Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2014

Die Spiegelneuronen machen Party

29.11.2014. Jonathan Franzen feiert in der Welt den direkten Vorfahr der Blogger von heute, Karl Kraus. ZeitOnline lässt sich von dem Schriftsteller Roman Ehrlich auf- und erregen. Die Welt rätselt über die Bilder Peter Doigs. In der FAZ macht der Musikwissenschaftler Martin Geck kurzen Prozess mit allen Spekulationen, Johann Sebastian Bachs Werk könnte zum Teil von seiner Frau Anna Magdalena geschrieben worden sein. Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok" springt dem Zuschauer auch im Theater an die Gurgel, notiert die Kritik.

Nemesis eines seelenlosen Pop-Entwurfs

28.11.2014. In Indien wollen orthodoxe Hindus ein filmisches "Hamlet"-Remake verbieten lassen, weil es ihre Gefühle verletze, berichtet der Guardian. Die Berliner Theaterkritiker suchen dagegen die Akualität in Stephen Kimmigs Inszenierung des Ibsen-Stücks "Die Frau vom Meer". Wenig Sympathie erntet Moviepilot-CEO Tobias Buckhage mit seinem Versuch, Fankritiken als Filmkritik zu verkaufen. Die Jungle World lässt sich von DJ Marcelle aus ihrer Komfortzone vertreiben. Die Zeit diagnostiziert Literatur im Straßenrap von Haftbefehl.

Dadaisten auf Speed

27.11.2014. Die NZZ feiert Mussorgskys "Chowanschtschina" und Mikhail Kazakovs bronzene Kehle in Stuttgart. Die NZZ sah den erfolgreichsten Film in der südkoreanischen Geschichte: über die Seeschlacht gegen Japan 1597. Die taz snobbt die Besucher von "Monsieur Claude". Der Tagesspiegel wippt zum Rap von Haftbefehl - trotz Nutten-und-Bitches-Scheiß. In der SZ fordert Jessica Chastain: mehr Rollen für Frauen neben Frauen. In der Zeit deckt Patrick Modiano ein Geheimnis auf.

Subtil ist hier nichts

26.11.2014. Die Welt wünscht sich einen etwas härteren Blick auf Richard Strauss, bevor er ganz im Pomp verschwindet. Vielleicht wenn die Rechte 2019 frei werden? In der FR erzählt Boris Blank von seinen Vorbildern in der elektronischen Musik. Die Berliner Zeitung bestaunt das kriegerische Vokabular des Designs in den Achtzigern. Die taz besucht die Proben zum Tanzstück "Made in Bangladesh". Der Tagesspiegel stellt den Porträt-Fotografen Martin Schoeller vor.

Popkulturen des Städtebaus

25.11.2014. Die taz freut sich beim Literaturfest München über einen anarchischen Frischekick von Clemens Meyer. Die FAZ ist betrübt: Bei Filmfest in Kairo fand sich kein einziger Film mehr mit klarer politischer Haltung. Die Welt bewundert die neuen Phantasiealtstädte in Osteuropa. ArtAsiaPacific stellt das erste Museum für islamische Kunst in Nordamerika vor. Die Berliner Zeitung empfiehlt Putinverstehern von rechts und links einen Besuch bei der Russischen Filmwoche in Berlin.

Herrliche Kinderei

24.11.2014. Der Tagesspiegel schlägt Mariss Jansons oder Daniel Barenboim als neuen Chef der Berliner Philharmoniker vor. Gerhard Zeillinger erinnert sich im Standard an seine Begegnung mit dem Häftlingsfotografen von Auschwitz. Die Theaterkritiker sahen am Wochenende Johan Simons' Adaption der "Deutschstunde" für das Thalia Theater: Für die Nachtkritik eine anspruchsvoll arrangierte Lesung. Für Zeit online immerhin ein tröstliches Denkmal für den verstorbenen Siegfried Lenz. Es gibt zu wenig Hochhäuser in Paris, lernt die SZ in einer Ausstellung. In der Presse erklärt Regisseur Thomas Heise, warum er gern von Außenseitern erzählt. Die FAZ betrachtet einen Baum.

Die Ärmel hochgekrempelt und los

22.11.2014. In der NZZ hofft Javier Cercas, dass die vielen jungen Spanier in Deutschland auf europäische Gedanken kommen. Außerdem bedankt sie sich bei Matisses Assistentinnen. Der Tagesspiegel nimmt die Filmfördung unter die Lupe. In der Welt erinnert sich Donald Sutherland an die guten alten Zeiten, als seine Frau noch die Black Panther mit Handgranaten versorgte. Und die FAZ feiert Mailands Bosco Verticale.

Hin und wieder auch etwas völlig Unsinniges

21.11.2014. Gott sei Dank, Oskar Schlemmer ist 70 Jahre tot! Jetzt kann man sein Werk wieder sehen, freut sich die Welt. Die NZZ sucht den Kafka der Drohnen. Bleibt Dieter Kosslick denn für immer Berlinale-Chef, stöhnt Negativ. Kritikerurteile über das renovierte Berliner Kunstgewerbemuseum schwanken zwischen "Meisterstück" und "Stilschubladen". Vollendete Souveränität hören SZ und FAZ in einem Konzertmitschnitt von Keith Jarrett, Charlie Haden und Paul Motian. Bloß keine Experimente, rufen Element of Crime in der NZZ.

Von Utopie ist nicht die Rede

20.11.2014. Die taz bewundert einen grafischen Unruheherd in Gestalt eines kleinen Mädchens, dem Isao Takahata Leben einhaucht. In der Welt erklärt Takahata, warum seine Filme nichts mit Fantasy zu tun haben. Im Guardian/Freitag erinnert Musikproduzent Steve Albini daran, dass vor dem Internet die Lage für unbekannte Musiker noch weniger rosig war als heute.

Edelstes Krasstheater

19.11.2014. Der Standard untersucht die Lage der Selfpublisher und stellt fest: Sie sind die Pariah auf dem Buchmarkt. Ein Zürcher Dokutheater über Prostitution lässt die Theaterkritiker zwischen Lust und Frust hängen. Die taz sieht zeitgenössischen Tanz aus Afrika. In der Spex hofft Wolfgang Joop, dass wir wieder Hunger auf Luxus und Übertreibung bekommen. Die NZZ steht irritiert vor einer Muschel von Max Beckmann. Das Van-Magazin reist mit der Violinistin Patricia Kopatchinskaja auf einem imaginären Luftschiff Ligetis.

Angeblich auch eine Komödie

18.11.2014. Die FR hört radikale Musik vor radikaler Kunst. Warum so deprimiert, fragt die Welt nach zwei Britten-Opern in Berlin. Die SZ bewundert Gottfried Lindauers Maori-Gemälde. Die Berliner Zeitung versucht den Haken von Azealia Banks zu folgen.

Lächeln ein Klassen-Indikator

17.11.2014. Die FAZ erstickt in der Kuscheligkeit von David Böschs Münchner Inszenierung des "Peer Gynt", die SZ schnurrt vor Wonne. Niemand vermisst Anna Netrebko in Hans Neuenfels' "Manon Lescaut". In Bayreuth wurde Jonathan Meeses "Parsifal" aus Kostengründen gestrichen, die Kritiker sind empört: Schließlich entstand ganz Bayreuth auf Pump. Die NZZ begutachtet in Hamburg den Lifestyle von Millionären und sie besucht Krimiautoren in Italien.

Die Inkaufnahme echter Unannehmlichkeiten

15.11.2014. Die SZ stellt die Ästhetik des Krassismus des Fotografen Daniel Josefsohn vor. Außerdem spürt sie die Hinrichtungsstätte Rainer Werner Fassbinders auf. In Zeit Online verwahren sich Olga Grjasnowa, Nino Haratischwili und Lena Gorelik gegen Feridun Zaimoglus Tirade über die "Placebo-Romane" junger Einwandererinnen. Der Freitag singt ein Requiem auf die sich neigende Ära der Zeitungscomics. Und Holly Johnson erzählt in der taz, wie die Marktforschung die exzentrischen Schwulen aus dem Musikgeschäft verbannte.

Ein Leben der Farbe an sich

14.11.2014. Bei Artechock erklärt Alexander Horwath vom Österreichischen Filmmuseum, warum er Filme nur im Originalformat zeigt. Die NZZ entdeckt das avantgardistische Potenzial des Farbkünstlers Augusto Giacometti. Im Standard beschreibt die russische Kunsttheoretikerin Ekaterina Degot das ganze Dilemma der Kunst im 21. Jahrhundert. Die SZ feiert die absolut moderne Architektin Lina Bo Bardi. Die taz bewundert Ariel Pink für seine Haltung im zeitgenössischen Pop.

Bargeld als Marlene

13.11.2014. Schauerlich-schrecklichen Hymnen-Remix und Shanty-Gesänge hörte die gespaltene Musikkritik bei der Neubauten-Performance zum Ersten Weltkrieg. Der Experimentalfilm gehört ins Kino, nicht in die Kunstgalerie, fordert der Freitag. Die SZ feiert die brutalen Schläge des Choreografen Hofesh Shechter. In der Zeit bescheinigt der Schauspieler Donald Sutherland seinen Kritikern: Die "Tribute von Panem" sind kein hirnloser Blockbuster, sondern eine Allegorie der amerikanischen Oligarchie mit beträchtlichem subversivem Potenzial, also Klappe.

Ein Schnitzen von Unbegreiflichkeit

12.11.2014. Olaf Nicolais Wiener Mahnmal für die Deserteure der NS-Zeit ist politisch indifferent, ärgert sich der Kurator Raimar Stange im Art Magazin. In Lensculture dokumentiert der isländische Fotograf Ragnar Axelsson die letzten Tage der Arktis. Der Tagesspiegel feiert Schuberts "Unvollendete", mit den Wiener Philharmonikern und Nikolaus Harnoncourt. Die FAZ bewundert Jake Gyllenhaal als bösen Nightcrawler. Literatur ist Schiffszwieback, notiert Thomas Hettche in der NZZ.

Die Autoren produzieren Plastiktexte

11.11.2014. Die taz will keine neuen Großkritiker in der Literatur. Theaterregisseur Christian Stückl erklärt im Standard mit Peter Turrini: "Ich verabschiede mich jetzt aus der Kunstdebatte!" Die SZ wirft der Open-Mike-Gewinnerin Doris Anselm literarisches Blackfacing vor. Zeit online hört in Azealia Banks' Debütalbum ein Manifest der Selbstbestimmung. Und im Perlentaucher untersucht Ulf Erdmann Ziegler die Pop-Pubertät der deutschen Kunst.

Deutscher Friedenspreis für Branchenharmonie

10.11.2014. Frank Castorf inszeniert mit Curzio Malapartes "Kaputt" ein Meer von Langeweile, klagt die Kritik. In der NZZ schreibt László F. Földényi eine Hommage auf Imre Kertész. Das Culturmag stellt den amerikanischen Autor Charles Bowden vor. Netzpolitik untersucht, wieviel die Major Label von den Honoraren der Streaming-Dienste kassieren. Die SZ beklagt die Intransparenz bei der Vergabe des Faust-Theaterpreises.

Grausamkeit verpflichtet

08.11.2014. In der Literarischen Welt findet Patti Smith alle Drogenerfahrungen, die sie braucht, in Haruki Murakamis Büchern. In der FR verrät der Filmregisseur M.A. Littler sein Arbeitskonzept: Drehen und Trinken. In Wired klagt der Songwriter Aloe Blacc über die amerikanischen Copyright-Gesetze, die ihm gerade mal 4.000 Dollar Einnahmen beschert haben. Physisch erfahrbare Härte erlebt die Jungle World mit der Noise-Musikerin Margaret Chardiet, die Nachtkritik mit Torsten Diehls Stück "Endgegner". Nicht hart genug fand die NZZ dagegen die große de-Sade-Ausstellung im Pariser Musée d'Orsay.

Im rauen Wind der Illusionslosigkeit

07.11.2014. Mit der Verleihung des Prix Goncourt an Lydie Salvayre sind die französischen Sprachpuristen über ihren Schatten gesprungen, freut sich der Tages-Anzeiger. Die FR berauscht sich in der Schirn an deutscher Pop Art. Was ist eigentlich so deutsch am Krautrock, fragt Diedrich Diederichsen nach der Lektüre von David Stubbs' Studie "Future Days". Die SZ vergewissert sich in Paris, dass Heiner Müllers "Der Auftrag" nichts von seiner Wirkungskraft verloren hat. Und nach dreißig Jahren erscheint Sam Fullers Pulp-Roman "Brainquake".

Sechzig Mal - das ist absurd

06.11.2014. Die taz sieht mit Laba Ndaos Gangsterfilm "Dakar Trottoirs" asiatisches Kino aus Afrika. Slate.fr verteidigt Benjamin Parents Film "Ce n'est pas un film de cowboys" - Schüler diskutieren über "Brokeback Mountain" - gegen die Angriffe von Neokatholiken. Im Freitag stellt Manfred Metzner vom Wunderhorn Verlag seine neue Reihe AfrikAWunderhorn vor. Die Berliner Zeitung versinkt mit dem neuen Pink-Floyd-Album in einem Daunenbett aus feinstem Hall und Echo. Die FAZ lässt sich in Marbach von Manuskripten betrachten.

Komprimierte Konfusion

05.11.2014. Christopher Nolans SciFi-Film "Interstellar" feiert die Macht der Liebe, zum Unbehagen deutscher Filmkritiker. In der Huffpo.fr spricht der algerische Autor Kamel Daoud über Albert Camus. Im Blog der NYRB erzählt der Fotograf Leo Rubinfien, wie er an Orten wie Mae Hong Son, Col de Nuages oder Bukittinggi sehen lernte. Der Freitag warnt vor 3D-Druckern: pfui, alles nur Plastik.

Das Pathosbehaftete, Apodiktische der Manifeste

04.11.2014. Die Welt begutachtet das Stadtplaner-Manifest "100 Prozent Stadt" und findet es reichlich selbstgefällig. Die NZZ zieht den Hut vor Mircea Cartarescus psychedelischem Meisterwerk "Die Flügel". Im Standard erklärt die Filmregisseurin Eszter Hajdu: Es gibt kein Romaproblem in Ungarn, sondern ein Neonaziproblem. Der Fotoblogger Eric Kim erklärt, was man von dem großartigen Garry Winogrand lernen kann, dessen Fotos gerade in Paris ausgestellt werden. Die Berliner Zeitung hört beim Jazzfest zwei Hippiemädchen und einen zugewachsenen Zausel phantastische Musik machen.

Kalter Alt

03.11.2014. Die Welt hält die Präsentation der Sammlung Gurlitt in der Schweiz für die ideale Gelegenheit, sich einmal der eigenen Geschichte in Sachen Kunstraub zu stellen. Der Standard staunt, wie Michael O'Connor Surrealismus und Kognitionswissenschaft in einer Choreografie zusammenbringt. Theater über den Ersten Weltkrieg kommt gut ohne Geschichtsrealität aus, notiert die taz. Die Berliner Zeitung hört Post-R'n'B von Kelela. Huffpo.fr hat schon einen klaren Favoriten für den Prix Goncourt: Kamel Daouds Camus-Fortschreibung "'Meursault, contre-enquête".

Ekstatisch enthemmt bis zur Rauhbauzigkeit

01.11.2014. The New Criterion und der Freitag fragen, wie klein die Sünden von Brecht und Enzensberger wirklich waren. Cargo und critic.de berichten von der Viennale. Die FAZ versinkt in Gérard Depardieus Abhandlungen über das Furzen. Die NZZ hört klangsinnliche Akte des Widerstands von Christian Wolff. Die Berliner Zeitung würde Jazz gern mal nicht im Plusquamperfekt denken. Die taz begutachtet perfide Selbstinszenierungen des Terrors durch Stasifotografen. Die FR fragt sich vor den Werken von Elaine Sturtevant: Was ist innovativ?