Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2018

Immerhin bin ich ein Typ

31.08.2018. Der Tagesspiegel verliebt sich bei den Filmfestspielen in Venedig in Alfonso Cuaróns "Roma", ein Viertel in Mexiko-City. Die nachtkritik stellt Schauspielerinnen vor, die erfolgreich ins komische Fach ausgebrochen sind. Die taz hört Punk von Tünay Akdeniz. Die NZZ betrachtet den Eiffelturm mit den Augen Robert Delaunays. Großschreibung statt kleinschreibung: Barbara Köhler prangt jetzt statt Eugen Gomringer auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule. Die taz findet's demokratisch, die Berliner Zeitung selbstgerecht.

Mit einem scharfen Schnitt

30.08.2018. Die Filmkritiker begleiten in Venedig Ryan Gosling ins All. Zeit online erstarrt vor dem zähnebleckenden Irrsinn, den Sergei Loznitsa in seinem Film "Donbass" bezeugt. In Kuba protestieren Künstler gegen das neue Gesetz 349, das eine staatliche Bewilligung für den Künstlerstatus voraussetzt, berichtet die taz. In der SZ stellt der Typograf Erik Spiekermann fünf neue Bauhaus-Schriften vor. Der Tagesspiegel besucht den Comiczeichner Jason Lutes, der nach 22 Jahre seine "Berlin"-Trilogie vollendet hat.

Es ist alles Illusion

29.08.2018. Neuestes aus Chaville liefert der Freitag im großen Interview mit Peter Handke. Die SZ stimmt auf das Filmfestival von Venedig ein, das heute Abend eröffnet wird und nur eine Regisseurin im Wettbewerb hat. Auf ZeitOnline wehrt sich Regisseur Sergei Loznitsa gegen den Vorwurf der Propaganda. Die taz erblickt Europas Schicksal in den Bildern des melancholischen Thessaloniki.

Wandelnde Kritiker des Daseins

28.08.2018. Dezeen und der Guardian lernen in Helsinki mit dem neuen Museum Amos Rex, wie aufmüpfige Architektur  aussieht. SZ und Berliner Zeitung betrachten noch einmal den bunt blühenden Irrsinn der West-Berliner Kunst. Die taz vermisst auf dem Atonal-Festival die subkulturelle Wucht. Zeit Online erklärt das amerikanische Kino-Phänomen der "Rich Asian Americans". Und mit Riccardo Chailly ist nicht Claudio Abbado zum Lucerne Festival Orchestra zurückgekehrt, betont die NZZ .

Akribie und Leidenschaft

27.08.2018. Der Filmdienst singt ein Loblied auf die Off-Festivals, die Filme jenseits aktueller Diskursinteressen zeigten. In der taz erkundet der spanische Comiczeichner Miguelanxo Prado die Folgen der Finanzkrise. Totale Illusion, lernt die FAZ in der Kunsthalle München, ist schlechte Kunst. Die Welt vermisst den kreativen Glanz in der Marke Sasha Waltz. Die SZ allerdings wünscht sich mehr Gärtnerinnen für den Tanz.

Oratorium und Hexensabbat

25.08.2018. Als "herrliche Zumutung" erleben die Kritiker Sasha Waltz' "Exodos" beim Tanz im August. In der FR erzählt der Regisseur Achim Freyer, was die koreanische Oper mit der DDR verbindet. Die Musikkritiker singen Leonard Bernstein Hymnen zum Hundertsten. In der NZZ erinnert der polnische Autor Artur Becker an den Dichter Zbigniew Herbert. Und die taz ist nach der Ausstellung "Berlinzulage" ganz dankbar, dass die anarchischen Berliner Achtziger vorbei sind.

Vom Frieden beschädigt

24.08.2018. In der SZ erzählt Christoph Hein, wie kleinbürgerlich in der DDR mit Homosexualität umgegangen wurde. Putin lenkt den Laden, meint der Regisseur Spike Lee im Standard mit Blick auf die USA. Hyperallergic erlebt in Saarbrücken begeistert, wie feministische Künstlerinnen den männlichen Körper enttabuisieren. Und der Tagesspiegel lernt von der Band Family 5, wie gut Kraftwerk und die Ramones zusammenpassen.

Diktatorisch eingesetzte Atonalität

23.08.2018. Die FAZ stellt bei der Greizer Karikaturen-Triennale fest: Seit den Anschlägen auf Charlie Hebdo haben die Karikaturisten ihren Biss verloren. Die Filmkritiker loben John David Washingtons "Blackkklansman" als sanfte und aufwühlende Collage über den Rassismus der Gegenwart und Andreas Dresens "Gundermann" als komplexes Sinnbild der DDR.  In der NZZ kann sich Ruhrtriennalen-Intendantin Stefanie Carp die Kritik an BDS nur mit deutscher Schamgeschichte erklären. Außerdem blickt die NZZ wehmütig auf riesige Eiswaffeln und überdimensionale Damenbeine in Kalifornien zurück.

Knuspergeräusche

22.08.2018. Ziemlich lustig und bemerkenswert versöhnlich finden die Feuilletons Spike Lees wilde Geschichte "Blackkklansman" über den schwarzen Polizisten, der sich einst beim Ku-Klux-Klan einschmuggelte. In höchster Klimaverwirrung kuschelt sich die NZZ ins Kojotenfell.  Die SZ erlebt in Roms Maxxi die gleißende Unruhe afrikanischer Megacities. Auf ZeitOnline erkennt Florian Werner: Die große Retromania ist passé.

Im Schweigen erstarrte Primärformen

21.08.2018. Die FAZ verzweifelt an Berlins gedenkpolitischem Unverstand, der sich gerade am Checkpoint Charlie manifestiert. Die SZ sorgt sich um das austrocknende Gartenreich Wörlitz. Mit düstersten Klängen besingt die Welt das Bauhaus in Dessau. Der Tagesspiegel muss sich trösten: Hedy Lamarr hatte so viel Schönheit und Intelligenz, da wird sie ein mittelprächtiges Filmporträt verschmerzen. Und der Guardian beteuert: Mit ihrer Diversität setzen die Hugo Awards für Science-Fiction- und Fantasy-Literatur Maßstäbe.

Heiteres Inferno des globalen Kapitalismus

20.08.2018. Bei den Salzburger Festspielen wirft Ulrich Rasche mit den Persern" von Aischylos eine gewaltige Kriegsmaschinerie an. Politisches Theater auf der Höhe Zeit nennt das die Nachtkritik. Die Welt sieht Jammer und Schauder voll im Trend. Die SZ fragt jedoch, ob wir das Denken allmählich satt haben. In der NZZ beklagt der polnische Künstler Artur Zmijewski die politische Überfrachtung der Kunst. Und die taz erinnert sich an das gemütlich-ramschige Berlin, durch das Franka Potente als Lola vor zwanzig Jahren rannte.

Abwesenheit von Dämonie

18.08.2018. Schafft die Ruhrtriennale einfach ab, fordert die Welt. In der FAZ erklärt der Schriftsteller Murathan Mungan, wie man im Türkischen homosexuelle Liebesgeschichten erzählt, ohne dass die Leser es merken. Die taz trifft sich mit Ex-Punk und Bankräuber Gilles Bertin in Toulouse. In der taz erklärt Andreas Dresen, warum er einen Film über Gerhard Gundermann machen wollte. Und die SZ träumt vom Leben im Ko-Dorf.

Selbstbewusst fauchend

17.08.2018. Die SZ lernt in Kopenhagen von Rem Koolhaas, was urbane Dichte ist. Eine Ablehnung oder Ausladung ist nicht Zensur, schreibt die neue musikzeitung den Schneeflöckchen ins Stammbuch. Das neue "Fotolot" stellt die Arbeit der Fotografin Vanessa Winships vor. Das Port Magazine feiert den apokalyptischen Glamour der Künstlerin Laure Prouvost. Und: alle trauern um die große Aretha Franklin.

Diese ganzen Obertöne

16.08.2018. Die Welt bewundert dänisches Design. Der Freitag sitzt im Städel Museum Menschen an Bushaltestellen gegenüber, die Ursula Schulz-Dornburg in aller Welt fotografiert hat. In der NZZ fragt der Chicagoer Philosoph Jason Hill anlässlich der Debatte über kulturelle Aneignung: Welche authentische Erfahrung mit Sklaverei hat ein heutiger Afroamerikaner? In der Berliner Zeitung lernt der Techno-DJ Henrik Schwarz Sounddesign von dem niederländischen Metropole Orkest. Und in der SZ erzählt der syrische Schriftsteller Adel Mahmoud vom Fund eines Notizhefts mit Briefen von Kindern.

Das ganze Wallis: total agglo!

15.08.2018. Nach Bekanntgabe der Longlist für den Buchpreis stimmt der Tagesspiegel verhalten in den Lobgesang auf die deutsche Gegenwartsliteratur ein. Die Berliner Zeitung erinnert an die innige Poesie des DDR-Liedermachers Gerhard Gundermann. Die taz reiht sich ein in die planetarische Monster-Internationale des dänischen Künstlers Asger Jorn. Die Welt verirrt sich mit Hans Kollhoff in den toten Ecken eines Berliner Neubau-Quatiers. Und die NZZ weiß: Agglomeration ist nicht Vorstadt, sondern cool, tough, bad.

Die verliebten Grauenvollen

14.08.2018. Alles Schöne und Schreckliche findet die SZ in Jan Lauwers Salzburger "Krönung der Poppea". Die FAZ dagegen fragt: Ist das noch Performance oder schon Dekoration? Es wird wieder mit Holz gebaut, freut sich die FR. In der taz fragt die Macherin des Berliner Popkultur-Festivals,  Katja Lucker, warum eigentlich Clubkultur weggentrifiziert werden darf. Bei der Oper traut man sich das doch auch nicht.

Gladiatoren der Erbärmlichkeit

13.08.2018. Große Trauer herrscht in den Feuilletons um den großen Reisenden und Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul: Er zeigte uns die Welt, wie sie war, nicht wie wir sie gern hätten, betont die FR. Die FAZ würdigt seinen uncharmanten Scharfsinn. Im Standard stellt sich Karl Ove Knausgard seinem inneren Hund. Die Nachtkritik lässt sich auf der Ruhrtriennale von Mohammad al Attar und Omar Abusaada erzählen, wie der französische Konzern Lafarge seine Arbeiter in Syrien dem IS auslieferte. NZZ und taz küren zum Ende des Filmfestivals von Locarno ihren eigenen Gewinnerfilm: Mariano Llinás "La Flor".

Lyrisches Cinemascope

11.08.2018. Mit vokalem und politischem Sprengstoff eröffnet William Kentridges Spektakel "The Head and the Load" die Ruhrtriennale: Die westeuropäischen Schafe nachtkritik und SZ applaudieren hingerissen, auch wenn sie nicht immer ganz folgen können. Die taz ergründet Transformationsprozesse bei der Biennale in Riga. Der Tagesspiegel bringt eine kritische Würdigung Wolf Wondratscheks, der bald 75 wird. Der Jungle World wird die Musik Stella Sommers zum Verhängnis. Berthold Seeliger antwortet im Perlentaucher auf FAZ-Kritiker Jan Brachmann.

Ein einziger Imperativ

10.08.2018. Die SZ erliegt Cecilia Bartoli als schaumgeborener Venus in Rossinis Oper "L'italiana in Algeri". Die FR feiert begeistert die Leo-McCarey-Retrospektive in Locarno. Die taz ist entsetzt: ein uralter Protestsong der Bots soll die neue "Aufstehn"-Hymne werden? Die NZZ schaudert: Zuviel positive Zukunftsideen im Londoner Victoria and Albert Museum.

Ein Akt gehobener Zeitverschwendung

09.08.2018. Auf Zeit online protestieren SchriftstellerInnen mit Migrationshintergrund gegen das Labeling im Literaturbetrieb. Die Filmkritiker sahen Bodenloses in Regina Schillings Essayfilm "Kulenkampffs Schuhe". In der SZ möchte Intendantin Stefanie Karb wissen, warum die Young Fathers auf der Ruhrtriennale ein Problem sind, nicht aber an den Kammerspielen oder in der Spex. In der NZZ erinnert sich Norman Manea an seine Freundschaft mit Philip Roth.

Wo Sprache sich nicht mehr auskennt

08.08.2018. Der Standard ist beeindruckt von der Doku-Performance "Mining Stories" des Künstlerpaars Silke Huysmans und Hannes Dereere, die die Umweltkatastrophe am Rio Doce thematisieren. Die taz macht bei Tirzah ein Diplom in abstrakter elektronischer Tanzmusiklogistik. Die FAZ verlernt mit den Horrorspezialisten Justin Benson und Aaron Moorhead die Wirklichkeit. Die Welt lässt sich erklären, was afrikanische oder generell "schwarze" Kunst eint.

Den Monstern näher als den Göttern

07.08.2018. FAZ und SZ huldigen den Granden des italienischen Autodesigns, die im Wettstreit um den Fahrzeugkörper auf Drama gegen Harmonie setzten. Im Standard gratuliert Tex Rubinowitz Madonna, die kam, als die Disco voll war, und heute sechzig wird. Die Welt bewundert den Freiheitswillen der polnischen Bilhauerin Alina Szapocznikow. Und die NZZ muss schlucken, wenn die Nasa den Samen der Zivilisation auf dem Mars pflanzt.

Bis zur geplatzten Hose agil

06.08.2018. In der FAZ blickt der Literaturwissenschaftler Hans Richard Brittnacher auf die Verdüsterung der Geschichte im Noir-Roman. Cargo tuckert mit Sterling Hayden im Schleppkahn über Frankreichs Kanäle. Mit seiner sechsstündigen Knut-Hamsun-Orgie "Hunger" kann Frank Castorf in Salzburg immerhin die Welt begeistern. Und die SZ sieht das Ende des Drills im Tanz nahen.

Unwirkliche Slowness

04.08.2018. Wo bleibt bei den Debatten um Identität, Dekolonisierung und kulturelle Aneignung eigentlich die Kunst?, fragt die FR. In der taz erklären die Kuratorinnen Birgit Bosold und Carina Klugbauer, was "lesbisches Sehen" bedeutet. Die FAZ erlebt in Leipzig, wie dänisches Design nach dem Krieg die Zivilisation rettete. Die NZZ sehnt sich nach Literatur, die über die Gegenwart hinaus wirksam bleibt. Und die taz flieht in die spätkalifornische Anarchie von Todd Barton.

Eine Art von irrer Helligkeit

03.08.2018. Die NZZ betrachtet Weiß und Schwarz mit den Augen des Fotografen Hennric Jokeit. Der Tagesspiegel vertieft sich in das ästhetische Gegenprogramm des Fotografen Pieter Henket. Hans Neuenfels erklärt in der NZZ das Freiheitsproblem in Tschaikowskys "Pique Dame". In der SZ fragt Dominik Graf die Drehbuchautoren-Initiative Kontrakt 18, warum sie eine Orgie des Mittelmaßes beklatschen. Die Zeit empfiehlt Musik für den Strand.

Ein Echo in der Geschichte

02.08.2018. Die SZ sucht einen architektonisch anspruchsvollen Bahnhof in Deutschland und findet nur "Erlebniszentren mit Gleisanschluss". Die FAZ ist schockiert vom Bayreuther Buh-Konzert für den die "Walküre" dirigierenden Placido Domingo. Dabei wird's im zweiten Aufzug doch besser, versichert die neue musikzeitung. Wim Wenders neuen Kriegsfilm "Grenzenlos" kann man gut beim Candle-Light-Dinner" diskutieren, versichert die SZ. Die übrigen Filmkritiker feiern das letzte Hurra des handgemachten Big-Budget-Actionkinos, Tom Cruises neue "Mission Impossible".

Dem Garten des Bösen entrissen

01.08.2018. Die SZ erschrickt über sich selbst, wenn sie beim Theaterfestival in Avignon schweren Jungs applaudiert, die dort die "Antigone" des Sophokles gaben. Die NZZ erkennt mit Robert Gernhardt und Ernst Jandl, dass sich guter Humor am Tiefstand unserer Existenz erweist. Von taz bis FAZ blicken die Feuilletons auf das Schaffen des Filmproduzenten Artur Brauner, der heute hundert wird.