Magazinrundschau

Eine Ahnung euphorischer Revolte

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
03.12.2019. In der NYRB erklärt der Romancier Joseph O'Neill den Demokraten, wie man Wahlen gewinnt. Im Merkur überlegt der Politikwissenschaftler Philip Manow, ob der heutige Populismus Symptom für eine Krise der Demokratie oder eine Krise der Repräsentation ist. In Elet es Irodalom sieht der Historiker László András Magyar ihn eher als Symptom der Angst vor Veränderungen. Der New Yorker übt den Rollentausch in der Virtual Reality. Die London Review warnt vor dem gemeinen Staat.

New York Review of Books (USA), 19.12.2019

Unvorstellbar, dass ein deutscher Schriftsteller so einen Text schreiben würde. Joseph O'Neill, Autor mehrerer Romane, überlegt mit Hilfe zweier neuer Bücher, woran es liegen könnte, dass die Demokraten so viele Wahlen verlieren, obwohl sie eine für den größten Teil der Bevölkerung weitaus vorteilhaftere Politik machen als die Republikaner. O'Neill interessiert sich in diesem Zusammenhang nicht die Bohne für abstrakte und moralische Theorien, sondern für die politische Strategie: Anders als die Demokraten, die auf Washington setzen, unterstützen die Republikaner unzählige lokale Graswurzelbewegungen mit dem Ziel, eine republikanische Basis in den Bundesstaaten aufzubauen, lernt er. "Es ist unbestritten, dass dieser Aufwand funktioniert hat. Tatsächlich hat er eine Art bolschewistisches Traumland hervorgebracht, in dem einige milliardenschwere Hyperkapitalisten und libertäre Extremisten einen beträchtlichen Kader von Berufsideologen und Organisatoren betreuen, die die langweilige, technische und hartnäckige Arbeit der Radikalisierung, Ausbildung, Belohnung und Kontrolle konservativer Gesetzgeber, politischer Theoretiker, Medienvertreter, Propagandisten, Administratoren, Evangelisten und Richter leisten. Dies führt zu einer selbsttragenden Avantgarde mit echter Macht, echtem Fachwissen und einem wilden Siegeswillen, der immer stärker jede Loyalität zu den ethischen und zivilen Normen einer modernen Demokratie überwiegt. Gerrymandering, Wählerunterdrückung, intellektuell unredliche Gerichtsentscheidungen und systematische Desinformation sind heute wesentliche republikanische Taktiken. Es gibt einen Grund, warum die GOP, trotz all ihrer materiellen Nutzlosigkeit, ein so gewaltiger politischer Gegner ist. Sie spielt, um zu gewinnen."

Weiteres: Anna Deavere Smith liest Colson Whiteheads Roman "The Nickel Boys". Und Langdon Hammer vertieft sich in die Dolphin-Briefe von Elizabeth Hardwick und Robert Lowell.

Merkur (Deutschland), 01.12.2019

Leider in einem etwas absurden Sprachenmix, aber doch sehr lesenswert eruiert der Politikwissenschaftler Philip Manow, ob der Populismus heute ein Symptom für eine Krise der Demokratie oder eine Krise der Repräsentation ist. Seine These: Im 18. und 19. Jahrhundert war der Pöbel ökonomisch, politisch und ästhetisch strikt vom Volk unterschieden. Die moderne Demokratie versagt niemandem die gleichen Rechte und die Teilhabe: "Ansonsten aber muss diskursiv ausgeschlossen werden, was sozial längst eingeschlossen ist, durch ein Regime des Sagbaren und des Unsagbaren. Die Demokratie selber hat dafür keine eigenen Stoppregeln, zumindest keine prinzipieller, sondern nur solche praktischer Art. Deren Funktionskrise erleben wir gerade - aber anders verstanden als üblicherweise: nicht in dem Sinne, dass etwas Vorhandenes nicht mehr angemessen repräsentiert wird, sondern in dem Sinne, dass etwas immer Vorhandenes sich heute durch Repräsentation nicht mehr effektiv unterdrücken lässt. Repression by representation funktioniert nicht mehr wie gewohnt, die Disziplinierungsfunktion der Demokratie lässt nach."

Zu spät, ruft Moritz Rudolph den Rechtspopulisten im Osten zu, die sich hinter Pegida oder dem AfD-Slogan "Vollende die Wende" scharen: "Der Osten versucht sich also noch einmal an jener Revolte, um die er sich damals leichtfertig bringen ließ. Die Tragik besteht aber darin, dass der Augenblick, in dem sie möglich war, vorbei ist und sich nicht künstlich wiederherstellen lässt. Es gab nur diesen einen geschichtlichen Moment, aber den ließ man ungenutzt verstreichen. Seither geistert die Revolte als Zombie durchs Land und findet keine Erlösung."
Archiv: Merkur

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.11.2019

Der Historiker und Schriftsteller László András Magyar untersucht in Élet és Irodalom die Beziehung von Angst und Populismus: "Veränderung kann - Versprechen hin oder her - nicht aufgehalten werden, denn Veränderung ist das einzig ewige Gesetz unserer Welt. (...) Der Prozess der Veränderung der Werte ist ebenfalls unaufhaltbar, sogar bei der Geschwindigkeit der Veränderung haben wir kein Mitspracherecht, höchstens können wir vielleicht deren Richtung verändern. Was heutzutage als Populismus bezeichnet wird, ist nichts anderes als eine Lüge, welche die Angst der Menschen bewusst ausnutzt. Es ist eine Lüge, denn er verspricht Unmögliches. Die den Populismus fütternde Angst könnte nur ein Staat - wenn auch nicht beheben, so doch zur Gefahrlosigkeit reduzieren, der sich so um die Ungeschützten und die Verlierer kümmert, dass er dabei nicht lügen muss. Dieser Staat wurde einst Wohlfahrtsstaat genannt und dieser Staat funktionierte auch solange, bis er weggefegt wurde - eben von der Veränderung. Er wurde so sehr weggefegt, dass das Versprechen, ihn wieder auferstehen zu lassen, auch nichts anderes sein kann, als lügnerischer Populismus."

New Yorker (USA), 09.12.2019

Für einen Beitrag des aktuellen Hefts unterzieht sich Patricia Marx einem Selbstversuch mit verschiedenen VR-Anwendungen (Virtual Reality) und stellt fest, es gibt eine gewisse Durchlässigkeit zur Wirklichkeit: "Während einiger Stunden hatte ich derart viele Versuche über mich ergehen lassen, aus mir einen emphatischen gesellschaftsorientierten Menschen zu machen, dass ich erstaunt war, noch keinen Orden von der Uno bekommen zu haben. In der Gestalt eines Holzfällers hielt ich die Kettensäge an einen Mammutbaum und lernte, dass solche Bäume gerettet werden könnten, wenn ich nur auf doppellagiges Klopapier verzichtete. Eine Studie ergab, dass Menschen mit dieser Erfahrung mit um 20 Prozent größerer Wahrscheinlichkeit weniger Klopapier benutzen als andere, die etwa nur ein Video über Abholzung gesehen haben …" Ähnlich ergeht es Marx mit der Körpertransfertechnik. Als "virtueller Schwarzer" ist sie dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt. Aber ob so der Rassismus bekämpft werden kann? "'Körpertransfer' erlaubt es auch, das soziale Geschlecht zu wechseln, das Alter oder die Größe, oder es nimmt dir die Angst vor dem Tod, indem es ein zweites Ich schafft und es engelsgleich über dir schweben lässt. Oder du bist eine Kuh auf dem Weg zur Schlachtbank, ein Experiment, mit dem VR-Studenten herausfinden wollen, ob es nicht zu mehr Empathie mit dem Vieh und zu weniger Fleischkonsum führt …"

Außerdem: Dexter Filkins berichtet über die Spaltung der indischen Gesellschaft unter Narendra Modis Hindu-Nationalisten. Emily Nussbaum begegnet dem Rassismus der Reagan-Ära in Damon Lindelofs HBO-Serie "Watchmen" nach Alan Moores Graphic Novel von 1986. Anthony Lane erzählt die Geschichte des Gin. Calvin Tomkins stellt den Künstler David Hammon vor. Kevin Young liest Ralph Ellison. Hua Hsu hört Dance Music über Dance Music von Burial. Und Anthony Lane sah im Kino Tom Harpers Film "The Aeronauts".
Archiv: New Yorker

Spex (Deutschland), 27.11.2019

Vor zehn Jahren fühlte der 2017 verstorbene Poptheoretiker Mark Fisher mit seinem Buch "Kapitalistischer Realismus" der allgegenwärtigen Alternativlosigkeit des Kapitalismus kulturkritisch auf den Zahn, Kristoffer Cornils betrachtet im zweigeteilten Spex-Essay (hier der zweite Teil) die Gegenwart mit Fishers Theorien im Hinterkopf: Seit Fishers in der Kulturanschauung gewonnenen Diagnose einer allgemeinen Depression gab es in der Popkultur zwischenzeitig zwar eine Ahnung euphorischer Revolte, doch seitdem hat sich der Typus des Psychopathen in der Bewegtbildproduktion merklich Raum verschafft. Psychopathen "haben sich als treibende Kraft in der kulturellen Verhandlung sozialer Verhältnisse etabliert, wenn nicht sogar als Fetischsubjekte einer Gesellschaft, die sich ihr heißes, triebgesteuertes und emotional doch kaltes Handeln gut und gerne zum Vorbild nehmen könnte. ... Die diskursive Verschiebung deutet zumindest an, dass ein soziales Umdenken im Gange ist. Wie würde etwa 'American Psycho' enden, wenn er heute gedreht würde? Schätzungsweise könnte das entlarvende und allzu billige Ende ('Es war alles nur eine Wahnvorstellung!') wegfallen. Und vermutlich hieße der Film dann auch anders. 'Joker' zum Beispiel. Der schließlich lässt in seiner neuesten Version von Todd Phillips gleich eine ganze Stadt in Flammen aufgehen und grinst dazu. Beruhte der kapitalistische Realismus noch auf der Einsicht, dass dieses System das Geringste aller Übel sei, so hindert das die neuen Psychopath_innen nicht daran, den größtmöglichen Schaden anzurichten. Das ist ein Trend, der kaum mehr mit Fishers ebenfalls anhand von Film und Fernsehen formulierten Thesen zu vereinbaren ist. Denn die Psychos ergeben sich nicht ihrer Ohnmacht vor der Allmacht des Systems, sondern setzen sich mit destruktivem Wahn darüber hinweg."

Außerdem: Diversität ist zum modischen Schlagwort für neoliberale Kosmetik geworden, eine günstige Strategie für große Unternehmen, sich selbst in ein gutes Licht zu stellen, meint Neneh Sowe im großen Kommentar. Und: "Diversität markiert bestimmte Gruppen immer als 'anders', egal ob positiv oder negativ, da sie immer von einer Norm ausgeht. ... Schwarze Menschen, PoC und andere marginalisierte Personen werden nur zum Zweck des Selbstmarketings eingestellt und gefördert, nicht etwa aus der Einsicht, dass verschiedene Blickwinkel wichtig und relevant für gesellschaftliche Gerechtigkeit sind. Warum sich ernsthaft mit Rassismus auseinandersetzen?"

Archiv: Spex

Novinky.cz (Tschechien), 26.11.2019

Anlässlich der Prager Konferenz "Feministische Ziele vor dreißig Jahren und heute: Inventur und Ausblicke" unterhält sich Klára Vlasáková mit der ungarischen Politologin Eszter Kováts, die bei vielen Linken, FeministInnen und LGBT-Aktivisten ein Zukunftskonzept zur sozialen Solidarität vermisst: "Es genügt nicht, nur neue Gruppen hinzuzufügen und zu sagen: Seien wir solidarisch mit den Frauen, Schwulen, Roma … (…) Unser Thema muss zum Beispiel die Lebenssituation armer Frauen sein, und wie die Gesellschaft sie dafür bestraft, dass sie sich der Pflege um ihre Angehörigen widmen. (…) Frauen begegnen innerhalb des Kapitalismus spezifischen Problemen. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt entwurzelt und ihre Arbeitgeber verstehen nicht, was es in der Realität bedeutet, sich um die Alten oder die Kinder zu kümmern. Der Kapitalismus begreift die Pflege als Selbstverständlichkeit." Kováts hat das Gefühl, die Linke überlasse solche sozialen Fragen zunehmend der Rechten. "Nehmen wir den Bereich der Pflege. In Polen hat Kaczyński ein großzügiges Kinderzuschussprogramm eingeführt, das die Pflege als Arbeit anerkennt und die Würde der Menschen erhöht, die sich um andere kümmern. Ein ähnliches Programm gibt es auch bei uns in Ungarn. Aber während in Polen die Zuschüsse quer durch die sozialen Klassen gehen, sind die in Ungarn vor allem für die Mittelschicht gedacht. Hier geht es nicht darum, die soziale Situation der ärmeren Familien zu verbessern, sondern die Mittelschicht zufriedenzustellen, damit diese nicht aufbegehrt. Es hat auch einen ethnischen Hintergrund. Orbán will die armen Roma-Familien nicht ermuntern, noch mehr Kinder zu bekommen."
Archiv: Novinky.cz

London Review of Books (UK), 05.12.2019

Vor den britischen Wahlen in der kommenden Woche bricht David Runciman die Optionen auf die Formel BJ + Brexit oder JC + 2 refs runter: Boris Johnson und Brexit oder Jeremy Corbyn und zwei Referenden (eines zum Brexit, das andere zu Schottland). "Soweit man das sagen kann, ist die Öffentlichkeit von beiden Aussichten nicht sonderlich begeistert. Meistens bezieht sich das auf die fehlende Popularität der beiden Spitzenpolitiker, denn beide erzeugen starke negative Reaktionen. Beide werden von ihren Gegnern stärker abgelehnt als sie von ihren Anhängern gemocht werden. Was das Entweder-Oder aber so unangenehm macht, ist ein politisches System, das zu viel Macht in die Hand einer Mehrheitsregierung legt und zu wenig in die Hände einer Minderheitsregierung. BJ + Brexit ist beängstigend, weil Johnson an der Spitze einer Regierungsmehrheit, die ihre eigenen Parteireihen von allen Kritikern gesäubert hat, aber mit Rückendeckung von nur zwei Fünfteln der Wählerin, in den nächsten fünf Jahren die Macht hätte, das Land von Grund auf umzugestalten. Die Mehrheit der Wähler wäre wohl dagegen, aber die Möglichkeiten einer bedeutenden politischen Opposition werden schmerzhaft gering, es sei denn, die Leute gingen auf die Straße. Was würde Johnson mit so viel Macht anstellen? Er sagt, dass er ein gemäßigter, liberaler Tory sei, und mit dem Brexit unter Dach und Fach werde er das zeigen. Aber der Brexit wird nicht so einfach erledigt sein, die Handelsgespräche werden ihn zwingen, das zu tun, was seine neue bereinigte Parlamentsfraktion erwartet. Johnsons Regierung wird hart in Sicherheitsfragen sein, aber mild gegenüber denjenigen mit viel Geld. Er wird kein Trump sein, er ist kein Dummkopf, aber ein Trumpist gleichwohl. Thatcherismus wurde einst etwas heroisch als freie Wirtschaft und starker Staat beschrieben. Johnson zielt nicht so weit. Es wird eher eine deregulierte Wirtschaft und ein gemeiner Staat."

Weiteres: Patricia Lockwood verbeugt sich vor der irischen Schriftstellerin Edna O'Brien, die ihren neuesten Roman aus der Perspektive eines von Boko Haram entführten nigerianischen Mädchen erzählt. Joanna Biggs schreibt über Ben Lerners Roman "The Topeka School"

En attendant Nadeau (Frankreich), 27.11.2019

Philippe Artières stellt drei Bücher vor, in denen Historiker Fotografien als Ausgangsmaterial ihrer Erzählung und Reflexion benutzen. Eines davon ist "Urbex RDA - L'Allemagne de l'Est racontée par ses lieux abandonnés" des französischen Historikers Nicolas Offenstadt, das auch in Deutschland schon Beachtung gefunden hat (etwa hier, in der Zeit). Offenstadt sucht in dem Band mithilfe von Fotos, aber ohne fotografisch-künstlerische Ambition nach Spuren der DDR. "Zooms auf Inschriften und Panoramaansichten, Details und Großaufnahmen wechseln einander ab. Der Leser befindet sich sozusagen auf dem Desktop des Computers des Historikers und tritt in jeden der sorgfältig benannten und lokalisierten Ordner ein. Der Historiker lädt den Leser also auch zu einem sinnlichen Erlebnis ein, nicht ästhetische Erfahrung, sondern eine der Erinnerung. Wichtig ist, das Sammeln der Spuren zu teilen, das Prinzip der Akkumulation überwiegt jenes der Schönheit, das normalerweise unserem Geschmack für Relikte entspricht. Der Historiker wird zu einem Archivar eines neuen Stils, indem er die Archivmaterialien all dessen, was nicht archiviert wurde, selbst erstellt, jener Überreste, die verwischen, zergehen, erodieren."
Stichwörter: Offenstadt, Nicolas, Zoom

HVG (Ungarn), 25.11.2019

Der 25. November ist in Ungarn der Gedenktag für die Opfer des Kommunismus und der in die Sowjetunion verschleppten ungarischen Gefangenen, deren Zahl nach 1945 ca. 600.000 betrug. Der Historiker Tamás Stark (Mitglied der ungarischen Akademie der Wissenschaften, MTA) findet die offizielle Erinnerungspolitik inzwischen wenig glaubwürdig: "Die Regierung betrachtet die Welt im Kontext des neuen Ost-West-Konflikts und die offizielle Politik und die Erinnerungspolitik bestärken die Ungarn darin, dass wir auf der Seite des Ostens stehen. Darum wird nur über die Bedrohung durch das "Brüsseler Reich" gesprochen (...). Es wird nicht gesagt, dass das Erbe des Kommunismus heutzutage in erster Linie in den großen östlichen Reichen, in dem sich selbst als kommunistisch bezeichnenden China und in Russland gesucht werden muss. (…) Trotz dieser Fakten beschuldigt die ungarische Regierung die westlichen Länder der Beihilfe und klagt diese an, dass sie desinteressiert seien an der Erinnerung der Opfer des Kommunismus. Erinnerungspolitik wird somit ein Werkzeug für tagespolitische Ziele. Dies verlangt, dass selbst die Erinnerung an die Opfer des Kommunismus in die Schlacht gegen die westlichen Kritiker der Regierung geführt wird. Vielleicht ist es gut, dass die ungarischen Überlebenden des Gulags dies nicht mehr erleben."
Archiv: HVG
Stichwörter: Ungarn, Erinnerungspolitik, Gulag

New York Times (USA), 01.12.2019

Die 14 aus der "Up"-Serie in ihren Zwanzigern.

In der aktuellen Ausgabe des Magazins berichtet Gideon Lewis-Kraus von Michael Apteds 1964 begonnener Langzeitdokuserie "Up", die demnächst zuende geht. Apted begleitete vierzehn Menschen aus unterschiedlichen sozio-ökonomischen Verhältnissen von ihrem 7. bis zu ihrem 63. Lebensjahr: "Mit Kindern zusammen zu sein heißt, einen bangen Frieden auszuhalten zwischen der Möglichkeit der Gegenwart und der Unausweichlichkeit der Zukunft. Unsere größte Hoffnung für unsere Kinder ist, dass sie die Freiheiten eines offenen Schicksals genießen und ihre Wünsche frei entfalten dürfen, dass die Umstände ihrer Geburt und Erziehung sich als Chancen erweisen, nicht als Last. Unsere größte Angst ist, dass ihnen Kräfte den Weg versperren, gegen die sie machtlos sind. Zugleich können wir nicht aufhören, in ihren Gesichtern und Gesten nach Hinweisen auf ihre Zukunft zu suchen, ihren Charakter, ihre Geschichte, ihr Schicksal. Und was wir für die Kinder in unserer Mitte in die Zukunft projizieren, kann kaum je getrennt erscheinen von dem, was wir, uns selbst betreffend, in die Vergangenheit projizieren. Das sind die Spannungen, die 'Up' auf dem Weg zu längsten Doku der Filmgeschichte belebt und geformt haben. Im ersten Teil der Serie erinnert der Erzähler den Zuschauer daran, 'dass der Betriebsrat und der Vorstand des Jahres 2000 jetzt gerade sieben Jahre alt sind', während die Kinder vor unseren Augen in körnigem Schwarzweiß Fangen spielen. 'Dies', so schließt die Episode, 'war ein Ausblick auf die Zukunft Großbritanniens.'"

Außerdem: Jamie Lauren Keiles befragt den Komiker Adam Sandler zu seiner ernsthaftesten Rolle. David Marchese interviewt Pete Townshend zum Vermächtnis des Rock 'n' Roll. Und Peter C. Baker denkt über schlafende Tesla-Fahrer im Autopilot-Modus nach.
Archiv: New York Times