Magazinrundschau
Fieser kleiner Angeber
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
25.08.2009. Atemlos beschreibt der ungarische Autor Janos Hay in Eurozine seinen Aufenthalt in Indien. Frontline hat ein umfangreiches Dossier über Ehrenmorde bei Hindus und Sikhs zusammengestellt. Als krude Mischung aus Sexismus und Rassismus geißelt The Nation die Behandlung der südafrikanischen Athletin Caster Semenya. In Osteuropa erzählt Michail Ryklin, wie Walter Benjamin den Hitler-Stalin-Pakt aufnahm. Wie man in New York mit unfähigen Lehrern umgeht, beschreibt der New Yorker. In HVG plädiert der Soziologe Andras Kovats für eine neue Einwanderungspolitik in Ungarn. Das New York Times stellt fest: Wenn arme Frauen zu Geld kommen, hilft das nicht ihren Töchtern.
Eurozine | New Statesman | Magyar Narancs | Economist | Elet es Irodalom | New York Times | Frontline | The Nation | Osteuropa | New Yorker | Espresso | London Review of Books | HVG | Spectator
Eurozine (Österreich), 24.08.2009

Nur ein anderer längerer Text (auf Englisch) von Janos Hay findet sich noch im Netz: die Erzählung "The Sun", die in der European Cultural Review veröffentlicht wurde. Auf Deutsch ist von Hay nur ein lange vergriffenes Buch bei Amazon zu finden.
Frontline (Indien), 15.08.2009

Weitere Artikel: Wie hoch die Anzahl der "Ehrenmorde" genau ist, weiß niemand, erklärt Brinda Karat, Parlamentsabgeordnete der Kommunistischen Partei Indiens, im Interview. Ihre Anfrage im Parlament wurde mit der Antwort beschieden, "dass es eine solche Kategorie nicht gebe und deshalb auch keine Daten darüber erhoben würden". Der Politologe Ranbir Singh erklärt die historischen und politischen Hintergründe der Khap panchayats. Die Juristin und Frauenrechtlerin Kirti Singh erklärt im Interview, warum diese "Ehrenmorde" Ausdruck einer "tiefen Verachtung für die Wünsche junger Menschen" sind, und sie fordert ein spezielles Gesetz "dass diese Morde als Gemeinschaftsmorde betrachtet und auch die Panchayats dafür verantwortlich macht und bestraft". Venkitesh Ramakrishnan berichtet über einige barbarische Morde an jungen Paaren (die Opfer wurden in Stücke gehackt) im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh (Karte) und beschreibt das Schweigen, dass diese Morde umgibt: Nicht nur die Dörfler, auch die politischen Parteien wollen sich nicht dazu äußern. Vor allem wollen sie nicht zugeben, dass ein Caste panchayat "eine ungesetzliche Einrichtung ist, die keine rechtsstaatliche Gültigkeit beanspruchen kann". T.K. Rajalakshmi zitiert verschiedene Gerichtsentscheidungen, die sich mit "Ehrenmorden" befassen.
Und S. Dorairaj hält fest, dass es "Ehrenmorde" nicht nur im Norden Indiens gibt, sondern auch in dem an der Südostspitze Indiens gelegenen Bundesstaat Tamil Nadu (Karte). Hier sind allerdings fast immer Frauen die Opfer. Und dann gibt es noch eine lokale Besonderheit: Nach ihrer Ermordung erklärt man die Frauen zu Göttinnen. "S. Madasamy, ein ehemaliger Koordinator der 'Arivoli Iyakkam' (Alphabetisierungs-Bewegung), der eine großflächige Studie über die Geschichte wenig bekannter Göttinnen durchgeführt hat, sagt, Ehrenmorde gebe es hier noch immer, und sie würden zumeist von intoleranten Verwandten von Frauen begangen, die ihr Leben selbst bestimmen und selbst einen Partner hatten wählen wollen. Um der Polizei und juristischen Nachforschungen zu entgehen, verherrlichen die Täter ihre Opfer, indem sie in den Dörfern einen 'putam' errichten, einen Erdhügel oder einen kleinen Bau aus Backsteinen, um sie dann als Göttinnen zu verehren, sagt er. ... Die Verehrer und Priester dieser Tempel behaupten, dass die vergötterten Frauen aufgrund übernatürlicher Kräfte verschwunden seien und nicht ermordet wurden." Madasamy hat in den 1990ern über 300 solcher Altäre gefunden.
The Nation (USA), 21.08.2009
Man kann darüber diskutieren, ob sportliche Wettbewerbe weiter nach Geschlecht getrennt durchgeführt werden sollen. Aber die Art, wie die südafrikanische Athletin Caster Semenya behandelt wird, ist unter aller Kanone, finden Dave Zirin und Sherry Wolf. "Seit es Frauensport gibt, wurde die Beschreibung der besten Athletinnen als 'Mannsweiber' durchgängig dazu benutzt, sie herabzusetzen. Als Martina Navratilova das Frauentennis dominierte und stolz ihren gemeißelten Bizeps entblößte - das war Jahre bevor Hollywood Mädels mit Kanonen feierte - beschwerten sich Spieler, dass bei ihr 'irgendwo ein Chromosom lose sein müsse'. Ein Minenfeld aus Sexismus und Homophobie hat jahrzehntelang Athletinnen in Magazine wie Maxim getrieben, wo sie ihre Sexyness und damit implizit ihre Heterosexualität beweisen wollten. Vor allem in der Leichtathletik war man immer vom Geschlecht besessen, vor allem, wenn Rassismus im Spiel war. Vor fünfzig Jahren schlug der IOC-Vertreter Norman Cox vor, das Internationale Olympische Komitee solle für schwarze Frauen 'eine spezielle Wettbewerbs-Kategorie einrichten - diese unfair bevorzugten Hermaphroditen'."
Osteuropa (Deutschland), 15.07.2009

Online ist auch die Erklärung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial zu der von Präsident Medwedjew eingesetzte Kommission gegen angebliche Geschichtsfälscher: "Welche Bedeutung die Kommission für den Staat hat, zeigt schon ihre Zusammensetzung. Da finden sich der Inlandsgeheimdienst FSB, der Auslandsnachrichtendienst, der Sicherheitsrat, das Außen- und das Justizministerium, ja sogar der Generalstabschef der Armee. Vorsitzender ist der Chef der Präsidialverwaltung Sergej Naryskin. Die professionellen Historiker unter den 28 Kommissionsmitgliedern kann man an einer Hand abzählen."
Auf der Seite von Eurozine dürfen wir Stefan Troebsts ein wenig verwickelten, aber sehr interessanten Artikel über den Hitler-Stalin-Pakt als lieu de memoire lesen, der vielleicht in Westeuropa und in Russland ignoriert wird, nicht aber in Mittelosteuropa und den baltischen Ländern: "Gewicht und Inhalt des europäischen Erinnerungsortes 'Hitler-Stalin-Pakt' werden also in den verschiedenen Teilen Europas ganz unterschiedlich bemessen und interpretiert. Im Westen herrscht Ignoranz vor, im Osten Verdrängung und in der Mitte wirkt dieser lieu de memoire als weiterhin stark schmerzende gesellschaftliche Narbe."
New Yorker (USA), 31.08.2009

Uli Edels jetzt auch in den USA angelaufener Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" hat Anthony Lane immer wieder in diesen "gewaltigen Strom europäischer Angst" gerissen und über "fließend Hegelianisch" sprechende Deutsche staunen lassen. Er hat ihn allerdings auch etwas ermattet: "Die moralische Mission des Regisseurs, die ganze Saga auszubreiten, kollidiert schrecklich mit seinem ästhetischen Imperativ, stramm zu erzählen."
Weiteres: Laura Secor erklärt den iranischen Machthabern, dass Schauprozesse nur bedingt wirken, wenn die Angeklagten Vertreter einer Volksbewegung sind. James Surowiecki analysiert die Angst der Amerikaner vor der Gesundheitsreform und anderen Veränderungen des Status quo. Alex Ross lobt die Kunst der Kadenz.
Espresso (Italien), 21.08.2009

London Review of Books (UK), 27.08.2009

Besprochen werden außerdem Andy Bennetts Geschichte Großbritanniens in den siebziger Jahren "Als die Lichter ausgingen" und Dubravka Ugresis Neuerzählung der Märchen von "Baba Yaga". Peter Campbell hat in der National Gallery die Ausstellung "Corot to Monet: A Fresh Look at Landscape from the Collection" besucht.
HVG (Ungarn), 15.08.2009

Spectator (UK), 22.08.2009

Kate Williams wappnet sich. Quentin Tarantinos Nazi-Burlesque "Inglourious Basterds", seufzt sie in einem Kommentar, ist das Fanal dafür, auch die schlimmsten Momente der menschlichen Geschichte durch den großen Fleischwolf der globalen Unterhaltungsindustrie drehen zu dürfen. "Als Mel Brooks' 'The Producers' in Berlin anlief, wurden die Beschwerden über die Nazi-Symbole in der Marketingkampagne als letzte übersensible Seufzer einer älteren Generation vom Tisch gewischt. Diejenigen, die den Holocaust eher schmerzhaft als unterhaltsam sehen, werden als alte Garde verstanden. Wenn keiner mehr betroffen ist und das Nachdenken über die Schuld passe ist, dann steht alles zur Verfügung. Was kommt als nächstes - ein Film, der Nazi-Ärzte für ihre Pionierarbeit in der Gentechnik preist?"
New Statesman (UK), 21.08.2009

Im Aufmacher fassen Maha Atal und Damian Kahya gut verständlich, aber ohne neues hinzuzufügen, den Stand der Besorgnis um Googles dominierende Position im Such- und Anzeigengeschäft zusammen.
Magyar Narancs (Ungarn), 13.08.2009

Economist (UK), 21.08.2009

In weiteren Artikeln geht es unter anderem um den möglicherweise bevorstehenden Siegeszug des per Handy lesbaren Barcodes und die Insolvenz der amerikanischen Ausgabe von Reader's Digest. Besprochen werden eine Biografie der brasilianischen Autorin Clarice Lispector (Verlagsseite) und zwei Sammelbände mit Verstreutem von Timothy Garton Ash (Verlagsseite) und John Gray (Verlagsseite).
Elet es Irodalom (Ungarn), 07.08.2009

New York Times (USA), 23.08.2009

Tina Rosenberg nuanciert den Glauben, dass Frauen, wenn sie, etwa durch Mikrokredite, zu Wohlstand kommen, automatisch ihren Töchtern helfen - im Gegenteil: Gerade in reichen Regionen Indiens fehlen Mädchen. Der Grund ist einfach: "Wohlhabende Familien sind kleiner, die einzelne Geburt wird wichtiger. In Familien mit sieben Kindern ist die Geburt eines Mädchens eine Enttäuschung, in einer Familie mit zwei oder drei Kindern eine Tragödie." Darum werden Mädchen häufig abgetrieben. Ohne Veränderung der von der westlichen Linken neuerdings so geschätzten "Kulturen", so Rosenberg, wird's also nicht gehen.
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