Magazinrundschau
An die eigenen Prügel gewöhnt
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
New Yorker (USA), 18.06.2018

Außerdem: George Packer porträtiert Obamas Redenschreiber Ben Rhodes. D. T. Max schaut "Skam" eine neue Teen-TV-Serie, die auf Facebook-Posts basiert. Und Rebecca Mead berichtet von den Färöer Inseln, wo es ungeahnte Gaumenfreuden zu entdecken gibt.
New York Magazine (USA), 10.06.2018

In einem anderen Artikel erzählt Reeves Wiedemann vom fantastischen, aber schwindenden Erfolg des Vice-Magazines und seines Gründers Shane Smith: "Während die enorme Wertsteigerung des Magazins Smith ein Luxusleben erlaubte, sah es für die Angestellten anders aus … Eine Führungskraft des Magazins fasst es so: Bei Vice verfahren wir nach Regel 22: Stelle nur 22-Jährige an, zahle ihnen 22.000 Dollar Jahresgehalt und lasse sie 22 Stunden am Tag schuften."
Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 15.06.2018

Comic und Film waren von Anfang an die Medien des demokratischen Kapitalismus, schreibt Georg Seeßlen in einer kurzen Geschichte der niederen Kultur, und beide tragen das Wild-Anarchische wie das Disziplinierende in sich: "Eine vielleicht nicht allzu verwegene These: Die kapitalistisch-demokratische Moderne benötigt noch vor den Inhalten die Wahrnehmungstechniken von Comic und von Film zur Einübung der notwendigen Dynamik. Comics und Filme entsprechen nicht nur der zweiten Industrialisierung, dem Fordismus, sie schaffen auch eine ästhetische Grundlage dafür. Donald Duck und Laurel & Hardy bekommen nicht nur Prügel, wie Theodor W. Adorno missmutig anmerkt, damit sich das Publikum an die eigene Prügel gewöhnt, sie lernen auch, sich im Tempo der neuen Zeit zu bewegen, oder zeigen, wie man dabei scheitern kann, um sogleich wieder aufzustehen und weiterzumachen. Comics und Filme waren auch deshalb so notwendig, weil sich die bürgerliche Kunst der technischen und ökonomischen Modernisierung der Lebenswelt weitgehend entzog. Sie erstarrte, zum Beispiel in der Abstraktion, auf grandiose Weise, sie löste sich von Konventionen und Traditionen, aber der Teil von ihr, der den Blick auf Fabriken und Maschinen, auf Verkehr und Massen, auf Kaufhäuser und Straßenszenen, auf Proletariat und Entwurzelte richtete, wurde vom klassischen bürgerlichen Publikum hochnäsig abgewertet."
Weiteres: Tigrane Yegavian blickt auf die Protestbewegung in Armenien, die den charismatischen Nikol Paschinjan an die Regierung gebracht hat. Jean-Arnault Dérens und Laurent Geslin erzählen vom großen Exodus aus dem westlichen Balkan. Und mehrere Texte befassen sich mit Donald Trump, seiner Sanktionspolitik und dem Gipfeltreffen mit Kim Jong Un.
Ceska pozice (Tschechien), 10.06.2018
Der Linksliberalismus verzettelt sich in Demonstrationen und Protestbewegungen (darunter #BlackLivesMatter und #MeeToo), anstatt konkret um die politische Macht zu kämpfen, befürchtet der Ideengeschichtler Mark Lilla in einem spannenden Gespräch mit Přemysl Houda über das zerrisene Amerika. Die Spaltung sei keine der sozialen Klassen, sondern eine kulturelle Spaltung: "Es ist tragisch, dass die Liberalen im Grunde fast nichts über die Konservativen wissen. Sie wissen nicht, wie die Leute leben, die regelmäßig in die Kirche gehen, was diejenigen denken, die ihre Kinder zur Armee schicken. Das interessiert sie auch gar nicht." Den Einwand des Interviewers, auch die Konservativen wüssten doch nichts über die Liberalen, lässt Lilla nicht gelten. In den Medien etwa seien die Liberalen wesentlich präsenter: "Was glauben Sie, wie oft Sie in amerikanischen Fernsehsendungen einen Südstaatenakzent hören? Fast nie - dabei lebt jeder vierte Amerikaner im Süden. Und wie viel erfahren Sie in Film und Fernsehen über die Evangelikalen? Im Grunde nichts, und doch ist jeder fünfte Amerikaner ein Evangelikaler." In den USA würden sich derzeit zwei Revolutionen gleichzeitig abspielen: "Die eine ist politisch und wird von Donald Trump und den Anhängern seiner populistischen Politik verkörpert. Die andere ist kulturell und vollzieht sich in Kämpfen um Toleranz, Gleichberechtigung und so weiter." Das Problem der Liberalen sei, dass sie nicht erkennen, dass sie nur kulturell siegen können, wenn sie auch politisch siegen. Protestmärsche und andere gesellschaftliche Aktionen hätten vielleicht einen Effekt, wenn die Demokraten in der Regierung säßen, aber Republikaner interessierten sich dafür kein bisschen.
epd Film (Deutschland), 12.06.2018

Lidove noviny (Tschechien), 10.06.2018

La vie des idees (Frankreich), 11.06.2018

The Nation (USA), 02.07.2018

New York Review of Books (USA), 28.06.2018

In der heutigen Türkei leben Trans-Menschen gefährlich, unter den Osmanen jedoch waren sie weithin akzeptiert erinnert uns Kaya Genc. In der osmanischen Dichtung wurden schöne Jungen, Muezzine und Schlachter besungen, ohne Rücksicht auf Klasse oder Geschlecht: "Der Osmanische Hof, der Frauen das Tanzen auf der Bühne verbot, ließ sich von männlichen Crossdressern unterhalten, Köçeks genannt, die am Hof des Sultane aufgezogen wurden, um in weiblichem Ornat aufzutreten, bis sie ihre jugendliche Schönheit verloren... Nach Reşat Ekrem Koçu, einem bekannten Stadthistoriker, hatte jede Taverne ihren eigenen Köçek. 'Einige kamen von den griechischen Inseln, vor allem von Chios; andere waren Zigeunerjungen, die in Derwisch-Klöstern aufgezogen wurden.' Die Namen der Jungen sind heute vergessen, doch ihre Künstlernamen haben überlebt. Der bekannteste von ihren war Ismail der Sommersprossige. Andere hießen Ägyptische Schönheit, Kanarienvogel oder Mondlicht."