Magazinrundschau
Homer der Huzulen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.11.2009. In Open Democracy wünscht Neal Ascherson den Europäern etwas vom revolutionären Geist der Franzosen. Tygodnik dokumentiert, dass die polnische Dissidenten schon 1954 und auch noch in den Siebzigern auf die deutsche Wiedervereinigung hofften. In Newsweek findet Niall Ferguson 1989 welthistorisch nicht so bedeutend wie 1979. In Eurozine treibt Laszlo Borhi Österreichs Sozialdemokraten die Schamesröte ins Gesicht. Outlook India fährt nach Arunachal. Wired besucht den Henry Ford des Informationszeitalters. The New Republic pilgert zu den Bauten Peter Zumthors.
Open Democracy (UK), 09.11.2009
Neal Ascherson beschreibt sehr schön, wie sehr der Osten 1989 dem Westen voraus war: "Niemand von uns im Westen hatte verstanden, dass das ganze Imperium vom Bug bis zum Rhein kaum mehr als ein altes Wespennest war, das unter einem Dach hing - ausgetrocknet, verlassen von den stechenden Horden, kurz davor, bei einem Windhauch in Staub zu zerfallen. Aber die Leute im Osten haben es begriffen. Sie haben etwas verloren - nicht ihre Angst, sondern ihre Geduld. Auf einmal schien es unerträglich, dieses System, diese kleinen fetten Idioten in ihren blauen Anzügen auch nur für ein weiteres Jahr zu ertragen, für einen weiteren Tag, für eine Stunde. Diese spezielle Form der Ungeduld ist das Kraftwerk einer Revolution... Und es war eine richtige Revolution, allerdings fehlte ein entscheidendes Merkmal. Das Gefühl in einem Volk: 'Wir haben es einmal geschafft, und wenn uns die neue Truppe enttäuscht, werden wir es wieder schaffen!' Es ist dieses stolze, bedrohliche Selbstvertrauen, das die Französische Revolution so besonders machte. Im Europa des 21. Jahrhundert ist davon wenig zu spüren. Nach 1989 haben die Völker ihre Freiheit den Experten übergeben. Werden sie sie zurückverlangen?"
Fred Halliday erinnert daran, dass mit 1989 nicht nur mehr Freiheit in die Welt kam, sondern auch Nationalismus und Bürgerkriege, Kleptokratie und Anarchie. Zudem versammelt Open Democarcy eine Reihe europäischer Stimmen: Ivan Krastev konstatiert etwa, dass die politische Kraft von 1989 im Westen wie im Osten erschöpft ist. Adam Szostkiewicz räumt fröhlich ein: "Nach 1989 war es gar nicht mehr samten, sondern ein ganz schön rauer Ritt."
Fred Halliday erinnert daran, dass mit 1989 nicht nur mehr Freiheit in die Welt kam, sondern auch Nationalismus und Bürgerkriege, Kleptokratie und Anarchie. Zudem versammelt Open Democarcy eine Reihe europäischer Stimmen: Ivan Krastev konstatiert etwa, dass die politische Kraft von 1989 im Westen wie im Osten erschöpft ist. Adam Szostkiewicz räumt fröhlich ein: "Nach 1989 war es gar nicht mehr samten, sondern ein ganz schön rauer Ritt."
Tygodnik Powszechny (Polen), 08.11.2009

Weiter zu diesem Thema nachzulesen ist die Aufzeichnung einer Expertendiskussion zum Verhältnis von Polen und Ostdeutschen zu kommunistischen Zeiten. Unter anderem erinnert der Historiker Lukasz Kaminski daran, dass die polnische Opposition schon in den 70er Jahren die deutsche Einheit als Grundvoraussetzung für ein neues Europa ansah: "Es lohnt sich, den Hintergrund zu erforschen: Warum forderten die polnischen Oppositionellen bereits in den siebziger oder achtziger Jahren, als die Erinnerung an den Krieg noch viel lebendiger war als heute, die deutsche Einheit?" Darauf antwortet sein Kollegen Andrzej Paczkowski: "Ich glaube, einer der ersten Polen, der über die deutsche Einheit als Bedingung für die europäische Einheit geschrieben hat, war Juliusz Meiroszewski, 1954 in der Pariser Exilzeitschrift Kultura. In einem Kommentar zum Beitritt Westdeutschlands zur Nato schrieb er, dass es ohne wiedervereinigtes Deutschland kein freies Polen geben werde. Eine zweite Schlussfolgerung daraus könnte sein, dass es ohne eine unabhängige Ukraine kein freies Polen geben wird, und umgekehrt. Aber das ist ein anderes Thema."
Berichtet wird ferner vom Joseph-Conrad-Festival mit anschließender Literaturmesse in Krakau. Nachzulesen ist dazu ein Weblog von Grzegorz Nurek. In der Literaturbeilage von "Tygodnik" schreibt Krzysztof Siwczyk über Thomas Bernhards kürzlich ins Polnisch übersetzte Frühwerk "Verstörung": "Darin entwickelt sich sein Prosastil mit wiederholten Sätzen, manischen Rückgriffen auf Schlüsselwörter, fast krankhaften Steigerungen von Adjektiven, die zeigen, wie sehr er das menschliche Wesen verachtet. Schlecht, schlechter, am schlechtesten - das ist der Mensch bei Bernhard". Hingewiesen wird ferner auf das Festival des Russischen Kinos, "Sputnik", das zwei Wochen lang in 26 polnischen Städten gastieren wird.
Newsweek (USA), 16.11.2009

Eurozine (Österreich), 06.11.2009

Spectator (UK), 07.11.2009

Outlook India (Indien), 15.11.2009

Außerdem: Der chinesische Journalist Wang Yaodong beklagt sich bitter über die in seinen Augen höchst unfaire China-Berichterstattung in indischen Medien. Pranay Sharma gibt zu, dass die Inder das chinesische Wachstum, das ihres übertrifft, mit Unbehagen sehen. Und Lola Nayar betrachtet den Handel zwischen Indien und China.
Wired (USA), 01.11.2009

Odra (Polen), 01.10.2009

Alan Weiss erinnert an den Schriftsteller Stanislaw Vincenz, einen seinerzeit einflussreichen, aber heute fast vergessenen Homer des Huzulen-Landes in der heutigen Ukraine. "Das Lesen seiner Bücher erinnert an eine Fahrt in der dritten Klasse eines ukrainischen Zuges von Ivano-Frankivsk ins Cernohora-Gebiet. Ein Zug, aus dem man nach einer Stunden aussteigen möchte, den man nach einer gewissen Zeit aber vermisst. Man sehnt sich nach den langsam vorbeiziehenden Landschaften, nach der harten Holzbank, nach den Verkäufern im Zug. So ist Vincenz Schaffen - unauffällig und manchmal unbequem, aber es ist unmöglich, nicht wieder danach greifen zu wollen."
Al Ahram Weekly (Ägypten), 05.11.2009

Außerdem: Charlotte El-Shabrawy hat aus zwei Fortsetzungsdramen, die während des Ramadan im Fernsehen gezeigt wurden, gelernt, welche Belange im öffentlichen Leben Ägyptens heute eine große Rolle spielen: männlicher Stolz, weibliche Unabhängigkeit, Scheidung, Drogen, Aids, häusliche Gewalt, Demenz etc. Klingt vertraut. Und Ati Metwaly bespricht ein "Romeo und Julia"-Ballett.
Vanity Fair (USA), 01.12.2009

Elet es Irodalom (Ungarn), 30.10.2009

"Kein Drama, keine Pointen" - mit diesen Worten würdigt die Literaturwissenschaftlerin Sarolta Deczki den Erzählband "Solche Geschenke" von Franziska Gerstenberg, der nun in der Übersetzung von Hanna Győri auch in Ungarisch vorliegt (erschienen bei Jozsef Attila Kör - L'Harmattan): "Empfindlichkeit, Klugheit und Geduld zeichnen die Prosa von Gerstenberg aus. Mit einer ganz besonderen Feinheit hält sie Lebenssituationen, Stimmungen und Gefühle fest, und ihre Geschichten bestehen weniger aus Geschehnissen, sondern sind vielmehr Beschreibungen: Was wir bekommen, sind minuziös ausgearbeitete Fresken einer Lebenssituation, eines Ereignisses."
Times Literary Supplement (UK), 04.11.2009
Mit Goethe und Mozart habe man Hugo von Hofmannsthal zu seiner Zeit verglichen, erzählt der Germanist Paul Reitter. Ebenso habe es aber auch Kritik gegeben, insbesondere von Karl Kraus, der keine Gelegenheit ausließ, Hoffmansthal eins mitzugeben: "Als ein begieriger Sammler von Porzellanarbeiten, der Gedichte in Stefan Georges exklusiven 'Blättern für die Kunst' veröffentlichte, sah Hofmannsthal sich dem Vorwurf der ästhetischen Dekadenz ausgesetzt. Kraus etwa machte sich über ihn lustig und nannte ihn einen 'Edensteinsammler', der 'das Leben flieht' und gleichzeitig den Dingen huldigt, 'welche es verschönern'. Die Kritik saß, war aber kaum angemessen. Denn tatsächlich hatte Hofmannsthal schon von Beginn an seine Einwände gegen die Neigungen geäußert, die Kraus ihm vorwarf. In der Tat hat er einmal gesagt, dass 'modern' sein für ihn bedeute, 'alte Möbel und junge Nervositäten' auszustellen. Die Weltflucht ist ein wichtiges Sujet in seinen Arbeiten aus dem Jahrzehnt nach 1890, aber sie ist bei ihm eher als Problem verhandelt denn als Ideal." Im Anschluß an eine sehr lange Einführung bespricht Reitter die Hofmannsthal-Ausgabe "The Whole Difference" von J.D. McClatchy, dessen Tenor ihm nicht recht gefällt, und zwar weil Hofmannsthals Leben und Werk unter McClatchys Händen "prächtiger, aber auch weniger komplex and darum langweiliger gerät, als es tatsächlich war".
Espresso (Italien), 06.11.2009

New Republic (USA), 06.11.2009

Standpoint (UK), 01.11.2009

Nepszabadsag (Ungarn), 07.11.2009

Guardian (UK), 07.11.2009
Ihre Bücher über die Mumins (diese liebenswerte großnasige Kreaturen, die den existenzialistischen skandinavischen Winter Jahr für Jahr überleben), haben der finnischen Autoren Tove Jansson so viel Berühmtheit gebracht, ihre Erwachsenenbücher dagegen kennt niemand. Nun wurden sie zum ersten Mal ins Englische übersetzt, und Ali Smih hat darin Jansson at her best erlebt: "Ihr Roman 'The True Deceiver' über Wahrheit, Täuschung, Selbsttäuschung und der ehrliche Umgang mit Fiktion ist umwerfend in seiner Klarheit und scheinbaren Einfachheit. 1982 veröffentlicht, ist dieser, ihr dritter Roman für Erwachsene das Herzstück ihres zutiefst rätselhaften und subtilen Werks. Ihr Biograf Boel Westin hält fest, dass sie große Schwierigkeiten mit ihm hatte. 'Dieser schonungslose Blick auf das Leben', kommentiert Westin, ' ist charakteristisch für ihre Romane.' Jansson selbst hielt fest, wie stur und hart sie daran gearbeitet hat. Kein Zweifel, es waren niederdrückende Bedingungen, unter denen ihre Figuren leben mussten. 'Der Wind hatte zugenommen. Er drückte den Schnee gegen die Fenster mit einem machtvollen Flüstern, das die Menschen des Ortes seit langer, langer Zeit verfolgte. Zwischen den Windböen war Stille."
New York Times (USA), 08.11.2009
Emily Parker schildert in der Book Review in einem interessanten Essay, welche Auswirkung die digitale Kommunikation auf die japanische Sprache hat. "Die japanische Sprache wird durch Blogs, EMails und keitai shosetsu (Handyromane) verändert. Amerikaner mögen sich darüber aufregen, dass die digitale Kommunikation schlampige Grammatik und Rechtschreibung fördern, aber in Japan sind diese Veränderungen umstürzender. Eine vertikal geschriebene Sprache scheint immer mehr horizontal zu werden. Romane werden auf kleinen Bildschirmen geschrieben und gelesen. Die Leute haben sich so ans Tippen gewöhnt, dass sie Zeichen nicht mehr mit der Hand schreiben können. Und immer mehr englische Wörter infiltrieren die Sprache." Der größten Vorteil, den Parker in der Vereinfachung - oder Verflachung, wie man's nimmt - sieht, liegt darin, dass sie Immigranten, die das überalterte Japan dringend braucht, das Erlernen des Japanischen erleichtern könnte.
Besprochen werden unter anderem Stephen Kings neuer Roman "Under the Dome" (Hörprobe), eine Samuel-Johnson-Biografie und John Irvings neuer Roman "Last Night in Twisted River" (Leseprobe). Das Magazine befasst sich mit der Gesundheitsreform und der Frage, wie man Choreografien für Modernen Tanz dokumentieren kann.
Besprochen werden unter anderem Stephen Kings neuer Roman "Under the Dome" (Hörprobe), eine Samuel-Johnson-Biografie und John Irvings neuer Roman "Last Night in Twisted River" (Leseprobe). Das Magazine befasst sich mit der Gesundheitsreform und der Frage, wie man Choreografien für Modernen Tanz dokumentieren kann.
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