Magazinrundschau

Die Libyer haben alle geschlagen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
17.02.2015. Lässt sich Libyen retten? Der New Yorker hat seine Zweifel. Die London Review sucht 41.000 verhaftete Muslimbrüder in Ägypten. Les Inrockuptibles denkt über Kunst und Herrschaft nach. Europa hat kein Flüchtlingsproblem, behauptet Fabrizio Gatti in Eurozine. Im Guardian denkt die schottisch-sierra-leonische Schriftstellerin Aminatta Forna über Klassifizierungen in der Literatur nach. The Daily Beast geht der Frage nach, warum so wenig übersetzt wird in Amerika. In Quarterly Conversation sucht die isländische Übersetzerin María Helga Guðmundsdóttir das Delhi in sich

New Yorker (USA), 02.03.2015

In einem Brief aus Libyen stellt Jon Lee Anderson den antiislamischen General Khalifa Haftar vor, der aus Virginia nach Tripolis zurückkehrte, um mit seiner "Libyschen Nationalarmee" die "Libysche Morgenröte", die Armee der islamischen Extremisten, zu bekämpfen. Haftar hatte ursprünglich geholfen, Gaddafi an die Macht zu bringen, sich dann gegen ihn gewendet, für die CIA gearbeitet und war schließlich nach Amerika in Pension gegangen, bis "das Volk" ihn um Rückkehr gebeten habe. Der Rest der Welt steht dem Schlamassel ratlos gegenüber, bekennt Benjamin Rhodes, ein Sicherheitsberater der amerikanischen Regierung: ""Die UN bekommt ein Mandat, geht dorthin und findet niemanden, mit dem sie zusammenarbeiten kann - die Ministerien sind Potemkinsche Dörfer. Der IMF geht dorthin, erklärt was falsch läuft und tut dann nicht mehr viel. Die Weltbank tut auch kaum was. Viele Menschen kamen nach Libyen auf der Suche nach Aufträgen, aber niemand bekam Geld und so verschwanden sie wieder. Die Nato versuchte ein nationales Verteidigungssystem aufzubauen, aber die Libyer machten nicht mit. Die Franzosen wollten 3000 Polizisten trainieren. Statt dessen trainierten sie 30. Dann wurden einige Kadetten zum Training nach Jordanien geschickt, aber die Jordanier schmissen sie wieder raus, nachdem sie aus Ärger über einen verspäteten Flug eine Sportanlage niedergebrannt hatten." Im November, erklärte er, wurden 300 libysche Soldaten, die in Britannien trainiert wurden, ausgewiesen, nachdem ein halbes Dutzend von ihnen in einem englischen Dorf Amok gelaufen war, mehrere Frauen angegriffen und einen Mann vergewaltigt hatte. "Die Libyer haben jeden geschlagen", sagt Rhodes, "egal ob man Gandhi oder Stalin war. Es spielte überhaupt keine Rolle, wie sehr wir uns angestrengt haben, sie haben uns alle geschlagen.""

Außerdem: Vor 90 Jahren wurde der New Yorker gegründet. Anlass für eine Jubiläumsausgabe, in der Mitarbeiter verschiedene Dekaden der Blattarbeit memorieren. Hilton Als etwa erinnert an die Veröffentlichung von James Baldwins Essay "Letter from a Region in My Mind" 1962, ein Meilenstein für das Magazin, das bis dahin fast ausschließlich den Interessen einer weißen, linken Leserschaft gewidmet war. Ian Parker porträtiert Apples Designguru Jonathan Ive und sein Faible für weiche Formen. Zadie Smith porträtiert die Komiker Key and Peele. Mary Norris, seit über zwanzig Jahren Korrektorin beim New Yorker, erzählt von ihrer Arbeit. Und Haruki Murakami steuert eine Short Story bei über einen Barbesitzer mit dem schönen Namen Kino.
Archiv: New Yorker

Eurozine (Österreich), 06.02.2015

Die perverseste Kehrseite des europäische Projekts ist die Flüchtlingspolitik, aber paradoxerweise sind alle jene wohlmeinenden Menschen, die Schlange stehen, um gegen Pegida zu demonstrieren, für dieses Thema kaum zu mobilisieren. Auch die Linke, so sagt Fabrizio Gatti in einem bestürzenden Gespräch mit Göran Dahlberg und Linn Hansén von Glänta (englisch in Eurozine) treibt Populismus gegen Flüchtlinge, aus Angst vor Rechtspopulisten. Gatti kennt sich aus - seit zehn Jahren begleitet er Flüchtlinge und verkleidet sich dabei zum Teil selbst als einer (so für sein Buch "Bilal - Als Illegaler auf dem Weg nach Europa"). Dass das Problem für Europa nicht so gravierend wäre, wie getan wird, zeigt er an einer einfachen Rechnung: Es gelangen etwa 125.000 Menschen jährlich nach Europa. "Ungefähr das Äquivalent einer europäischen Stadt. Einer Großstadt! Aber die Bevölkerungszahl der Europäischen Union, die man in der Flüchtlingsfrage wegen der gemeinsamen Außengrenze als Nation betrachten muss, liegt bei 507 Millionen Menschen. Was heißt, dass auf jede europäische Stadt in der Größe Göteborgs mit 500.000 Einwohnern 125 Flüchtlinge pro Jahr entfallen. Es wäre doch sehr seltsam, wenn eine reiche europäische Stadt nicht 125 Menschen zeitweilig oder permanent Unterschlupf geben könnte."

Weitere Artikel zur Lage der Flüchtlinge in Europa: Imogen Tyler kritisiert die britische Flüchtlingpoltik. Und Peo Hansen denkt über "Migration im Zeitalter der Austerität" nach.
Archiv: Eurozine

London Review of Books (UK), 19.02.2015

Wenn westliche Politiker nach Kairo reisen, ringen sie Ägyptens Militärmachthaber Abdelfatah el-Sisi zwar ein Lippenbekenntnis zu den Menschenrechten ab, doch Tom Stevenson hat recherchiert, welches Ausmaß die Repression angenommen hat. Ihn interessierte besonders, wo die wahrscheinlich 41.000 Gefangenen geblieben sind, die laut dem Egyptian Center for Economic and Social Rights seit Mursis Sturz im Juli 2013 verhaftet wurden: "Sisi hat solche Zahlen beiseite gewischt: Die offiziellen Gefängnisse, behauptet er, hätten gar keinen Platz für Zehntausende von Menschen. Da mag er Recht haben. Und doch wurden sie verhaftet. Wo sind sie also? In Interviews mit Anwälten, Psychologen und ehemaligen Häftlingen habe ich die Namen von Orten erfahren, an denen Folter und Misshandlungen schlimmer sind als alles, was in den offiziellen Gefängnissen geschieht... In den Militärgefängnissen Al-Azouly und Agroot in Ismailia und Suez werden Gefangene, zum Teil mit verbundenen Augen, monatelang in Isolationshaft gehalten."

Peter Pomerantsev blickt auf die Ukraine und denkt über Utopien und Revolutionen nach, über die unpolitische Resignation in London und den ästhetisierten Zynismus in Moskau: "Der Kreml versucht sich auch an einem bedeutsamen narrativen Trick: Revolution soll Chaos und Krieg gleichgestellt werden und nicht nur als sinnlos dargestellt, sondern als einfach nur schlecht. Die Spindoktoren des Kreml stellen den Maidan in eine Reihe mit den Disastern in Syrien und Libyen (allesamt organsiert von der CIA) und schließlich stellen sie sogar in Frage, ob der Fall der Berliner Mauer wirklich so eine tolle Sache war."

Les inrockuptibles (Frankreich), 15.02.2015

Wie wird aus einem unbedeutenden Objekt ein Heiligtum? Unter dieser Überschrift unterhalten sich Jean-Marie Durand und Diane Lisarelli mit dem Soziologen Bernard Lahire über sein Buch "Ceci n"est pas qu"un tableau". Er untersucht darin anhand der Kontroversen um die Authentifizierung des Gemäldes "Die Flucht nach Ägypten" von Nicolas Poussin unser Verhältnis zur Kunst. Was ist ein Kunstwerk? Welche stillschweigenden sozialen Mechanismen entscheiden darüber? Zur Erläuterung seiner These, hinter der Bewunderung für Kunstwerke verberge sich eine Form der Herrschaft, sagt er: "Historisch ist Kunst mit Herrschaft verknüpft; die Kategorien "Kunst" und "Künstler" bildeten sich, indem sie sich vom Kunsthandwerk absonderten. Etwas, das als sehr edel betrachtet wird, wird von der Welt der profanen oder gewöhnlichen Dinge abgespalten. Die künstlerische Sphäre existiert ausschließlich in Anbindung an den herrschenden Pol. Strukturell ist Kunst eine Kategorie, die mit der Macht zusammenhängt."

Vice (USA), 11.02.2015

Das Internet bleibt auch weiterhin ein aufregender Ort für künstlerische Experimente. Nun hat der Autor Dennis Cooper unter dem Titel "Zac"s Haunted House" einen allein aus animierten GIFs zusammengestellten Roman online veröffentlicht. Im Interview mit Blake Butler erklärt er sein Konzept: "Für diesen Roman habe ich die animierten GIFs wie verrückte visuelle Sätze behandelt. Doch anders als Sätze aus Text übernehmen sie die ganze Fantasieleistung für dich. ... Ich habe mir vorgestellt, dass sie, wenn man einen Roman daraus macht, in doppelter Hinsicht auf die selbe Weise von Nutzen sein können wie Instrumentierung und Gesang in Musiksamples. Sie werden zur Textur des Looprhythmus, was den Inhalt der GIFs von seinem Quellmaterial gewissermaßen abzutrennen scheint. Wenn man die angehäuften Bilder kombiniert und gegenüberstellt, kann man - vorausgesetzt, man geht sorgfältig vor - ihre individuellen Rhythmen auf eine Weise brechen oder unterwandern, die ihre Symbolik entweder an die Oberfläche kommen oder sie abstrakt werden lässt. Im wesentlichen kann man ihren Inhalt und ihre Erscheinung als Sets, Darsteller und bildkompositorische Elemente so wie für einen Spielfilm nutzen." In Coopers Blog finden sich weitere GIF-Experimente.
Archiv: Vice

Guardian (UK), 16.02.2015

In einem langen Essay denkt die Schriftstellerin Aminatta Forna, Tochter einer schottischen Mutter und eines Vater aus Sierra Leone, über Zuschreibungen nicht-weißer Autoren nach. Wohin stellt eine Buchhandlung ihren Roman über den serbisch-kroatischen Bürgerkrieg? Unter afrikanische Literatur, lernt sie. Selbst Universitäten haben sich diese Art der Einteilung zu eigen gemacht, ärgert sich Forna: "Diese ganze Klassifizierung scheint mir geradezu die Antithese zur Literatur zu sein. Literatur sucht ja gerade das Universale. Auch Schriftsteller möchten über die Grenzen hinausreichen, die uns trennen: Kultur, Klasse, Geschlecht, Herkunft." Aber auch weiße Autoren sieht sie inzwischen von diesem Klassifizierung betroffen, sie handeln sich heute leicht den Vorwurf ein, andere Kulturen auszubeuten: "Ich frage mich, ob der Trend zum historischen Roman nicht eine Art sicheren Hafen repräsentiert für all die weißen Autoren, die sich verdammt fühlen, wenn sie Menschen anderer Hautfarbe beschreiben, und verdammt, wenn sie es nicht tun."
Archiv: Guardian

Daily Beast (USA), 04.02.2015

Nur 0,7 Prozent aller jährlich in Amerika erscheinenden Bücher sind Literaturübersetzungen. Aber liegt das nun daran, dass die Amerikaner keine ausländische Literatur lesen, oder lesen sie diese Literatur nicht, weil sie nicht übersetzt wird? Bill Morris hat sich über diese Frage mit einigen Verlegern unterhalten. Judith Gurewich von Other Press zum Beispiel ist immer wieder überrascht, welche ihrer Übersetzungen erfolgreich sind: "Sie hat "Nacht ist der Tag" des deutschen Autors Peter Stamm veröffentlicht. Er wurde mit Kafka verglichen, seine Prosa ist klar und zugänglich, das Buch hat große Kritiken bekommen und war unter den Finalisten für den Man Booker International Preis. "Und ich kann es nicht verkaufen", sagt Gurewich. "Ich habe keine Ahnung, warum." Andere Überraschungen sind wiederum erfreulich. Gurewich hatte bescheidene Hoffnungen für "Ich nicht", die Erinnerungen von Joachim Fest an seine Aufwachsen in einem Anti-Nazi-Haushalt während des Zweiten Weltkriegs. Das Buch "verkauft sich sehr gut", sagt Gurewich. Große Erwartungen hatte sie auch nicht für "Das Herzenhören", eine hauptsächlich in Burma angesiedelte Liebesgeschichte des deutschen Autors Jan-Philipp Senker. Das Buch hat sich mehr als 300.000 mal verkauft."
Archiv: Daily Beast

Quarterly Conversation (USA), 17.02.2015

Mit großem Vergnügen hat die isländische Übersetzerin María Helga Guðmundsdóttir einen gerade auf Englisch erschienenen Erzählband des indischen Autors Uday Prakash gelesen. Das Indien in "The Walls of Delhi" ist ein schmutziger, mörderischer Ort, an dem jeder ums Überleben kämpft. "Die Referenzlandschaft von Prakashs Geschichten ist ausgedehnt - von Figuren aus der kanonischen Hinduliteratur wie Premchand und Mukhtibodh bis hin zu Ossip Mandelstam und Allen Ginsberg. Doch trotz dieser breiten Rahmens sind sie für eine offensichtlich lokale Leserschaft geschrieben. Sie auf Englisch zu lesen vertieft noch den Eindruck, dass der Leser, an die sie gerichtet sind, weder anglophon ist noch weit entfernt, sondern jemand, für Delhi, zumindest emotional, "überhaupt nicht weit enfernt" ist."

The Nation (USA), 09.03.2015

Der 1979 geborene Dichter und Schriftsteller Ben Lerner gilt nach zwei Romanen als der neue junge Romancier, der unsere Zeit erfasst. Jon Baskin ist leicht überrascht. Ihm erscheinen die Protagonisten in beiden Romanen als bemerkenswert selbstbesessene, an anderen nur vage interessierte Figuren. "Dass beide Bücher aus einer so begrenzten und partiellen Perspektive aus geschrieben sind muss nicht notwendig gegen sie sprechen. Seit dem Modernismus wissen wir, dass literarische Meisterwerke gänzlich aus dem Gespräch eines Protagonisten mit sich selbst bestehen können. Betrachtet man jedoch den allgemeinen Konsens, dass Lerners Roman etwas über unser gegenwärtiges literarisches Klima aussagen, ist es interessant zu analysieren, worauf das hindeutet." Was Baskin dann auch in aller Ausführlichkeit tut.
Archiv: The Nation

Svobodne forum (Tschechien), 10.02.2015

Im Oktober 2013 errang die populistische Partei Ano ("Aktion unzufriedener Bürger") des Milliardärs Andrej Babiš auf Anhieb die zweitmeisten Stimmen. Nachdem Babiš nun auch ein großes Medienunternehmen gekauft hat, zu dem zwei der wichtigsten tschechischen Tageszeitungen Mladá fronta dnes und Lidové noviny gehören, schlägt die im November gegründete Journalistenvereinigung Free Czech Media Alarm. Mit Verweis auf eine Untersuchung kritisieren sie in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Sobotka die geänderte Berichterstattung in beiden Zeitungen: "Eine sichtbare Auswirkung der Eigentümerschaft von Vizepremier Andrej Babiš ist in beiden Zeitungen die starke Zunahme von Artikeln, die seine Aktivitäten positiv zeichnen. Auch die Menge neutraler Berichte, die seine Sichtbarkeit auf der politischen Bühne verstärken, hat sich auf eine Weise erhöht wie bei keinem anderen Politiker der tschechischen Gesellschaft. Kritische Informationen über den Vizepremier wurden hingegen nach seinem Einstieg in das Medienunternehmen - und besonders nach seinem Einstieg in die Regierung - nach und nach reduziert. Herr Ministerpräsident, eine solche Situation, in der der stellvertretende Vorsitzende der Regierung und Vorsitzende einer Regierungspartei Schlüsselmedien besitzt, mit dem ganz offensichtlichen Ziel, das eigene Bild in den Medien zu beeinflussen, ist zutiefst unethisch."

Archiv: Svobodne forum

Elet es Irodalom (Ungarn), 17.02.2015

Der Theaterkritiker und Dramaturg Tamás Koltai zieht eine Zwischenbilanz des Budapester Nationaltheaters unter der Führung von Attila Vidnyánszky und sieht die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: "Wir haben uns geirrt, als wir jahrzehntelang darauf drängten, dass ein neues Nationaltheater, ein Nationaltheater überhaupt entstehen soll. Wir ahnten nicht, dass eine Ära kommen könnte, die das Nationaltheater so wie den Begriff der Nation vereinnahmt, und entlang partikularen Interessen und Machtspielen zur bloßen Auszahlungsstelle degradiert. Heute ist das Nationaltheater gleichbedeutend mit den Nationalen Tabakläden, der Nationalen Kooperation und der Nationalen Konsultation. Es steht für die Privilegien der Auserwählten gegenüber den Ausgegrenzten."

Letras Libres (Spanien / Mexiko), 14.02.2015

Auch wenn das Massaker an 43 Studenten Ende September 2014 im mexikanischen Bundesstaat Guerrero schon wieder aus den Schlagzeilen verschwunden ist: Entscheidend bleibt die Frage, wie die Diskussion über die damit zusammenhängenden politischen Proteste geführt wird, stellt die Juristin Estefanía Vela Barba in einem sehr lesenswerten Artikel klar: "Wenn man die Demokratie als eine Art Boxring betrachtet, in dem über unterschiedliche Auffassungen gestritten werden kann und darf, muss der Staat Kritik an sich und seiner Vorgehensweise ertragen. Diese Kritik kann zu seiner Auflösung führen - sollte er diese verdient haben -, seiner Rettung - sollte er diese letztlich wert sein -, oder ganz einfach zu seiner Verbesserung. Das ist die Wette, die gilt. Und die einzige Hoffnung, die wir haben. In dieser Hinsicht hat der Staat versagt und bewiesen, warum viele in ihm den Bösen der Geschichte sehen: Er hat die Gewalt nicht eingedämmt, sondern sie sich zunutze gemacht."
Archiv: Letras Libres
Stichwörter: Politischer Protest

Aeon (UK), 11.02.2015

Sie sind orthodoxe Juden - und Atheisten. Batya Ungar-Sargon schildert die heikle Lage und den inneren Zwiespalt von orthodoxen Juden in New York, die vom Glauben abgefallen sind: "Sie bezeichnen sich als "Orthoprax" - von richtiger Praktik -, um sich von den Orthodoxen - von richtigem Glauben - zu unterscheiden. Jedes Mal, wenn ich einen traf, stellten sie mich einigen ihrer Freunde vor, doch die meisten weigerten sich mit mir zu sprechen, aus Angst aufzufliegen. Es befinden sich viel weniger Frauen als Männer in dieser Situtation, und sie sind noch schwerer aus der Deckung zu locken. Sie riskieren, ihre Kinder zu verlieren, besonders im Staat New York, wo das Sorgerecht meist an den gläubigeren Elternteil geht."

Außerdem: Noch nie war die Wissenschaft so einsprachig wie heute. Wer nicht auf Englisch veröffentlicht, geht unter. Der Wissenschaftshistoriker Michael D. Gordin erklärt in einem historischen Exkurs, wie es dazu kam.
Archiv: Aeon
Stichwörter: Atheismus, Orthodoxe Juden

Linkiesta (Italien), 14.02.2015

Andrea Coccia fürchtet in Linkiesta, dasss der Begriff des "Terrorismus", wie ihn etwa eine UNO-Resolution verwendet für die IS-Kämpfer nicht zutrifft: "Die Tatsache, dass uns ISIS Angst macht, dass er das Symbol all dessen, was wir nicht sind, dass er mit unerträglicher Bestialität auf das Innerste unserer Kultur zielt, darf uns nicht dazu führen, diese Kultur zu negieren und zu werden wie jene, die wir verabscheuen. Wir müssen sie also bekämpfen, aber nennen wir sie nicht Terroristen, denn sie sind Feinde und betrachten wahrscheinlich uns als Terroristen."
Archiv: Linkiesta
Stichwörter: ISIS, Islamischer Staat, UNO

New York Times (USA), 15.02.2015

Im Magazin der New York Times erzählt Jon Ronson die Geschichte der 30-jährigen Justine Sacco, die 2013 infolge ihres Tweets "Bin auf dem Weg nach Afrika. Hoffe, ich bekomme kein AIDS. Nur Spaß. Ich bin weiß!" ihren Job verlor. Ronson analysiert weitere solche Fälle, in denen es vor allem darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen, und zeichnet ein erschreckend unsoziales Bild der sozialen Medien: "In der Twitter-Frühzeit fühlte sich der kollektive Zorn noch richtig an, als würden Hierarchien zu Fall gebracht und die Durchsetzung von Gerechtigkeit demokratisiert. Später nahmen solche Kampagnen zu und zielten nicht mehr nur auf mächtige Institutionen und öffentliche Personen, sondern konnten wirklich jeden treffen, der vermeintlich etwas Anstößiges getan hatte. Auffällig war das Missverhältnis zwischen der Schwere des Vergehens und der hämischen Grausamkeit der Bestrafung, als folgte alles einem festgelegten Ablauf. Mich interessierten die Menschen hinter diesen Bloßstellungen. In den vergangenen Jahren traf ich sie zu Interviews - normale Leute, wie Justine Sacco, die an den Pranger gestellt wurden für einen schlechten Witz in den sozialen Medien … Diese Menschen waren meist ohne Job, gefeuert für ihr Vergehen, und sie machten einen gebrochenen Eindruck, waren tief verwirrt und traumatisiert."

Ronen Bergman skizziert die fünf Mitglieder der Hisbollah, denen in Abwesenheit in Den Haag der Prozess wegen der Ermordung des libanesischen Premierministers Rafik Hariri 2005 gemacht wurde.
Archiv: New York Times