Magazinrundschau
Sprünge in eine utopische Zukunft
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
02.08.2022. In der LA Times fragt Mike Davis: Warum beherrscht die Rechte die Straße, nicht die Linke? Vielleicht kündigt bald das Knistern von Papier das Herannahen eines Autos an, überlegt der New Yorker. Wired sieht einen neuen Goldrush - oder eher CO2-Rush am Golf von Mexiko. Quillette erzählt die Geschichte der Knast-Soulband Upheaval. In Qantara sieht Hazem Saghieh schwarz für die Zukunft der arabischen Welt, die an ihrem Sektierertum erstickt. In Harper's versucht sich Marilynne Robinson an einer Ehrenrettung der Puritaner. In der London Review of Books findet John Lanchester eine Erklärung für die zwei größten Betrugsskandale der deutschen Wirtschaft: Selbstgefälligkeit.
London Review of Books (UK), 04.08.2022

Laleh Khalili setzt sich kritisch mit Helen Thompsons Buch "Disorder: Hard Times in the 21st Century" auseinander, das ihr zu stark auf die Politik der Großmächte abgestellt zu sein scheint: "Geopolitik ist nie losgelöst von politischen Kämpfen, und die treibende Kraft der Welt befindet sich nicht irgendwo mitten im Atlantik, auch wenn viel bösartige Macht von Europa und Nordamerika ausgeht. Öl, Geld und Demokratie haben nicht immer mit dem Kalkül einiger weniger mächtiger Regierungen zu tun. Ölkonzerne spielen eine Rolle, staatliche Unternehmen ebenso wie BP, Chevron, Exxon und Shell sowie die unabhängigen Unternehmen, die im Schiefergestein arbeiten und von privaten Beteiligungsgesellschaften finanziert werden. Das Gleiche gilt für weit entfernte Finanziers, die den Preis von Öl und anderen Rohstoffen von unscheinbaren Vorstadtbüros aus manipulieren, die Ozeane entfernt sind. Die Zehntausenden von Arbeitnehmern und Aktivisten, die für das gekämpft haben, was Tim Mitchell als 'Kohlenstoffdemokratie' bezeichnet hat, sind wichtig. Diplomaten und Minister, die Öl verstaatlichen, für Souveränität kämpfen und koloniale Verpflichtungen vor manipulierten Handelsgerichten bekämpfen, sind wichtig. Revolutionäre und streikende Ölarbeiter im Nahen Osten und darüber hinaus sind wichtig. Die Gewerkschafter, die in gefährlichen petrochemischen Anlagen an der US-Golfküste arbeiten, sind wichtig. Und auch die indigenen Gemeinschaften, die gegen Pipelines protestieren, die ihre souveränen Gebiete durchschneiden, sind wichtig. Sie sind für die Argumentation wichtig, und zwar nicht nur wegen einer moralischen Abwägung in Bezug auf Arbeit, Kolonialismus und Entkolonialisierung, Volksmobilisierung oder Umweltschutz - obwohl auch das wichtig ist - sondern weil diese Kräfte den Lauf der Geschichte auf millionenfache Weise verändert haben."
Africa is a Country (USA), 30.07.2022

Auch heute noch werden viel zu oft Menschen von der Polizei getötet, ohne dass jemand dafür zur Rechenschaft gezogen wird, schreibt Ziyanda Stuurman. Zum Beispiel im März 1921 der 35-jährige Mthokozisi Ntumba, der gerade vom Arzt kam, als er in eine Demo von Studenten der Universität von Witwatersrand geriet und von der Polizei erschossen wurde. Die angeklagten Polizisten wurden freigesprochen. "Die Polizei zeigt uns immer wieder, dass sie durchaus in der Lage ist, gewaltlos gegen aufgewühlte Massen weißer Farmer vorzugehen, die in Senekal im Freistaat protestieren, oder gegen mehrheitlich weiße Vorstadteltern, die in Brackenfell im Westkap protestieren. Doch gibt es eine verächtliche und grundlose Gewalt, die den Bewohnern von Gemeinden wie Alexandra in Johannesburg vorbehalten ist, wenn sie die Politiker auffordern, ihre Wahlversprechen einzuhalten. Die Bewohner von Alexandra konnten diese rassistische Polizeigewalt mit solcher Sicherheit vorhersehen, dass sie einen Marsch von ihrer Gemeinde durch Sandton, den wohlhabendsten Vorort der Stadt, planten, um den Gemeindevertretern ein Memorandum mit Beschwerden zu überreichen, wohl wissend, dass sie nicht angegriffen oder mit Betäubungsgranaten oder Tränengas beschossen werden würden, weil sie durch das Gebiet marschierten, das oft als 'die reichste Quadratmeile Afrikas' bezeichnet wird. "
New Yorker (USA), 08.08.2022

Masha Gessen erzählt in einem Brief aus der Ukraine, warum es so schwierig ist, russische Soldaten wegen Kriegsverbrechen anzuklagen, aber trotzdem notwendig: "'Westliche Politiker sagen immer wieder, dass wir einen Teil unseres Territoriums an Putin abtreten sollten', sagt Matwitschuk vom Center for Civil Liberties. 'Wir müssen sie daran erinnern, dass sie damit die Menschen den Schrecken ausliefern, die wir dokumentiert haben.'"
Außerdem: Calvin Tomkins porträtiert den schwulen Maler Salman Toor. Nikhil Krishnan fragt, wie universal unsere Emotionen sind. Zoe Heller liest neue feministische Romane.
Qantara (Deutschland), 01.08.2022

Ayşe Karabat berichtet derweil, wie in der Türkei Gewalt gegen Ärzte und Anwälte zunimmt. So wurden seit Regierungsantritt der AKP vor zwanzig Jahren zwölf Mediziner im Dienst getötet, auch Anwälte werden immer wieder Opfer von Gewalt. Die Regierung tut nichts dagegen, sie gießt sogar noch Öl ins Feuer: Den Ärzten wirft sie vor, den heimischen Coronaimpfstoff schlecht zu machen, die Anwälte beschuldigt sie der Islamfeindlichkeit. "Die Regierung zeigt sich offen feindselig gegenüber den beiden Dachverbänden TTB und TBB, die seit jeher zu den stärksten Organisationen der Zivilgesellschaft in der Türkei gehören. Im Februar 2018 forderte Erdoğan, beide Berufsverbände sollten die Bezeichnung 'türkisch' aus ihren Namen streichen, da sie nicht 'lokal und national' seien. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich in der Türkei die Unterstellung, die Organisationen würden im Namen ausländischer Agenten agieren. Im Mai 2020 ging Erdoğan sogar noch weiter: Als die Anwaltskammer von Ankara den Leiter der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş, wegen dessen Äußerungen kritisierte, Homosexualität sei 'die Ursache aller Krankheiten', unterstellte Staatspräsident Erdoğan der Anwaltskammer, den Islam zu beleidigen. 'Allein dieses Beispiel zeigt, wie dringend und wichtig eine Steuerung der Wahlverfahren in den Berufsverbänden ist, insbesondere von Anwalts- und Ärztekammern', so Erdoğan damals. Unmittelbar danach trat ein neues Gesetz in Kraft, das die Aufteilung von Anwaltskammern vorsah. In Ankara und Istanbul wurden der Regierung nahestehende Anwaltskammern etabliert."
Harper's Magazine (USA), 02.08.2022

Außerdem: Lauren Markham erzählt, wie man Baumdieben mittels Baum-DNA auf die Spur kommt.
Quillette (USA), 28.07.2022

"Paradise Lost" kann sich mit den besten Stax-Produktionen messen:
New Statesman (UK), 01.08.2022

Außerdem: John Gray liest zwei Bücher über Nietzsches Zusammenbruch in Turin.
Words without Borders (USA), 27.07.2022

Hakai (Kanada), 26.07.2022

HVG (Ungarn), 01.08.2022

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.07.2022

Los Angeles Times (USA), 25.07.2022

Guardian (UK), 02.08.2022

Respekt (Tschechien), 30.07.2022

Wired (USA), 28.07.2022

Außerdem: John Semley wirft einen Blick darauf, wie (und warum) Wissenschaftler zur Entwicklung psychedelischer Drogen der Zukunft forschen.
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