Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2020

Endlich von den Menschen befreit

31.12.2020. Für die Kultur endet ein hartes Jahr: "Das Theater und die Oper in Italien sterben", sagt der Regisseur Romeo Castellucci in der taz. Aber die arabische Lyrik blüht in Zeiten der Pandemie, hält die NZZ fest. Die taz geht mit Filmen von Philip Scheffner in den poetischen Widerstand. Ebenfalls in der taz erinnert sich Jane Birkin an alte Skandale und einen schüchternen Serge Gainsbourg. Und die SZ träumt von einem autofreien Times Square.

Alles leuchtet verlockend

30.12.2020. Der Modeschöpfer Pierre Cardin ist tot. Die Zeitungen verabschieden einen Pionier, der die Demokratie in die Mode brachte. ZeitOnline erinnert an die türkische Dichterin Semra Ertan, die sich 1982 aus Protest gegen den Rassismus nach Verlesen eines ihres Gedichte in Hamburg auf offener Straße umbrachte. Die FR sieht in Pete Docters Pixar-Produktionen "Soul" pastellenen Künstlerträumen beim Platzen zu. Und die New York Times nippt an den Körperflüssigkeiten von Ulay.

Fröhlicher Pestwalzer

29.12.2020. Der Tagesspiegel blickt mit dem Fotografen Anton Laub in die verrauschte und verrätselte Welt Rumäniens unter Nicolae Ceaușescu. Auf Zeit Online hat der Filmemacher Errol Morris wenig Hoffnung, dass Joe Biden die USA aus der Epoche des Irrationalismus führen wird. In der SZ verrät Steffen Kopetzky, wie er die Angst vorm Sterben besiegt. Der Standard lässt mit Lieselott Beschorner Avantgarde-Puppen tanzen. Und Monika Grütters möchte ihr Mitspracherecht bei den Bayreuther Festspielen geltend machen, melden die Zeitungen.

Zwischen Funktionalität und Glamour

28.12.2020. Im Dlf spricht Swetlana Alexijewitsch in einer Essay-Reihe zur Lage in Belarus. Die New York Times lernt vom Harlemer Fotografen-Kollektiv Kamoinge, wie man einen Berg erklimmt. Der Freitag erkennt in der Mode des südafrikanischen Designer Thebe Magugu das alte Spionage-Prinzip, sich bei voller Sichtbarkeit zu verbergen. Die FAZ beobachtet, wie sich nun auch Warner mit "Wonder Woman" vom Kino verabschiedet. 125 Jahre nach der ersten Kinovorführung in Paris, wie die Welt erinnert.

Eine Kapazität im Aushalten

24.12.2020. Die taz blickt fasziniert durch die Handykamera der Fotografin Barbara Wolff auf die Metropole Berlin. Die FAZ erkundet, was Abstände unter Musikern für den Orchesterklang bedeutet. In der Welt schildert Schriftsteller Jonathan Coe die Corona-Lage in Britannien. Und die SZ trauert um den Schauspieler Charles Brasseur, der wunderbar bourgeois und zugleich fies, brutal und unberechenbar sein konnte

Dieser geniale Lackierroboter

23.12.2020. Im Neuen Deutschland analysiert Berthold Seliger, wie Hedgefonds und Private-Equity-Firmen von Steueroasen aus riesige Songrecht-Konglomerate aufbauen. Andy Warhol muss kein Mensch im Museum sehen, ruft die Zeit dem Kölner Museum Ludwig zu, druckt lieber T-Shirts. In der Berliner Zeitung stellt Kang Sunkoo klar, dass seine Statue of Limitations nicht Teil des Humboldt-Forums ist, sondern Protest dagegen. Die FAZ ahnt, dass die Öffentlichkeit noch mit jeder Rekonstruktion ihren Frieden gemacht hat. Der Freitag huldigt der Naturlyrik.

Sowas kann man doch nicht erfinden!

22.12.2020. In Cargo erinnert sich Elfriede Jelinek an ihr erstes, überwältigendes Kinoerlebnis im Albertkino in der Josefstädter Straße. In der Zeit blickt Marlene Streeruwitz auf die Verheerungen der Corona-Pandemie. Die Nachtkritik stellt fest, dass die Wiedervereinigung auch nach dreißig Jahren die deutsche Theaterlandschaft, nun ja, spaltet. Der Rolling Stone erkennt mit dem Podcast von Tocotronic-Bassisten Jan Müller den Vorzug, kein Journalist zu sein. Und Dezeen meldet, dass von jetzt an amerikanische Bundesgebäude in den USA schön und bewundert sein müssen.

Die kosmischen Dimensionen

21.12.2020. In der SZ wagt Durs Grünbein die Überlegung, dass sich mit Corona eine höhere Intelligenz zeigen könnte. Die NZZ setzt auf Düfte und Parfüms als Sinnen betörenden Gegenzauber. Der Standard erkundet die hybride Zukunft des Kinos. Die Jungle World bricht eine Lanze für die Lyrik des Noirserockers Jens Rachut. Und in der FAZ erzählt László F. Földényi, wie er Beethovens Bollwerk der Ungerechtigkeit erklomm.

Taube Momente auf den Geschmackskapillaren

19.12.2020. Die NZZ versinkt in Azurblau, während sie versucht, nicht auf eine Krabbe zu treten in der Wiener Ausstellung des Malers Hugo Canoilas. In der Welt fragt die 23-jährige Zelda Biller, warum Journalisten heute so viel Angst haben, etwas falsch zu machen. In der NZZ schnuppert Sibylle Lewitscharoff markanten Gerüchen und Düften ihrer Jugend nach. ZeitOnline hört den Blues im Netflix-Biopic "Ma Rainey's Black Bottom" und er klingt ganz unromantisch. Pitchfork malt einen grauen Samstag bunt mit dem Musikvideo zu Tierra Whacks "Dora".

Könner im Klang

18.12.2020. Die NZZ streift durch wilde Schweizer Mode. Die FAZ denkt über postdramatisches Theater nach. Kathrin Passig hat beim Aufräumen im Keller eine unveröffentlichte Kurzgeschichte von Wolfgang Herrndorf entdeckt. Die taz erinnert an den Protestsänger Phil Ochs, die NZZ schmilzt dahin bei den neuen Liebesliedern von Sophie Hunger. Die Filmkritiker diskutieren die Pläne für die Corona-Berlinale - mit einem Onlinewettbewerb für die Jury im Februar und einem Publikumsfestival im Juni.

Peitschenhiebe in Luft und Raum

17.12.2020. Die nachtkritik sieht Milo Raus Film "Das Neue Evangelium" als heillose Geschichte aus der Perspektive afrikanischer Asylsuchender. Wie unsolidarisch sich viele Theater mit freien Künstlern verhalten, berichtet der Tagesspiegel. Die FAZ bewundert Figuren aus Dynamik und Energie von Rodin und Arp. Die Berlinale wird nun doch ins Netz verlegt, meldet Variety. SZ, Zeit und Standard blicken auf das Beethovenjahr.

Der hässliche Aschenbecher

16.12.2020. im Guardian erklärt die Bildhauerin Maggi Hambling, warum ihre Mary Wollstonecraft nackt sein musste. Der Standard lässt sich von Hans Werner Henze zum Tee mit einem Mörder laden. Die Marktkirche von Hannover darf sich ein Fenster von Markus Lüpertz gestalten lassen, die SZ erinnert an all die Architekten, die Veränderungen an ihren Bauten als Gotteslästerung begriffen. Die FAZ huldigt Beethoven.

Eine grandiose Kapitulation vor den Gefühlen

15.12.2020. Die NZZ berauscht sich an der Sinnlichkeit in den Skulpturen von Auguste Rodin und Hans Arp. Die FAZ bewundert, wie der libanesische Tänzer Alexandre Paulikevitch den Bauchtanz befreit. Der Freitag lernt, dass Berlin auch als Filmkulisse für Paris, Moskau oder Mexiko taugt. Und die SZ schmilzt dahin, wenn Sophie Hunger, Faber und Dino Brandão in Schweizer Mundart singen.

Herzklopfen der Freiheit

14.12.2020. Der große John Le Carré ist tot. Guardian und Welt trauern um den Analytiker des Verrats und Ankläger der Ehrlosigkeit. Die FAZ besichtigt Riken Yamamotos japanische Altstadt am Zürcher Flughafen. Der NZZ bilanziert das Beethoven-Jahr, in dem für ihren Geschmack zu viel gelächelt wurde. Die FR bricht eine Lanze für Normen und Standards. Bellezza und Sprezzatura sind ja schön und gut, stöhnt die Welt über die italienische Oper. Aber wie wäre es mal wieder mit etwas Relevanz?

Diese neue Entspanntheit

12.12.2020. Die SZ blickt in die irrlichternden Augen von Louise Glück. Die NZZ lernt in David Chipperfields diskretem Erweiterungsbau der Kunsthalle Zürich mit Architektur zu tanzen. 54 Books seziert mit der dänischen Schriftstellerin Olga Ravn die Rolle der Mutter in der Literatur. Die taz staunt in der Hamburger Kunsthalle, wie William Kentridge die Kolonialgeschichte Südafrikas ohne Identitätspolitik aufarbeitet. Die SZ vertreibt sich mit dem neuen Album von Taylor Swift die Angst vor Mammuts. Und die Filmkritiker trauern um den koreanischen Autorenfilmer Kim Ki-Duk.

Absurd, aber ziemlich 2020

11.12.2020. Was genau soll eigentlich nachhaltiges Material sein, fragt sich in der NZZ die Schreinerin und Kunsthistorikerin Franziska Müller-Reissmann. Die Kunstkritikerinnen winken ab vor Dennis Mesegs blutiger Schaufensterpuppenarmee auf dem Potsdamer Platz: Feministische Kunst gern, aber nicht so. Die FR hört den verstörendsten Simon Boccanegra ihres Lebens. In China hat Paul W.S. Andersons Videospielverfilmung "Monster Hunter" wegen eines Witzes einen Shitstorm ausgelöst, berichtet die Welt. Der Standard staunt über den zeitgeistigen Fanklub der K-Popgruppe BTS.

Härter wird's nicht

10.12.2020. Die Unpersönlichkeit des Humboldt-Forums korrespondiert aufs Schönste mit seiner Bedeutungsarmut - freundlicher wird es nicht in der Zeit. Will Maxim Biller sich für die Planstelle des obersten deutsch-jüdischen Zuchtmeisters bewerben, fragt zuckersüß Eva Menasse aus gegebenem Anlass. Die Fantasie der FR schlägt Kapriolen vor den Bildern von Michael Pfrommer. Der Standard bewundert die Mischung aus Abstraktion und Hyperrealismus in den Bildern von Maja Vukoje. Die FAZ tröstet sich im Lockdown mit A-cappella-Chören des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Die SZ spielt eine Runde "Cyberpunk 2077".

Etwas derart Eckiges

09.12.2020. Nach dem Verkauf seiner Songs an Universal Music feiern taz, FR und Tagesspiegel Bob Dylan jetzt als Singer, Songwriter und gerissenen Rechteverwalter. Der Standard bewundert, wie einladend rechtwinklig Adolf Loos bauen konnte. Die SZ bangt mit Florenz um sein ikonisches Stadio Artemio Franchi. Die taz stellt das Carrefour Théâtre von Ouagaoudou vor, das SchauspielerInnen eine ähnliche Zukunft wie Fußballern eröffnen möchte. In der FAZ meldet der Kunsthistoriker Harold von Kursk Zweifel an der These, dass eigentlich Charlotte Perriand die Cobusier-Liege erfunden hat. ZeitOnline weint dem Ikea-Katalog Tränen der Jugend nach.

Notfalls auch in Sanskrit

08.12.2020. Mustergültig findet die Welt, wie klug und ehrlich das Stuttgarter Lindenmuseum seine ethnologische Sammlung aufarbeitet. Nach Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt" taumelt sie in einem freudianischen Klangrausch. Die NZZ verliebt sich in Winterthur in ein Krokodil aus Holz. Louise Glück erklärt in ihrer Nobelpreisrede ihre Poetologie. Zum vierzigsten Todestag von John Lennon erinnert die SZ an den Schläger und Hamburger Kiezrocker, der er war, bevor er ein Hippie wurde.

In den Sphären des Besonderen

07.12.2020. Der Guardian blickt mit Tracey Emin und Evard Munch gleich doppelt tief in die Seele gemarterter Frauen. SZ und Standard erschauern unter Martin Schläpfers Wiener Choreografie zu Gustav Mahlers vierter Sinfonie. Im Tagesspiegel sucht Agnès Gayraud die Versöhnung von Adorno und Pop. Die Zeiten stehen auf Kampf, erkennt ZeitOnline und schnürt sich ihre Chunky Boots noch ein wenig fester. Und die SZ gönnt sich mit Peter Stricklands Kurzfilmen eine Kopfmassage.

Im Vorbeigehen gesetzte Killerpointen

05.12.2020. Die NZZ sucht ihre innere Balance in einer Ausstellung über die Welt der Buddhas. Was ist, wenn Corona aus ist und keiner geht mehr ins Theater, fragt der Standard. Der Freitag erzählt die Geschichte eines Theaterstücks, das ein hoffnungsfroher Michail Bulgakow 1939 zum 60. Geburtstag Stalins schrieb. Die SZ legt uns Jamaica Kincaids süß duftende Romane ans Herz.

Das Beben zwischen den Silben

04.12.2020. Die Berliner Zeitung lässt sich in die inneren Gärten und warmen Wellen der Outsiderkünstlerin Sonja Halbfass ziehen. Die taz sieht die Sonne aufgehen in einer Ausstellung mit feministischen Arbeiten aus den letzten sechzig Jahren. In der SZ sagt Terezia Mora nein, danke zu Tageslichtlampen. Der Freitag sucht einen Ausweg aus den Echokammern von Spotify. Und: die große Schauspielerin Jutta Lampe ist gestorben. In der FAZ erinnert Gerhard Stadelmaier an eine Unvergessliche.

Harte Ambivalenzen

03.12.2020. So hat Adoleszenz ausgesehen kurz nach der Jahrtausendwende, ruft die taz vor den Comicfiguren der Bunny Rogers. Die nachtkritik taucht ein in die immersive Theaterszene Britanniens. In der SZ wirft Maxim Biller der Kabarettistin Lisa Eckhart Antisemitismus vor - und kritisiert ihre Einladung ins Literarische Quartett. Und: Isabelle Huppert, Hanns Zischler und die Feuilletons gratulieren Jean-Luc Godard zum Neunzigsten.

Das Fanatische fehlt komplett

02.12.2020. Solange Wien so viele Zumutungen aushalten muss, wird Katharina Cibulka die Stadt schonen, erfährt der Standard von der Interventionskünstlerin. Der Tagesspiegel reist mit dem Omniversal Earkestra durch Mali. Die FAZ erkundet mit Tomohiko Itôs Animationsfilm "Hello World" die Liebe in Zeiten des Quantencomputers. Die stets kunst- und sachverständige Literaturredakteurin Angela Schader verabschiedet sich in edito.ch von der NZZ mit einem besorgten Blick auf die Zukunft der Kritik und der freien Mitarbeiter.

Herr der Erschöpfung

01.12.2020. Der DlfKultur begeistert sich für die Parallelwelten des Schriftstellers Hervé Le Tellier, der gestern mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Diversität der Sprache, findet Olga Martynova in der FAZ, umfasst auch Begriffe wie "Tunte, Zigeuner und Jude". Die NZZ lernt von der indischen Architektin Anupama Kundoo, wie man ein Biryani kocht. Die SZ bewundert die Raumschiffe, die Captain Corbusier in die französischen Alpen rammte. Die taz dankt Coco Chanel noch immer für die Befreiung der Taille. Der Guardian sucht Trost in Blumenbildern.