Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2016

Dialoge des Ichs mit dem Ich

29.02.2016. Claus Peymanns Rückkehr an die Burg mit einem Handke-Stück erfüllt alle Erwartungen: obsoleter Theaterdonner!, Ernsthaftigkeitsverzweiflung!, mittleres Desaster!, schimpfen die Kritiker von Tagesspiegel bis Standard. Nur Christopher Nell fanden alle großartig. Die SZ nimmt schon leise Abschied vom SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden. Die Welt feiert den FeTAp 751 des Tönis Käo. Und große Erleichterung in der Filmbranche: Leonardo di Caprio hat endlich seinen Oscar.

Musiker dürfen wachsen

27.02.2016. Aktualisiert: Karl Dedecius ist gestorben, meldet das Deutsche Polen Institut. In der taz denkt die Kuratorin Susanne Pfeffer über den epochalen Bruch nach, den die Digitalisierung für die Kunst bedeutet. Die Welt feiert den slowenischen Autor Aleš Šteger als wahren Europäer. Wer wissen möchte, wie Palmyra bis vor kurzem noch aussah, betrachte die im 18. Jahrhundert gefertigten akribischen Zeichnungen Louis-François Cassas', empfiehlt die FAZ. Viele Oscars wünscht sich Variety für "Mad Max: Fury Roads". Die taz tanzt mit Fatima Al Qadiri zu explodieren Gaskartuschen. Die Spex beklagt die Diktatur der Angepassten in Indie-Deutschland.

Irres Potenzial zur Freiheit

26.02.2016. Die Stadt Leverkusen plant, das renommierte Museum Schloss Morsbroich zu schließen, um ihren Haushalt zu sanieren. In einem Offenen Brief protestiert Gerhard Richter, meldet die Welt. Braucht es eine Quote für Diversität im Kino? Ein pro und contra in Zeit online. Statt Blackfacing Whitefacing: Die SZ bewundert Christian Weises "Othello"-Inszenierung am Maxim Gorki Theater. Claus Peymann wird an der Burg die Uraufführung von Peter Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" inszenieren, freut sich jetzt schon die FR.

Einheit von Hand und Hirn

25.02.2016. Die Filmkritiker staunen in "Spotlight" über journalistische Praktiken vor der Digitalisierung. Die FAZ bewundert Francisco Mangados surrealistischen Anbau für das Kunstmuseum in Oviedo. Die FR erliegt dem Reiz der überschwänglichen Ambivalenz des Manierismus. Die taz resümiert das Theaterfestival EuropolyGerhard Richter erklärt in der FAZ, warum man gegenständlich abhebt, aber abstrakt landet. Und: das neue Video von Massive Attack, in dem Rosamund Pike Isabelle Adjanis berühmte U-Bahnszene aus Zulawskis "Possession" nachspielt.

Lautstärke ist Testosteron

24.02.2016. In der FR beklagt Andreas Scholl das überholte Männerbild im klassischen Gesang. Die Welt verabschiedet die letzte deutsche Ballerina. Die NZZ freut sich, mit Stratis Tsirkas endlichen einen griechischen Klassiker der Moderne entdecken zu dürfen. Die FAZ erlebt in der großen Frankfurter Manierismus-Schau die Gegenwart des Cinquecento. Und: Kurtag spielt Bach nach Kurtag.

Das arme Würstchen Mensch

23.02.2016. Die NZZ sieht das Literarische Quartett schon zur Kölner Runde werden. Die FAZ besucht Wolf Wondratschek, der seine Gedichte jetzt lieber dem solventen Kunstmarkt anbietet als einem Verlag. In Johannes Kalitzkes in Heidelberg uraufgeführten Oper "Pym" taucht sie unter Möwengeschrei in ein Meer von Zwölftönen. Die Presse unterhält sich mit Peter Handke übers Theater von heute und sein Stück "Die Unschuldigen". Der Standard reist mit Hans Schabus durch den Körper der Zeit. Die SZ findet, dass DJ-Kultur schwarz sein muss, um nicht nur Spaß zu machen.

Metapher für große Anwendungen

22.02.2016. Der Goldene Bär für Gianfranco Rosis Lampedusa-Doku "Fuoccoammare" spaltet die Kritik: Typisches Konsenskino, ächzt der Tagesspiegel. Die FAZ sieht mit dem Film dagegen nicht das Kino, aber unseren Wirklichkeitsbegriff erneuert. Großes Schauspiel erlebte die Nachtkritik in John von Düffels Stuttgarter Antiken-Collage, mit Astrid Meyerfeldt als Klytaimnestra. Die Presse untersucht unser Sprechen über Migranten. Und der Standard spürt dem Geburtsort der Moderne im arkadischen Dalmatien nach.

Geheimlehre und Partywissen

20.02.2016. Die SZ erlebt Baukunst und Raumqualität im Düsseldorfer Untergrund. Der Perlentaucher feiert die Berlinale als bunten Flickenteppich des Weltkinos. So langsam finden die Kritiker Worte für Lav Diaz' achtstündigen Wettbewerbsbeitrag "A Lullaby to the Sorrowful Mystery". Die Welt singt den Komponisten Helmut Lachenmann, Friedrich Cerha, György Kurtág und Aribert Reimann ein Ständchen zum Dreihundertvierzigsten. Und große Trauer um Umberto Eco und Harper Lee.

Hier wuchert das Chaos

19.02.2016. Die ersten Reaktionen auf Lav Diaz' Mammutfilm "A Lullaby to the Sorrowful Mystery" bei der Berlinale: Erschöpft, aber glücklich. Die NZZ lernt in der Casa de la Literatura Peruana, dass Peru 47 Sprachen hat. Außerdem begutachtet sie die chinesischen Leben des Managers, Diplomaten und Kunstsammlers Uli Sigg, den Michael Schindhelm in einem Filmporträt verewigt hat. Im Zeit-Magazin erklärt Demna Gvasalia, neuer Chefdesigner von Balenciaga: Ich liebe die Art, wie sich die Deutschen kleiden. Wow.

All die zeichenlosen Formlosigkeiten

18.02.2016. Mit seiner Stuxnet-Doku "Zero Days" bringt Alex Gibney wieder Spannung in den Berlinale-Wettbewerb, freuen sich die Kritiker. Die Welt nähert sich in Genf dem vielfältigen Werk der amerikanischen Malerin Rochelle Feinstein. Die SZ erlebt bei Tatjana Gürbacas "Jeanne d'Arc"-Inszenierung, wie die permanente Krise im Kölner Opernbetrieb das Theater beflügelt. Und die Zeit geht zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch durch die Hölle.

Ein Mann, eine Frau, ein Fluss

17.02.2016. Historisch finden alle das erste Konzert der Eagles of Death Metal in Paris nach den Anschlägen. Die SZ sieht allerdings eher in Kendrick Lamar den Musiker der Zeit. Der Tagesspiegel fragt: Seit wann hinkt das Theater dem Fernsehen hinterher? Die FAZ findet bei Heinz Strunk das Bedeutungsvolle in vollkommener Trostlosigkeit. Bei der Berlinale versetzt Spike Lee mit seinem knalligen HipHop-Musical "Chi-Raq" die ansonsten schon murrenden Kritiker in gute Laune.

Mit liebevoll verlotterten Sitten

16.02.2016. Die Berlinale ist gestern mit einer Fallada-Verfilumg und Danis Tanovics "Death in Sarajewo" ein wenig ins Stocken geraten. Die Nachtkritik lernt von Völker Lösch, wie man mit Lessing junge Muslime und Bonner Bürgertum zusammenbringt. Etwas zu knallig findet die Welt die Restaurierung der Kathedrale von ChartresZeit Online trauert um Hamburgs am Wochenende abgebrannten Golden Pudel Club.

Noch ethisch oder schon voyeuristisch?

15.02.2016. Die Berlinale hat am Wochenende ordentlich Fahrt aufgenommen. Auf große Begeisterung stößt Mia Hansen-Løve mit "L'Avenir", gestritten wird über Gianfranco Rosis Lampedusa-Doku "Fuocoammare", und die Wucht von Anne Zohra Berracheds Abtreibungsdrama "24 Wochen" hat alle ganz unvorbereitet getroffen. Einen geradezu komödiantischen Kafka erlebte die taz in Berlin. Im Guardian bemerkt Will Self: Mit dem öffentlichen Raum schwindet auch die Fantasie. Und die NZZ macht es sich schon mal im Übersee-Container gemütlich.

Imaginäre Zeitlichkeit

13.02.2016. Auf der Berlinale erlebte die SZ mit Jeff Nichols den paranoiden bösen Bruder von Steven Spielberg. Überhaupt nicht witzig finden Freitag und Zeit online die Naziserie "Familie Braun". Die NZZ gerät in einen Dialog mit der Fliege auf dem Knie des Kardinals Bendinello Sauli. Die Welt porträtiert den Klarinettisten Martin Fröst als Derwisch. Will Düsseldorf etwa Metropole werden, fragt naserümpfend die FAZ.

Die Magie war wunderbar

12.02.2016. So viel gute Laune unter Filmkritikern gab's noch nie: "Hail Caeser!" ist ein Knaller! Die Coen-Brüder haben mit ihrer Hommage an das Hollywood der Fünfziger die Berlinale glanzvoll eröffnet. Im Freitag erklärt Regisseur Philip Scheffner sein Konzept für eine "Havarie". Die taz beklagt die selbstgerechte Israelkritik der Berlinale-Filme zum Nahen Osten. Außerdem: In der Spex feiert Georg Seeßlen den Comic. Die NZZ feiert eine neue Generation amerikanischer Jazzmusiker.

Zwischen Witz und Horror

11.02.2016. Die Filmkritiker laufen sich warm für die Berlinale und geben erste Ausblicke auf das, was kommt. Tom Tykwer verspricht ein brutales, schnelles und schmutziges Berlin in seinem Serienprojekt "Berlin Babylon". Die FAZ verneigt sich vor dem so grausigen wie zärtlichen Mezzo Ekaterina Semenchuk und staunt über japanische Fotografen aus den 60ern. Die NZZ bewundert Jean Dubuffet.

Liebe? Nada.

10.02.2016. In der Welt spricht Laura Poitras über ihre Ausstellung "Astro Noise" und warnt vor dem freien Campieren im Jemen. Vor der morgen beginnenden Berlinale erinnert Critic.de an die Frivolität des deutschen Kinos in den Sechzigern. Dominik Graf geißelt in der FAS Bürokratismus und Kleingeistigkeit in der Filmproduktion von heute. Irritiert bemerkt die FAZ beim Stuttgarter Eclat-Festival zur Neuen Musik einen Drang zu Aussagen. Und der Guardian bricht eine Lanze für die Anmaßung.

Wir sind im Empyreum

09.02.2016. Die Zeit feiert die Künstlerin Britta Thie als neue Meisterin der Ungezwungenheit inmitten aller Zwänge. Der Wiener Kurier geht noch einmal mit Thomas Bernhard zu den Alten Meistern ins Kunsthistorische. Die FR durchstreift die Chronik der Welt in 13 Sphären. Die taz resümiert den Club Transmediale. Und die SZ ist hin und weg von Beyoncé, aber natürlich diskurstheoretisch abgesichert.

Weil montags alles ruht, nun alles montag bleibt

08.02.2016. Von Karin Beiers Hamburger Houellebecq-Inszenierung hätten sich die Kritiker eher einen Energiestrom als einen Kraftakt erhofft. Wie virtuos Edgar Selge jedoch das Elend männlicher Dekadenz darstellt, hat sie begeistert. In der NZZ blickt Wolfgang Kemp nach Katar, wo Scheicha Al Mayassa wieder einmal den Museumsbetrieb um sich schart. Der Guardian wandert durch Daido Moriyamas Tokio. Die FAZ blickt auf die durchaus erfüllte Liebe von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Die Welt fragt sich, warum im Berlinale-Wettbewerb nur ein einziger deutscher Film läuft.

Unter den Auspizien des Tingeltangels

06.02.2016. Die taz fordert, hofft, verspricht: Von jetzt an keine literarischen Routinen mehr. Die Welt bewundert das Anti-Design des Josef Frank. Der Standard staubt Monets Seerosen ab. Die NZZ erlebt in Mailand einen wahrhaft irritierenden Pirandello. Und die SZ feiert Dada als Proto- und Post-Punk, zeigt aber keine Gnade gegenüber seinen Epigonen.

Ein Urahn namens Dodo

05.02.2016. Alles Dada heute. Die taz sucht in einer ganzen Ausgabe nach dem Erbe von Dada. Die NZZ erkundet den Dadaglobe und den Geist von Dada. Außerdem: Die Welt kommt schreckensstarr aus Michael Bays Bengasi-Thriller "13 Hours". Die Filmkritiker blicken in die grünen Augen Charlotte Ramplings. Die Spex feiert das Musik-El-Dorado, das ihr Streamingdienste eröffnen. Die Jungle World hört die beste Queer-Politics-Hymne, die je von weißen heterosexuellen Männern geschrieben wurde.

Aschenputtelbutterbrot

04.02.2016. Die Sowjetunion lebt noch! Jedenfalls in der Sprache des russischen Autors Sergej Lebedew, dem Per Leo in der FAZ ein Ständchen bringt. Ulla Lenze lernt in Basra, dass auch konservative Frauen im Irak Entwicklungsspielräume fordern. Der Freitag begutachtet kopfschüttelnd neue deutsche Serien. Warum machen wir keinen Skandal, fragt sich der Filmemacher Christoph Hochhäusler in seinem Blog. Kein einziges 'klassisches' Repertoirestück figuriert unter den zehn 'bemerkenswerten' Aufführungen des diesjährigen Theatertreffens, notiert die NZZ.

Meine Büchse, mein Pony und ich

03.02.2016. Der Guardian blickt zurück auf die feministische Porno-Kunst der siebziger Jahre. Die FAZ verteidigt Ai Weiwei. Die SZ wünscht sich eine Architektur, die Städte schafft, nicht nur Gebäude und Räume. Die NZZ lauscht Cowboy-Liedern im Nebel. Und Vanity Fair erzählt, wie Joan Didion das alte Los Angeles zerstörte.

Multirhythmisches Angstbeben

02.02.2016. In München wurde Miroslav Srnas Oper "South Pole" uraufgeführt. Die FAZ schmilzt frierend unter Gletscher-Glissandi und Frostgeist-Formeln dahin. Die SZ erlebte, wie Eisfelder in Lava umgeschmolzen wurden. Noch elektrisierender fand die NZZ allerdings Toshio Hosokawas Hamburger Fukushima-Oper "Stilles Meer". Und die NYRB bewundert die sowjetische Foto-Avantgarde aus einem neuen Blickwinkel.

Sag niemals Genie

01.02.2016. Twitter streitet über Ai Weiwei, der am Strand von Lesbos die Pose des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi einnimmt. Im Standard spricht Orhan Pamuk über seinen Istanbuler Jedermann Mevlut: fleißig, religiös, konservativ. Die SZ erlebt, wie Yo-Yo Ma Träume mit einem Silberstift nachzeichnet. Die FAZ erklärt sich den Relevanzverlust des Gegenwartstheaters mit seiner moralischen Hyperhygiene.