Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2015

Nah am Schimpfwort 'Progressive'

30.05.2015. Die NZZ denkt über den Wandel der Rezeption der russischen Avantgarde nach. Die Welt singt eine Lobeshymne auf Maylis de Kerangals Roman "Die Lebenden reparieren", der die Schattenwelt zwischen Herztod und Hirntod ausleuchtet. In der Presse erklärt der Schauspieler Joachim Meyerhoff, warum in jedem Vater ein König Kreon steckt. Die Berliner Zeitung fragt sich besorgt, wo man in Berlin nach dem Wechsel der Volksbühnenspitze künftig noch scheitern darf.

Suche nach Superlativen

29.05.2015. In der Welt erinnert sich Hellmuth Karasek, warum das erste Literarische Quartett so gut war: Es war wirklich eins zu eins live. Wie sexy eine grüblerische Pose sein kann, lernt Zeit online vom Rock-Gospel Algiers'. In Mailand wandert die SZ beeindruckt durch Rem Koohlhaas' Fondazione Prada. Und: Freundliche Verrisse für Johann Kresniks Zombie-Revue "Die 120 Tage von Sodom".

Ich lebe noch

28.05.2015. Die taz erkundet mit Rüdiger Suchslands neuem Film das deutsche Kino von Caligari zu Hitler. Der Tagesspiegel hört anstrengungslose diskursive Popmusik von Jamie XX. Die NZZ lernt aus Astrid Lindgrens Kriegstagebüchern, dass sie lieber "Heil Hitler" rufen, als von den Russen besetzt würde. Und Nora Bossong skizziert in der Zeit den Schock, den Jan Wagners Lyrikbestseller "Regentonnenvariationen" bei den Kollegen ausgelöst hat. Und: Volker Weidermann belebt das Literarische Quartett neu.

Überirdisch fixsternhell

27.05.2015. Unbehaustheit und wunderliche Schönheit findet die Welt in einer Ausstellung mit Werken der Neuen Sachlichkeit in Venedig. Richard Prince verkauft die Instagram-Fotos anderer für 100.000 Dollar das Stück und verstößt damit nicht gegen das Urheberrecht, lernen wir aus der Washington Post. Die SZ lässt sich von der iranischen Band Arian erzählen, wie Musiker im Iran drangsaliert werden. Die taz lässt sich erklären, warum in "Citizenfour" die Originaltöne von Snowdens Laptop überspielt wurden. Die FAZ feiert Marlis Petersens "Lulu".

Unendliche Kettenreaktion der Terzinen

26.05.2015. Der Flüchtling ist der neue Held des Kulturbetriebs. Jacques Audiard setzt ihm in seinem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film "Dheepan" ein Denkmal. Cecilia Bartoli porträtiert ihn in Salzburg als Iphigenie. Yael Ronen kürt ihn in Berlin als palästinensischen Schafskäsehändler zum zweiten Michael Kohlhaas. In der FR erklärt Arno Widmann, wie man am besten Dante liest. Die taz bewundert das 'Feeling' für Proportion des ehemaligen Bauhausdirektors Hannes Meyer.

Gibt es ein Muster hier?

23.05.2015. Zum 750. Geburtstag von Dante Alighieri erklärt Kurt Flasch der Welt, warum es sich noch immer lohnt, die "Divina Commedia" zu lesen. Die NZZ wohnt bei der Pariser Erstaufführung von Ernest Chaussons "Le Roi Arthus" einem Opernereignis von musikhistorischem Rang bei. Die Welt träumt von Yannick Nézet-Séguin als Chef der Berliner Philharmoniker. Und in Cannes diskutieren die Kritiker über die Wampe von Gérard Depardieu.

Auf Viagra und Valium

22.05.2015. In der Alten Nationalgalerie in Berlin erleben die Kritiker die Versöhnung der beiden Pressionismen. Rocko Schamoni fordert im Freitag eine Quote für schräge Songs im Radio. Beim Konzert der norwegischen Band Lemen erhoffen sich die New Yorker ihre Verwandlung in Literatur, berichtet die SZ. Lydia Davis erläutert in der NZZ ihr literarisches Programm. Gaspar Noe liefert in Cannes den diesjährigen Skandalfilm. Und die taz möchte Hou Hsiao-Hsien für "The Assassin" die Goldene Palme für Eleganz verleihen.

Kritik am Luxus im Gewand des Luxus

21.05.2015. Die taz attestiert dem deutschen Theater Philosemitismus und wünscht sich Rainer Werner Fassbinder zurück. Okwui Enwezor erläutert der FR sein leicht perverses Kurationskonzept für die Kunstbiennale Venedig. Lukas Bärfuss denkt in Solothurn über die unterschiedlichen Zielgruppen von Politik und Literatur nach. Und die SZ vergisst aus Ergriffenheit über Achim Freyers Wiener Inszenierung von Salvatore Sciarrinos Oper "Luci mie traditrici" ihre Position im Universum.

Manchmal ist es auch eine Zumutung

20.05.2015. In Cannes ziehen die Kritiker eine Bilanz der ersten Festivalhalbzeit und rätseln über die Entscheidungen der Auswahlkommission. Mit großem Vergnügen lässt sich die Nachtkritik beim Internationalen Figurentheaterfestival in Nürnberg, Erlangen und Fürth überfordern. Der gefräßige Kunstmarkt macht aus Künstlern Rockstars, beklagt die SZ. Die NZZ bestaunt in Barcelona den Humor und die Selbstironie von Maria Lassnig.

Alles, woran wir glauben und was uns beherrscht

19.05.2015. Die Abwesenheit deutscher Filme in Cannes lässt die Kritiker über die Misere des hiesigen Kinos und Födersystems nachdenken. Die taz verfolgt, wie sich Georgien auf seinen Auftritt als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2018 vorbereitet. Geradezu prophetisch erscheint der Welt die wiederentdeckte, zurzeit in Berlin ausgestellte Installation "Total Recall" von Gretchen Bender aus dem Jahr 1987. Beim Berliner Theatertreffen bekamen die Besucher so viel Gegenwart wie möglicherweise noch nie geboten. Zum Abschluss gab es ein allerletztes Mal Frank Castorfs künftig verbotenen "Baal".

Geblendet vom Glanz des großen Coups

18.05.2015. Mäßig unterhalten und wenig überzeugt zeigt sich die Kritik von Yasmina Rezas an der Schaubühne uraufgeführtem Stück "Bella Figura". Mit "Carol" von Todd Haynes und "Mia Madre" von Nanni Moretti gibt es in Cannes erste Favoriten, Gus van Sants "Sea of Trees" fällt hingegen durch. Die SZ preist Kamasi Washingtons dreistündiges Album "The Epic" als Meilenstein des Modern Jazz. Und die taz findet in Neu-Ulm, was sie in Venedig vergeblich suchte.

Der Panther der Erkenntnis

16.05.2015. Weiter geht's in Cannes: László Nemes' Auschwitz-Drama "Son of Saul" verstört die Kritiker. Nach Yorgos Lanthimos' Groteske "Lobster" erklärt die SZ Kargheit, Bosheit und surrealen Humor zur griechischen Staatsräson. Die NZZ entdeckt auf der Expo in Mailand, dass sich in Containern auch Ideen transportieren lassen. Die taz bewundert den neuen Military-Look bei der Fashion Week in Moskau. In der Welt lässt Haruki Murakami Geld vom Himmel regnen. Und aus allen Zeitungen erklingt noch einmal die bezaubernde und kapriziöse Lucille.

Die Magie der Paste bleibt behauptet

15.05.2015. Cannes beginnt! Emmanuelle Bercots Eröffnungsfilm überzeugt die Kritiker lediglich als Debattenbeitrag zur Rolle von Frauen im Festival. Die SZ besichtigt chinesische Kunst in acht Ruhrgebietsstädten. Die Berliner Zeitung diagnostiziert dem Berliner Theatertreffen Überlebensgefahr. Angesichts des Romans "Venus siegt" sorgt sich der Freitag um Dietmar Daths rapide schrumpfende Zielgruppe. Die Antilopen Gang berichtet in der taz von ihren Erfahrungen mit dem Aluhut-Milieu. Und B. B. King ist gestorben.

Ihr Ich und ihr Ihr, ihr Wir und ihr Anderes

13.05.2015. Nachdem sich die Berliner Philharmoniker nicht auf einen neuen Chefdirigenten einigen konnten, sind die Zeitungen uneins, ob es sich dabei um einen Sieg oder eine Niederlage der Demokratie handelt. Die Zeit trägt bei der Biennale in Venedig die Kunst zu Grabe. Die Kritiker lassen sich von George Millers filmgewordenem Monstertruck "Mad Max: Fury Road" überrollen. Und der Tagesspiegel wirft einen letzten Blick auf Picassos "Frauen von Algier", bevor sie bis auf Weiteres im Safe eines Investors verschwinden.

Fenster in eine Welt ohne Berührungsängste

12.05.2015. Das Konklave der Berliner Philharmoniker blieb ergebnislos. Die Medien gehen von einem tiefen Richtungsstreit aus. George Miller erzählt in der Berliner Zeitung, weshalb in seinem wahnwitzigen Actionfilm "Mad Max: Fury Road" alles echt ist. Über Susanne Kennedys beim Berliner Theatertreffen aufgeführte Inszenierung von Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok" ist die taz sehr erfreut, über die Fassbinder-Ausstellung im Gropiusbau weniger. Und die NZZ blickt neidisch auf die Abonnentenzahlen der Literaturkritiker bei Youtube.

Schreckensknalleffekte am Abgrundrand

11.05.2015. Bei der Wahl des neuen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker hofft die Zeit auf ein Ja zur Elite, der Tagesspiegel auf Mut zur Jugend. In der Welt erklärt der neue Cannes-Chef Pierre Lescure, warum er das Festival stärker nach China ausrichten möchte. Matthias Lilienthal macht sich in der taz zum Antritt seiner Intendanz an den Münchner Kammerspielen auf blutige Nasen gefasst. Alle berichten von der Trauerfeier für Günter Grass. Und die SZ erlebt beim Tourauftakt von AC/DC einen Treppenwitz der Pop-Geschichte.

Auf die Gurgel getreten

09.05.2015. In Venedig eröffnet die Biennale, Okwui Enwezors zentrale Schau im Arsenale stößt wie stets auf ein geteiltes Echo: Die taz findet sie souverän, die NZZ zu elegant, die SZ zu disparat. In der Frage der Rattle-Nachfolge bei den Berliner Philharmonikern donnert die SZ gegen Vereinnahmung und für Diskurs. Die taz beginnt einen Entwicklungsroman mit Chris Dercon als Protganisten. In der Welt geißelt Zadie Smith die Heuchelei des Londoner und Berliner Hipstertums. Und Tina Fey schenkt David Letterman ein Kleid.

Klarer ist das Statut nicht

08.05.2015. Die taz wirft Kugeln mit Dirigentennamen für die Berliner Philharmoniker in die Luft. Die aber halten dicht. In München gibt Matthias Lilienthal als neuer Chef der Kammerspiele den liebsten Intendanten seit langem. Der Tagesspiegel guckt ungläubig auf die Liste für den Deutschen Filmpreis: Wo sind Dominik Graf, Christian Petzold, Andreas Dresen und Oskar Roehler?

Tanzt um euer Leben, wehrt euch!

07.05.2015. Welt und SZ freuen sich über den widerborstigen, radikal zeitgenössischen deutschen Pavillon in Venedig. In der Zeit unternimmt Clemens Meyer Orts-Begehungen-mit Managern-Wahnsinn in deutschen Provinztheatern. Die NZZ meldet dagegen eine Blüte des britischen Theaters. In der taz ermuntert der Dokumentarfilmer Sergej Loznitsa den Kinozuschauer: Vergiss die Henne! Und die Berliner Zeitung klappert im Berghain mit ihrem Skelett fröhlich zu den Bass-Ostinati Peter Rehbergs.

Von Verzückung bis Erheiterung

06.05.2015. Der ganze Aufbruch im Museum - Berliner Zeitung und FAS besuchen die große Fassbinder-Ausstellung in Berlin. Die NZZ steht bewundernd vor dem Krauthobel aus der Küchenlade Adalbert Stifters. In der Polar Gazette denkt Thomas Wörtche über "Pulp" nach und blutige Steaks. America is hard to see, lernt die NZZ in der Inaugurationsausstellung des neuen Whitney Museums.

In Haute-Couture erzählt

05.05.2015. In Mailand hört die NZZ eine elektrisierende Schlacht ums hohe C zwischen Nina Stemme und Aleksandr Antonenko. Der Tagesspiegel beobachtet geniale Dilettanten in Minsk. In der Welt kritisiert die Pianistin Gabriela Montero einen der Favoriten für die Rattle-Nachfolge, Gustavo Dudamel, als Kollaborateur der venezolanischen Linkspopulisten. Die Presse sorgt sich vor allem um die fehlende harmonische Klangkultur der Berliner.

Zarte Ausdrucksnuancen

04.05.2015. Die Feuilletons trauern um einen schwarzen Schwan: die letzte große Primaballerina des 20. Jahrhunderts: Maja Plissezkaja. Und auch der britische Krimithron ist seit dem Tod Ruth Rendells verwaist. Die Welt sieht in Paris die beste Markus-Lüpertz-Ausstellung seit langem. The Quietus zieht durch die "Ghost Cities of China". Die Berliner Zeitung weiß nach Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" beim Theatertreffen nicht mehr, wo Debatte aufhört und Theater anfängt.

Essenz entsteht durch Quetschen

02.05.2015. In der Welt erklärt der britische Architekt David Chipperfield, warum Plattenbauten ein Segen für Berlin sind. Außerdem stellt sie das Konzept des Biennale-Kurators Okwui Enwezor vor. Im Freitag wünscht sich Ex-Volksbühnendramaturg Carl Hegemann Frank Castorf an die Tate Modern. Die Berliner Zeitung durchlebt in Stephan Kimmigs "Don Carlos"-Inszenierung ein herzrhythmushetzendes Mitdenkabenteuer. Die NZZ würdigt die erste deutsche Übersetzung von Emily Dickinsons Gesamtwerk.