht nur immer reicher werden, sondern auch immer mehr: "1972 wurden 22.887 Steuererklärungen eingereicht, die heute einem Einkommen von einer Million entsprächen. 1985 waren dies bereits 58.603. Und 2009 hatte sich diese Gehaltsklasse auf 236.893 erhöht." (Und während sie 1972 noch 42 Prozent Steuern auf ihre Million zahlten, sind es heute 25 Prozent.) Der Chef des ESF, Klaus Regling, erklärt im Interview über den Rettungsschirm: "Wir haben genug Feuerkraft." Richard Dorment huldigt dem Präraffeliten Edward Burne-Jones. Und Julian Barnes hat sich "The Iron Lady" angesehen, lässt sich aber zu keiner eindeutigen Äußerung hinreißen: "Wie zu jener Zeit, so auch in dem Film: Wir werden alle in Atem gehalten - vor Verzückung oder Horror."
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