Magazinrundschau

Hollywood war wütend

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
29.01.2019. Beim Brexit geht's nicht um Ideologie, sondern um den Profit ganz ordinärer Gauner, lehrt uns Open Democracy. Amazon und Microsoft schlüpfen immer unverhohlener ins Bett mit CIA, NSA und dem Pentagon, beobachtet Wired. In Respekt fordert der tschechische Biotechnologe Jaroslav Petr eine Ethik für Genmanipulationen. Der New Yorker stellt einen jungen Niederländer vor, der die Ozeane vom Plastikmüll befreien will.

Eurozine (Österreich), 28.01.2019

Open Democray setzt seine Recherchen in Sachen Brexit-Finanzierung fort. Einer der wichtigsten Geldgeber von Nigel Farrages Leave.EU-Kampagne war Arron Banks, der mit seinen Geldern in den britischen Steueroasen großes Interesse daran hat, der ach so regelungswütigen EU zu entkommen. Aber auch die Vote.Leave-Kampagne der Regierung hatte recht undurchsichtige Geldquellen, wie Adam Ramsay berichtet. Einer führt über die nordirische DUP und den recht schillernden Vizevorsitzenden der schottischen Konservativen, Richard Cook: "Wir fanden heraus, dass Richard Cook 2013 eine Firma mit Nawwaf bin Abdulaziz al Saud gegründet hatte, dem früheren Chef des saudi-arabischen Geheimdienstes, und einem Mann namens Peter Haestrup, der zugab, 1995 Hunderte von Kalaschnikows an Hindu-Terroristen nach Westbengalen geliefert zu haben - auch wenn er auf Verbindungen zum Geheimdienst hindeutet und meinem Kollegen Peter Geoghegan gegenüber erklärte, dass er 'diesmal auf der richtigen Seite' stehe. Wir wissen, dass Cook, während er angeblich im Recycling-Geschäft war, von den britischen Behörden die illegale Verschiebung von 250 Tonnen alter Autoreifen vorgeworfen wurde, die mit falschen Papieren versehen und einfach in Indien abgeladen worden waren. Wir wissen, dass er vor einem kalifornischen Gericht stand, weil er wegen offener Rechnungen in Höhe von 1,5 Millionen Dollar gegenüber einer internationalen Transportfirma vor Gericht stand. Wir wissen, dass eine seiner Firmen, die Konkurs ging und den britischen Steuerbehörden 150.000 Pfund schuldig blieb, auf einer Bank in Kambodscha fünf Millionen in Gold hortet. Und da die BBC unsere Recherchen aufgegriffen hat, wissen wir jetzt auch, dass die Hunderte Tonnen ukrainischer Eisenbahnschienen nie existiert haben, die er zusammen mit einem überführten deutschen Betrüger recycelt haben will. Die Wahlkommission sollte eigentlich wissen, woher das Bargeld der DUP kommt und behauptet, dies auch zu tun, aber nicht preisgeben zu dürfen. Doch jüngste Dokumente lassen daran Zweifel aufkommen. Ihre Nachforschungen scheinen sich darauf beschränkt zu haben, Richard Cook zu fragen, woher er das Geld hat und ihm seine Antworten zu glauben."
Archiv: Eurozine

Wired (USA), 22.01.2019

Die großen IT-Konzerne schlüpfen immer unverhohlener ins Bett mit Regierungen, deren Überwachungsbegehrlichkeiten sie befriedigen. David Samuels großer Essay untersucht das von Chinas gegenwärtigem Social-Scoring-System bis hin zu aktuellen Entwicklungen im Westen. Die Hinweise mehren sich, "dass die einst weit entfernten Planeten von Consumer Big Tech und amerikanischen Überwachungseinrichtungen in rasantem Tempo zu einer einzigen wirtschafts-bürokratischen Lebenswelt verschmelzen, deren Potenzial, die Bürger zu verfolgen, zu sortieren, ihnen falsche Tatsachen vorzutäuschen, sie zu manipulieren und zu zensieren zu einer softeren Version von Chinas Big Brother führen könnte. Diese Besorgnis erregenden Trends werden teilweise noch dadurch beschleunigt, dass Big Tech sich Washington gegenüber zusehends verpflichtet fühlt, während Washington wiederum kein Interesse daran, die goldene Gans zu schlachten, die seine Taschen reich befüllt. ... Als Jeff Bezos die Washington Post aufkaufte, übernahm er die direkte Kontrolle über Washingtons Lokalzeitung. Indem er eines von Amazons zwei neuen Hauptquartieren im nahe gelegenen North Virginia errichtete, wurde Bezos mit 25000 Jobs zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in der Region. Letztes Jahr kündigte Amazon Web Services das neue Produkt AWS Secret Region an, das Resultat eines 10 Jahre laufenden, 600 Millionen Dollar umfassenden Vertrags, den die Firma nach einer Ausschreibung der CIA an Land ziehen konnte. Dies macht Amazon zum einzigen Anbieter von Cloud-Diensten, die 'die volle Bandbreite von Datenklassifikationen abbildet, inklusive frei zugänglicher, sensibler, geheimer und absolut geheimer Daten', wie es in der Pressemitteillung des Anbieters heißt. Kaum waren die von Amazon betriebenen, eigenständigen CIA-Server am Laufen, beeilte sich die NSA gleichzuziehen und kündigte ihr eigenes integriertes Big-Data-Projekt an. Im vergangenen Jahr legte die Behörde die meisten ihrer Daten in eine neue, geheime Rechnerumgebung bei Amazon, bekannt als Intelligence Community GovCloud, eine integrierte Umgebung für die Zusammenlegung von Big Data, wie es die Nachrichtenseite NextGov beschreibt. Sie gestattet es den Analytikern der Regierung, 'die Punkte' zwischen allen zugänglichen Datenquellen 'zu verbinden', ob sie nun geheim sind oder nicht. Die Einrichtung von IC GovCloud sollte jedem Schauer über den Rücken jagen, der weiß, wie mächtig diese Systeme sein können und wie widerständig sie sich gegenüber traditionellen Formen der Aufsicht verhalten. ... Microsoft reagierte prompt auf Amazons IC GovCloud mit einem auf 17 Geheimdienstbehörden maßgeschneiderten Cloud-Dienst Azure Government. Amazon und Microsoft werden sich wohl beide exzessiv um den Cloud-Dienst des Pentagon bewerben, die Joint Enterprise Defense Initiative - JEDI - ein absoluter Hauptgewinn, der wohl mindestens 10 Milliarden Dollar wert sein dürfte. Bei so vielen Goldtöpfen am Ende des Regenbogens in Washington DC scheint es für die Tech-Firmen nur eine kleine Angelegenheit zu sein, Ihre persönlichen Daten - die legal gesehen ohnehin ihnen gehören - jenen Spionage-Behörden zu überantworten, denen sie ihre Profite verdanken. Dies ist die Bedrohung, die sich gerade direkt vor unseren Augen abzeichnet. Wir sollten uns damit befassen, bevor es zu spät ist."

Dazu passend erzählt Issie Lapowsky den langen und zehrenden Kampf des Medienprofessors David Carroll um seine von Cambridge Analytica abgegriffenen Daten.
Archiv: Wired

El Pais Semanal (Spanien), 27.01.2019

Der argentinische Schriftsteller und Journalist Martín Caparrós liefert einen sehr ausührlichen und lohnenden Bericht aus der venezolanischen Hauptstadt Caracas: "Seit dem Tod von Hugo Chávez haben etwa drei bis vier Millionen Venezolaner ihr Land verlassen, anders gesagt, ungefähr jeder Zehnte. In Caracas gibt es folglich Tausende leerstehender Wohnungen, vor allem in den Vierteln der Mittel- und Oberschicht. Manche müssen zu beschämenden Preisen an irgendwelche Spekulanten verkaufen, die die Lage ausnutzen. Von den anderen vermieten viele ihre Wohnungen lieber nicht, wenn sie weggehen, weil sie fürchten, dass sie die (Zwischen-)Mieter später nie mehr aus ihren Wohnungen herausbekommen. So ist ein neuer Beruf entstanden: Betreuer leerstehender Wohnungen. 'Da muss man vielleicht so alle zwei Tage vorbeischauen, mindestens einmal die Woche, ein bisschen lüften, saubermachen, das Wasser laufen lassen, die Blumen gießen, falls es welche gibt, Rasen mähen. Die Besitzer zahlen einem dafür 50 oder 100 Dollar, das ist hier viel Geld', erzählt Carlos, ein vierzigjähriger arbeitsloser Bankangestellter. Manche Leute kümmern sich um mehrere Wohnungen gleichzeitig - so bietet das massenhafte Weggehen einigen die Chance, zu bleiben."
Archiv: El Pais Semanal

New Statesman (UK), 25.01.2019

Insgesamt hat Nordirland beim Referendum zu 56 Prozent gegen den Brexit gestimmt, aber die einzelnen Communities unterscheiden sich eklatant. Denn die Katholiken stimmten zu 89 Prozent für Remain, die Protestanten nur zu 35 Prozent. Die Identitätspolitiken der probritischen Unionisten und proirischen Nationalisten wurden mit dem Karfreitagsabkommen nur wenig entschärft, fürchten die Historiker Colin Kidd und Ian McBride, doch mit dem Brexit würden sie wieder gravierend verschärft: "Ironischerweise ist die einzige Demarkationslinie, die das Karfreitagsabkommen unsichtbar gemacht hat, die Grenze zwischen Nordirland und der Republik. Die irische Grenze ist fast hundert Jahre alt. Ihr erratischer Verlauf - der oft Häuser und Höfe teilt - folgt keinen natürlichen Merkmalen. Er spiegelt auch nicht die Wünsche der Gemeinden wider. In den ersten 75 Jahren seines Bestehens beharrte Irland darauf, dass die Teilung Irland illegitim sei, und irische Diplomaten waren angewiesen, niemals das Wort 'Nordirland' in den Mund zu nehmen. Die Katholiken in Ulster versuchten immer wieder, die Grenze mit demokratischen oder gewalttätigen Mitteln niederzureißen, auch wenn die Trennlinie von Demokratie und Gewalt der halben Million Katholiken nicht leicht zu erklären war, die in einem Ministaat gefangen waren, der eine dauerhafte protestantische Mehrheit garantieren sollte. Von Dublin gehasst, von London nicht geliebt hat diese Grenze trotzdem länger als die Sowjetunion oder Jugoslawien gehalten. Ihre umkämpfte Geschichte hält wichtige Lehren für die heutige britische Politik bereit. Eine davon und nicht die unwichtigste ist, dass die Teilung Irland selbst als eine Art Backstop galt, eine vorübergehende Lösung, die solang gelten sollte, bis Unionisten und Nationalisten sich versöhnt hätten."
Archiv: New Statesman

Respekt (Tschechien), 29.01.2019

Anlässlich der im November vermeldeten Geburt der ersten zwei genetisch modifizierten Babys in China unterhält sich Martin Uhlíř mit dem tschechischen Biotechnologieexperten Jaroslav Petr, der prognostiziert, dass die Entwicklung sich nicht aufhalten lasse und die Genmanipulaton dank CRISPR-Schere irgendwann auch legal stattfinden werde. "In einer Mitteilung der amerikanischen Akademie der Wissenschaften von 2017 heißt es, dass es keine prinzipiellen ethischen Bedenken dagegen gebe, die Einwände betreffen nur den Sicherheitsaspekt. Nach dem aktuellen Erkenntnisstand gelten genetische Eingriffe am Menschen als gefährlich, doch sobald man die Risiken erforscht haben wird, steht dem im Grunde nichts mehr entgegen." Uhlíř wendet ein, nach dem Klonen der ersten Säugetiere habe man auch befürchtet, dass Kinder geklont werden - was nicht stattgefunden habe. Darauf Petr: "Weil es keinen nennenswerten Gewinn bringt. Was hat ein Mensch von geklonten Kindern? Aber wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihre zukünftigen Kinder vor Krebs schützen kann? (…) Sobald es eine Nachfrage gibt, werden die Verbote fallen." Wird man sich darauf einigen können, dass die Manipulation nur zum Zwecke medizinischer Heilung, nicht aber zu einer "Verbesserung des Menschen" geschehen wird? Petr bezweifelt, dass sich das voneinander abgrenzen lässt, letztlich gehe es immer um eine Verbesserung des Menschen. "Wir alle haben irgendeine Disposition. Es gibt viele Varianten, die irgendein Risiko erhöhen. Zum Beispiel lässt es sich genetisch begründen, an welcher Stelle wir Fett ansetzen - ob wir zu einem dickeren Bauch oder einem dickeren Hintern neigen, und es ist bekannt, dass ein großer Bauchumfang gefährlicher ist. Wenn jemand werdenden Eltern versprechen kann 'Ich werde Ihrem Kind die günstigere Variante mit ins Erbgut geben', werden sie wohl nicht Nein sagen. (…) Auch wenn dies alles noch Zukunftsmusik ist, ist es höchste Zeit, schon jetzt über die Grenzen zu diskutieren. Ärzte, Philosophen, Ethiker sollten sich jetzt eine Meinung dazu bilden. Sobald sich die Risiken beseitigen lassen und der genetische Eingriff möglich wird, ist eine Diskussion darüber zu spät."
Archiv: Respekt

New Yorker (USA), 04.02.2019

Für die aktuelle Ausgabe des New Yorker trifft Carolyn Kormann den jungen niederländischen Unternehmer Boyan Slat, der die Ozeane vom Plastikmüll befreien will: "Sommer 2016 brachte Slat den Prototyp Boomy McBoomface (ein Vorschlag von Social-Media-Fans) in die Nordsee. Innerhalb von zwei Monaten hatte der Ozean ihn zerrissen. Obwohl die Ingenieure davon überzeugt waren, dass die Verankerung am Meeresboden nicht funktionieren würde, zögerte Slat, sich von seiner Idee zu verabschieden … Der endgültige Entwurf hat keine Anker. Er besteht aus einem frei schwebenden Ausleger in Form eines Hufeisens, an dessen Unterseite eine Schürze befestigt ist. Die neue Idee ist, dass das Gerät, angetrieben von den Kräften des Windes und der Wellen wie ein Kehrmaschine wirken würde, die sich neu ausrichtet, wenn der Wind die Richtung ändert. Tests zeigen, dass die Kehrmaschine etwa fünfzehn Zentimeter pro Sekunde schneller sein würde als der Kunststoff und 2,2 Tonnen Müll pro Woche sammeln könnte. G.P.S. Tracker, Kameras und Sensoren, die alle hundert Meter entlang des Booms positioniert sind, teilen dem Team an Land den Fortschritt des Systems mit, erkennen vorbeifahrende Schiffe und die Tierwelt. Langjährige Kritiker der Ozeanreinigung wie Miriam Goldstein vom liberalen Thinktank am Center for American Progress haben wiederholt auf die Gefahr hingewiesen, das Ökosystem an der Meeresoberfläche zu schädigen, Quallen und Kleinlebewesen. Slat möchte die Kritik aufnehmen, da sie dazu beiträgt, das System zu optimieren, wie er sagt."

Hier mehr darüber, wie das System funktioniert:



Außerdem: Sheelah Kolhatkar berichtet, wie amerikanische Ärzte sich zu Informanten des Staates in Sachen Medicare-Betrug machen. Louis Menand erinnert an den Fall vor dem Supreme Court, der die Rassendiskriminierung zum Gesetz machte. James Wood liest Valeria Luisellis Roman "Lost Children Archive". Und Anthony Lane sah im Kino Steven Knights "Serenity".
Archiv: New Yorker

En attendant Nadeau (Frankreich), 26.01.2019

Marcel Gauchet, sozusagen der Habermas Frankreichs, Vordenker einer gemäßigten Linken, legt nicht von ungefähr ein Buch über Robespierre vor, in dem er wie vor ihm François Furet dem Adepten der Menschenrechte vorwirft, sie verraten zu haben, als er sie mit Terror verwirklichen wollte. Am Konflikt um Robespierre ließe sich die gesamte Geschichte der französischen Linken erzählen, und der Konflikt ist bis heute aktuell wie die Antwort Olivier Tonneaus, eines Verteidigers Robespierres, zeigt. Man muss differenzieren, sagt er: Anders als Gauchet findet er, dass der Terror nichts mit Robespierre zu tun gehabt habe: "Die Kämpfe zwischen den Parlamentariern, die Notwendigkeit , die Gewalt der Bevölkerung zu kanalisieren, Sanktionen zur Durchsetzung von Wirtschaftsregelungen und militärischen Anstrengungen, die Konflikte in der Vendée und im Süden, deren Ausgang über den Ausgang des internationalen Krieges entschieden, lokale Konflikte, Gewalt von Staatsbediensteten und an ihnen waren Faktoren, die sich überlagerten und die kaum in Bezug zur Ideologie der Regierung standen." So kann man Terror auch wegdifferenzieren!

New Republic (USA), 23.01.2019

Auch Josephine Livingstone bespricht Jill Abramsons Buch "Merchants of Truth: The Business of News and the Fight for Fact" über die Zukunft des Journalismus, das Jill Lepore vergangene Woche im New Yorker vorstellte (unser Resümee). Einerseits eine brillante Studie über den Printjournalismus, hat das Buch für Livingstone allerdings einen klaren Makel - das generationsbedingte Unverständnis der 2014 entlassenen New-York-Times-Chefredakteurin gegenüber den neuen digitalen Medien wie Vice-Media und BuzzFeed. Nicht nur, dass Abramson den neuen Medien Faktenuntreue vorwirft (woraufhin es Nachweise von Sachfehlern in ihrem Buch hagelte): "Abramsons Unhöflichkeit entgeht etwas Entscheidendes: die sehr ernsten politischen Überzeugungen, die die Arbeit jüngerer Journalisten beeinflussen. Empathie für andere Menschen, ein ausgesprochenes Anliegen für die Gleichstellung der Geschlechter, eine Anerkennung der persönlichen und beruflichen Interessen der Repräsentation: Das sind grundlegende Prinzipien des neuen digitalen Journalismus, keine nachträglichen Überlegungen. Abramsons Missgendering (einer Vice-Media-Mitarbeiterin, d. Red.) ist das perfekte Beispiel. Es ist ein generationsbedingter blinder Fleck bei Abramson. Es fällt ihr nicht ein, Pronomen zu überprüfen, denn in ihrem beruflichen Umfeld hatte das keine Priorität. Wenn sich 'Merchants of Truth' allein auf die Times und die Post konzentriert hätte, wäre es ein hervorragender Beitrag zur Geschichte des Journalismus geworden. Warum verließ Abramson ihre Fachgebiet, um digitale Medien zu kritisieren? Es ist verlockend, die Antwort in ihrer eigenen Karriere zu suchen. Wenn der jüngeren Generation die traditionelle Redaktionsschulung in Fairness, Ethik und Berichterstattung abgeht, dann bedeutet der Verlust von Jill Abramson etwas."
Archiv: New Republic

Elet es Irodalom (Ungarn), 25.01.2019

Der aus Siebenbürgen stammende rumänische Dichter und Dramatiker András Visky denkt im Gespräch mit Péter Deményi über die schwierige Angelegenheit nach, sich Tag für Tag der Realität zu stellen. "Die entschlossene Wirklichkeitskenntnis, das Auspacken und Zeigen der Wirklichkeit: das ist und bleibt die Aufgaben der Intellektuellen heute. Ich strebe nach Genauigkeit, nach einer geduldigen, Samuel Beckett´schen Radikalität, oder zumindest danach, dass wir uns nicht selbst etwas vormachen. In der Tat wirkt all das oft defätistisch, was soll ich machen. Die projizierten falschen Hoffnungen in die Möglichkeiten des Menschen und seine gemütliche Güte erscheinen mir eine wesentlich pessimistischere Lebensform zu sein, als die Benennung dieser leeren Hoffnungssurrogate. (...) Es gibt kein Entkommen, wir leben in diesem verfluchten und gnadenlosen Vertrauensvakuum. Zwischendurch glaube ich ans Gespräch - zumindest noch. Daran, dass unsere Angelegenheiten besprochen werden können, dass wir uns gegenseitig in die Augen schauen können und dass der Mensch nicht nur aus der Stärke etwas versteht, sondern auch aus der Liebe. Wir leben hierzulande in einer durch die Politik brutalisierten Kultur, aber auch das sind wir, und wir sehen wie lange es schon so geht - als hätte lediglich unsere Vorstellungskraft und nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit die kleinen Freiheitserfahrungen geboren: sie verschwinden spurlos, als wären sie nie dagewesen. Und dann bricht die Vergangenheit ein, aber auch das ist etwas uns Ähnliches, auch dies können wir nicht einfach abwälzen."

Longreads (USA), 29.01.2019

Die Laufbahn einiger Objekte im fernen Kuipergürtel, in dem sich auch der vormals als Planet eingestufte Pluto befindet, lässt einige Wissenschaftler, darunter Michael Brown und Konstantin Batygin, darauf schließen, dass dort, weit draußen im Sonnensystem, ein bislang unentdeckter neunter Planet seine Kreise zieht. Shannon Stirone hat die beiden bei ihrer Arbeit in einem der größten Teleskope der Welt besucht: "Wenn der Planet, nach dem die beiden Ausschau halten, wirklich existiert, verfügt er etwa über das Sechsfache der Erdmasse, mit einer Atmosphäre aus Wasserstoff und Helium über seinem Kern aus Stein und Eis. Seine wahrscheinliche Lage macht es schwierig, ihn tatsächlich zu finden: mindestens 400 mal so weit entfernt von der Sonne wie unser Planet und etwa 15 bis 20 mal weiter draußen als Pluto. Als Theoretiker ist Batygin der Ansicht, dass er seine Existenz mathematisch im Grunde genommen schon bewiesen hat. Doch nach gängiger Ansicht in der Welt der Astronomie gilt ein Planet erst dann als entdeckt, wenn seine Existenz durch eine Fotografie belegt wurde." Das ist nicht einfach, weil es da draußen so viel Licht gibt. "Gegen das blaue Licht des Computermonitors erscheint eine riesige Spiralgalaxie mit einem dünnen, geisterhaften Körper, dessen lange, fast quallenartige Ranken um sich selbst geschlungen sind. Wir beugen uns über das Bild und rufen: 'Oh wow', worauf Brown bloß mit einem schnellen, halb witzig gemeinten 'Ach, Galaxien, die sind echt die Pest' antwortet. Das Problem, wenn man im Himmel nach einer einzigen Sache Ausschau hält, ist, dass unsere Galaxie voller Sterne ist, nahezu 100 Milliarden, die Brown ohne Ende auf die Nerven gehen. Sollte Planet Neun existieren, dann ist er so weit entfernt und sein Licht so schwach, dass es ohne weiteres von einem regulären Stern, der es mal so richtig krachen lässt, überstrahlt werden könnte."
Archiv: Longreads

New York Magazine (USA), 08.01.2019

Andrew Sullivan befasst sich eingehend mit dem Phänomen homosexueller Priester in der katholischen Kirche, die in durchaus stattlicher Zahl vertreten sind. Innerhalb des Klerus hat sich - trotz schöner Sonntagsreden von Papst Franziskus - der rechte Flügel längst daran gemacht, in Anlehnung an Papst Benedikts harten Kurs, Homosexuelle per se für die zahlreichen Kindesmissbrauchsfälle innerhalb der Kirche verantwortlich zu machen. "Auf diese Weise als Sündenbock herhalten zu müssen, hat viele Priester, mit denen ich gesprochen habe, verletzt. Ein doppeltes Stigma hat sich herausgebildet: Die Obrigkeit nimmt einen aufs Korn dafür, schwul zu sein, die generelle Öffentlichkeit dafür, angeblich pädophil zu sein. Viele der Leute, mit denen ich sprach, ob katholisch oder nicht, rollten beim Thema schwule Priester mit den Augen und stellten Fragen nach dem Missbrauch von Kindern. Die Nachrichten sind voll mit solchen Geschichten - und das mit allem Recht -, doch finden sich kaum öffentliche Beispiele für die überwältigende Zahl von Priestern, die nicht einmal im Traum darauf kämen, sich an Schutzlosen zu vergreifen."

Szene aus Paul Schraders "First Reformed" mit Ethan Hawke und Amanda Seyfried


Man glaubt es kaum, aber für seinen Film "First Reformed" (mit Ethan Hawke als Pastor Ernst Toller) ist Filmkritiker, Drehbuchlegende und Regisseur Paul Schrader tatsächlich zum ersten Mal in seinem Leben für einen Oscar nominiert worden. Auch bei der Kritik ist der Film ein künstlerischer Erfolg. Keine Selbstverständlichkeit bei Schrader, dessen Karriere in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eine Abfolge von Rückschlägen und Misserfolgen war. Mark Jacobson hat den großen Grantler aus New Hollywood zum Gespräch getroffen. Unter anderem geht es um die Goldenen Zeiten als Hollywood kollabierte und sich damit die Pforten für die großen Erneuerer des Kinos öffneten. "Das ging '67 los. Insbesondere 'Hello Dolly!' und 'Paint Your Wagon' scheiterten an der Kasse, was Hollywood wirklich verängstigte. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, mit wie viel Unsicherheit und Zorn man auf die Gegenkultur reagierte. Hollywood war wütend. Sinatra war wütend, alle waren sie wütend. Die dachten: 'Das ist nicht mehr unsere Welt. Und wir haben keinen Plan, wie wir unsere Produkte an diese Kids verkaufen sollen.' ... Die Studios zerbrachen sich die Köpfe darüber, wie sie den jugendlichen Markt erreichen könnten. Also öffnete sich ein Fenster, durch das man reinkam. Francis Ford Coppola erzählte mir damals: 'Du gehst da einfach rein und sagst denen: Heute ist euer Glückstag, denn ich will einfach nur Geld verdienen und ich weiß, wie man Geld verdienen kann, und ich werde für euch Geld verdienen.' Und er erzählte weiter: 'Die sind so verunsichert, die glauben dir das.' Das war die Zeit, als sich Türen öffneten. Ich erinnere mich aber auch genau an den Moment, als sie sich wieder schlossen: im Jahr 1978. Ich war gerade bei Paramount und bereitete 'American Gigolo' vor. Barry Diller war von ABC gekommen, um Paramount zu leiten. Sein Abteilungsleiter für Marktforschung arbeitete damals noch auf der gegenüber liegenden Seite des Studios. Barry holte diesen Typen von ABC und setzte sein Büro direkt vor unsere Nase. Wenn wir mit Barry sprechen wollten, mussten wir durch das Büro von diesem Typen. Das war das Signal an alle: 'Wir brauen euch nicht mehr, um uns zu erzählen, was wir tun sollen. Wir haben das rausgekriegt. Jetzt erzählen wir euch, wie es läuft.'"