Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2015

Dieses finale Monaco-Franze-Gefühl

31.03.2015. Die Feuilletons trauern um Helmut Dietl, der den Deutschen bewies, dass intelligentes publikumsfähiges Unterhaltungsfernsehen möglich ist. Die taz lässt sich erklären, warum die Maker-Kultur in Afrika ganz groß ist. Eine Wolkenkratzernadel in Vals? Vielleicht, meint die NZZ. Nowosibirsks Opernchef Boris Mesdritsch wurde wegen einer blasphemischen "Tannhäuser"-Inszenierung gefeuert, meldet die Welt. Und die Popkritiker staunen über den großen Amerika-Abgesang von Sufjan Stevens.

Denkscharfe Realismuspranke

30.03.2015. Große Oper in Salzburg mit Ruggero Leoncavallos "Pagliacci" und Pietro Mascagnis "Cavalleria Rusticana". Jonas Kauffmann singt beide Hauptrollen und Philipp Stölzl teilt das Bühnenbild sechsfach. Welt und Tagesspiegel sind hingerissen, während FAZ und Standard besorgt die Stirn kraus ziehen. An Dmitri Tcherniakovs Inszenierung des "Parsifal" in Berlin gefiel vor allem Daniel Barenboims musikalische Leitung. Zeit online ist bestrickt von VAN, einem neuen Tablet-Magazin für klassische Musik. Die FAZ feiert bei den Männerschauen in Paris die Rückkehr des Pfaus. Nur das E-Paper der SZ war heute leider nicht erreichbar.

Wäre das Neue nicht in Wahrheit alt

28.03.2015. Die aufregendsten Filme Europas entstehen zurzeit in Polen, weiß die Zeit. Die FR würdigt Heinrich von Kleist als Ahnherr des Blogs. Die SZ bedauert das Scheitern der Bauhaus-Utopie. Im Freitag vergleicht Frank Günther die Universen von "House of Cards" und Shakespeare. Die Berliner Zeitung lässt sich von den grotesken Raum-Installation Koki Tanakas verunsichern. Und alle trauern um den großen schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer.

Die Freuden des Kapitalismus

27.03.2015. Yacht Rock erinnert die taz an Zeiten, als es noch perlende Pianos, folgenlosen Sex und jede Menge Genussgifte gab. Macht aus der Volksbühne ein Tanzhaus, schlägt die Welt vor. Innovative neue Literatur kommt künftig eher aus Indien oder China als aus Europa, glaubt Orhan Pamuk in der NZZ. Die taz bringt dem philippinischen Low-Budget-Regisseur Khavn De La Cruz ein Ständchen.

Richtiger Mann der Zukunft

26.03.2015. Chris Dercon, Leiter der Tate Modern in London, als Castorf-Nachfolger an der Berliner Volksbühne? Der Tagesspiegel kann sich das gut vorstellen. In der Zeit beklagt Wolfgang Ullrich die Trivialisierung der Kunst. Die taz feiert Oskar Roehlers karnevalesk verkleideten Film "Tod den Hippies - Es lebe der Punk!" Die NZZ unterhält sich mit der amerikanischen Autorin Rachel Kushner über Auslassungen und Leerstellen. Und: Pierre Boulez wird Neunzig! In der FAZ erinnert sich sein Schüler Jörg Widmann an seine erste Begegnung mit den Boulezschen Klanggewittern.

Ich, wieder ein ganz Anderer

25.03.2015. Die FAZ lernt von den Grandbrothers das Paradox des Minimalismus. Die taz lernt in einer Hamburger Ausstellung über Fast Fashion, was wahrhaft ästhetische Mode ausmacht. Die NZZ besucht den türkisch-zypriotischen Dichter Mehmet Yaşin. Und: Die Feuilletons trauern um die Opernsänger Oleg Bryjak und Maria Radner, die gestern beim Absturz der Germanwings-Maschine starben.

Neuerdings eine Wut

24.03.2015. In der Ausstellung "Feministische Avantgarde der siebziger Jahre" lernt die Berliner Zeitung, wie wild, interessant und attraktiv Feminismus ist. Die Welt porträtiert den vom Basketballstar zum Schriftsteller gewandelten Kareem Abdul-Jabbar. In der taz beschreibt Jimmy Somerville Disco als Teil des amerikanischen Untergrunds. Der Standard erstarrt vor Hitlers Wien 3000.

K.-o. über sein Publikum

23.03.2015. Eine Sitcom des Grauens - in jeder Hinsicht - erlebten die Theaterkritiker mit Frank Castorfs Hamburger Inszenierung des Hans-Henny-Jahnn-Stücks "Pastor Ephraim Magnus". In der NZZ reist Cees Nooteboom auf den Spuren von Michael Jacobs und Gabriel García Márquez ins kolumbianische Cartagena de Indias. Der Tagesspiegel porträtiert die Filmkuratorin Verena von Stackelberg.  Die FR gerät angesichts weiblicher Omnipotenzbehauptungen von Nicki Minaj ins Grübeln. Die NZZ reist nach Miami Beach.

Lust auf die Zukunft

21.03.2015. Endlich mal Shakespeare sieht der Tagesspiegel in Tilmann Köhlers "Macbeth"-Inszenierung am Deutschen Theater. Die FR sieht dagegen nur geilen Gaukelzauber. Die Berliner Zeitung bittet die Berliner Kulturpolitiker: Lasst Castorf machen, bis er stirbt. Bei Van erklärt die Komponistin Eva Reiter, wie man Klänge verändert: mit einem kleinen Styroporstückchen oder einem Ofenanzünderstäbchen zwischen den Saiten. Der New Yorker feiert den Birkenstock.

Wer spielte sonst so metaphysische Pausen?

20.03.2015. Die Musikkritiker sind euphorisch: Kendrick Lamars neues Album ist ein Meisterwerk voller ultra-informierter Monstertracks. Die NZZ stellt die römische Occult-Psychedelic-Szene vor. Zeit online sieht mit J.C. Chandors Politthriller "A most violent year" eine Renaissance von "New Hollywood" erblühen. Der Freitag beklagt die Ignoranz gegenüber dem Theater in der Provinz. Der Standard beobachtet, wie die Zeit an der Mode nagt.

Lippkarü! lippkarü! (brchnchsprch)

19.03.2015. Die Welt verzweifelt an der Liebe im 21. Jahrhundert. Was kommt nach der Krise, fragt der Freitag, wird aber auch in der Science-Fiction nicht fündig. In der Zeit hat Wolf Haas mehr Lust auf Zerstörung. Die SZ bewundert kindlichen Trotz und pubertären Übermut des Dramatikers Wolfram Lotz. Die NZZ lässt sich vom Architekten Arno Lederer in die Kunst des Kontextes einweisen.

Maximale Emotion, maximaler Schmerz, maximale Empathie

18.03.2015. Der Standard staunt über Kunstexperimente um 1500. Jesus war ein fabelhafter Jude, meint Amos Oz in der NZZ. Es gibt kein Schweizer Kino, grummelt Jean-Luc Godard in einem Kurzfilm. FAZ und Wiener Zeitung feiern Serge Dornys Opernbiotop in Lyon, dessen Frische das museumsstarre Dresden gut hätte gebrauchen können. Neue Musik muss sich nicht rechtfertigen, erklärt in der taz Berno Odo Polzer, neuer Leiter der MaerzMusik.

Kunstchamäleon

17.03.2015. Die SZ lernt afrikanisches Design als global vernetztes Experimentierfeld kennen. Dieter Roth ist immer noch eine Zumutung, lernen Berliner Zeitung und taz in einer Berliner Ausstellung. Die NZZ betrachtet die gepanzerten Männer und Frauen von Richard Lindner. In der FAZ erinnert Kurt Drawert an den  nüchternen Blick des Lyrikers Karl Krolow. Und: ein Ausschnitt aus Jan Jiráseks neuer Oper nach Karel Čapeks Theaterstück "R.U.R.".

Antiromantisch, zugleich antispießbürgerlich

16.03.2015. Die FR staunt immer noch über den Museumsgründer Johann Friedrich Städel, einen antifeudalen Geldhändler mit aufklärerischer Gesinnung und freiem Geist. SZ und FAZ stürzen sich in die Kölner Polke-Orgie. Die taz bewundert Alexander McQueens dämonischen Umbau unserer Körper. In der Nachtkritik erklärt Thomas Ostermeier, warum er kein Castorf-Epigone sein will. Am Wochenende hatte Claus Peymanns Inszenierung von Thomas Bernhards "Macht der Gewohnheit" am Berliner Ensemble Premiere: Ein Ereignis!, ruft die Berliner Zeitung, Forelle flau!, die FAZ.

Auf den Wogen des Vegetativen

14.03.2015. In der NZZ erinnert sich Bora Cosic an seinen Freund Danilo Kis, der die ganze Leere des Lebens in eine rote Blechkiste packte. In der Welt beschwört A.L. Kennedy die Stille vor dem Kuss. Die SZ erlebt halbe Saalschlachten mit Thomas Ostemeiers "Volksfeind" auf Welttournee. Die FAZ bewundert in Frankfurt Isa Genzkens leicht derangierte Figuren. Mit Begeisterung reiten die Kritiker auf den Gefühlswellen in René Polleschs und Dirk von Lotzows Berliner Oper "Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte".

Weiße Puppen paradieren dort

13.03.2015. In der NZZ besteht Mircea Cartarescu darauf, dass es nur ein Europa gibt. In der Welt erzählt der Oboist Albrecht Mayer, warum er sich bei Mozart und Strauss rar macht. Im Freitag erklärt Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, warum er auf der Theaterbühne freier ist als auf der Konzertbühne. Die FAZ schlängelt sich an prächtiger italienischer Mode vorbei. Alle trauern um Terry Pratchett.

Wir sind alle Judas

12.03.2015. Die FAZ rühmt Moshe Kahns weltweit erste Übersetzung von Stefano D'Arrigos Epos "Horcynus Orca". Außerdem sähe sie den Leipziger Buchpreis gern an Jan Wagner verliehen. In der Zeit schildert Amos Oz das Tschernobyl des Judentums. Der Freitag rauscht begeistert durch interaktive Comics. Auf Zeit online hat Helene Hegemann Riesenspaß mit Madonna. Die Filmkritiker frösteln in Andrej Swjaginzwes "Leviathan". Und: Alle vermissen jetzt schon das Bau-Gen von Frei Otto.

So viel heilige Naivität

11.03.2015. Die Welt lernt in Venedig, warum Henri Rousseau der wahre Bohemien ist. In der Berliner Zeitung erzählt Mircea Cartarescu, wie Welt und Worte sein Papier überfluten. Najem Wali erinnert in seiner Dankesrede für den Kreisky-Preis daran, dass es Freiheitskämpfer überall auf der Welt gibt. In der Welt spielt Rammstein-Organist Christian Lorenz lieber mit der Stasi.

Pracht, Kitsch und Süße

10.03.2015. Die Opernkritiker schlürfen ohne Reue die Luxusbrause, die Rolando Villazon ihnen mit Puccinis "La Rondine" vorsetzt. In der SZ erzählt Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow, warum er eine Oper komponieren wollte. Ein Mohnfeld ist ein Mohnfeld ist ein Mohnfeld, lernt die Welt in der Frankfurter Monet-Ausstellung. Die FAZ fordert mehr zeitgenössische Literatur im Deutschunterricht. Die NZZ besucht die ehemalige Arbeitersiedlung Pullman City.

Der eine Stoff, aus dem man Metaphysik machen kann

09.03.2015. In der NZZ erinnert sich Liao Yiwu an die erste Ausstellung der unter Hausarrest stehenden Künstlerin Liu Xia, deren Fotoarbeiten zur Zeit in Berlin zu sehen sind. Die Theaterkritiker verdauen noch Romeo Castelluccis tonnenschwere "Ödipus"-Inszenierung. Die NZZ porträtiert die Theaterregisseurin Yael Ronen. Cargo lernt in Ivette Löckers Dokumentarfilm den Schock der Freiheit durch die Augen eines russischen Junkie-Pärchens. In der FAZ fordert der Dichter Arne Rautenberg seine Kollegen auf: Nutzt eure Freiheit.

Personalunion von Geronten und Rebellen

07.03.2015. Das neue Madonna-Album bereitet den Musikredaktionen schweres Kopfzerbrechen. Zeit Online erkennt auf süße neoliberale Härte. Die FAZ fragt, warum Frauen im Pop nie Frauen sind, sondern immer ein Statement. In der SZ verrät Okwui Enwezor, wie er der Biennale in Venedig Marx einimpfen will. Die NZZ besichtigt einen trutzigen Kompromiss in New York. In der Welt wagt sich Norbert Scheuer aus der Eifel und blickt prompt auf die Berliner herab. Der Guardian lernt von Alexander Wang, Mode als Gespräch zu begreifen.

Chiffre für Denk­faul­heit

06.03.2015. In der NZZ muss Ingo Schulzes Hund nach Lübeck, zu Günter Grass. Hoch beeindruckt steht die FR vor Gerhard Richters Birkenaubildern. Nach dem Skandal um den World Press Photo Award meint Bruno Dubreuil bei OAI 13: Fälschungen gabs in der Fotografie von Anfang an. Artechock beklagt die Heuchelei älterer Filmkritiker. Horrorfilmregisseur John Carpenter hat mit 67 Jahren sein erstes Popalbum vorgelegt: Die Welt ist hin und weg. In L'Express erklärt Alber Elbaz, warum Jeanne Lanvins Kleider ihre ganze Modernität erst im Liegen offenbaren.

Kawusch-Kawusch

05.03.2015. Großes Lob für Julianne Moore, die in "Still Alice" wunderbar zurückhaltend eine alzheimerkranke Kognitionswissenschaftlerin spielt. In der NZZ schildert Alberto Nessi eine Reise durch Kroatien. Die Welt lernt vom Maler Emile Bernard, wie Revolutionäre zu Reaktionären werden. Ebenfalls in der Welt erzählt DJ Westbam, warum es kein Techno ohne Karneval gibt. In der Zeit kratzt Gerhard Richter an der Aura des Originals.

Spiele der Unschuld

04.03.2015. Die NZZ bewundert den Geist der Kleidung in einer Modezeichnung von Aurore de La Morinerie. Die Welt staunt über das Verhältnis von Mensch und Hund in den Bildern von Lucian Freud. Die taz bewundert originelle Ganoven- und Dirnenfilme aus den Dreißigern in einer Retrospektive des Filmemachers Werner Hochbaum. Der Tagesspiegel wirft musikalisches Prozac von Madonna ein.

Immerhin ein Anfang

03.03.2015. Mit der Gummisexpuppe bei Puccini können die Kritiker nicht viel anfangen, aber der Geschlechterkampf bei Bartok kommt gut an: All dies von Calixto Bieito an der Komischen Oper inszeniert. Das Port Magazine spricht mit dem Kurator der ersten Ausstellung über neue südkoreanische Architektur in London. Der Romancier Sherko Fatah erklärt im Interview mit der FR, warum er über Folter schreiben musste. In der NZZ trauert Georg Klein um Mister Spock. Information is beautiful serviert einen Cocktail.

Geleimt und schwarzweiß gefedert

02.03.2015. Abrechnung mit einer sadistischen Erziehung? Widerstand gegen die Entsagung? Die Gedichte von Christine Lavant sind mehr als nur Ersatzhandlung, verteidigt Zeit online Lavant gegen Marlene Streeruwitz und Monika Rinck. Bevor die Münchner über neue Konzertsäle diskutieren, sollten sie über neue Musik nachdenken, regt Zeit online an. Die Presse beobachtet die Verwandlung von fünf Schauspielern in Tiere. Standpoint sorgt sich um die Zukunft der Berliner Philharmoniker. Und: Alle trauern um den türkischen Autor Yaşar Kemal.