Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2017

Klaviatur der Ignoranz

30.09.2017. Tell liest Eugen Gomringers "Avenidas" mit Goethe und fragt: Geht's vielleicht doch um Vergewaltigung? Im Perlentaucher stößt Peter Truschner Wolfgang Tillmans vom Sockel. Die FAZ betrachtet lieber Collagen von Rolf Dieter Brinkmann. Der Tagesspiegel schaut mit Daniel Barenboim in die Tiefe der Berliner Staatsoper. Die Kritiker feiern das Berlin der Zwanziger in der Serie "Babylon Berlin" und fürchten sich vor Jan Bosses "Richard III". Und die Zeit sehnt sich nach der Jeans für den Mann.

Das große Berliner Impro-Theater

29.09.2017. Die Volksbühne ist geräumt, die Feuilletons quellen über von abschließenden Bewertungen. Es war das Theaterevent des Jahres, ruft die taz. Ein Riesen-Kindergarten, meint der Tagesspiegel. Berlin ist halt ein Neunzigerjahre-Erlebnispark, seufzt die Zeit. Außerdem: Zeit online porträtiert den Filmregisseur Adrian Goiginger, der in seinem Debüt "Die beste aller Welten" von seiner Kindheit mit einer heroinabhängigen Mutter erzählt. Und die Musikkritiker streiten sich, ob Miley Cyrus als Sexfratz besser ist oder als braves Mädchen.

Gabi gibt alles

28.09.2017. Die Presse blickt hingerissen und demütig auf die lieblichen Madonnen Raffaels. Die taz feiert das Charisma des Loser Clubs in der Neuverfilmung von Stephen Kings "Es". In der SZ begrüßt Frank Castorf "hundertprozentig" die Besetzung der Volksbühne. FAZ und Welt singen mit Miley Cyrus "Younger Now".

Manchmal auch ein Fisch

27.09.2017. Die FAZ schildert die Atmosphäre der Angst , die in Moskaus Kunst- und Kulturszene um sich greift. Die Welt gibt Berlins Kultusenator Klaus Lederer die Schuld an der Besetzung der Volksbühne. Der Standard lernt beim Steirischen Herbst von Walid Raad, Fakten und Spukgeschichten voneinander zu unterscheiden. Die SZ untersucht, warum so wenig Frauen bei der Slam Poetry gibt. Und die taz hört Cloud Rap.

Das Niveau ist hoch

26.09.2017. Der Schriftsteller Robert Menasse erklärt im Freitag seine Liebe für Europa: "Die verschissenen Nationen produzierten autoritäre Systeme." Die Berliner Zeitung erlebt mit Didier Eribon in der Berliner Schaubühne die Bürden der gehobenen Klassenzugehörigkeit. Der Tagesspiegel spürt in der besetzten Volksbühne die Sehnsucht nach den neunziger Jahren. Der Standard erquickt sich mit dem Kunstkollektiv Time's Up in der Medusa Bar der Turnton Docklands. ZeitOnline untersucht den Pferdefilm. Und die FAZ aalt sich im gluckernden Bauch der Maria Callas.

Konkrete Poesie unter konkreten Umständen

25.09.2017. Am Berliner Ensemble hat Oliver Reese seine Intendanz mit Brechts "Kaukasischem Kreidekreis" gestartet: Die Nachtkritik sah einen mozärtlichen Elefanten tanzen. Die SZ freut sich, dass in Berlin noch gutgelauntes Theater möglich ist. Der Tagesspiegel ätzt gegen Kultursenator Klaus Lederer, der mit der Besetzung die Volksbühne zur Eventbude verkommen lasse. Der Standard ließ sich beim Steirischen Herbst Asche, Lava und Knochen auf Porzellantellern servieren. Und die NZZ lernt von Manon, sich von der Zeit zu befreien.

Paris war für mich kein Gebetsbuch

23.09.2017. Die Volksbühne  ist besetzt, der Kultursenator verärgert, erste Reaktionen. Klangkünstler Nik Nowak erzählt in der taz, wie er in Nordkorea Propaganda-Lautsprecher zweckentfremden wollte. Kunst kann gut verunklaren, lernt die Presse in einer Ausstellung über Kunst, Politik und Natur. In der Welt stellt die Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter einen nördlichen Literaturkanon auf. Berliner Zeitung und Tagesspiegel zucken mit den Achseln in Antú Romero Nunes' Inszenierung von Albert Camus' "Caligula", die die neue Intendanz von Oliver Reese am Berliner Ensemble  einleitet.

Bei lebendigem Leibe ins Paradies

22.09.2017. Der Tagesspiegel staunt über die hundert Jahre alten Utopien des Künstlers Wenzel Hablik. Dagegen findet die NZZ die Utopien Ai Weiweis künstlerisch wenig ergiebig. In der HNA kritisiert Gregor Schneider die Hybris der documenta. Der Freitag porträtiert den Theatermacher Ersan Mondtag, der uns im Frankfurter MMK 2 in den Bandwurm der Maria Callas locken will. Die taz lernt in Stuttgart, wie der Punk nach Schwaben kam. Nichts ist vergangen, versichert Ingo Schulze im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Der Krieg umrahmt doch alles

21.09.2017. Im Art Magazin stellt der Fotograf Tobias Zielony seine Fotoreihe über ukrainische Jugendliche vor. Herbert Fritsch an der Schaubühne? Da fehlt noch die Aura der Verzweiflung, meint die Berliner Zeitung. Die Zeit wünschte sich, dass die Musik, die in den neuen tollen Konzertsälen gespielt wird, so modern ist wie die Gebäude. Die SZ freut sich über die zögerliche Verpeiltheit von Tom Lass' Film "Blind und Hässlich".

Kraftvoll und konfliktfreudig

20.09.2017. Die SZ erlebt mit Björks neuem Video ein Feuerwerk erotisierter Synapsen. Die taz lernt auf der Istanbul Biennale die irritierende Fröhlichkeit der türkischen Kunstszene zu verstehen. Der Guardian feiert Edgar Degas als großen Voyeur. Die NZZ begrüßt die zaghafte Rückkehr Franz Schrekers auf die Opernbühnen. Und der Tagesspiegel beneidet Joachim Lottmann um seinen unverändert jugendlichen Sound im "Fritz Brinkmann Buch".

Gegen die Welt entworfen

19.09.2017. Die taz streift mit Alexander Kluge durchs Pluriversum und stößt auf das zweifache Eigentum des Menschen. Die Welt lernt von Pierre Bonnard, wie Kunstschönheit funktioniert. Die FAZ bedankt sich bei Karin Beier, die in Hamburg recht verschwenderisch "Tartare Noir" servierte. Der Tagesspiegel freut sich über die Abenteuerlust, zu der Justin Doyle den RIAS Kammerchor mit Monteverdi verführt.

Im Gestrüpp der Wege und Abwege

18.09.2017. Die SZ erlebt in Moskau, wie der Todesengel dem Regisseur Kirill Serebrennikow glühende Kohlen in die Brust legt. In Berlin geht der Streit um Chris Dercon in eine neue Runde, doch der Tagesspiegel findet die Vorwürfe des Spiegels zum Wirtschaftsplan schlecht recherchiert. Im Standard untersucht Andreas Maier mit Blick auf Thomas Bernhard die Unterschiede zwischen deutschen und Österreichern. Die FAZ erlebt beim Filmfestival von Toronto ein großes Liebespaar und Helene Hegeman in der NZZ die Welt auf der Kippe.

Postornamentale Masse

16.09.2017. Darf man in der Türkei momentan eine Kunstmesse feiern?, fragt die FAZ zur Eröffnung der Istanbul-Biennale. Immerhin wurden sie kaum zensiert, berichten Elmgreen und Dragset im art-magazin. In der Literarischen Welt denken Schriftsteller wie Helene Hegemann oder Frank Witzel darüber nach, was aus den Avantgardisten des frühen 20. Jahrhunderts ohne den Ersten Weltkrieg geworden wäre. Die Kritiker grooven bewegt mit Yael Ronens "Roma Armee" im Gorki Theater und reagieren gespalten auf Boris Charmatz' Mitmach-Spektakel an der Volksbühne. Harry Dean Stanton ist tot, meldet die New York Times.

Hier rauscht der Wald

15.09.2017. Die NZZ lauscht diesem "speziellen Zumthor-Sound". Im Art Magazin denkt der britische Maler Michael Simpson über die Schönheit einer Reihe von grauen Rechtecken nach. Der Tagesspiegel erlebt Naomi Kawases Film "Radiance" als Hörkino. Die Berliner Zeitung unterhält sich mit Toshio Hosokawa über dessen Lehrer, den Komponisten Isang Yun. Und laut Art wehrt sich Documenta-Leiter Adam Szymczyk gegen den Vorwurf der Misswirtschaft.

Immersive Orgien des Intellekts

14.09.2017. Die taz feiert die Freiheit des Witzes in den Filmen der Kölner Gruppe. Die Zeit besucht in Kapstadt das erste Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst, das von einem Weißen erbaut wurde. Das Theater könnte derzeit viel von der Kunst lernen, ermuntert die Welt. Der Tagesspiegel erinnert an den Revolutionär des Superheldencomics, Jack Kirby.

Das blaue Auge der Gegenwart

13.09.2017. Gestern wurde die Shortlist für den Buchpreis bekannt gegeben, recht pflichtbewusst bescheinigen taz und ZeitOnline der Jury eine gute Wahl. Nur in der NZZ fordert Felix Philipp Ingold: Schafft den ganzen Zirkus ab! Unfassbar findet die Welt, wie Adam Szymczyk die Documenta auch finanziell an die Wand gefahren hat. Die HNA berichtet, dass Stadt und Land mit einer Bürgschaft einspringen müssen. Die FAZ schwelgt in der Städel-Ausstellung zu Matisse und Bonnard in der ambiguen Melancholie Südfrankreichs. Und der Standard reist mit Steven Soderberghs Gaunerkomödie "Logan Lucky" fröhlich durch den amerikanischen Süden.

Da, an zweiter Stelle, stehe ich!

12.09.2017. Chris Dercon ließ zu seinem Einstand Boris Charmatz ein großes Tanzfest auf dem Tempelhofer Flugfeld veranstalten. Schön und versöhnlich fanden das taz und SZ. Auch die Welt wippte mit: Sie kennt Ähnliches von ihrer Krankenkasse. Im Tagesspiegel wünschte sich Arundhati Roy die Sicherheit einer indischen Kuh. Die taz bewundert in der Darmstädter Ausstellung "Zoom-In Chongqing" fröhliche Bauern mit meterdicken Kartoffeln.

Über den Beton fliegen

11.09.2017. Mit dem Goldenen Löwen für Guillermo del Toro sind die Filmfestspiele von Venedig zu Ende gegangen. Die Feuilleton bejubeln einen durch und durch strahlenden Wettbewerb. Die SZ klopft sich nach Luk Percevals "Hunger"-Inszenierung bei der Ruhrtriennale den Kohlestaub aus der Lunge. Der Standard vernimmt in Linz das Rasseln der Roboterketten. Und die taz erlebt beim Musikfest Berlin, wie Rebecca Saunders Töne aus dem konzentrierten Nichts erschafft.

Perlen aus Kommunikationsmüll

09.09.2017. Die SZ staunt über die Intensität der Hetze gegen Chris Dercon. In LensCulture erklärt Olivier Laurent, was große Straßenfotografie ausmacht. Knast oder nicht Knast, Thomas Middelhoff bleibt sich treu, lernt die Welt aus der Autobiografie des einstigen Top-Managers. Auf SRF Kultur freut sich Eugen Gomringer über den Streit um sein Gedicht "Avenidas". Die FAZ begutachtet David Simons  HBO-Serie "The Deuce" über  die Pornoindustrie im New York der Siebziger.

Leichte, ja lustige Kunst

08.09.2017. Die FAZ staunt über den Furor, mit dem sich der britische National Trust zu seinem queeren Erbe bekennt. Die Berliner Zeitung freut sich aufs Mittanzen in der neuen Volksbühne. Frauen, ärgert sich der Tagesspiegel, sieht man beim Filmfestival in Venedig fast nur als Huren, Heilige und Gewaltopfer.

Bring mir einen Ton

07.09.2017. In der Zeit erzählt die Komponistin Rebecca Saunders, wie sie bei Wolfgang Rihm lernte, in der Musik zu sein. Die NZZ denkt über die Sinnschichten der Popkultur nach. Die taz feiert Javier Bardems prachtvollen Bierbauch. Außerdem: Die Feuilletons trauern um Holger Czukay, Mitgründer der Band Can, und um Arno Rink, "Vater" der Neuen Leipziger Schule.

Ein kohlenglühendes Stimmungsbild

06.09.2017. Atlantic entdeckt die italienische Künstlerin Carol Rama, die dem weiblichen Körper Zähne,  Klauen und Riesenpenisse wachsen ließ. Die Presse erlebt im Wiener Musa die Entstehung der Kunstgeschichte aus der Bürokratie. Die taz beugt sich mit Ulrich Schreiber über den Kostenplan für das Literaturfestival. In Venedig sorgt Darren Aronofsky mit seinem Filmmonster "Mother!" für ein bisschen Kontroverse unter den Kritikern, die zuvor einhellig Frances McDormand zu Füßen gelegen haben.

Ein Abenteuer hinter jeder Ecke

05.09.2017. Heute erscheint Salman Rushdies neuer Roman "Golden House", eilfertig liefern die Kritiker von FAZ bis SZ ihre Besprechungen, die allerdings recht mau ausfallen. Nur die FR schwebt im Leseglück: "Das hat er für mich geschrieben." In der FAZ erklärt Michael Lentz Berliner Kunststudenten, was eine transitive Relation mit Appendix ist. Die NZZ zieht mit Arno Brandlhuber in die Antivilla. Und die Welt fordert ein Deutsches Schifffahrtsmuseum für Kiel.

Ich will's, und Es geht

04.09.2017. Die FR geht noch einmal mit Matthias Koeppel in die Berliner Schule der Prächtigkeit. In der FAZ erklärt der Uffizien-Direktor Eike Schmidt, warum er nicht länger Chef eines Supermarkts sein möchte. Die taz eruiert, welches Bild Choreografen eigentlich von ihrem Publikum haben. Mit leichtem Entsetzen sehen die Kritiker in Venedig Filme von Ai Weiwei und George Clooney. Die Berliner Zeitung freut sich über das Comeback der Cordhose.

Die Befreiung des inneren Tieres

02.09.2017. Begeistert berichten die Kritiker vom Auftakt des Filmfestivals in Venedig: Besonders Paul Schraders verstörender Film "First Reformed" über einen sich radikalisierenden Priester hat es ihnen angetan. Die SZ wagt einen Blick ins erste Museum für zeitgenössische Kunst in Afrika, in dem Jochen Zeitz afrikanische Kunst jenseits des Eurozentrismus zeigen will. In der taz erzählt Friedrich Christian Delius, wie die RAF das System stabilisiert hat. In der Welt spricht Robert Menasse über die Literaturfähigkeit von Europabeamten in Brüssel. Und die taz schüttelt den Kopf über den atavistischen Feminismus von Sasha Waltz.

Voller grüner Törtchen

01.09.2017. Warum opfert ausgerechnet eine Kunsthochschule willfährig die Freiheit der Kunst, fragt sich die Berliner Zeitung angesichts der Gomringer-Debatte. Die FAZ lässt sich in Venedig von Guillermo del Toros Arthouse-Horror "The Shape of Water" unter Wechselstrom setzen. Der Guardian feiert die Brillenschlange. Und Boris Groys erklärt im Interview mit Art den russischen Kosmismus.