Magazinrundschau

Die ganze Hackordnung runter

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
18.12.2018. Le Monde diplomatique blickt nach New Orleans, wo Schulekinder wie Gänse in Reihe getrieben werden. HVG begutachtet die regierungsnahe ungarische Medienstiftung, die 476 Medien vereint. Die LRB beklagt den Personalüberhang der BBC. La vie des idees verteidigt den Humanismus französischer Ethnografen. Wired sucht einen Filmklassiker im Stream. Die New York Times schickt eine Reportage aus dem Jemen.

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 17.12.2018

Wie in New Orleans nach Hurrikan Katrina der Krieg gegen die Armen und Schwarzen lanciert wurde, hat Naomi Klein in ihrer "Schock-Strategie" einschlägig beschrieben: Das staatliche Krankenhaus wurde geschlossen, der Wohnungsmarkt dereguliert, Sozialbauten abgerissen, der Sicherheitsapparat verstärkt und alles auf den Party-Tourismus ausgerichtet. Besonders bitter findet Olivier Cyran allerdings die Privatisierung der Schulen. Die Gewerkschaften wurden gesprengt, alle 7.500 LehrerInnen der Stadt entlassen und durch Berufanfänger ersetzt, alles auf Betreiben der Demokraten in Louisiana und mit freundlicher Unterstützung der Bill und Melinda Gates Stiftung: "Die Sozialarbeiterin Ashana Bigard bietet eine Rechtsberatung für Eltern an, deren Kinder Probleme mit der Schule haben. Sie meint, der Erfolg des Chartermodells liege vor allem an seinen drakonischen Disziplinarmaßnahmen: 'Sie nennen das die no excuse-Regel. Die Kinder müssen wie die Gänse in einer Reihe marschieren, an manchen Schulen mit einer mehrheitlich schwarzen Schülerschaft wurden sogar die Pausen gestrichen. Sie werden bestraft, wenn sie sich gegen die Wand lehnen, den Kopf auf den Tisch legen oder eine Bluse in der falschen Farbe tragen.' Das Schlimmste sei aber das Redeverbot in der Mensa und während des Mittagsschlafs. Die charter schools sind ihr ein solcher Graus, dass Bigard überlegt, ihre Heimatstadt zu verlassen. 'Ich möchte, dass mein Sohn in der Schule Musikunterricht hat, aber das ist jetzt nicht mehr möglich. Damals, vor Katrina, gab es in allen Klassen Musikkurse, dort haben viele bekannte Musiker angefangen. Mein Großonkel Barney Bigard war ein großer Jazzklarinettist, er hat mit Duke Ellington und Louis Armstrong gespielt - und mein eigener Sohn hat noch nicht mal Zugang zu einem Instrument. Dass ausgerechnet in der Geburtsstadt des Jazz der Musikunterricht abgeschafft wurde, sagt viel über die tief greifenden Veränderungen aus."

Außerdem: Alexis Spire analysiert die Steuerungleichheit in Frankreich. Hicham Alaoui erklärt den Islamismus in jeder Hinsicht für gescheitert. Nur Parolen habe er aufgeboten: "'Der Islam ist die Lösung, und der Koran ist unsere Verfassung' - ein armseliger Ersatz für eine Antwort auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut, marode Bildungssysteme und endemische Korruption."

HVG (Ungarn), 18.12.2018

Nach einer Zählung des Investigativ-Portals Átlátszó werden im kommenden Jahr 476 Zeitungen, Magazine, Internetportale, Radio- und Fernsehsender in der neu errichteten regierungsnahen Medienstiftung programmatisch vereint. Die bisherigen Eigentümer - alle als regierungsnahe Oligarchen bekannt - übertrugen ihre Eigentumsrechte auf die Stiftung ohne eine Entschädigung. Yvette Szabó und Richárd Tóth denkenüber die Gründe für diese großzügige Transaktion nach. "Die Schenkungslust der bisherigen Eigentümer zeigt genau, dass sich die Medien lediglich solange rechnen, wie die Staatsmacht die von ihr kontrollierten Anzeigen- und Werbeausgaben direkt oder indirekt in Richtung dieser Firmen lenkt. Daraus folgt, dass das neue Stiftungsvermögen lediglich solange einen Wert hat, wie der Staat dahinter steht. Die Existenz der Stiftung ist lediglich in einem politischen Abhängigkeitsverhältnis interpretierbar, marktbasiert ist sie wertlos. Beobachter stellen fest, dass Orbán mit dieser Umstrukturierung für Jahrzehnte die Struktur und Kontrolle der Presse organisieren will. Dass ein eventueller Regierungswechsel seine Pläne zunichte machen könnte, kommt ihm gar nicht in den Sinn."
Archiv: HVG

London Review of Books (UK), 17.12.2018

Die BBC muss laut Statut neunzig Prozent aller Zuschauer erreichen. Doch nachdem sie bereits die Premier League verloren hat, droht ihr auch der Verlust der Rechte an Wimbledon oder David Attenboroughs Dokus. Und dann soll sie auch noch mit Netflix konkurrieren, das allein 2018 zwölf Milliarden Dollar für Inhalte ausgeben konnte. Mit 3,8 Milliarden Pfund kann die BBC das nicht finanzieren, räumt Owen Bennett-Jones ein. Andererseits leide der Sender auch eindeutig unter einem inkompetenten, überbezahlten Management - und viel zu üppig ausgestatteten Redaktionen. Warum sollen dreißig Leute zum Weltwirtschaftsforum nach Davos? Hundert zum Staatsbegräbnis von Nelson Mandela? "Solche Exzesse sind nicht nur teuer, sondern kontraproduktiv. ... Gelegentlich erscheint auf den Bildschirmen neuer Mitarbeiter die Botschaft: 'Bitte nicht bei XY anrufen. Wenn sie noch einen Anruf von der BBC bekommen, reden sie nie wieder mit uns.' Solche Probleme entstehen, weil jedes Programm über sein eigenes Budget verfügt. Das heißt, dass die BBC niemals ihre Mittel in großem Maße einsetzen kann. Denn es bedeutet auch, dass für BBC-Journalisten die größte Konkurrenz immer die eigenen Leute sind. Typischerweise wird es ein Korrespondent, der für die Zehn-Uhr-Nachrichten einen amerikanischen Parteitag abdeckt, für unter seiner Würde halten, einem anderen Magazin einen Bericht zu schicken. Die ganze Hackordnung runter wird jeder Korrespondent seinen eigenen Status dadurch bestärken, dass er es ablehnt, in einem Programm zu erschienen, über das er sich erhaben fühlt, während er immer versuchen wird, in das nächst höhere zu kommen. Am unteren Ende werden Radio Wales und Radio Schottland von Freien bedient, denen es egal ist, ob sie von 'Today' oder 'Good Morning Scotland' vierzig Pfund für drei Minuten bekommen. Weil jedoch nichts vertraglich festgelegt ist, sind die Grenzen permanent umkämpft und in Bewegung. Bei all diesem Gezerre wird kaum ein Gedanke daran verschwendet, was die anderen Medien machen. Für einen BBC-Korrespondenten ist es egal, ob ITV ein Interview mit jemandem bekommt. Wichtig ist allein, dass kein anderer aus der BBC es bekommt."

Weiteres: T.J Clark preist in seinem sehr schönen Text die Ausstellung "Mantegna und Bellini", die jetzt noch in der National Gallery in London und ab März in der Gemäldegalerie in Berlin zu sehen sein wird. Und da er sich nicht unbedingt durch Besuchermassen hindurchkämpfen muss, wie er bemerkt, hat er Zeit, die "Darbringung Christi im Tempel" in der zarten Version von Bellini und in der lebensprallen von Mantegna zu vergleichen. John Lanchester grübelt über die Frage, warum er viel lieber Agatha Christie liest als Margery Allingham and Dorothy Sayers, die eigentlich die besseren Schriftstellerinnen waren. Sein Ergebnis: Deren Bücher funktionieren einfach nicht so gut: "Je höher das Maß an Schriftstellerhaftigkeit desto größer ist das Risiko des Scheitern, genremäßig."

La vie des idees (Frankreich), 13.12.2018

Ohne jede Anspielung auf die aktuelle Diskussion um Restitution und auf den Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr bespricht Maria Beatrice Di Brizio den monumentalen Band "Les années folles de l'ethnographie - Trocadéro 28-37" über das Musée d'ethnographie du Trocadéro, aus dem später das berühmte Musée de l'homme wurde (das nebenbei übrigens einer der Geburtsorte der Résistance war). Die französische Ethnografie, so Di Brizio, habe sich von der angelsächsischen gerade in der Konzentration auf die Objekte und ihren Gebrauch unterschieden. Das Museum werde in dem Band mit vielen Beiträgen auch "als Zeuge der französischen Kolonialmacht und eines neuen Humanismus in den Blick genommen, der alle abwertenden Stereotype 'äthetischer, kultureller oder rassischer' Art, nach denen die weit entfernten Völker damals noch beurteilt wurden, ablehnte... Durch die Analyse der materiellen Gegenstände der Zivilisationen zeigt das Museum 'den Besuchern, was sie mit dieser exotischen Humanität alles gemein haben' (so C. Laurière auf Seite 410), besonders 'die Geste', die 'Technik und die Kunst', die so eine Neubewertung des Verhältnisses zu kultureller Andersheit beim Publikum auslösten."

New Yorker (USA), 31.12.2018

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker erklärt Susan B. Glasser, wie Donald Trump die europäischen Regierungen gegen sich aufbringt, allen voran Angela Merkel: "Trump bezeichnet die EU inzwischen öffentlich als Feind und das fördert einen Nationalismus, den Macron und Merkel als direkte Bedrohung sehen. Außenminister Mike Pompeo griff vor kurzem die Vereinten Nationen, die EU, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds an und verspottete die, wie er es nannte, mangelhafte Vision Europas vom Multilateralismus als Selbstzweck … Eine Herausforderung besonders für die Deutschen, deren Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg durch die engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten entscheidend geprägt wurden. Merkel ist in der kommunistischen DDR aufgewachsen und betrachtet die Vereinigten Staaten als wesentlich für die Befreiung des Ostens und die deutsche Wiedervereinigung. Als Kanzlerin der größten und reichsten Nation Europas hat sie versucht, den Kontinent durch die Auseinandersetzung mit Trump zu führen, hadernd, da die Worte des Präsidenten eine schmerzhafte Wahrheit ansprechen: Die Europäer sind von den USA in Sachen Sicherheit abhängig und zunehmend gespalten, da Putins Russland die Nationen im Osten bedroht … Zu Trumps Kritik an Merkel erklärte mir ein Sprecher des Weißen Hauses: 'Er ist oft besonders hart gegen seine Freunde, und er hält Merkel für eine gute Freundin. Er betrachtet Deutschland als ein mächtiges, wohlhabendes Land, das mehr für die Verteidigungsausgaben tun sollte.' Die Risiken für Trump sind beträchtlich: Nenne deine Freunde lange genug Feinde, und irgendwann werden sie dir vielleicht glauben. Das wäre vielleicht das Ende der Pax Americana."

Außerdem: Jianying Zha berichtet über Chinas Methoden, mit politischen Aktivisten fertig zu werden. Und Ben Taub befürchtet, dass der brutale Umgang der irakischen Führung mit Dschihadisten und deren Familien zu einer Neubelebung der Terror-Organisation führt. Anthony Lane sah im Kino die neue "Mary Poppins". Alex Ross hörte György Kurtágs neue Oper "Fin de Partie" an der Scala. Und Adam Gopnik lernt aus Shachar Pinskers Buch "A Rich Brew: How Cafés Created Modern Jewish Culture", welche Rolle Cafés für den Liberalismus spielten.
Archiv: New Yorker

Lidove noviny (Tschechien), 16.12.2018

In Tschechien ist soeben ein dicker Essayband mit journalistischen Texten aus drei Jahrzehnten des Schriftstellers Jáchym Topol erschienen. Aus diesem Anlass unterhält sich Radim Kopáč mit ihm über den Wandel der publizistischen Inhalte - oder eben deren Wiederkehr: "Mit einer gewissen Sorge ist mir klar geworden", so Topol, "dass Leute meiner Generation mit der aktuellen Agressivität von Putins Regime, mit der Eskalation des Kriegs in der Ukraine in eine Art Zeitschleife geraten sind. Ich komme aus einer Generation, die immer noch sowjetisiert war, wir mussten Russisch lernen, waren verpflichtet, Brieffreundschaften mit russischen Schülern zu führen, Russland rief Angst hervor - und dann ist das alles zerplatzt und wir glaubten, dass Russland nach der Wende demokratisch, kameradschaftlich und gut sein würde. Es zeigt sich, dass das ein Irrtum war: Schon zum zweiten Mal im meinen Leben spielt Russland die Rolle des Aggressors. Es sind immer noch die gleichen Kulissen, in denen man sich bewegt und die Verzweiflung schüren; andererseits ist da auch ein wenig Erleicherung - es ist eine wohlbekannte Welt." Nach der Wende war Topol neben seiner Tätigkeit als Romanschriftsteller unter anderem Redakteur bei der Wochenzeitschrift Respekt und der Tageszeitung Lidové noviny, bevor er an die Václav-Havel-Bibliothek wechselte. "Ich bin stolz darauf, dass Respekt als Vertreter des osteuropäischen antikommunistischen Widerstands, der aus dem Samisdat hervorgegangen ist, sich erhalten hat - im Unterschied zu ähnlichen Medien in Polen, Ungarn oder Russland. Dass die Zeitung Lebensfähigkeit bewiesen hat und die Leute sie lesen. Bei der Lidové noviny finde ich es schrecklich desolat, dass sie dem Premierminister dieses Landes gehört. Und selbst wenn's der heilige Franz von Assisi wäre, wäre es schlecht."
Archiv: Lidove noviny

Wired (USA), 12.12.2018

Antonio Garcia Martinez lässt sich von der allgemeinen Kater-Stimmung im Netz nicht beirren: Ja, es mag Trolle geben, Clickbaiting, derbe Diskursverzerrungen durch irgendwelche Schreihälse, nicht zuletzt zerfällt die Öffentlichkeit in immer kleinere Splitter - aber: Für den intellektuellen Diskurs ist das Internet nach wie vor ein Segen und Paradies. "Man denke inmitten all dieses Online-Gelärms nur einmal zurück an jene Zeiten, als eine Fernsehserie über zwei vergnügte Twentysomehtings, die sich eine gemeinsame Kellerwohnung teilen  und diese nie zu verlassen scheinen, und deren ausgiebig ausgewalzter Running-Gag darin bestand, dass der eine der beiden Milch-und-Pepsi-Cocktails trank, die populärste Show des Landes war ('Laverne & Shirley' ist gemeint, Kinder). Danach greife man zu einem smarten Podcast, in dem zwei intellektuelle Antagonisten einander beharken wie einst Lincoln und Douglas. Dann gehe man auf Twitter und entkräfte die Argumente des einen mit Zitaten aus dem heruntergeladenen Kindle-Buch des anderen. Man lasse beide antworten und sich im Zuge von irgendeinem Typen trollen, den man dann einfach blockiert. Schließlich lese man eine 3000 Wörter umfassende Antwort wieder eines anderen auf Medium. Man denke nur daran, wie eine solche Konversation sich früher exklusiv auf Elitekreise beschränkt und sich wahrscheinlich auch nicht innerhalb eines Radius von 1000 Meilen um die eigene Heimatstadt abgespielt hätte. Danach fühlt man sich vielleicht wieder ein klitzekleines bisschen besser über den Status Quo der Medien. Die Propheten des Niedergangs existieren nur aus einem Grund: um uns vor Risiken zu warnen, solange es noch die Möglichkeit gibt, einen anderen Kurs einzuschlagen. Die Gesellschaft hat ihre Wahl getroffen, aber dank der Zersplitterung der Öffentlichkeit kann jeder seine eigene Entscheidungen treffen. Wähle weise!"

Film-Streaming lockt mit Versprechungen allgemeiner Zugänglichkeit - und stellt damit das Geschäftsmodell von Videotheken und Heimmedien-Herstellern zunehmend in Frage. Doch die Realität sieht anders aus, schreibt Brian Raftery, der bereits eine (wenn auch auf Sammler beschränkte) Renaissance zumindest aufwändig gestalteter BluRay-Editionen heraufdämmern sieht: "Eine der Hauptantriebskräfte dahinter ist die simple Tatsache, dass in den Angeboten der 'Mainstreamers' - also bei allen von Netflix über Amazon Prime bis Apple - gewaltige Lücken klaffen. Diese Grenzen wurden im vergangenen Jahr schmerzhaft spürbar, als einige Filmfreunde mal genauer hinschauten und ihnen dabei auffiel, dass viele ihrer Lieblingsfilme - nicht nur alte Klassiker, sondern auch semi-alte Blockbuster wie 'True Lies' - in digitaler Form kaum aufzufinden waren. Bekräftigt wurde dieser Punkt noch durch die überraschende Schließung des ambitionierten, gut kuratierten Angebots FilmStruck, wo man Warner-Klassiker und Arthausfilme von Criterion sehen konnte. FilmStrucks Niedergang verdeutlichte, wie flüchtig Streaming ist: Wenn deine Lieblingsfilme nicht im Regal stehen, dann stehen die Chancen gut, dass sie über kurz oder lang verschwinden könnten."

Außerdem: Cholerische Wutanfälle, willkürlich ausgesprochene Kündigungen und ein vergiftetes Arbeitsklima  - wer sich schon immer gefragt hat, wie es um mögliche menschliche Defizite bei Elon Musk bestellt ist, kriegt in Charles Duhiggs epischer Reportage über "Teslas Produktionshölle" hinreichend Material an die Hand. In der britischen Wired-Ausgabe hat Amit Katwala vor einigen Wochen Musk porträtiert.
Archiv: Wired

Elet es Irodalom (Ungarn), 14.12.2018

Jenő Setét, der Vorsitzender des Vereins für Interessen der ungarischen Roma, "Idetartozunk" ("Wir gehören hierzu"), denkt im Gespräch über die Auswirkungen der flüchtlingsfeindlichen Kampagne auf die ungarische Mehrheits- und die Roma-Gesellschaft. "Diese Kampagne der Regierung schadet dem ganzen Land. Sie weckt wahre Ängste, die auf unwahren Behauptungen basierend. Es ist eine Tatsache, dass aufgrund der Kampagne seit geraumer Zeit nicht die Roma als Sündenbock Nummer eins und als Feind gelten. Wir könnten sagen, dass dies eine Erleichterung sei. Leider ist es aber so, dass dort, wo die Menschen- und Staatsbürgerrechte dermaßen an Wert verlieren, früher oder später auch die Minderheiten in Schwierigkeiten geraten. Der 'Migrant' kann jederzeit gegen 'Linke', 'Liberale', 'Obdachlose', mit dem CEU, mit der Akademie der Wissenschaften ausgetauscht werden. So auch gegen die Roma, auch wenn diese die flüchtlingsfeindliche Kampagne ebenso akzeptierten wie die Mehrheitsgesellschaft. Gegen emotionale Fixierungen kann man offenbar mit den Mitteln der Vernunft kaum ankämpfen."

Eurozine (Österreich), 11.12.2018

Andrej Soldatow ist ein investigativer russischer Journalist, Mitbegründer des Blogs Agentura.ru, das sich mit russischen Geheimdiensten befasst. Er erzählt in einem Originalbeitrag für Eurozine die Geschichte des Internets in Russland seit den frühen Neunzigern, die auch eine Geschichte des Missbrauchs des Internets ist. Seine These ist, dass das frühe Internet bessere Empfehlungsmechanismen über Vertrauen hatte, während es im Zeitalter der sozialen Medien nur noch über die Menge der "Shares" läuft. Auch der Privilegierung seriöser Medien, die Facebook gegen Fake News einzusetzen behauptet, traut er nicht: "Das Konzept des öffentlichen Vertrauens ist so stark beschädigt, dass solche Versuche auch nichts mehr verändern. Wer würde denn heute Facebook noch glauben, dass es hinreichend ehrlich, intelligent und transparent ist, um Medien richtig zu hierarchisieren? Und warum sollte man die Entscheidung über die Hierarchisierung Facebook überlassen? Noch wichtiger ist aber die Feststellung, dass diese Methode keine Antwort auf die Frage bietet, was zu tun ist, wenn Millionen Menschen Fake News oder Beleidigungen weiterleiten. Die Vox Populi kann nicht ignoriert oder verboten werden, auch nicht ihr hässlicher Teil. Und in der schönen neuen Welt kann sie auch rein technisch nicht aus dem Internet entfernt werden."
Archiv: Eurozine

New York Times (USA), 09.12.2018

Für das Magazin der New York Times besucht Jeffrey E. Stein den Jemen, wo die Saudis mit Hilfe von amerikanischer, französischer und britischer Logistik Luftangriffe fliegen. Was er dort sieht, ist nichts für schwache Nerven. Die wirtschaftspolitischen Hintergründe schildert er so: "Anfang Oktober dieses Jahres machten Nachrichten über das Verschwinden eines prominenten saudischen Dissidenten die Runde. Der Journalist Jamal Khashoggi, der das saudische Regime in der Washington Post kritisierte, besuchte das saudische Konsulat in Istanbul zu Recherchezwecken und tauchte nie wieder auf. Er wurde von saudischen Killern brutal ermordet und zerstückelt. Der amerikanische Geheimdienst beschuldigte den saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman, in das Attentat verwickelt zu sein. Khashoggis Tod vermochte, was tausende Tote im Jemen nicht vermochten: die Aufmerksamkeit auf das fragwürdige Verhältnis der USA zur saudischen Monarchie zu lenken. Am 28. November stimmte der Senat über eine Resolution zur Eröffnung der Debatte über die Beendigung der amerikanischen Rolle im Jemen ab und verabschiedete sie. Doch das Weiße Haus droht, jedes Gesetz mit einem Veto zu belegen, das die amerikanische Beteiligung am Konflikt aufhebt, und verteidigt die Beziehung zu Saudi-Arabien. Anfang November gab Präsident Trump eine offizielle Erklärung ab, in der er seine anhaltende Unterstützung der Saudis verteidigte. 'Nach meiner Reise nach Saudi-Arabien vergangenes Jahr stimmte das Königreich zu, 450 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten zu investieren', heißt es in der Erklärung. 'Von den 450 Milliarden werden 110 Milliarden für den Erwerb militärischer Ausrüstung von Boeing, Lockheed Martin, Raytheon und anderen großen US-Verteidigungsunternehmen ausgegeben.'"
Archiv: New York Times