Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2015

Alles aus dem Takt

31.12.2015. Die Entdeckung, dass sich unter Leonardo da Vincis Mona Lisa ein abweichender Entwurf des berühmten Gemäldes findet, mag die Zeit nicht als Sensation gelten lassen. Kathrin Passig und Clemens J. Setz unterhalten sich auf Volltext.net über asynchronen Gruppensex und postmortale Peinlichkeit. Die Kritiker tun sich schwer mit David O. Russells Wischmopp-Biopic "Joy". Und Alexander Kluge gedenkt auf FAZ.net des vor zwanzig Jahren gestorbenen Theatermanns Heiner Müller mit einem multimedialen Dossier.

Freiheitssüchtiges Grollen

30.12.2015. Die FAZ hört Neue Musik in Indonesien. Das Art Asia Pacific Magazine stellt drei Künstlerinnen aus Bangladesch vor. N+1 erzählt die Geschichte des russischen Theaters seit der Wende. Die SZ bewundert die diskrete Architektur Renzo Pianos. Die Musikkritiker müssen immer noch Lemmy Kilmisters Tod verarbeiten.

Anrufen magischer Namen

29.12.2015. Absolut zeitgenössisch findet die FAZ die Druckgrafiken von Vija Celmins. Ebenfalls in der FAZ fordert der Komponist Jüri Reinvere: Spielt mehr neue Opern. Die Berliner Zeitung macht sich Sorgen um die Weinsteins. Arabische Lyrik eignet sich vorzüglich zur Werbung von Terroristen, lernt der Guardian. Er bedankt sich außerdem im Namen der Beatles bei Karlheinz Stockhausen. Und: alle trauern um Lemmy Kilmister und Ellsworth Kelly.

Heimweh nach den Erzengeln

28.12.2015. Der Maler Ellsworth Kelly ist gestorben. Die New York Times bringt einen Nachruf. Der Standard turnt sich durch eine Ausstellung des Choreografen William Forsythe. Die SZ bewundert die Patina von Ennio Morricones Soundtrack zum Western "The Hateful Eight". Und Jacques Offenbachs funkensprühender "Karottenkönig" wärmt das Herz der Opernkritiker.

Big Brecht Data

24.12.2015. In der NZZ erinnert sich Michael Krüger an seinen ersten Weihnachtsbaum. In der nachtkritik schwingen Theatermacher schon mal den Dekonstruktionshammer gegen Bertolt Brecht. Die Berliner Zeitung tanzt Hula-Hoop mit einem animierten GIF. In der SZ verspricht Werner Herzog eine Herzog-Stiftung ohne Heroinorgien.

Der Horizont knapp unter die Bildkante

23.12.2015. Die Kultur der Alten Meister ist weg, bedauert Gerhard Richter in der Zeit. Im Prado kann man in den Bildern von El Divino Morales immer noch sehen, was damit gemeint ist, verspricht die NZZ. Warum kann das Theater mit dem antiken griechischen Drama so viel mehr anfangen als mit der christlichen Dramatik, fragt die Welt. Die FAZ gibt im frisch renovierten Augusteum die Schnitzeljagd nach Meisterwerken auf.

Schwarze, geduckte, tonnenschwere Spannung

22.12.2015. Physik verkauft sich besser als Sex! Der Spectator besucht den von seinem Bucherfolg noch ganz verdutzten Carlo Rovelli. Die NZZ besucht das von Herzog & de Meuron erweiterte Museum in Colmar. Die Welt steht gebannt vor dem Isenheimer Altar. Der Merkur bewundert Igor Levits Tanz zu den Goldberg-Variationen. Die Welt ärgert sich über ein geschöntes Biopic zu den Hollywood Ten.

Machtergreifung der Karotte

21.12.2015. Wenig Beifall für Dieter Dorns und Daniel Barenboims "La Traviata": zu laut, zu ausbuchstabiert, zu gefroren. Nur Sonya Yoncheva als Traviata ist groß. Der Standard amüsiert sich königlich mit Jacques Offenbachs Grand opéra-bouffe-féerie "Le Roi Carotte" in Lyon. In der SZ beklagt der wegen Pornografie angeklagte Schriftsteller Ahmed Naji die Zensur in Ägypten, die heute noch stärker sei als unter Mubarak. Die NZZ schnuppert sich durch eine Ausstellung über erotische Accessoires. Und: Alle trauern um Kurt Masur.

Die is-ness der Welt

19.12.2015. Zum hundertsten Geburtstag stimmen NZZ und Welt eine Hymne auf Edith Piaf an und attestieren ihr Pathos ohne Pathetik. Zwischen Pathos und Pathos-Distanzierung verorten die Kritiker Leander Haußmanns Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern" am Berliner Ensemble. Die Konversation über Serien hält die Gesellschaft zusammen, allerdings im Modus des verklemmten Schulhofgesprächs, meint Diedrich Diederichsen in Cargo. Die SZ erinnert an die Zeit, als Thomas Bernhard noch ein schlechter Journalist war.

Kurven-Wunder

18.12.2015. Die NZZ besucht das mit viel Kapital und gutem Willen für eine sozial-sakrale Mission ausgestattete Kulturzentrum "The River" nahe New York. Die Welt lotet das Tiefsinnsversprechen Anselm Kiefers aus. Der Freitag verliebt sich in Star-Wars-Imitate. Die taz porträtiert den Musiker und Philosophen Steve Goodman.

Postmodern, diffus und verschwommen

17.12.2015. In der Zeit umarmt Clemens Setz eine Trostrobbe. Der Freitag sitzt in Star Wars und staunt: Luke Skywalker hat sich in Slavoj Žižek verwandelt. Die FAZ verliert ihren Seelenfrieden bei der Begegnung zwischen Bach und Igor Levit. Warum die eigene Vergangenheit bewältigen, wenn man die Deutschen hat? Die Franzosen lieben ihren Anselm Kiefer im Centre Pompidou, notiert die Zeit.

Ein Rubel, eine Flasche Wodka und ein Apfel

16.12.2015. Gutes Theater erlebte der Tagesspiegel beim juristischen Schlagabtausch um Falk Richters "Fear". Politische Kunst taugt nichts, wenn sie auf Bedeutungsoffenheit besteht, lernt die FAZ in Wien. Mehr Analyse, weniger Fantum wünschte sich die Welt von der Filmkritik, bevor Star Wars in die Kinos einfällt. Die NZZ porträtiert den Lyriker Sergei Sawjalow.

Immer beweglich

15.12.2015. Die NZZ zieht mit Jürgen Becker durchs Bergische Land und lernt von Horacio Castellanos Moya das Überleben. Die SZ lernt in den Uffizien, wie schwer es manchmal ist, der Geschichte gerecht zu werden. critic.de empfiehlt einen dezidiert linken Animationsfilm für Kinder. Die Theaterkritiker werfen in Wien einen Blick in eine fremde kleine Joseph-Roth-Welt.

Scheinbar stille Gemütlichkeit

14.12.2015. Die Welt macht einen Höllenritt durch einen Hannoverschen "Freischütz" und betrachtet in Leipzig ein ausgepowertes Dickerchen namens Napoleon. Der Tagesspiegel wünscht sich, Alvis Hermanis würde das deutsche Theater aus seiner nobel ausstaffierten Abschottungswelt aufwecken. Echte Lagererfahrung mit 360-Grad-Videos macht die SZ. Die NZZ bewundert den neuen Bahnhof von Arnhem.

Kraft für zwei

12.12.2015. Im Standard gibt Peter Stein Leos Janáceks Heldin Emilia Marty den dringend benötigten Schuss. Die Welt druckt eine Erzählung von Amos Oz. Die FAZ hört und sieht eine von Daniil Trifonov verursachte Rachmaninow-Explosion. Ist der politische Aktivismus im Theater nur eitle Pose oder Marketing? Auf diese Frage antworten Michael Thalheimer im Freitag und Reinhard J. Brembeck in der SZ. Außerdem feiert die SZ den Erfolg von Frauen im Kunstbetrieb. Die Welt wünschte, sie würden jetzt auch noch gleichwertig bezahlt.

Schnapsglas auf Schnapsglas

11.12.2015. Clemens J. Setz wechselt in der SZ die Farbe. Im Standard erklärt Theaterregisseur Antú Romero Nunes, warum Joseph Roth aktuell ist wie nie. Die taz ergibt sich Mette Ingvartsens "7 Pleasures". Die NZZ feiert die Kostümbildnerin Sandy Powell. Die SZ versucht in New York, Igor Levit mit den Goldberg-Variationen zu hören.

Homunculus der Malerei

10.12.2015. In der Welt singt Rudi Fuchs eine Hymne auf den Maler Julian Schnabel. Wie Theseus auf sein Schiff blickt die SZ staunend auf eine digitale Reproduktion eines Caravaggio, die besser ist als das Original. In der taz erklärt Regisseur Jacques Audiard, warum er heute keinen Film mehr über Flüchtlinge drehen würde. epdFilm besucht neue geheimnisvolle Filmclubs. Die nachtkritik verreißt Katie Mitchells Bühnenstück "Ophelias Zimmer": Feministinnenkitsch irgendwie.

Deklamatorische Kehlenkunst

09.12.2015. Anna Netrebkos samtiges Timbre, ihre orgelnde Tiefe, ihre springlebendige Unbefangenheit treiben die Opernkritiker in den Wahnsinn. Die NZZ porträtiert eine Hochdramatische. Die Welt ist gerührt von der stillen Verzweiflung in Angelina Jolies Beziehungsdrama "By the sea". Die Basler Zeitung ist empört über deutsche Reaktionen auf Alvis Hermanis. Die Wiener Presse berauscht sich an Brahms-Sinfonien mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi.

Ich bin Künstlerin! Ich bin Linke!

08.12.2015. Am Hamburger Schauspielhaus begutachtet Karin Beier mit einigen Flüchtlingen Europa, den depressiven Kontinent. Die NZZ begutachtet die spukhaften Köpfe, die der 21-jährige Friedrich Dürrenmatt in seiner Berner Mansarde malte. Die SZ spaziert durch die Hamburger Hafencity und fragt: Wo bitte ist die soziale Mischung? Die französische Huffington Post besucht ein Konzert der Eagles of Death Metal in Paris.

Es faucht der dampfende Hocker

07.12.2015. Hingerissen sind die Theaterkritiker von Michael Thalheimers Inszenierung der "Penthesilea": pures Schauspiel- und Texttheater und dann auch noch kein bisschen konfliktscheu. Dass es das noch gibt! Kein Pardon gibts für Alvis Hermanis, der die Flüchtlingspolitik Deutschlands im Allgemeinen und des Thalia Theaters im Besonderen kritisiert. Wenig Sympathie hat die Zeit auch für die innige Balance des Künstlers Jeppe Hein. Und: Nikolaus Harnoncourt verkündet seinen Rückzug.

Irgendwie ein Stück Weltgeist

05.12.2015. Nachtkritik und Berliner Zeitung begeistern sich ungebremst für René Polleschs "postapokalyptisches Berapplungstheater". Nur der Tagesspiegel zeigt kein Theaterherz. Im Freitag spricht der südafrikanische Künstler Sam Nhlengethwa über schwarze Kunst zu Zeiten der Apartheid. Im Standard will Jacques Audiard Realität wie Kino aussehen lassen. Wo ist der Rausch im Dichterleben geblieben, fragt die Welt bei einer Weißweinschorle. Und in der FAZ liest Petra Mosbach Comics.

Von Wolken bis zur Eisenbahn

04.12.2015. Die SZ porträtiert die für den Turner-Preis nominierte Gruppe Assemble, die neben artists, architects auch activists sind. Die NZZ bewundert chinesische Schriftzeichen. Die Berliner Zeitung steht vor einem hochmodernen Menzel. In der SZ erklärt Amir Hassan Cheheltan, warum die Zensur des Erotischen im Iran lächerlich ist. Die NZZ feiert eine neue "Aida".

Schrille Weiber in schreienden Farben

03.12.2015. Ist das Handke? Das Treffen Thomas Gottschalks mit Peter Sloterdijk im BE verwirrte die Feuilletonisten. Die NZZ besucht eine Tristan-Tzara-Ausstellung in Straßburg, die Welt begutachtet deutsche Secessionisten in Berlin. In der NZZ überlegen Schweizer Filmemacher, warum man in Rumänien mit wenig Geld weltläufigere Filme macht als in der Schweiz.

Gspüri für das universell Provinzielle

02.12.2015. Die NZZ porträtiert den Dramatiker Massimo Rocchi als begeisterten Europäer. Das Frauenbild des Pirelli-Kalenders hat nicht nur Freunde, erfährt man bei Zeit online. Jacqueline de Ribes verkündet im New Yorker: Stil ist angeboren, Selbstbewusstsein nicht. Im  Freitext-Blog ärgert sich Angelika Klüssendorf über Karl Ove Knausgårds Hitler-Bild. Und die taz meint zu Adele: Eine von uns.

Strudelhaftes Accelerando

01.12.2015. Mehr ästhetische Raffinesse auch bei politischen Themen wünscht sich die SZ, die noch ganz taub ist von den Hasschören in Volker Löschs "Graf Öderland"-Inszenierung. Die Welt lernt von Prokofjews "Der feurige Engel", wie leicht religiöse Besessenheit in Irrsinn umschlägt. Parla italiano?, fragt Jhumpa Lahiri im New Yorker. Das Verbot der "Satanischen Verse" in Indien war ein Fehler, räumt 27 Jahre später laut Guardian der zuständige Minister ein. Die Zeit besteht auf ihrem Recht, Rap zu veralbern.