Magazinrundschau

Einzigartig, aber nicht groß

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
28.05.2019. Shakespeare war eine Frau, behauptet The Atlantic. Bloomberg lässt sich von dem französischen Ökonomen Gabriel Zucman erklären, wie man die Superreichen richtig besteuert. Respekt erklärt, warum ihre schwejksche Natur die Tschechen immerhin halb immun gegen die Rechte macht. In Eurozine plädiert Yemisi Akinbobola für einen neoliberalen Feminismus in Nigeria. Das TLS begleitet Michel Foucault auf einem LSD-Trip im Death Valley. Im New Statesman versichert Maurice Glasman seinen Brüdern von der britischen Linken: Die Juden sind nicht schuld am Sieg des Kapitalismus. Engadget probiert das neue Fleisch, das keins ist.

New Statesman (UK), 22.05.2019

In der neuen Ausgabe des Magazins untersucht Maurice Glasman den Status quo der jüdischen Linken in Britannien, der vor allem deshalb so prekär ist, weil die britische Linke das Judentum in den USA und Israel heute mit Kapitalismus, Imperialismus und Rassismus gleichsetzt: "Wie kam es dazu, dass das einzige Land im Nahen Osten mit freien, demokratischen Gewerkschaften, mit einem Wohlfahrtsstaat, mit sehr hoher Alphabetisierungsrate und niedriger Kindersterblichkeit, mit Rechten zur Gleichstellung der Frau und für Homosexuelle von so vielen auf Seiten der Linken mit dem islamischen Staat verglichen wird? Es ist eine Frage, die wir verstehen müssen, weil die Koalition zwischen postkolonialer Politik, Islamismus und fortschrittlichem Denken die dominierende unserer Zeit ist. Wie konnte es passieren, dass die Linke die Protokolle der Weisen von Zion für das digitale Zeitalter übersetzte und bewarb? Ein Teil der Antwort ist, dass sich die zentralen Annahmen der Linken sämtlich gegen die Juden gewandt haben. Früher gab es ein ernsthaftes sozialistisches Engagement für eine Form der Wirtschaft, die auf rationalen Prinzipien und Kooperation beruht, nicht auf Verschwendung und Wettbewerb. Die linke Position beruhte eher auf Klasse und Ausbeutung als auf Identität. Dieses Element ist weggefallen und nicht mehr das zentrale Merkmal fortschrittlicher Ideologie … Der linke Antisemitismus mag teilweise auf das Versäumnis des Sozialismus zurückzuführen sein, den Kapitalismus zu bezähmen, aber das macht ihn nicht weniger real. Tatsächlich spielt der Antisemitismus innerhalb der linken Ideologie eine Rolle dabei, das Versagen des Sozialismus, den Kapitalismus einzuschränken, plausibler zu machen. So gesehen ist Israel kein Beispiel für jüdische Selbstbestimmung oder eine Reaktion auf Unterdrückung, sondern eine Manifestation von Kolonialismus und Imperialismus."
Archiv: New Statesman

Respekt (Tschechien), 27.05.2019

Trotz des klaren Sieges der Partei ANO des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš bei den Europawahlen, reicht sein Erfolg in keiner Weise an den seiner rechtspopulistischen Kollegen in Ungarn und Polen heran. Erik Tabery erklärt, warum: "Der Unterschied zwischen uns einerseits und Polen und Ungarn andererseits ist, dass Babiš es nicht wagt, einen 'Kulturkrieg' anzuzetteln. Der erdrückende Erfolg von Kaczyński und Orbán beweist, dass ihre Politik der Polarisierung anschlägt. Sie sind authentisch und verstehen es, die nationale Geschichte zu instrumentalisieren. Das funktioniert bei Babiš nicht - und kann es im Fall der Historie auch gar nicht. Denn die Tschechen haben sich niemals an die große Geschichte oder den Glauben gehalten. (…) Das Etikett 'Starkes Tschechien' widerspricht geradezu dem tschechischen Wesen. Donald Trump kann das Sentiment der einzigartigen großen Nation bespielen, aber die Tschechen besitzen wirklich eher eine Schwejksche Natur - also: dagegen sein, alles lächerlich machen und nicht zu viel riskieren. Zwar träumen wir gerne vom 'was wäre, wenn'. Oft denken wir, dass es uns alleine am besten ginge, weil die anderen alle Dummköpfe sind, dennoch nehmen wir uns nicht als starke Nation wahr. Wir sind - im Geist der hiesigen Mythologie - einzigartig, aber nicht groß. Die anderen sollen auf uns hören, aber wir wollen nicht führen."
Archiv: Respekt

The Atlantic (USA), 01.06.2019

Elizabeth Winkler hat sensationelle Nachrichten - Shakespeare war eine Frau! In der neuen Ausgabe des Magazins sammelt Winkler Indizien und nennt einen Namen: Emilia Bassano. "Ist je jemand auf die Idee gekommen, dass der Schöpfer all der außergewöhnlichen Frauenfiguren selbst eine Frau war? … Die vorherrschende Ansicht war, dass in der Renaissance in England keine Frau für das Theater schrieb, weil das gegen die Regeln verstieß. Religiöse Verse und Übersetzungen wurden als geeignete literarische Aktivitäten für Frauen angesehen, 'closet dramas', die nur für die private Lektüre gedacht waren, waren akzeptabel. Die Bühne war tabu. Wissenschaftler haben allerdings herausgefunden, dass Frauen als Gönner, Anteilseigner, Kostümbildnerinnen und Kassiererinnen in das Bühnen-Geschäft involviert waren. Darüber hinaus wurden 80 Prozent der in den 1580er Jahren gedruckten Stücke anonym geschrieben, und diese Zahl fiel erst in den frühen 1600er Jahren unter 50 Prozent … Bassano wurde 1569 in London als Tochter einer venezianischen Einwandererfamilie - wahrscheinlich jüdische Musiker und Instrumentenbauer - geboren und war eine der ersten Frauen in England, die einen Gedichtband veröffentlichte (angemessen religiös und doch verblüffend feministisch gegen männliche Unterdrückung und für die Befreiung der Frau streitend). Ihre Existenz wurde 1973 vom Oxford-Historiker A. L. Rowse aufgedeckt, der spekulierte, sie sei Shakespeares Geliebte gewesen, die in den Sonetten beschriebene 'Dark Lady'. In dem Stück 'Emilia' geht die Dramatikerin Morgan Lloyd Malcolm noch einen Schritt weiter: Ihr Shakespeare ist ein Plagiator, der Bassanos Worte für Emilias berühmte Verteidigung der Frauen im Othello verwendet. Könnte Bassanos Beitrag noch größer und direkter sein? Die Idee fühlte sich wie eine feministische Fantasie über die Vergangenheit an. Doch Geschichten über verlorene und verdeckte Errungenschaften von Frauen haben oft etwas Traumhaftes, da sie eine andere Geschichte als die enthüllen, die wir kennen. Hatte ich mich hinreißen lassen, Shakespeare nach dem Bild unserer Zeit neu zu erfinden? Oder blickte ich hinter die geschlechtsspezifischen Annahmen, auf eine Frau, die wie Shakespeares Heldinnen eine raffinierte Verkleidung trug? Vielleicht war die Zeit endlich gekommen, sie zu erkennen."

In der Titelstory sieht James Carroll für die Katholische Kirche nur eine Möglichkeit, sich nach den Missbrauchsskandalen zu erneuern: Sie muss ihre Hierarchie und den Klerikalismus abschaffen. "Die Kirche, die ich voraussehne, wird von Laien regiert werden, wobei das Verb dienen angemessener wäre als regieren. Es wird Führer geben, die Gemeinschaften in der Anbetung versammeln, und weil die Tradition reich ist und tief in der Menschheitsgeschichte Akkorde anschlägt, können solche sakramentalen Befähiger durchaus als Priester bekannt sein. Dazu werden auch Frauen und verheiratete Menschen gehören. Sie werden ontologisch allen anderen gleich sein. Sie werden keinem feudalen Übergeordneten Lehnstreue schulden."

Weitere Artikel: Franklin Foer beschreibt Victor Orbans Krieg gegen George Soros' Central European University. Darcy Coutreau erzählt die Geschichte einer Mexikanerin, die es nach Jahrzehnten geschafft hat, legal in Amerika zu leben.
Archiv: The Atlantic

Times Literary Supplement (UK), 27.05.2019

Michel Foucaults LSD-Trip im Death Valley - am Zabriskie Point zu den Klängen von Stockhausens "Gesang der Jünglinge" - ist legendär, Eric Bulson liest mit Begeisterung Simeon Wades Bericht "Foucault in California". Wade war 1975 ein junger Prof am verschlafenen Claremont College und verbrachte einige aufregenden Stunden mit dem französischen Theoretiker, wagte es jedoch nie, seine skandalträchtigen Erinnerungen daran zu veröffentlichten, wie Bulson schreibt: "Dass sie jetzt von Heydey Press, einem kleinem Non-Profit-Verlag, herausgegeben wurden, ist der detektivischen Arbeit von Heather Dundas zu verdanken, einer Studentin der University of Southern California, die davon überzeugt war, dass die Geschichte von Foucault und dem LSD entweder komplett erfunden oder zumindest heillos übertrieben war. Es half auch, dass sie 'Theorie hasste'; vor allem in den ersten Tagen ihrer Recherche wollte sie beweisen, dass Foucault ein Scharlatan war, der 'all die Privilegien und die Arroganz der Theoriebewegung' verkörperte. Doch während sie Wade nachforschte, passierte etwas Unerwartetes: Die beiden schlossen aufrichtig Freundschaft, Wade vertraute Dundas genug, um ihr seine Aufzeichnungen zu überlassen. Zum Glück. 'Foucault in California' ist der einzige bekannte Bericht einer Drogenerfahrung, der jenen von Walter Benjamin und Antonin Artaud gleichkommt." Wade berichtet, dass Foucault ein ungeheuer freundlicher, bescheidener und großzügiger Mann war, gern kiffte, Faulkner verehrte und Godard verachtete (ein 'politischer Schweinehund'). Und dann der LSD-Trip, über den Bulson so viel verrät: "Anstatt das Rätsel der kahlen Sphinx entschlüsseln zu wollen, schreibt Wade einfach nieder, was er hörte, als die beiden zusammen abhingen. Während ihm die Tränen übers Gesicht liefen, deklarierte Foucault: 'An diesem Abend habe ich eine neue Sicht auf mich bekommen. Jetzt verstehe ich meine Sexualität. Alles hat mit meiner Schwester angefangen. Wir müssen wieder nach Hause... Ja, wir müssen nach Hause.'"

HVG (Ungarn), 25.05.2019

Der französische Präsident Emmanuel Macron lud vergangener Woche auf Vorschlag von Bernard-Henri Lévy führende öffentliche Intellektuellen - so auch Ágnes Heller und György Konrád aus Ungarn - zu einem Treffen im Élysée-Palast ein (mehr dazu in Le Point). Konrád sagte aus gesundheitlichen Gründen ab, schickte allerdings einen Brief, welcher verlesen wurde. Im Gespräch mit Mercéde Gyükeri warnt Ágnes Heller vor der Erwartung, Rechtsstaatlichkeit und liberale Demokratie von der EU einfach in Empfang nehmen zu können: "Es lohnt sich nicht daran zu glauben, dass Hilfe aus Brüssel kommen wird, wir selbst müssen etwas mit unserer Situation anfangen. Die Freiheit bekamen wir als Geburtstagsgeschenk, wir haben nichts dafür getan, nicht einmal soviel wie die Rumänen, die Tschechen oder die Slowaken. Wir saßen da am runden Tisch und besprachen, was in Ungarn passieren wird. Doch das reicht nicht: für die Freiheit muss bezahlt werden. Was andere für uns erschaffen, das wird nicht fruchten. Wir müssen lernen selbst verantwortungsvoll zu denken und zu handeln."
Archiv: HVG

La vie des idees (Frankreich), 21.05.2019

Sibeth Ndiaye ist eine der beeindruckendsten Figuren aus dem direkten Umkreis von Emmanuel Macron. Sie war seine Wahlkampfleiterin, nun ist sie seine Regierungssprecherin. Es war eine Freude, wie sie in der Wahlsendung von France 2 am Sonntag den Vertreter des Front national permament aus dem Konzept brachte, indem sie den Front national als "Front national" und nicht neumodisch als "Rassemblement national" bezeichnete (hier ein Ausschnitt aus der Sendung). Ndiaye trägt neuerdings einen Afro, der ihr in den sozialen Medien übelste rassistische Beschimpfungen eingetragen hat. Ary Gordien erzählt in einem Artikel, der von akademisch-antirassistischem Sprech nicht ganz frei ist, was es mit der Afro-Frisur auf sich hat, die unter Weißen, aber auch vielen Schwarzen immer noch als allzu wild gelte. Durch die "Nappy"-Bewegung - eine Zusammensetzung aus "natural" und "happy" - sei der Afro nach seiner großen Zeit um 1970 wieder in Mode gebracht worden: "Dank der 'Nappy'-Bewegung muss man vielleicht nicht mehr schwarz sein oder viel mit Schwarzen zu tun haben um zu begreifen, was es schwarze Frauen kostet, lange und glatte Haare zu haben. Ohne die Ungleichheiten sozialer Stellung oder der Hautfarbe aufzuheben, kann die Bewegung zu einer Anerkennung und Normalisierung einer physischen Differenz beitragen, die eigentlich keine Bedeutung hat, aber immer noch schockiert."

Eurozine (Österreich), 27.05.2019

In Nigeria gilt der Feminismus noch immer weithin als westlicher Angriff auf die afrikanische Kultur. In einem furchtbar hölzern geschriebenen, aber durchaus interessanten Text diskutiert Yemisi Akinbobola die Frage, wie männliche Widerstände gegen die Selbstermächtigung von Frauen ausgetrickst werden können. Sie rät zum neoliberalen Feminismus: "Der neoliberale Feminismus zielt nicht auf den Wandel von Kultur oder Gesellschaft, sondern auf einen der individuellen Lebensumstände, auf eine unternehmerisch ermächtigende Weise. Dies kann durchaus sinnvoll sein in einem Land wie Nigeria, wo die Beschäftigung niedrig und Armut groß ist und Unternehmertum de facto einen Ausweg darstellt. Alles, was die Selfmade-Mentalität befördert, was Frauen ermächtigt, rauszugehen und für sich Gelegenheiten zu schaffen, sollte vielleicht als Möglichkeit betrachtet werden, die Ungläubigen zu bekehren. Der neoliberale Feminismus stellt nicht den Status quo in Frage; er fordert das Individuum auf, sich selbst zu helfen. Und wenn er in einen Kontext allgemeinen Empowerments gestellt wird, nicht nur der Frauen, dann wird es für Männer schwierig zu rechtfertigen, warum sie Frauen weiterhin Hindernisse in den Weg legen. Das Geschäft wird zu einem Argument, dem sie sich nicht entgegenstellen können. In Nigeria die Aussicht auf ökonomischen Erfolg zu verstellen, ist ein Luxus, den sich die wenigsten leisten können."

Donald Trump hat die Realität in einen Zirkus verwandelt, in Karneval und Spektakel, getreu dem Motto seines Wahlkampfmanagers Roger Stone: "Politik ist Show-Business für Hässliche." Bei einer Lüge ertappt zu werden, stört ihn nicht. Anna-Karin Selberg erinnert das an Hanna Arendts Begriff von der modernen politischen Lüge, die nicht darin besteht, dass sie Realität leugnet, sondern sie transformiert. Wie Arendt in den "Ursprüngen und Elementen totaler Herrschaft" schrieb, ist es ein Merkmal des Totalitarismus, die Lüge in eine organisierte fiktive Welt zu verwandeln, eine alternative Realität: "Die Gefahr der modernen Lüge besteht nicht darin, dass sie historische Fakten verzerrt, sondern dass sie das gesamte faktische Gewebe auflöst und damit eine Geschichte der politischen Anfänge ersetzt durch eine alternative Geschichte, die diese zerstört. Das historische Gewebe, das 'spontan' zwischen Menschen entsteht, wird ersetzt durch eine organisierte, fiktive Realität: 'Der Unterschied zwischen der traditionellen und der modernen Lüge besteht im Unterschied zwischen dem Verbergen und dem Zerstören von Realität.'"
Archiv: Eurozine

Engadget (USA), 19.05.2019

Chris Ip stellt das Start-Up "Impossible" vor, das sich mit typischer Start-Up-Rabauken-Rhetorik auf die Fahnen geschrieben hat, klassisches Fleisch mit seinen alternativen Ersatzprodukten bis 2035 komplett aus der Produktion zu verdrängen - und das mit Angeboten, die in Textur, Anmutung und Geschmack von echtem Fleisch quasi nicht mehr zu unterscheiden sind. Bewusst nimmt man dabei den Massenmarkt in den Blick und kapriziert sich nicht auf kulinarisch orientierte Foodies und Lifestyle-Veganer. Entsprechend werden die Produkte weniger mit Aspekten des Tier-, sondern des Klimaschutzes beworben und andere Bedenken klassischer Umweltschützer offenherzig beiseite geräumt: Das Ersatzfleisch basiert auf hochgradig verarbeiteten und teils beträchtlich genetisch verändertem Material. "'Impossibles' tatsächliches intellektuelles Eigentum - und Wettbewerbsvorteil - ist eine Wissensdatenbank über die molekularen Funktionsweisen verschiedener Fleischsorten und wie pflanzliche Proteine manipuliert werden können, um diese nachzustellen. ... Je umfangreicher diese Datenbank wird, desto effizienter kann 'Impossible' sein Produkt anpassen und verbessern. 'Das ist unser Geheimrezept - anders als die Kuh können wir von nun an bis in alle Ewigkeit jeden Tag besser werden', sagt Brown. ... Der noch größere Traum von 'Impossible' ist es allerdings, eine neue Sorte post-tierischen Konzept-Fleisches anzubieten. 'Was, wenn wir ein Basisprodukt anbieten könnten, das auch gut durchgebraten noch immer saftig ist? Das wäre doch besser, oder?', sagt Lipman. 'Was, wenn wir für Leute, die Bacon auf ihrem Hamburger mögen, ein Produkt anbieten könnten, das Aspekte von Schweinefleisch mit Aspekten von Rindfleisch verbindet?'  Sollten wir unter der Federführung von Firmen wie 'Impossible' tatsächlich einen Punkt erreichen, an dem wir jeden kulturell fixierten Stellenwert von Tieren hinter uns lassen, dann scheint es durchaus plausibel, dass 'Impossible' auch Fleischprodukte anbieten will, die Essen, wie wir es heute kennen, nicht mehr gleichen. Tiere wären überhaupt nicht mehr der Referenzpunkt."
Archiv: Engadget

Elet es Irodalom (Ungarn), 24.05.2019

Im Gespräch mit Niki Szekeres erklärt die diesjährige Libri-Preisträgerin Edina Szvoren die Geschlechtslosigkeit ihrer Protagonisten und die Herausforderung, die sich daraus für die Übersetzer ergibt: "Wenn ich von einer Person nicht explizit sage, ob sie ein Mann oder eine Frau ist, dann wird sich der Leser auf etwas anderes konzentrieren, hoffe ich. Wir sind geneigt, in unserer täglichen Wahrnehmung eine Reihe von Eigenschaften mit dem Geschlecht zu verbinden. (...) Bei Übersetzungen werde ich über das Geschlecht meiner Protagonisten direkt gefragt und dann muss ich es traurigerweise entscheiden. Manchmal muss ich auch über 'den Erzählenden' entscheiden. 'Geschwister', 'Eltern', 'Arbeitspartner' sind meine Lieblingswörter und wenn ich darüber nachdenke, haben auch diese Wörter eine mir sehr liebe Ungewissheit - auch diese müssten in einer Übersetzung geschlechtsbezogen bestimmt werden. Eine mansische Übersetzung wäre wirklich gut." (Die mansische Sprache - eine mit dem Ungarischen verwandte Sprache aus der finno-ugrischen Sprachfamilie aus Sibirien - hat ähnlich wie das Ungarische keine Geschlechter - Anm. d. Red.)

Das Strache-Video ist auch in Ungarn ein Thema, zumal in dem besagten Video Hans-Christian Strache einen österreichischen Geschäftsmann als Abwickler empfiehlt, der in Ungarn die regierungskritische Tageszeitung Népszabadság sowie 90 Prozent der regionalen Tageszeitungen durch ein Scheingeschäft unter die Kontrolle der ungarischen Regierungspartei brachte. Kommentare in der ungarischen freien Presse besagen, dass Praktiken, die Strache im Video laut in Aussicht stellte - und wofür er seinen Posten räumen musste - in Ungarn seit beinahe zehn Jahren politischer und wirtschaftlicher Alltag seien. Beispielhaft für die Resonanz ist der Kommentar von Zoltán Kovács, dem Chefredakteur der Wochenzeitschrift Élet és Irodalom: "Es ist deprimierend, dass der ungarische Regierungschef hier von 'Menschenjagd' spricht, obwohl ein in jeder Hinsicht durchgefallener Politiker einfach genau das tut, was in so einer Situation jeder halbwegs seriöse Mensch des öffentlichen Lebens tut: er tritt zurück. (...) Darüber kann sich Orbán wundern, doch er muss es wissen, dass der gefallene Strache inhaltlich genau das wollte, war Orbán bereits vollbracht hat. Der ungarische Regierungschef hat seine parlamentarische Zweidrittel-Mehrheit genutzt, um eine Situation zu erschaffen, in der sein unmoralischer und gewalttätiger Wille juristisch derzeit nicht angreifbar ist."

Bloomberg Businessweek (USA), 27.05.2019

Auf den aktuellen Seiten der Businessweek porträtiert Ben Steverman den jungen Ökonomen Gabriel Zucman, der sich zum Ziel gesetzt hat, das ausgelagerte Vermögen der Superreichen aufzuspüren: "'Der Reichtum ist zunächst unsichtbar, er liegt in den Daten', sagt er. 'In letzter Zeit', fügt er hinzu, während die Bay Area vor dem Fenster summt, 'sehe ich mehr Silicon Valley in meinen Excel-Tabellen, vor allem in der Höhe der Gewinne, die auf den Bermudas und in Irland verbucht werden' … Um 1980 geschah etwas Grundstürzendes. Als Ronald Reagan ins Weiße Haus einzog, kontrollierten die obersten 0,1 Prozent etwa 7 Prozent des nationalen Wohlstands. Nach einigen Jahrzehnten boomender Märkte und stagnierender Löhne hat sich der Anteil der obersten 0,1 Prozent bis 2014 auf 22 Prozent verdreifacht, etwas mehr als die untersten 85 Prozent des Landes kontrollieren. Die Daten zeigen das Ausmaß des Problems und das Fehlen einer Lösung: Während die Mittelklasse nach der Finanzkrise durch Arbeitsplatzverluste und Schulden belastet war, machten die Reichen einfach weiter wie bisher. Vermögen, das nach der Lehman-Pleite von den Finanzmärkten verschwunden war, tauchte wieder auf und verdoppelte und verdreifachte die Portfolios wohlhabender Anleger."

Weitere Artikel: Kamaron Leach erzählt, wie Netflix dabei hilft, dass Nigerias Filmindustrie ein größeres Publikum findet. Und Hugo Miller sucht nach "Geheimen Museen" in Freihäfen, wo große Mengen Kunst aufbewahrt werden, um keine Abgaben dafür zahlen zu müssen.