Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2021

Das gibt Diskussionen mit dem Jobcenter

27.02.2021. Im Logbuch Suhrkamp beklagt Thomas Wörtche die Innovationskrise der Krimiliteratur, die unter Ideologie und Blasenbedürfnissen ächzt. Im Freitag erzählt Claudia Durastanti vom Aufwachsen als Kind gehörloser Eltern in Brooklyn. VAN blickt in die bürokratische Hölle, der freie Musiker während der Pandemie ausgesetzt sind. Im BR sieht Nikolaus Bachler, Chef der Bayerischen Staatsoper durch die Schließung der Theater eine "kulturelle Klimakatastrophe" auf uns zukommen. Und die FAZ wandert im spanischen Cáceres von Goya zu Katharina Grosse.

Sound ist Ankündigung

26.02.2021. Die taz wandert virenabwehrend verpackt durch die Gewerke des Wiener Volkstheaters. Und lässt sich von Mouse on Mars in das utopische Potenzial künstlicher Intelligenz einweihen. Das Zeit Magazin stellt uns einen neuen Modetrend vor: Virtuelle Kleidung. Der Filmdienst analysiert das System Kosslick und seine Auswirkungen auf die deutsche Filmproduktion. Bei Domus erklärt Thomas Demand, was ihn am Modell als Kulturtechnik interessiert. Die Literaturkritiker trauern um Philippe Jaccottet.

Das Rauschen der Blätter ist für die Ewigkeit

25.02.2021. Was bleibt von Beuys, außer Fettflecken? Und wie divers ist grau an der Oper? Fragen, die sich die NZZ stellt. Der Tagesspiegel betrachtet im Gorki Theater schaudernd die Gefängniszelle von Can Dündar. In der taz fordert Georg Seeßlen eine Neuerfindung des Kinos. Zeit online würdigt den schönen blasphemischen Sarkasmus des verstorbenen Dichters, Verlegers und Buchhändlers Lawrence Ferlinghetti. Und in Köln wurde über den Zustand der Kritik diskutiert.

Das Fauchen einer Katze auf dem Bass

24.02.2021. Als eine der wichtigsten Ausstellungen des Jahres feiert die New York Times Okwui Enwezors letzte Ausstellung "Grief and Grievance" im New Museum von New York, die eine Kavalkade von Stars versammelt und trotzdem hervorragend kuratiert ist. In der taz entwirft Milo Rau das Theater von morgen. Im Tagesspiegel setzen Margarete Rissenbeek und Carlo Chatrian vor Beginn der Berlinale auf Zuversicht.

In eisiger Höhenluft

23.02.2021. Schock in der Popmusik: Das französische Electro-Duo Daft Punk löst sich auf. Pitchfork erinnert an ihr unerschütterlichen Partymusik-Ethos, der Standard trauert um die Visionäre der Maskierung, ZeitOnline huldigt ihrer unglaublichen Lässigkeit. Die FAS fragt, wie viel Heidegger in Terence Malick steckt. Die SZ spürt der Verstörung des Miles Davis nach. Der Guardian versinkt in den Tiefen von Kandinsky Himmel- und Picassos Preußisch-Blau.

Am nächstbesten Waldweg

22.02.2021. Als aufschlussreiches Dokument des Scheiterns empfiehlt die FAZ einen Film über James Baldwin, bei dem sich die Filmemacher in lupenreinen Herrschaftsposen verheddern. critic.de huldigt dem Kino kerniger Männlichkeit von Hongkong-Regisseur Chang Cheh. In Milo Raus Inszenierung der "Clemenza di Tito" hört die SZ eine überwältigende Anna Goryachova, die FAZ allerdings das Trommeln auf der Pharisäer-Brust. Die taz erzählt, wie sich Kubas Kulturszene gegen die Schikanen der Polizei wehrt: zum Beispiel mit dem Protestsong "Patria y Vida".

Die großen Träume träumen

20.02.2021. Endlich mal ein zukunftsfroher Blick nach oben: Die SZ bestaunt die neuen Glasdächer der Penn Station in New York. Der Tagesspiegel stellt den von Nicolaus Schmidt fotografierten "Kosmos Gayhane" vor, in dem queere Menschen aus dem türkischen und arabischen Raum angstfrei feiern können. Die taz begeistert sich für kubanische Revolutionärinnen und Cuba Funk. Artechock unterhält sich mit Mikosch Horn über dessen Cinemalovers, eine neue Plattform für Kinobetreiber. In den USA entwickeln sich die Literaturwissenschaften immer mehr zu einem Machtinstrument, diagnostiziert Wolf Lepenies in der Welt.

Voller Technikmelancholie

19.02.2021. FAZ und taz schwärmen von den bitteren Balladen für einsame Großstädter, die Masha Qrella aus den Texten von Thomas Brasch gemacht hat. Die SZ trauert um die Ausstellungen in diesem Winter, die niemand sehen konnte. Den Orchestern geht's trotz Corona oft erstaunlich gut, berichtet das Van Magazin. In der FAZ kritisiert Olga Martynova die Lagerbildung beim Streit um das Gendern.

Unschärfe transportiert die Eile

18.02.2021. Darf man den König einen Dummkopf und Mafioso nennen? Nicht in Spanien, dort soll der spanische Rapper Pablo Hasél wegen Majestätsbeleidigung ins Gefängnis, berichten Standard und SZ. In der NZZ erzählt die Historikerin Susanna Burghartz eine kleine Geschichte des Schleiers in Europa, dessen Gebrauch Spanien wegen seines Flirtpotenzials verbieten wollte. In Harper's verzichtet Martin Scorsese auf Content und wünscht sich einen atmenden Kurator. Intellectures feiert den Ostberliner Fotografen Harald Hauswald. Und noch eine traurige Nachricht: Françoise Cactus von Stereo Total ist gestorben.

was lyrik will ist ein gesichertes einkommen

17.02.2021. 54books dokumentiert das Lyrik-Manifest der Lytter-Zines. In der FAZ wünscht sich der Architektur Rudi Scheuermann grüne Vollbärte für Frankfurter Wolkenkratzer. Die SZ erlebt einen psychedelisch-traumseligen "Faust II" in virtueller Realität vom Theater Freiburg. Die FAZ lernt vom Nederlands Dans Theater, maskulin und feminin zugleich aufzutreten. Und die NZZ stellt beim Besuch der Zürcher Hochschule der Künste fest: Die Experimentierfreude des ersten Lockdowns hat sich erschöpft.

Der Berliner Eisblock und die Zürcher Urne

16.02.2021. Die New York Times erinnert an das Superstudio, das einst die Menschen aus der Architektur befreien wollte. Auf ZeitOnline erkennt Anke Stelling, dass sich manche in Deutschland das Künstlerleben besser leisten können als andere. FAZ und SZ erleben mit Simon Rattle und Christoph Marthaler, dass die Liebe einfach zu radikal für diese Welt ist. Die FAZ grübelt über das Frauenbild von "Wonder Woman": Ist das Popfeminismus? Die taz spürt der Kraft der Liedermacherin und Aktivistin Fasia Jansen nach.

Die dunklen Adern der Unzulänglichkeit

15.02.2021. taz und Nachtkritik jubeln über Claudia Bauers wild-grotesk-intellektuellen Mythen-Mashup nach Ovids "Metamorphosen" an der Berliner Volksbühne. Die SZ würde dem Ballett nicht nur gern die Stereotypen austreiben, sondern auch das spätabsolutistische Elitengehabe. In der NZZ beschwört der makedonische Schriftsteller Nikola Madzirov Stille und Dunkelheit des Gedichts. Artechock kann dem Ende der Februar-Berlinale nur Gutes abgewinnen. Der Freitag lauscht berührt Michaela Meises Hanauer Version von Refik Başarans Totenklage "Cemalim".

Zeitlos zeitgemäß

13.02.2021. Die klassische Literaturkritik schwindet, bedauern ZeitOnline und Freitag und machen sich auf die Suche nach neuen Räumen. Der Guardian entdeckt die Ziegenhaftigkeit der Liebe in jenen Werken von Robert Rauschenberg, in denen er seine Affären mit Cy Twombly und Jasper Johns verarbeitete. Schon in den Fünfzigern begann das Kinosterben, diagnostiziert der Filmdienst. Und die Musikkritiker trauern um Chick Corea, den Giganten auf den Flügeln des zwanzigsten Jahrhunderts.

Nicht nur Greta wäre glücklich

12.02.2021. Über wandelnde Geschlechterverhältnisse dachten FotografInnen schon in der Zwischenkriegszeit nach, lernt der Standard in einer Wiener Ausstellung. Die taz hört mit Tacita Deans Radioprojekt "Berlin Project" eine Schöpfungsgeschichte aus dem Geist des Äthers. In der SZ plant Simon Rattle ein Reset seines Lebens mit der Bahn. Die FAZ ärgert sich über die Aufteilung der Berlinale, die dem Bedürfnis der Branche nach marktwertsteigernden Auszeichnungen geschuldet sei. Die nachtkritik tastet sich mit Krzysztof Garbaczewski durch Goethes "Faust II". Und: Der Jazzmusiker Chick Corea ist gestorben. Der Standard bringt einen ersten Nachruf.

Traum der Truthähne

11.02.2021. Muss man für einen Essayfilm auch mit amtierenden Schwerverbrechern sprechen, fragt die taz anlässlich von Andreas Hoesslis "Der nackte König - 18 Fragmente über Revolution". Der Standard erliegt im Museum Gugging einem Pfau mit verführerisch-menschlichen Beinen. NZZ und SZ sind überrascht, wie unkreativ Computer beim Literatur-Schreiben mit Daniel Kehlmann sind. Auch die Pariser Oper will diverser werden, berichtet die FAZ.

Die Realität verlangte nach Nachbesserung

10.02.2021. In der FAZ schreibt Volker Schlöndorff zum Tod des Drehbuchautors Jean-Claude Carrière, der dem französischen Film Anarchie und Surrealismus verlieh. Aber die Filmkritiker liegen auch Helena Zengel zu Füßen, die im Western "Neues aus der Welt" Tom Hanks an die Wand spielt. taz und Tagesspiegel begrüßen die Auswahl zum Berliner Theatreffen, das jetzt nur noch stattfinden muss. Die NZZ stemmt sich gegen den schönen, aber unökologischen Trend zum begrünten Hochhaus. Dezeen hält dagegen Francis Kérés demokratischen Palaverbaum.

Übersteigerte Farbpalette

09.02.2021. Die FR steigert in der Frankfurter Schirn noch ein bisschen ihre Sehnsucht nach Weite, Wildnis und Überwältigung mit der kanadischen Group of Seven. Die Nachtkritik nimmt mit Clemens J. Setz an den Münchner Kammerspielen Kontakt zu den Anrufern von Microsoft auf. In der taz bekennt Bernardine Evaristo einen gewissen Willen zur Macht. Die FAZ macht auf dem Filmfestival Rotterdam einen neuen Hang zum Exotismus aus. Und die NZZ feiert eine neue Konjunktur des Souls.

Der Zeh eines Sumoringers

08.02.2021. Nach einem "Heldenplatz" in Salzburg feiert die Nachtkritik vor allem August Zirners Widerstand gegen den schlampigen Sprechnaturalismus. Der Guardian besingt die Poesie, zu der Charles Gaines Mathematik und die Schönheit der Bäume vereint. Der Standard weiß, dass sich auch Lyrik gut verkauft, wenn sie vorher bei Instagram durch die Decke gegangen ist. Die Welt bereitet uns mit Guan Hus "The 800" auf das kommende Blockbuster-Genre chinesischer Kriegsfilme vor.

Fenster zur Welt

06.02.2021. Die taz würde gern mal über den Kulturbegriff des WDR diskutieren, der die Rezension durch den Buchtipp ersetzen will. Die chinesischen Behörden haben das für seine Untertitelung ausländischer Filme bekannte Online-Filmportal Renren Yingshi hochgenommen, berichtet die FAZ. Die NZZ erinnert an die revolutionären Schriften des Musiksoziologen Paul Bekker. Hyperallergic erliegt dem Spiel von Farbe und Licht des abstrakten Künstlers John Mendelsohn. Die FAZ fragt mit Salvatore Sciarrinos neuer Oper "Der Gesang wird traurig, warum?" Die taz gratuliert Thomas Bernhard schon mal zum Neunzigsten. Die Filmkritiker trauern um Christopher Plummer.

Die Kränkungspotenziale sind groß

05.02.2021. Die taz bewundert zeitgenössische indische Kunst in Mumbai. Die NZZ beklagt den rasenden Stillstand heutiger Literaturstreits. Der Freitag blickt unbehaglich auf die neue autofiktionale Literatur: Wie soll man da noch zubeißen können, wenn der Autor vielleicht wirklich schlimmes durchlebt hat? In Moskau wird  Kirill Serebrennikow gezwungen, sein Theater aufzugeben. Im SZ Magazin outen sich 185 Schauspieler*innen und erklären ihr Unbehagen an starren Mann-Frau-Klischees.

Global verständliche Wolkenkratzer

04.02.2021. Die taz blickt auf die fortschreitenden Repressionen gegen den Literaturbetrieb in Belarus. Die NZZ wirft Amanda Gorman, vor allem aber der jubelnden Literaturkritik, Allmachtsfantasien und mangelnde Reflexion vor. Die FAZ lässt sich beim Sundance-Festival von Rebecca Halls Schwarzweißfilm "Passing" vom Manhattan der Zwanziger blenden. Die Welt schaut nach dem Abgang von Peter Spuhler beim Badischen Staatstheater Karlsruhe auf die "Trümmer der Humansubstanz". Die Zeit fordert einen Anführer, der mit freien SchauspielerInnen in den Lobbyisten-Krieg zieht. Und der Standard lässt sich von Celeste niederbügeln.

Jetzt ist Raum eine Metapher

03.02.2021. Werden in Deutschland Einfamilienhäuser jetzt verboten, fragt die FAZ. Und wäre das schlimm? Außerdem huldigt sie den ÜbersetzerInnen der indischen Sprachenvielfalt. Die FR zürnt gegen die Aktionsgemeinschaft, die das Schauspielhaus Frankfurt im Gründerzeitstil wiederaufbauen will. Wie ein Krankenhochhaus in der Kleinstadt erscheinen der SZ die Räume, die Gregor Schneider eröffnet. Der Tagesspiegel findet es richtig, dass Disney jetzt seine Trickfilmklassiker mit Warnhinweisen versieht. Hyperallergic meldet, dass einer Studie des Louvre zufolge zumindest Teile des "Salvator Mundi" eindeutig "nicht Leonardo" sind.

Im Fragemodus der Ungewissheit

02.02.2021. Die Filmkritiker fragen sich, in welchen Resonanzraum die zweigeteilte Berlinale hineinwirken kann, wenn der Wettbewerb allein für Filmhändler und Journalisten stattfindet. Mit den Kunstdokumentationen der Plattform art21 verfällt die Welt dem Bingewatching. Die FAZ nickt zum Zornesausbruch der Regisseurin Carmen Aguirres gegen die "beschämende Zeit der großen Säuberung" im kanadischen Theater. Die NZZ bereitet uns aufs Leben in kleinen Wohnung vor. Die taz erkennt, dass auch das Kopftuch in der Mode nur Thema sein kann, nicht Vorschrift.

Mephistopheles ist hier Sanitäter geworden

01.02.2021. Als Sensation feiert die FAZ die Übersetzung von Roger Martin du Gards Romanfragment "Maumort und die Nazis", das bereits 1937 sehr luzide drei Typen von Nazis ausmachte, darunter als gefährlichsten: den gebildeten Schöngeist aus dem deutschen Pfarrhaus. Die FAZ genießt auch den frischen Wind, der selbst in Pandemiezeiten durch den Madrider Prado weht. Die Welt besucht in Beirut ein Lazarett der Kunst. Die Nachtkritik erkundet mit dem Theater Krefeld-Mönchengladbach Kunst und Mythos von Joseph Beuys. Der Freitag erinnert an die kompromisslose Kunst des sanften Filmemachers Sohrab Shahid Saless.