Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.05.2004. Der Economist fordert den Rücktritt Rumsfelds. Im New Yorker beschreibt Seymour Hersh, wie die US-Generäle versucht haben, das Thema Folter unterm Deckel zu halten. In der New York Review of Books bewundert J. M. Coetzee die waghalsige Hochgeschwindigkeitsprosa des Kollegen Saul Bellow. Outlook India prophezeit ein romantisches Dreieck zwischen China, Indien und den USA. Radar feiert fünf kokainsüchtige Hippies. Die London Review hört ihr jüngeres Selbst jammern. Haaretz nimmt den Orient-Express. Die New York Times feiert das beste Buch über die Bush-Administration.

New Yorker (USA), 17.05.2004

Der New Yorker ist heute nur sporadisch im Netz, vielleicht ist er dem Ansturm an Lesern nicht gewachsen, denn in Fortsetzung seiner Recherchen zu den Folteranschuldigungen im Gefängnis von Abu Ghraib beschreibt Seymour M. Hersh in dieser Woche den völlig unzureichenden Umgang des Verteidigungsministeriums mit dem "Desaster". So zitiert er einen Pentagon-Mitarbeiter, dass "viele altgediente Generäle sowie Zivilisten aus Rumsfelds Büro glauben, dass General Sanchez und General John Abizaid (mehr) vom Central Command in Tampa, Florida, ihr Bestes getan hätten, um das Thema die ersten Monate des Jahres unterm Deckel zu halten. Die offizielle Befehlskette verläuft von General Sanchez im Iraq zu Abizaid und von dort zu Rumsfeld und Präsident Bush. 'Sie mussten Handeln oder Nichthandeln mit Interessen abstimmen', sagte der Pentagon-Mitarbeiter. 'Und was ist das Motiv, nicht damit herauszurücken? Sie haben schwere diplomatische Probleme vorausgesehen.'" Den Bericht, in dem Hersh den ganzen Skandal aufdeckte, finden Sie hier.

Mehr zu diesem Thema: In einer umfangreichen Reportage aus Bagdad untersucht George Packer, ob sich die moderateren irakischen Kräfte eher der Demokratie oder dem islamischen Fundamentalismus zuwenden werden. Und in seinem Kommentar zu den Vorgängen im Gefängnis von Abu Ghraib kritisiert David Remnick, dass das US-Militär dessen unselige Tradition als bekannter Folterort fortgeführt habe - worüber der Präsident und der Außenminister "schon seit Monaten informiert" gewesen seien.

Weiteres: Ben McGrath berichtet aus der Welt des Baseball, namentlich über Yankees und Red Socks. Alex Ross hat sich unter den jungen Komponisten New Yorks umgesehen. Rebecca Mead porträtiert die Pulp-Autorin Melanie Craft, und Adam Gopnik stellt die Städtebaukritikerin Jane Jacobs vor. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Islanders" von Andrew Sean Greer.

Besprechungen: Louis Menand stellt das neue Buch des Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington (mehr zum Autor hier) vor: "Who Are We? The Challenges to America's National Identity" und erkennt darin eine Art "neuer Heimatkunde". Kurzbesprechungen diverser Romane finden Sie hier. Peter Schjeldahl führt durch die Ausstellung byzantinischer Kunst "Faith and Power (1261-1557)" am Metropolitan Museum. Hilton Als begutachtet Inszenierungen der "ehrgeizigen" "Woyzeck"-Adaption "Guinea Pig Solo" von Brett C. Leonard und dem Liebesdrama "Bug" von Tracy Letts. David Denby schließlich nimmt sich Wolfgang Petersens Film "Troja" vor. In seiner Kritik schreibt er den schönen Satz: "Benioff [der Drehbuchautor] und Petersen müssen davon ausgegangen sein, dass in einer modernen Demokratie nur wenige Leute besudelte Ehre als einen Kriegsgrund akzeptieren würden. Deshalb haben sie Agamemnon in eine Art griechischen Bismarck verwandelt."

Nur in der Printausgabe: das Porträt eines anspruchsvollen Einbrechers und Lyrik von Czeslaw Milosz und Mary Karr.
Archiv: New Yorker

New York Review of Books (USA), 27.05.2004

Für seine Verhältnisse ziemlich ausgelassen feiert Nobelpreisträger J.M. Coetzee das Werk seines Kollegen Saul Bellow, der als erster Autor zu Lebzeiten in die Library of America aufgenommen wird. Neben "Dangling Man" und "The Victim" hat es Coetzee besonders "Augie March" angetan: "Nach eigenem Bekunden hatte er großen Spaß beim Schreiben, und auf den ersten paar hundert Seiten ist seine kreative Erregung ansteckend. Der Leser wird ganz aufgedreht von der waghalsigen Hochgeschwindigkeitsprosa, von der beiläufigen Lässigkeit, mit der er ein mot juste nach dem anderen hinwirft... Vor allem sagt es ein großes Ja zu Amerika."

"Die Verbindung aus Langeweile und Katastrophe hat etwas sehr Englisches", schreibt Andrew O' Hagan, der darüber nachdenkt, was die Beatles eigentlich in die USA getrieben hat: "England erschien damals als ein Land alter Männer, ein Ort, an dem Träume regelmäßig von abgebrochenen Zähnen zernagt wurden", während Amerika der Ort der Jugend war, ein Ort mit Zukunft, "vom Minirock bis zur Wasserstoffbombe".

Ahmed Rashid empfiehlt wärmstens das Buch "Ghost Wars", für das der Washington-Post-Jornalist Steve Coll zwölf Jahre lang die "geheime Geschichte der CIA, Afghanistans und Bin Ladens" nachrecherchiert hat. Danach sei man besser informiert als jedes Mitglied des Geheimdienstausschuss. Anthony Lewis lobt Michael Ignatieff neues Buch "The Lesser Evil" vor, in dem Ignatieff für eine politische Ethik in Zeiten des Krieges plädiert. Ingrid Rowland feiert die Byzanz-Ausstellung im Metropolitan Museum, "Faith and Power", als triumphalen und prächtigen Tribut an die verbindende Kraft der Ideen. Außerdem abgedruckt wird der offene Brief ehemaliger britischer Botschafter im Nahen und Mittleren Osten, die Tony Blairs Strategie für Israel und den Irak vorwerfen, "zum Scheitern verurteilt" zu sein.

Outlook India (Indien), 17.05.2004

Lange Zeit als unbedeutendes Dritte-Welt-Land abgetan, hat Indien nunmehr einen festen Platz auf der geopolitischen Weltkarte inne - als neue asiatische Großmacht und Nebenbuhler Chinas. Gezeichnet wird diese Karte natürlich nicht irgendwo, sondern in den politischen Think Tanks der USA. Welche Analysen dort angestellt und welche Empfehlungen an die politische Klasse ausgesprochen werden, hat Seema Sirohi in einer Studie namens "The India-China Relationship: What the United States Needs to Know" gelesen. Ganz grundsätzlich gilt: "Das Wechselspiel zwischen den zwei bevölkerungsreichsten Nationen der Welt und ihrer einzigen Supermacht ist der Traum jedes Strategen. (...) Amerikanische Denker, die in der Vergangenheit mit der Großen Chinesischen Verachtung für Indien infiziert waren, polieren ihre Brillengläser und betrachten Asien mit neuen Augen." Einer der hochkarätigen Autoren sagt voraus: "Die zukünftige Beziehung zwischen den drei Ländern könnte durchaus einem romantischen Dreieck ähneln, in dem jeweils einer versucht, aus den Spannungen zwischen den beiden anderen Nutzen zu ziehen."

Bollywood-Filme werden traditionell von punjabischer Kultur dominiert. Bis jetzt. Denn in letzter Zeit, schreibt Ishita Moitra, findet man überall Zeichen, die nach Gujarat weisen: In den Besetzungen der Filme, in den Geschichten, die sie erzählen, in den Soundtracks. Kein Wunder, meint Moitra - Gujaratis sind wohlhabend, organisieren sich in großen Familien und machen mitreißende Musik.

Mumbai hat die meisten Prostituierten, Delhi die teuersten. Murali Krishnan berichtet in einer langen Reportage von den "High-End-Prostituierten" der Hauptstadt - oft selbstständigen Frauen mit guter Ausbildung und teurem Geschmack - und ihren Kunden: Politikern, Geschäftsmännern. "Es mag die älteste Profession sein, doch hier hat sie einen neuen Fünf-Sterne-Glanz."

Weitere Artikel: Die Spekulationen um den charismatischen Premierminister Vajpayee gehen weiter: Tritt er ab, wenn die Mehrheit der von ihm angeführten Wahlkoalition bei den in dieser Woche zu Ende gehenden Wahlen nur eine wacklige Regierung zulässt? Saba Naqvi Bhaumik sondiert die Signale. Und Dom Moraes verreißt Siddharth Dhanvant Shangvis andernorts hochgelobten Roman "The Last Song of Dusk".
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 13.05.2004

Eine Renaissance der Philosophie sieht Umberto Eco heranziehen, und liefert auch gleich eine Auswahl lesbarer Traktate für den Nachmittag im Cafe. Kant nicht, aber dafür Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen": "Hin und wieder werden Sie bemerken, dass er verrückt war. Ja, er war verrückt. Aber wie!"

Die Ideologie ist tot. Deshalb haben die Politiker nur noch Anhänger und keine Gläubigen mehr, beklagt Moses Naim, Chefredakteur von Foreign Policy, in einem Kommentar. Dies bewirke, dass die Wähler schneller Ergebnisse sehen wollen, als vernünftige Politik sie liefern könne. Lietta Tornabuoni sinniert über Cannes und seinen Anspruch, in einer Zeit digital kopierter Massenware die Juwelen des Kinos herauszufiltern. Cesare Balbo freut sich, dass der von Disney fallen gelassene Michael Moore nun eben an die Cote d'Azur kommt, um "Fahrenheit 9/11" zu präsentieren. Und Lorenzo Soria bejubelt "Angels", ein sechsstündiges Filmepos über das von Aids zerüttete Amerika der Reagan-Jahre, das nun endlich auch auf Italienisch anläuft.

Der Titel ist ein Geschenk an den nun dienstältesten Ministerpräsidenten Italiens. Von den 1000 Lügen des Berlusconi werden nur 44 kapitale Fische aufgelistet. Die Auswahl fiel anscheinend schwer, denn schon beim Prozess um Sme (mehr) hat der Cavaliere in knapp zwei Stunden angeblich 81 Mal die Unwahrheit gesagt.
Archiv: Espresso

Radar (Argentinien), 09.05.2004

"Schlagen, bis er seine Wahrheit, seinen Scham, seine Angst ejakuliert". Aus gegebenem Anlass veröffentlicht die argentinische Radar einen Ausschnitt aus "Der Schmerz" von Marguerite Duras. Dort schilderte die Französin, wie sie nach dem Sieg der Resistance, der sie gegen Ende des Krieges beigetreten war, an der Folterung eines mutmaßlichen Kollaborateurs nicht nur teilnahm, sondern diese Marter auch gut hieß. Es ist ein erschreckender, weil gnadenloser Text. Aus dem Spanischen übersetzt: "Abrissarbeit. Schlag auf Schlag. Man muss aushalten, aushalten. Und in einer Weile wird die Wahrheit wie ein sehr kleines, hartes Körnchen zu Tage treten (...). Sein Gesicht blutet stark. Schon zuvor war er kein Mensch wie alle anderen. Er war ein Verräter von Mensch. (...) Es lohnt sich nicht, ihn zu töten. Es lohnt sich auch nicht, ihn am Leben zu lassen. Er ist zu nichts mehr nütze. Er hat ganz und gar ausgedient. Gerade weil es sich nicht lohnt, ihn zu töten, kann weitergemacht werden."

Außerdem kann Radar mit einem Interview mit Luiz Inacio Lula da Silva aufwarten. Es wurde allerdings bereits 1982 geführt. Damals war der bärtige Gewerkschafter noch nicht Präsident Brasiliens, sondern Gouverneurskandidat einer neugegründeten Linkspartei, der PT. Es bedurfte noch zwanzig Jahre politische Arbeit, bis er an die Macht kam, und dass ein mühsamer Weg vor ihm lag, wusste Lula schon damals: "Es ist, als ob wir eine Treppe mit 16 Stufen hinaufsteigen müssten. Wenn wir nicht eine nach der andere bewältigen, laufen wir Gefahr zu fallen und uns ein Bein zu brechen", sagte Lula seinem Interviewer Felix Guattari. Endziel war damals indes noch die Verstaatlichung der Wirtschaft.

Lesenswert ist auch ein Text über die "Ästhetik des Hungers" des legendären brasilianischen Filmemachers Glauber Rocha (1938-1981), dem dieser Tage im Museum für Lateinamerikanische Kunst von Buenos Aires eine Retrospektive gewidmet ist. Sein Versuch, Armut angemessen und eben nicht romantisch verklärt darzustellen, ist nach Ansicht von Filmdozentin Ivana Bentes leider in Vergessenheit geraten. "Von einer Ästhetik ist man zu einer Kosmetik des Hungers übergangen", schreibt sie. Dabei meint sie nicht nur Pariser In-Lokale, die sich "Favela Chic" nennen, sondern auch Kassenschlager wie "Central do Brasil" und "City of God". "Nun sind wir fähig, unsere eigenen Klischees zu produzieren und in Umlauf zu bringen, jene, in denen propere und strahlende Schwarze, mit der Waffe in der Hand, keinen einzigen vernünftigen Gedanken fassen können, außer den, sich gegenseitig auszulöschen", bemerkt sie scharf.

Argentiniens Vielschreiber Rodrigo Fresan steuert einen furios beginnenden Artikel bei: "Es waren einmal fünf kokainsüchtige Hippies, die Mitte der siebziger Jahre beschlossen, eine ehrwürdige und im Sterben liegende englische Blues-Band namens Fleetwood Mac in eine kraftvolle kalifornische Softrock-Band namens Fleetwood Mac zu verwandeln". Thema der Reportage ist natürlich Fleetwood Mac. Schriftstellerkollege und Journalist Martin Caparros ist indes mit einem Filmteam zusammen in Mexiko auf den Spuren des spanischen Eroberers Hernan Cortes gewandelt: "Alles sehr schön und produktiv, bis wir entdeckten, dass am 30. Juli, dem Tag unserer Ankunft, noch ein anderer, weniger alltäglicher Besucher dieses Land betrat: der Bischof von Rom, Herr Karol Wojtyla".
Archiv: Radar

Spiegel (Deutschland), 10.05.2004

Zweimal geht es um die Folterungen im Irak. Gerhard Spörl ist den Befehlsstrukturen im Gefängnis nachgegangen: "In Abu Ghraib gab es in der Theorie eine saubere Arbeitsteilung. Es gab die Offiziere, verantwortlich für Ruhe und Ordnung. Unter ihrem Befehl standen die Militärpolizisten, zuständig für die Bewachung der Gefangenen. Eine Sonderexistenz aber führten die 27 Verhörspezialisten der CIA und des Militär-Geheimdienstes, verstärkt durch Angestellte privater Firmen. Über die wahren Verhältnisse gibt ein 53-Seiten-Bericht Aufschluss, den Generalmajor Antonio Taguba verfasste. Danach vernachlässigten die Offiziere ihre Aufsichtspflicht, und die Militärpolizisten dienten den Verhörern als Büttel - sie sollten die Gefangenen 'auflockern', damit die ihr Wissen über den Widerstand im Lande leichter ausplauderten. Zu den Methoden zählten unter anderem: Übergießen mit Leuchtflüssigkeit, Vergewaltigungen mit Leuchtstäben, Schläge mit Gewehrkolben."

Matthias Matussek lobt die "fulminante Uraufführung" von Martin Crimps "Cruel and Tender" in der Inszenierung von Luc Bondy am Londoner Young Vic. Es ist "das erste Stück zum Irak-Desaster": "'Mit jedem Tag', sagt Luc Bondy, 'ist unsere Inszenierung aktueller geworden.'"

Weitere Artikel widmen sich dem "Tohuwabohu im Regierungslager", einem "Machtkampf" zwischen Gerhard Schröder und Josef Ackermann um die Zukunft der Deutschen Bank und der Strategie der Oppositionsführerin: "Angela Merkel treibt die Regierung mit einer Zermürbungsstrategie vor sich her: Offiziell predigt die CDU-Chefin Zusammenarbeit und Konsens. In Wahrheit setzt sie auf Obstruktion."

Außerdem: Ein kurzer Beitrag über die Ermittlungen gegen den 18-Jährigen aus Norddeutschland, der den Computerschädling "Sasser" programmiert haben soll. Andreas Lorenz berichtet über einen Sex-Shop für Frauen in Peking - und Sexualität in China im allgemeinen. Ein Artikel informiert über jetzt aufgetauchte Stasi-Akten, die den deutschen Conde-Nast-Verlagschef und "Jungstar der Medienbranche" Bernd Runge schwer belasten. Zitat aus der Akte: "Der IM berichtete entsprechend seinen Möglichkeiten ohne Ansehen zur Person. Er benannte alle privaten Kontakte ... und berichtete ausführlich über den Verlauf des Übersiedlungsersuchens seiner Schwester und deren Kontakt zu einem BRD-Bürger."

Nur im Print: Ein Interview mit Präsident Michail Saakaschwili über die Unruhen in Georgien. Besprochen wird der Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und Hannah Arendt. Im Titel lesen wir Auszüge aus der Willy-Brandt-Biografie von Brigitte Seebacher.
Archiv: Spiegel

Times Literary Supplement (UK), 07.05.2004

"Die Frage 'Warum gibt es eher etwas als nichts' provozierte schon Sidney Morgenbesser zu der denkwürdigen Erwiderung: 'Auch wenn es nichts gäbe, würden Sie sich noch beschweren!' Bede Rundles Antwort ist etwas länger, aber genauso kompromisslos." Die Rede ist von dem neuen Buch "Why There is Something Rather Than Nothing" des Oxforder Philosophen Bede Rundle, durch das sich Thomas Nagel (mehr) freudig gegraben hat. Schließlich wurde er mit einer Erkenntnis von Wittgenstein'scher Logik belohnt: "Das Universum muss nicht existieren, also ist die Tatsache, dass es das tut, eine Tatsache, die nach einer Erklärung verlangt."

Christopher Taylor schlägt entsetzt die Hände überm Kopf zusammen über das neueste Machwerk "Glorious Appearing" des evangelikalen Thriller-Teams Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins, die mit ihrer "Left Behind"-Serie die Bestseller-Liste der New York Times anführen. Man könne sich nicht einmal über die Bücher lustig machen, stöhnt Tyler, so furchtbar sei diese Mischung aus "volkstümlichem Humor, süßlichem Sentiment und religiös gerechtfertigten Blutbädern". A. N. Wilson kann C.S. Lewis' Korrespondenz "Collected Letters" nicht viel abgewinnen: Männerschweiß steige von den Seiten auf wie "Pfeifenrauch und Bierdunst in einer Kneipe". Besprochen wird auch der Gedichtband "Chasing Catullus" von Catull-Übersetzerin Josephine Balmer, die Edith Hall anstandshalber nur geschwärzt zitiert.

Monde des livres (Frankreich), 07.05.2004

Adrien de Tricornot, Deutschland-Korrespondnet von le Monde, recherchiert für le Monde des livres das Drama des Hauses Suhrkamp, ohne für deutsche Leser allzu viel Neues zu berichten. Neu vielleicht einzig eine Äußerung Hans Magnus Enzensebergers zum Rücktritt des seligen Stiftungsrats: "Ich hatte nicht eigentlich Konflikte, aber die getroffenen Entscheidungen wichen stark von den Empfehlungen ab", erklärt Enzensberger da. "Wir haben uns entschlossen, nicht mehr mit unseren Namen einzustehen, da wir nicht wirklich Einfluss hatten."
Stichwörter: Suhrkamp Verlag

Economist (UK), 07.05.2004

Klare Worte angesichts der Gefangenenfolterungen in irakischen Gefängnissen findet der Economist in seinem Aufmacher: "Tritt zurück, Rumsfeld." Denn "für das, was passiert ist, muss Verantwortung übernommen werden - und sichtbar übernommen werden - auch auf höchster Ebene. Es ist glasklar, was das bedeutet. Verteidigungssekretär Donald Rumsfeld muss zurücktreten. Und wenn er nicht zurücktreten will, dann sollte George Bush ihn feuern."

Sir Jeremy Greenstock, bis März Großbritanniens Spezial-Gesandter im Irak, liefert seine Einschätzung über die Entwicklungen im Irak. Und die ist erstaunlich positiv, vorausgesetzt die irakische Bevölkerung werde nicht zu lange hingehalten: "Die Demokratie kann in den Augen vieler Irakis ruhig länger brauchen, um sich zu materialisieren, solange die Grundfesten eines normalen Lebens wieder in Sichtweite geraten. Der Satz, der gegenüber Paul Bremers Schreibtisch hängt, erscheint da recht nobel: 'Erfolg hat tausend Väter.' Ich würde dem eine schärfere Variante vorziehen: 'Sicherheit und Arbeit, du Armleuchter.' "

Weitere Artikel berichten über die Weigerung des irakischen Übergangs-Verteidigungsministers Ali Allawi, Offiziere aus dem ehemaligen irakischen Heer in die neue Armee aufznehmen, raten Tony Blair davon ab, ein Labour-Manifest nach dem Vorbild des auf Margaret Thatcher zurückgehenden radikalen "Conservative Manifesto" von 1987 zu erstellen, warnen, dass Polen schon bald dem Rechtspopulismus verfallen könnte, empfehlen Simon Blackburns Plädoyer für die Lust, und würdigen den kürzlich verstorbenen Dichter Thomson William Gunn als leisen Poeten der Homosexualität.
Archiv: Economist

London Review of Books (UK), 06.05.2004

Aufgepasst, "hier spricht Ihr jüngeres Selbst", grinst Ian Sansom und zitiert schaudernd einige besonders wehleidige Stellen aus den Tagebüchern des Schriftstellers John Fowles ("The French Lieutenant's Woman"). Fowles werde nicht müde, seine eigene Überlegenheit darzulegen und sich über "die Kleinheit der kleinen Leute" zu mokieren. Lädt ihn ein benachbartes Ehepaar zum Scrabble-Spiel ein, vergilt er es mit Spott: "Die Armut der Geister, die ganze Abende damit verbringen können, solchen Schrott zu spielen... Die M's sind wunderbar langsam, wirklich; wie menschliche Schnecken, kaum zu glauben." Doch auch vor der eigenen Frau mache Fowles nicht halt: "Mehr Streit mit E... Es ist, als hätte sie eine Art Geisteskrebs. (...) Sie ist emotional zu so wenig zu gebrauchen wie ein Zugvogel vor dem Abflug." Zu einem jedoch, meint Sansom, sei Fowles zu gebrauchen: Die in den Tagebüchern verstreuten Rezepte seien ausgezeichnet.

Weitere Artikel: "Pessimismus und Jungs. Jungs und Pessimismus." Nicht die Jungs, meint Sheila Fitzpatrick, sondern der Pessimismus (will heißen die Kritik an Stalin) im Tagebuch der vierzehnjährigen Nina Lugowskaja ("The Diary of a Soviet Schoolgirl: 1932-1937") brachte diese in den Gulag. Peter Campbell ist ganz bezaubert von den Exponaten islamischer Kunst, die im Londoner Somerset House zu sehen sind und dankt heimlich der Ignoranz, die ihm den Sinn der verschlungenen Kalligrafien und Arabesken vorenthält und dafür ihre Formschönheit zur Geltung bringt. Für den israelischen Politikwissenschaftler Ilan Pappe steht fest, dass Israel geradewegs auf eine Katastrophe zusteuert - auch weil die USA scheinbar gewillt seien, alles von israelischer Seite zu akzeptieren, vorausgesetzt im Friedensplan kommt irgendwie das Wort "Rückzug" vor. Schließlich erinnert Jeremy Harding in den Short Cuts an Frankreichs unrühmliche Rolle in Ruanda. Nur im Print: eine Besprechung von Thomas Laqueurs Kulturgeschichte der Masturbation "Solitary Sex".

Haaretz (Israel), 07.05.2004

In Istanbul beginnt Yossi Klein voller Erwartungen seine Reise mit dem legendären Orient-Express (mehr hier). Doch die romantische Welt von Graham Green und Agatha Christie lässt auf sich warten. Noch in der Türkei warnt ihn ein Schaffner: "Der ganze Zug ist ein Witz. Wer will mit einem Zug fahren, in dem man jede Stunde geweckt wird und ohne ein paar Extra-Dollars nichts läuft?" Nach allerhand Unannehmlichkeiten, skurrilen Begegnungen und wenig Schlaf zwischen Istanbul und Budapest weiß Klein ziemlich genau, was damit gemeint war. Endlich angekommen in Paris tröstet er sich mit einem Zitat von Michael Frayn: "Das Ziel einer Reise ist die Reise selbst."

Aviv Lavie spricht mit dem Politologen Lev Grinberg über die wütenden Reaktionen auf seinen Artikel, der in der belgischen Tageszeitung La Libre Belgique erschienen war: Darin hatte sich Grinberg kritisch zur Ermordung des Scheichs Ahmad Yassin geäußert. Gideon Levy erzählt die Tragödie der Familie Azuka aus Jenin.

Außerdem: Die Firma DocoStory widmet sich der professionellen Buchproduktion privater Memoiren: Eine Branche die in Israel schnell wächst, wo laut Dea Hadar "jeder eine Geschichte zu erzählen hat." Uri Klein beklagt das Niveau der in Israel populären Soap-Opera "Our Song". Dalia Karpel portraitiert den in Ungarn geborenen und in Tel Aviv lebenden Autor David Tarbay und stellt seinen Roman "Stalker" vor. In der Familienrubrik erfährt man mehr über die Brozas und ihre Ikea-Möbel.
Archiv: Haaretz
Stichwörter: Ikea, Tel Aviv, Christies, Orient, Möbel

Nouvel Observateur (Frankreich), 06.05.2004

Im Gespräch erläutert der Leiter des Festival von Aix, Stephane Lissner, weshalb die streikenden Theaterleute und Bühnenarbeiter - die das Festival im vergangenen Sommer platzen ließen -, endlich ihre Anspruchshaltung gegenüber der Regierung aufgeben sollten, und was er für die Zukunft befürchtet: Sollte Aix in diesem Sommer nicht stattfinden, werde das Festival dies nicht überleben. Nur noch unter Polizeischutz spielen zu können, sei "eine undenkbare Situation, dafür ist die Polizei nicht da. Ein Künstler muss sich frei artikulieren können. Und die Polizei bedeutet keine Freiheit! Ich wollte nicht, dass man sagt: dieser Fascho hat die Bullen gerufen, um den Leuten einen Maulkorb zu verpassen."

Hubert Prolongeau porträtiert einige "Textbesessene" und "Vielschreiber" der französischen Schriftstellerzunft, also Leute, die mehrere Bücher im Jahr veröffentlichen: darunter Serge Brussolo (150 Romane seit 1980), Georges-Jean Arnaud (mehr als 400 Romane), Pierre Pelot (150 Romane) und Max Gallo (ein mehrbändiges historisches "Fresko" pro Jahr). Die jüngsten Veröffentlichungen der Vielschreiber finden Sie hier.

Ebenfalls in einem Gespräch wird ein Buch des Schweizer Wissenschaftlers und Harvard-Professors, Alexis Keller, vorgestellt. Keller, der mit finanzieller Unterstützung seines Vaters, die israelisch-palästinensischen Geheimverhandlungen in Genf organisierte, beschreibt in "L?Accord de Geneve. Un pari realiste" (Labor et Fides/Seuil) die Wendungen, Sackgassen und Chancen dieses "Abenteuers". Besprochen werden des weiteren ein Essay von Michel Foucault über Edouard Manet ("La Conference sur Manet", Seuil), eine Biografie des Dramaturgen Jean Giradoux und der Erfolg von Yann Queffelecs jüngstem Roman "Moi et toi" (Editions Fayard).

Zu lesen in schließlich eine Bericht über die Nostalgiewelle im französischen Kino ("eine Art Idealisierung des Lebens und Glücksfall für den Markt") und ein Interview mit Pedro Almodovar anlässlich seines neuen Films "La mala educacion" ("Schlechte Erziehung"), der in diesem Jahr in Cannes laufen wird - außer Konkurrenz, weil Almodovar den Wettbewerb nicht mag und angeblich keinen Preis für einen Film braucht, den er ohnehin sehr liebt.

New York Times (USA), 09.05.2004

Es mag das vielleicht tausendste Buch über die Bush-Administration sein, dafür ist Bob Woodwards "Plan of Attack" auch das bisher beste, meint Ted Widmer. "Dieses Mal war der Hype gerechtfertigt." Woodward beschreibe in seinem berühmten "blutleeren" Stil, wie die Invasion im Irak geplant wurde, und komme den Protagonisten so nah wie noch keiner zuvor. Kurios ist, dass beide politische Lager das Buch begrüßen. "Für die Demokraten beweist es, dass das Weiße Haus tief gespalten ist, korrupt und planlos. Für die Republikaner, die es auf Bushs Wahlkampfseite gestellt haben, präsentiert es einen entschlussfreudigen Präsidenten, der ab und zu vielleicht die Details durcheinander bringt, aber zuversichtlich ist, dass Amerikas Schicksal darin besteht, Freiheit und Licht nach Babylon zu bringen." Als Extra ein kleiner, feiner Text von Todd S. Purdum über Woodwards Erfolgsgeheimnis.

Ganz begeistert ist Claire Messud von A.S. Byatts (mehr) "Little Black Books of Stories" (Auszug): Die fünf "sorgfältig konstruierten" Erzählungen sind nicht nur Meditationen über die Kunst und ihren Platz in der Welt, sondern auch veritable Gruselgeschichten in der Tradition Edgar Allan Poes. Im Jahre 1912 wurde aus Politik Entertainment, behauptet James Chace in seiner Darstellung des Präsidentenwahlkampfes von Woodrow Wilson (Auszug). Richard Brookhiser lobt in seiner Besprechung vor allem Chacers "knackigen" Stil und die "wohl gewählten" Zitate. Das letzte Wort hat Laura Miller, die eindringlich davor warnt, schlechte Bücher unbedingt zu Ende zu lesen. Am Ende des Lebens wird man es bereuen.

Im New York Times Magazine widmet sich Gary Rivlin in einer Reportage den ungekrönten Königen des Glücksspiels, den Slot Machines. Zu Beginn begleitet er einen Automatendesigner bei seiner täglichen Runde im Atlantis Casino Resort in Reno. "Um acht Uhr an einem warmen Sommerabend beobachtete Baerlocher eine Frau in grünen Polyesterhosen und einer gelb-weiß-gestreiften kurzärmligen Bluse, wie sie an einer von ihm entworfenen Maschine mit dem Namen 'The Price is Right' spielte. Zuerst war die Körpersprache der Frau unverbindlich, sie war dem Spiel nur halb zugewandt, als wäre sie nicht wirklich daran interessiert, was ihr Einsatz bringen würde. Dann gewann sie ein Paar kleine Jackpots und nahm Platz. 'Hab Dich', murmelte Baerlocher leise."

Ira Glass klagt über die Hexenjagd nach Unflätigkeiten, die die Medienaufsichtsbehörde F.C.C. seit einiger Zeit betreibt. James Traub warnt vor Katastrophen, deren Vorzeichen ebenso deutlich sind wie jene des 11. September. Jennifer Senior porträtiert Bill Richardson, fülliger und kneipenfester Gouverneur von New Mexico, außerdem Latino und heiß gehandelter Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten der Demokraten.
Archiv: New York Times