Magazinrundschau

Hundert Wege zum Selbstverlust

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
03.05.2016. Wired bietet dem robotischen Tyrannen Paroli. Die LRB würdigt Elspeth Champcommunal für ihre Verdienste um den britischen Modejournalismus. Der Merkur denkt über Gegenwartskunst nach. Der Roman sollte Vorbild für das Bric-à-Brac Europas sein, schlägt Javier Cercas in El Pais Semanal vor. Der New Yorker bringt Trumps Handel mit der amerikanischen Wählerschaft auf den Punkt. Das TLS scheitert an der Männlichkeit der Franzosen. NBC news beschreibt den europaweiten Rollback beim Thema Abtreibung.

London Review of Books (UK), 05.05.2016

Alice Spawls besucht in der National Portrait Gallery die Ausstellung zum hundertjährigen Jubiläum der britischen Vogue, die amerikanische Moderne mit französischem Chic und Bloomsbury-Kreis verbinden wollte: "British Vogue wurde im September 1916 ins Leben gerufen, als deutsche U-Boote (auf ihre Art auch recht schick - silberblau mit muskulären Linien) die Amerikaner daran hinderten, ihre Ausgabe an die britische Küste zu verschiffen. In seinem Katalogtext weist Kurator Robin Muir darauf hin, dass der Beginn der Vogue mit der Einführung des Panzers in der Schlacht an der Somme unter General Haig zusammentrifft, was einem eine Vorstellung von der Bedeutung gibt, die sich das Magazin selbst zuschreibt ... Die erste Chefredakteurin, Dorothy Todd, interessierte sich nicht für Mode. Sie neigte zur Avantgarde, was Nast so nervös machte, dass er sie nach New York holen ließ, um ihr das Verlagsgeschäft beizubringen (sein Ansatz lautete: Kenne dein Publikum). Die offizielle Geschichte der britischen Vogue, begann jedoch weder mit Todd noch mit ihrer Stellvertreterin, Miss Anderon, sondern mit einer Frau mit dem wunderbaren Namen Elspeth Champcommunal, die rechtzeitig für die Weihnachstausgabe 1916 übernahm und ihre Leserinnen informierte, dass für eine Pariserin der Tag erst perfekt ist, wenn sie die Farben des Frühlings trägt. Champcommunal interessierte sich mehr für Mode als Todd, sie kannte Leute wie Paul Poiret, der angeblich als erster ein Kleid entwarf, das eine Frau ganz allein anziehen konnte."

Jacqueline Rose erklärt das Thema Transsexualität oder Transgender zum neuen Abschnitt an der Front der Bürgerrechte. Bei Trans-Fragen gehe nicht darum, mit wem man ins Bett will, sondern als wer. "Trans" heiße nicht nur "von A nach B", sondern auch "zwischen A und B", "sowohl A als auch B" oder "weder A noch B": "Kein Mensch kann ohne Anerkennung leben. Wir alle müssen gesehen werden. Ein transsexueller Mensch macht dies offensichtlich und enthüllt auch die latente Gewalt hinter der banalen Wahrheit, dass wir von anderen Menschen abhängen. Wenn ich nicht ohne dich nicht existieren kann, dann hast du auch die Macht, mich auszulöschen."

Nepszabadsag (Ungarn), 02.05.2016

Der Historiker Balázs Ablonczy war vier Jahre Direktor des ungarischen Kulturinstituts Collegium Hungaricum in Paris und kehrt nun nach Ablauf seines Mandats etwas desillusioniert von der (Kultur-)Politik in die Wissenschaft zurück. Er wird in den kommenden fünf Jahren zum Thema "Trianon" eine zwanzigköpfige Forschungsgruppe an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) leiten. Die Ergebnisse sollen zum hundertsten Jahrestag der Pariser Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg publiziert werden. Im Interview mit Dániel Bita und Péter Pető sagt Ablonczy: "Die Sprache der ungarischen Öffentlichkeit ist zu lyrikbestimmt und fokussiert überwiegend auf die Vergangenheit. In Mittel-Europa ist dies an vielen Orten so, aber in Frankreich beispielsweise nicht. Dort drehen sich Debatten um ethische und philosophische Fragen, es geht nicht darum, was in der Dreyfus-Affäre geschah. (...) Um Entscheidungen zu legitimieren neigen wir hierzulande zum Rückgriff auf die Vergangenheit. Das ist teilweise verständlich, denn in Mittel-Europa ist die Geschichte jene Sprache, die alle verstehen. Selbst die Sportjournalisten, wenn sie bei einer Niederlage historische Beispiele und Lyrikzitate verwenden."
Archiv: Nepszabadsag

Wired (USA), 27.04.2016

Wired setzt seine Reihe über Künstliche Intelligenzen mit Cade Metz' Porträt des Startups OpenAI fort, auf das sich in der dafür relevanten Branche derzeit alle Blicke richtgen. Einer der Clous: OpenAI versammelt zwar Spitzenforscher und -techniker, stellt die Ergebnisse aber (zumindest weitgehend) nach den Prinzipien von Open Source zur Verfügung. Warum dieser Ansatz? Die beiden Gründer "Musk und Altman haben Bedenken, dass, wenn man eine KI entwerfen kann, um damit gute Dinge zu tun, man auch eine KI bauen kann, um damit schlechte Dinge zu tun. Mit dieser Sorge vor robotischen Tyrannen stehen sie nicht alleine. Doch Musk und Altman gehen vielleicht kontraintuitiv davon aus, dass man böswillige KI am besten bekämpft, indem man KI nicht begrenzt, sondern erweitert. ... Als die beiden OpenAI präsentierten, stellten sie OpenAI auch als die beste Methode dar, eine bösartige, künstliche Superintelligenz zu neutralisieren. Gewiss, diese Superintelligenz könnte aus dem technischen Wissen, dass OpenAI zur Verfügung stellt, erwachsen. Doch sie bestehen darauf, dass jegliche Bedrohung dadurch gemildert wird, dass jeder diese Technologie nutzen kann. 'Wir denken, es ist doch um einiges wahrscheinlicher, dass viele, viele KIs so zusammenarbeiten werden, dass sie den gelegentlichen bösen Ausreißer stoppen werden', sagt Altman."
Archiv: Wired

Merkur (Deutschland), 02.05.2016

Worüber sprechen wir, wenn wir über Gegenwartskunst sprechen? Nach dem Besuch der Biennalen in Venedig und Istanbul 2015 und einer Berliner Veranstaltung in diesem Jahr versucht Robin Detje eine Antwort: "In ihren schlimmsten Momenten liest sich die Selbstdarstellung von Enwezors Kunstbiennale wie Psychopharmakawerbung in einer Ärztezeitschrift. Im japanischen Pavillon hängen Hunderte Schlüssel von der Decke, an leuchtenden roten Bändern, ein knalliges Gespinst. Im britischen Pavillon hat Sarah Lucas ihre Arbeiten Jeff-Koonshaft zu glänzenden gelben Riesensmartiewürsten glattpoliert: Kunst, die ihre eigene Zweitverwendung als hochauflösende Illustration schon mitdenkt. Kunst, die sofort überwältigt. Kunst, die ihren eigenen Schlüssel mitliefert. Kunst, die der Werbung Konkurrenz macht, mit ihrem eigenen Selbstmarketing eins wird. Daneben Kunst, die dem Journalismus Konkurrenz macht, der Schule und der Universität, der Revolution, dem Vier-Sterne-Restaurant, der Haute Couture. Werke, die sich sofort nützlich machen möchten, hundertprozentig funktionalisierbar, Druck der Aufmerksamkeitsökonomie. Eine Schau der Selbstenträtselungsversuche, hundert Wege zum Selbstverlust."

Außerdem: Der Autor Per Leo denkt anlässlich einer Konferenz des Philosophischen Seminars der Universität Siegen über die "Schwarzen Hefte" Martin Heideggers, die in einer Debatte über die Frage mündete, was genau denn mit dem Begriff Nationalsozialismus gemeint sei, über den Unterschied zwischen Historikern und Philosophen nach.
Archiv: Merkur

New Yorker (USA), 09.05.2016

In der neuen Ausgabe des Magazins stellt uns Lauren Collins das slowenisch-amerikanische Model Melania Trump vor, die heilige Ausnahme in Donald Trumps nativistischer Weltsicht: "Sie ist der perfekte Werbeträger, ein Model mit der Verhangenheit einer Nonne … Ihre Geschichte ist so nichtssagend, dass man seine Fantasie benutzen muss, um sie zu beleben … Melania scheint die Lebenswelt ihres Mannes internalisiert zu haben, seine Frechheit, seine Neigung zu falschen Dichotomien bei Minderheiten und Frauen. Wie ihr Mann trinkt sie nicht und lässt sich nicht verleiten. In einer ehelichen Variante des Herrchens, das wie sein Hund aussieht, hat sie den Schmollmund ihres Mannes angenommen. Melania ist die perfekte Verkörperung von Trumps Handel mit der amerikanischen Wählerschaft. Obamas Versprechen lautete: Ich bin wie ihr. Trumps Versprechen dagegen lautet: Ihr seid wie ich."

Dexter Filkins sucht nach Spuren der Wirklichkeit in den Texten des Journalisten und Schriftstellers Mohammed Hanif, der den Tod des pakistanischen Militärdikators Mohammed Zia-ul-Haq in bitterböse Satire gegossen hat. "Hanif meint, seine Romane eher zufällig in Pakistan spielen und er kein Interesse daran habe, diesen Ort Außenseitern zu erklären. Aber er weiß auch, dass die besonderen Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten dieser Gesellschaft seinen Geschichten ihre manischen Ecken und Kanten verleiht. 'Ich habe einmal versuchte, eine Geschichte über eine fremde Galaxie zu schreiben, und sie klang bald wie Karatschi', sagt er."

Außerdem: Jeffrey Toobin porträtiert den einflussreichen New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara, der Terroristen, Street-Gangs und Wall-Street-Banker gleichermaßen das Fürchten lehrte. Jake Halpern geht auf Nazi-Schatzsuche in Niederschlesien. Anthony Lane sah im Kino Luca Guadagninos "A Bigger Splash" und Matthew Browns "The Man Who Knew Infinity". Lesen dürfen wir außerdem John L'Heureux' Erzählung "Three Short Moments in a Long Life".
Archiv: New Yorker

Times Literary Supplement (UK), 29.04.2016

In einem schrecklich spöttischen und besserwisserischen Artikel bespricht Clive James "Die Geschichte der Männlichkeit" der französischen Soziologen Alain Corbin, Jean-Jacques Courtine und Georges Vigarello. Je ätzender er wird, umso mehr Lust bekommt man auf das Buch, auch wenn James einige Leerstellen benennt: "Britische Leser werden geschmeichelt sein, dass auch der Männlichkeit Heinrichs VIII. Beachtung geschenkt wird oder vielmehr dem Hosenbeutel, den Holbein entwarf, um sie zu umgürten. Aber es wird sie irritieren, dass Ludwig XIV. und Ludwig XV. zusammen nicht mehr Platz bekommen als Heinrich XVIII.. Man könnte eine Vorliebe für Frankreich verstehen, aber eine Vernachlässigung ist doch seltsam. Die Autoren erwähnen, dass es Ludwig XV. nicht als unmännlich ausgelegt wurde, dass er ein guter Tänzer war - da er mehr oder weniger erfand, was wir heute Ballett nennen, gibt es eine klare Linie von ihm zu Carlos Acosta -, aber es gibt nichts zur interessantesten Sache, die Ludwig XV. in Sachen Virilität tat beziehungsweise nicht tat. Als König hätte er jede Frau haben können, die er wollte, doch als er Madame Pompadour nicht mehr begehrte, blieb sie seine enge Freundin. Es gab immer Kritik an ihrem Einfluss auf seine Staatsführung, und es wäre für ihn von Vorteil gewesen, sie vom Hof fernzuhalten, aber er tat das Gegenteil. Wie lässt sich das erklären?"

Magyar Narancs (Ungarn), 31.03.2016

Bedingt durch eine veränderte Alltagskultur benutzen wir immer weniger herkömmliche Sprichwörter und Redewendungen, meint der Sprachwissenschaftler László Cseresnyési. Der Soziolinguist, der an der Tokioter Shikoku Gaukin Universität unterrichtet, verdeutlicht seine Ausführungen mit zahlreichen Beispielen aus der englischen, deutschen, chinesischen, japanischen und ungarischen Sprache. "Tatsächlich bestand für die Humanisten der späten Renaissance die Anziehungskraft von geflügelten Worten und Sprichwörtern in deren Lebendigkeit und Geistesreichtum. Der Mensch unserer Zeit hält davon nicht so viel. Wer sie zu oft verwendet, gilt weniger als gebildet und klug denn als einfältig und einfallslos. (...) Geflügelte Worte und Sprichwörter sind wie Verwandte vom Lande, die etwas in die Jahre gekommen sind - wir schämen uns nicht für sie, aber wir brüsten uns auch nicht mit ihnen."
Archiv: Magyar Narancs

El Pais Semanal (Spanien), 01.05.2016

"Vom Roman lernen, heißt siegen lernen", lautet Javier Cercas' Rat an Europa, wenn es um Flüchtlinge und Zuwanderung geht: "Der Roman wurde durch Cervantes zur Gattung der Gattungen, zu einem unglaublich wendigen und nahezu endlos anpassungsfähigen Mischlings-Artefakt, einer Art ständig mutierendem, allesfressendem Monster, das verschlingt, was immer in seine Nähe kommt, und sich eben dadurch verwandelt, ohne jemals seine Identität zu verlieren. Dieser unersättliche Appetit, diese Fähigkeit, sich unaufhörlich zu verändern, garantiert die unerschöpfliche Vitalität des Romans - wie auch die Europas: Europa hat nur dann eine Zukunft, wenn es so weitermacht wie in der Vergangenheit, das heißt, wenn es alles in sich aufnimmt, was nicht Europa ist, wenn es sich andere Kulturen, Lebensweisen und Werte auf kreative Weise aneignet und sie in europäische Kulturen, Lebensweisen und Werte verwandelt und so zeigt, dass es eine freiere, wohlhabendere und friedlichere Gesellschaft hervorbringen kann als alle anderen, eine Gesellschaft, in der alle leben und der alle ähnlich sein möchten. Die Identität des Romans besteht genau wie die Identität Europas in seiner Fähigkeit, andere Identitäten aufzunehmen, ohne aufzuhören, er selbst zu sein. Genau darin gründen seine Kraft und seine Zukunft, genau wie die Kraft und die Zukunft Europas."
Archiv: El Pais Semanal

Ceska pozice (Tschechien), 01.05.2016

"Der Islam gehört zur Moderne", sagt die amerikanische Philosophin und Gender-Expertin Judith Butler im Gespräch mit Přemysl Houda. "Sie haben eben gesagt, die Linksintellektuellen würden zur Toleranz gegenüber dem Islam auffordern. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Wort 'Toleranz' stark genug ist für die ethischen und politischen Erfordernisse, um die es hier geht. Wenn Sie etwas tolerieren, ist es Ihnen gewöhnlich unangenehm. Um den Rassismus zu bekämpfen und für ein vielfältiges Europa der Gegenwart zu werben, benötigen wir etwas anderes als Toleranz religiöser und ethnischer Unterschiede - ihre Anerkennung." Auch zum Problem der weiblichen Verschleierung findet Butler klare Worte: "Menschen müssen die Freiheit haben, verschiedene Glaubenssymbole zu tragen - das ist ein Bestandteil der modernen Freiheit, für den wir immer kämpfen müssen. Wir sollten für eine Welt kämpfen, in der Menschen das gleiche Recht haben, einen Hidschab zu tragen wie einen Bikini."
Archiv: Ceska pozice

Slate.fr (Frankreich), 29.04.2016

Frankreich ist unfähig, seine Souveränität gegenüber den Amerikanern zu schützen, erklärt Julian Assange in einem Interview, in dem er auch über die Panama-Papers und seine gegenwärtige Situation spricht. Auf die Frage, warum sich die französische Regierung nicht massiv gegen das Abgehörtwerden durch die Amerikaner gewehrt habe, was Assanges Wikileaks 2015 enthüllt hatte, meint er: "Die französischen Nachrchtendienste sind keine Idioten. Aber sie wollten die britischen und amerikanischen Dienste nicht verstimmen. Dieser Wille war dermaßen stark, das man es vorzog, lieber Opfer zu sein anstatt zu begreifen. Wir haben noch weitere Dokumente, die wir nicht veröffentlich haben. Es gibt immer noch Dinge, die die Geheimdienste bezüglich der Bespitzelung Frankreichs durch die Amerikaner nicht wissen, einschließlich der Bespitzelung innerhalb der politischen Parteien."In voller Länge ist das Interview, das von Arte und Slugnews geführt wurde, hier zu sehen.
Archiv: Slate.fr

NBC News (USA), 26.04.2016

NBC News bringen eine ausführliche, vierteilige Serie über den europaweiten Rollback beim Thema Abtreibung. Polens neues geplantes Abtreibungsgesetzt - das anders als die Auseinandersetzungen um die öffentlich-rechtlichen Medien und das Verfassungsgericht kaum Interesse auslöste - würde auch auf Druck der Kirche in Polen einen Weltrekord an Frauenfeindlichkeit erreichen, schreiben Cassandra Vinograd und Eva Gallica: "Das Projekt wurde von dem porminenten Aktivisten Mariusz Dzierzawski formuliert, der Unterstützer eines Rechts auf Abtreibung beschuldigt, 'Kinder ermorden zu wollen'. Er glaubt, dass weder Vergewaltigung noch eine für die Mutter lebensgefährliche Schwangerschaft eine Abtreibung rechtfertigen. Darum brachte seine Organisation 'Stop Abtreibung' einen Vorschlag im letzten Monat einen Vorschlag ein, der Abtreibung unter allen Umständen mit drei Monaten bis drei Jahren Gefängnis bestrafen will. Mit diesem Gesetz würde Polen die irische Republik und Nordirland (ein Teil Großbritanniens!) noch überholen. Polen wäre eines von ganz wenigen Ländern mit einem totalen Verbot."
Archiv: NBC News

Aeon (UK), 28.04.2016

Steven Nadler, Professor für Philosophie und Judaistik in Wisconsin, gehörte im Jahr 2012 zu einem Beraterstab der Jüdischen Gemeinde von Amsterdam, die überlegte, den berühmten Bann gegen Baruch Spinoza, der von der portugiesisch-jüdischen Gemeinde im Jahr 1656 verhängt worden war, aufzuheben. Es war die strengste Strafe, die diese Gemeinde je gegen ein Mitglied verhängt hatte. Aber auch im Jahr 2012 beließ sie es noch bei dem Bann. Leicht fasslich erklärt Nadler, warum der leider so schwer lesbare Spinoza heute notwendiger ist denn je: "Spinoza wird oft als Pantheist bezeichnet, aber Atheist wäre die korrektere Beschreibung. Spinoza vergöttlicht die Natur nicht. Natur ist nicht der Gegenstand ehrfürchtiger Scheu oder religiöser Verehrung. 'Der weise Mann', sagte er, 'versucht die Natur zu verstehen, nicht sie anzuglotzen wie ein Dummkopf. Die einzig angemessene Einstellung zu Gott oder der Natur ist der Wunsch, sie durch den Intellekt zu begreifen."
Archiv: Aeon

La vie des idees (Frankreich), 03.05.2016

Was unterscheidet eine jungfräuliche Leinwand von einem leeren Bild oder einen simplen Gegenstand von einem Readymade? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der 2013 verstorbene amerikanische Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto, den Laure Bordonaba in einem ausführlichen Porträt vorstellt: "Dantos Thesen selbst zwingen auch dazu, das Konzept der Rolle der Kritik zu erneuern, deren Diskurs sich nicht länger erlauben kann teleologisch zu sein oder 'ästhetisch'... Denn wenn die Geschichte abgeschlossen und an ihrem Ende angelangt ist, kann der Kritiker Werke nicht mehr als Zensor oder Professor mit den Maßstäben des 'Fortschritts' oder 'Rückstands' beurteilen, der in ihnen zum Ausdruck käme. Darüber hinaus verbietet sich Danto ausdrücklich, 'negative' Kritiken zu schreiben; er schreibt nur über Künstler, deren Arbeit er für interessewürdig hält."

New York Times (USA), 01.05.2016

Im aktuellen Magazin der New York Times dreht sich alles ums Geld. Andrew Ross Sorkin erkundet die Amtszeit Obamas hinsichtlich ihrer ökonomischen Erfolge und der Frage, warum das so wenig anerkannt wird: "Obama erklärte mir das Problem des politischen Kapitals. Seine Bemühungen um die Umgestaltung der amerikanischen Wirtschaft nach der Krise 2008 wurden seiner Meinung nach von allen Seiten attackiert und unterschätzt … Trotz seines erfolgreichen Krisenmanagements in den letzten sieben Jahren, blieben viele Menschen auf der Strecke. Obama versteht jetzt, dass sein wirtschaftliches Erbe nicht nur nach Maßgabe dessen beurteilt werden wird, was er erreicht hat, sondern auch danach, wie seine Ergebnisse im Verhältnis zu einer Ära aussehen, in der die Mittelschicht prosperierte, einer Ära, die vielleicht kein Präsident angesichts der Veränderungen in der globalen Wirtschaft je wieder zurückbringen kann."

Außerdem: Annie Lowrey fragt, warum es so schwierig geworden ist, Jobs in der Verwaltung zu finden. Adam Davidson klagt über zerplatzte Mittelschichtsträume in Massachusetts. Und Wesley Morris zeigt, wie sich wirtschaftliche und soziale Veränderungen in amerikanischen Sitcoms widerspiegeln.
Archiv: New York Times