Magazinrundschau
Die Quelle meiner Zungenängstlichkeit
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
03.08.2010. Der New Yorker weiß nach Lektüre der Wikileaks-Dokumente nicht mehr, wer Freund, wer Feind ist. In Ungarn werden nur garnierte Dokumente veröffentlicht, berichtet Elet es Irodalom. In der NYRB beruhigt Malise Ruthven: Dem Islamismus geht es nur um Symbole. In Eurozine fragt sich der britische Künstler Victor Burgin: Wenn schon Bioläden bei Juden kaufen, welche Hoffnung gibt es dann noch für die Kunst? Ein Fest für Systemtheoretiker bietet der Merkur. Open Democracy fragt, wann die Linke rechts wurde. Philosophy Now richtet die Überwachungskamera auf Eva.
New Yorker (USA), 09.08.2010

Außerdem: Alex Ross stellt neue Chopin-Aufnahmen vor, eine Einspielung von Thomas Larchers Klavierkonzert "Böse Zellen" und Aufnahmen von Partiten und Fugen von Bach mit der Geigerin Isabelle Faust, die Ross so gut findet wie die von Gideon Kremer 2005. Jill Lepore erzählt die Geschichte des Detektivs Charlie Chan. Rebecca Mead betrachtet Iggy Pops Torso an- und ausgezogen. Anthony Lane sah im Kino Aaron Schneiders "Get Low" mit Bill Murray, Robert Duvall und Sissy Spacek und Todd Solondz' "Life During Wartime".
Nur im Print: Nicholson Baker untersucht Gewaltvideos.
Elet es Irodalom (Ungarn), 30.07.2010

New York Review of Books (USA), 19.08.2010

La regle du jeu (Frankreich), 31.07.2010
Laurent David Samama greift eine Meldung des Radio Free Asia über die nordkoreanische Fußballnationalmannschaft auf. "Obwohl sie sich trotz dreier Niederlagen bei der Weltmeisterschaft keineswegs blamiert hat, ist sie gleich nach ihrer Rückkehr nach Pjöngjang einberufen worden, um einen offiziellen Tadel entgegen zu nehmen. Nach chinesischen Quellen soll sich die Szene in einem großen Saal des Kulturpalastes zugetragen haben, wo eine 'große Debatte' anberaumt wurde. Auf einer Tribüne stehend, unter den missbilligenden Blicken der 400 Anwesenden, musste die Mannschaft sich der Kritik der Offiziellen, Kommentatoren und Studenten stellen. Nach sechs Stunden staatlicher Zurechtweisung war der Urteilsspruch gnadenlos: Die Mannschaft hat im ideologischen Kampf versagt."
Financial Times (UK), 31.07.2010
Es ist zwar eigentlich nicht ganz klar, wovon Simon Schamas Artikel handelt, aber er ist toll geschrieben. Am ehesten geht's wohl um Essen und Schreiben oder Zunge und Sprache, oder, wie die Franzosen sagen würden, la langue (die Zunge) et la langue (die Sprache). Jedenfalls beginnt der Artikel mit Schamas Bekenntnis, dass Zunge eines der wenigen Nahrungsmittel ist, die regelmäßig einen Würgreflex bei ihm hervorrufen. "Lammzungen sind ein besonderes Problem, denn sie sind genau so groß wie unsere eigenen Zungen, und das erhöht die Chance, aus Versehen auf die letztere zu beißen. Da die Zunge dicht besetzt ist mit Nervenrezeptoren, kann das eine schmerzhafte und blutige Erfahrung sein. Aber es hat noch eine andere Bewandtnis mit meiner Lingophobia, die zu tun hat mit den verschiedenen und doch ineinander greifenden Funktionen der Zunge. Sich auf die Zunge beißen, heißt sich etwas zu verbeißen. An der Quelle meiner Zungenängstlichkeit liegt jedoch die Angst, dieses vielfältige Organ des Ausdrucks und des Verzehrs zu verletzen. Will irgendjemand sein eigenes Wort verspeisen?"
Caffe Europa (Italien), 26.07.2010
Jedes Jahr laden Autoren aus Sardinien Kollegen auf ihre Insel ein und feiern das Literaturfest "Isola delle storie". Es überzeugt nicht durch seine Größe, sondern eher durch seine globale Intimität, meint Mitorganisator und Schriftsteller Marcello Fois im Gespräch mit Flavio Iannelli. "Das Publikum ist voll dabei, wenn ein sardischer Dichter und ein polnischer Poet über die Kluft sprechen,die zwischen geschriebener und gesprochener Dichtung liegt, zwischen der Überzeugung und der Täuschung. Das war das Kernthema des diesjährigen Festivals. Diese Autoren zeigen uns, dass es ein lokales Modell geben kann, das gleichzeitig anschlussfähig ist. Viele von uns, viele Sarden, fühlen sich verstümmelt weil sie auf einer Insel leben, als würde uns ein Arm oder ein Bein fehlen. Dank dieser Treffen sehen wir, dass es in der ganzen Welt diese Verstümmelten gibt und dass sie alle zumindest eines ihrer Gliedmaßen vermissen (....) Wir bitten die Autoren, die ganzen drei Tage zu bleiben, in der Gegend und in dem Ort zu leben. Der größte Teil macht das auch, nimmt an anderen Veranstaltungen teil und vor allem am Abendessen mit den Schäfern, einem einzigartigen Ereignis, das jedes Jahr das Festival beschließt. Wir bitten alle zu bleiben, weil wir glauben dass die Autoren sich kennenlernen, sich unterhalten und sich austauschen müssen. Viele sind auf dieses Weise Freunde geworden und haben sich nicht mehr aus den Augen verloren."
London Review of Books (UK), 05.08.2010

Merkur (Deutschland), 01.08.2010

Außerdem: In der Literaturkolumne blickt David Wagner auf die Highlights seines Leselebens: Handke war dabei, Proust und Bolano, viel Spiegel Online, Gizmodo, Perlentaucher und Guardian: "Ich serendipitiere so durchs Netz, den großen Text, der keine Ufer hat." Remigius warnt vor dem Verlust des Individuums durch Schwarmintelligenz und zuviel Gleichheit. Der Historiker Egon Flaig rekonstruiert die kulturelle Genese des Rassismus und hält fest: "Die erste Textflut, in denen Schwarze als minderwertig vorkommen, entströmt der arabisch-islamischen Kultur."
Open Democracy (UK), 29.07.2010

Elena Strelnikowa erklärt die schwer geprüfte und anhaltende Liebe der Russen zu ihren Datschen: "Auf der Datscha ist die Luft frisch, die Vögel singen fröhlich, der Wein ist gekühlt." Und Flüge an die Strände Südeuropas sind eh zu teuer.
Eurozine (Österreich), 01.08.2010

Tomas Venclova erzählt in einem sehr schönen Text die litauische und zum Teil polnische und ruthenische Geschichte von Vilnius.
Philosophy Now (UK), 02.08.2010

Magyar Narancs (Ungarn), 22.07.2010

The Nation (USA), 23.08.2010

Kommentieren