Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2020

Die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins

29.02.2020. Die SZ bewundert den Mix aus Stunt, Trash, Zirkusakrobatik und Tanz der Choreografin Florentina Holzinger. Die FAZ fragt, warum das Goethe-Institut in Indonesien teure Stücke produziert, die jede Kritik am Land vermeiden. In der Welt erklärt Ingo Schulze, wie auch ein Büchermensch nach rechts abdriften kann.  Zeit online  wünscht sich einen hermeneutischen Blick auf Roman Polanski statt einen moralisierenden. Der Standard wütet gegen die zahnlosen Langweiler im Pop.

Schnell, dreckig, fröhlich

28.02.2020. Zeit Online setzt sich in einer Ausstellung über neue Technologien in San Francisco in einen Käfig, den Amazon für seine Arbeiter entworfen hat. Die SZ berichtet, wie das Kulturleben in Polen und Ungarn zunehmend zensiert wird. Auch in Ägypten wird missliebige Musik verboten, ergänzt die NZZ. Intellectures spricht mit Abbas Khider über das Aufwachsen zwischen den Irakkriegen. Und die Berliner Zeitung twerkt mit Constanza Macras an der Volksbühne durch unser kolonialistisches Unbewusstes.

Fusion von Sehnsucht und Schmerz

27.02.2020. Die NZZ bewundert die Energie des malenden Fischers Forrest Bess in Kassel. Der Rest der Kunstkritiker feiert die Wiedereröffnung der Dresdner Gemäldegalerie: So schön wie nie zuvor, jauchzt die Welt. Letztlich war Alfred Bauer nur ein "ganz normaler Nazi", schließt der Filmhistoriker Armin Jäger die Debatte in der Zeit ab. Der Drill an Ballettschulen hat seine Wurzeln in der Sowjetunion, erklärt die FAZ. Der Guardian schaut sich in London chinesische Propaganda-Plakate an.

Trompete, Schaufel und Dolch

26.02.2020. Es gibt keinen besseren Zeichner als David Hockney, jubelt der Guardian nach dem Besuch der großen Retrospektive in der Londoner National Portrait Gallery. Das AnOthermag lernt ebenfalls in London die Macht weißer Männerclubs kennen. Der Tagesspiegel blickt fassungslos auf den nackten Hintern von Dffb-Leiter Ben Gibson. Die SZ begibt sich ins Marvel-Universum von Beethovens "Fidelio". Und die NZZ fragt mit Blick auf die Festspiele Zürich: Wer will in Zürich denn das "Volk" sein?

Diese verstörenden Vögel

25.02.2020. Im Guardian singt Teju Cole eine Ode an das Fotobuch: Idealistischer Affront, aber stiller Trost, meint er. Die taz wird zum Voyeur in der Hamburger Kunsthalle, die in einer Ausstellung Trauerrituale aus aller Welt zeigt. Welt und SZ lassen sich von Rem Koolhaas im Guggenheim die radikale Ästhetik von Fischfarmen mit Gesichtserkennungssystemen zeigen. Die Amazon-Serie "Hunters" ist eine Einladung an Holocaust-Leugner, ärgert sich die Presse. Und die NZZ porträtiert den unermüdlichen Kirill Serebrennikow.

Neun weiße Rosen

24.02.2020. Das ad-magazin lernt in Mexiko, wie der soziale Wohnungsbau der Zukunft aussehen könnte. Es hätte das Stück zur Stunde werden können: Wenn Michael Thalheimer Fassbinders "Katzelmacher" mit Ausländer- und Volkstheaterklischees auf die Bühne bringt, schauen die Theaterkritiker allerdings betreten zu Boden. Wo bleibt die Sinnlichkeit in den Kulturwissenschaften, fragt die NZZ und fordert einen "musical turn". Und die FAZ erinnert noch einmal an den Architekten Yona Friedman.

Äußerst explizite Gruppentänze

22.02.2020. Der Tagesspiegel findet die "Essenz des Ortes" in der überwältigenden Monet-Schau in Potsdam. Für solche Ausstellungen fehlt in Berlin das nötige Kleingeld, sekundiert die taz. Die FAZ schaut mit jungen Künstlern der afrikanischen Diaspora hinter den "Black Atlantic" in Hannover. Außerdem bewundert sie den Mut der russischen Theaterszene, wenn etwa Olga Schiljajewa zornig und lüstern das Drama des Frauseins besingt. Die NZZ erntet mit Rem Koolhaas in Manhattan Tomaten unter rose Kunstlicht.

Künstlerin-Sein, Frau-Sein, Kind-Sein

21.02.2020. Etwas zu gediegen ist den Filmkritikern der Eröffnungsfilm der Berlinale geraten, Philippe Falardeaus "My Salinger Year". Nur Sigourney Weaver rettet ihn vor allzu großer Gemütlichkeit. Wo bleibt die Stilkritik an Peter Handkes neuem Roman, fragt die Tell Review die Kollegen von der Literaturkritik. Das Van Magazin untersucht die Arbeitsbedingungen an deutschen Theatern. Die Berliner Zeitung versinkt in den Zettelaltären der Künstlerin Anna Oppermann.

Die Schönheit der eigenen Gefühle

20.02.2020. Heute abend eröffnet die Berlinale! Die Filmkritiker scharren sich aufgeregt um die neuen Berlinale-Chefs Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek. In der SZ erklärt Burhan Qurbani, warum Franz Bieber in seinem Film "Berlin Alexanderplatz" (läuft im Wettbewerb) ein Flüchtling ist.  Der Tages-Anzeiger bewundert den Entwurf für eine Autobahnkapelle von Herzog & de Meuron. Monopol trägt Streetwear mit van-Gogh-Motiven. Zeit und Guardian hören das neue Album von Grimes. Die Presse steht gerührt vor Kunstwerken der feministischen Avantgarde Österreichs.

Dauernde Suche nach Ausdruck

19.02.2020. Die Berliner Zeitung blickt auf den Scherbenhaufen, den fünf junge Tänzer aus der Elfenbeinküste hinterlassen, die bei einem Kulturaustausch in Berlin ihre Compagnie verlassen haben. Außerdem blickt sie mit Umbo intensiv der Großstädterin ins Gesicht. Die taz übt unter verschärften Bedingungen, die Ödnis des Potsdamer Platzes auszuhalten. Die FAZ lernt im Vitra Design Museum, dass die Ausstattung einer Wohnung zweitrangig geworden ist.  Und alle trauern um den Poeten Ror Wolf.

Traumtrichter

18.02.2020. In der FAZ rät Berlinale-Chef Carlo Chatrian den deutschen Filmemachern, genauer hinzusehen. Die FR wagt mit Hortensia Mi Kafchin einen Blick in rumänische Höllen-Paradies-Labore. Die NZZ purzelt mit Stefan Bachmann aufs glatte Gesellschaftsparkett. 54books wünscht der Kapitänin Thea Dorn gute Fahrt auf ihrem rostigen Literaturkahn. ZeitOnline trauert um den Musikproduzenten Andrew Weatherall, der mit Acid und Ecstasy die Dunkelheit der Achtzigerjahre vertrieb.

Heiter, hell und luftig

17.02.2020. Die NZZ erkundet im Zürcher Museum für Gestaltung, wie sich der mächtige Mensch die Schönheit der Tiere aneignet. Die SZ bewundert in der Frankfurter Schirn den großen Zorn des amerikanischen Künstlers Richard JacksonFR und SZ feiern das Messa di Voce des Countertenors Jakub Józef Orliński. taz und Tagesspiegel blicken mit der Regisseurin Aysun Bademsoy in den Abgrund, den der Terror des NSU hinterlassen hat.

Ich Papst, du keine Ahnung!

15.02.2020. Die NYRB denkt mit Tom Stoppards neuem Theaterstück "Leopoldstadt" über den britischen Antisemitismus nach. Die taz fragt: Wann ist ein Foto illegal, und was hat das mit sozialen Privilegien zu tun? In Frankreich streitet man über die Auswahl der César-Filmpreise, berichtet Le Monde, und mit Roman Polanski hat das nur am Rande zu tun. Warum das Literarische Quartett von der Kritikerrunde zum Salon mutiert, erklärt in der SZ Thea Dorn.

Es entsteht Licht

14.02.2020. Die NZZ bewundert den Illustrator und Weiß-Maler Hannes Binder. In der Welt erklärt Rene Jacobs kühn: Leonore ist der bessere Fidelio. Rekonstruktion oder Moderne? In Hamburg streitet man um den Wiederaufbau der alten Synagoge im Grindelviertel. Die Welt verteidigt Jay Roachs Film "Bombshell": Hier lernt man noch was von willensstarken weiblichen Profis des Taktierens. Dem Van Magazin wird leicht unwohl bei der Authentizitätsrhetorik des Pianisten Igor Levit.

Wir lesen Stroh, wir lesen Holz

13.02.2020. Karl Ove Knausgard lernt, was Ikonoklasmus bedeutet, im Atelier von Anselm Kiefer (NYT). Die FR bewundert Fantastische Frauen. Die nachtkritik staunt über Lars Eidinger als Formenwandler Peer Gynt. Im Standard fragt Sasha Marianna Salzman: Was ist kulturelle Identität? Die taz hört Kraut-Punkrock von Hendrik Otrembas Band Messer.

Aus dem Arsenal der Trillerpfeifendemokratie

12.02.2020. In der NZZ erklärt Vittorio Lampugnani den öffentlichen Wohnungsbau zur Grundsubstanz der Stadt. Die SZ bemerkt eine wachsende Abwehr gegenüber Schiene und Straße, die einst den Anschluss an die Welt bedeuteten. Die FAZ lernt Ingeborg Bachmann als Antipodin des Realismus kennen. Die taz porträtiert das Jewish Chamber Orchestra von München. Ai Weiweis Tiraden gegen Berlin machen Tagesspiegel und Berliner Zeitung beinahe sprachlos.

Eine Frau, die alles weiß

11.02.2020. Auf einmal stellt Hollywood fest, dass die besten Filme nicht zwangsläufig amerikanisch sein müssen. Die Kritiker sind ganz aus dem Häuschen über die große Zeitenwende. Schade nur, dass die größten Filmemacher aller Zeiten nie einen Oscar erhalten haben, wirft die NZZ ein. In Berlin kniet die taz mit Richard Strauss vor den großen Gedanken einer in die Jahre kommenden Frau nieder. Und die SZ lernt von René Burri, wie man sich ein Taxi zur Hauptverkehrszeit schnappt.

Glücklich paralysiert bis wippend

10.02.2020. Die Feuilletons applaudieren in ersten Reaktionen dem großen Gewinner der Oscar-Nacht: Bong Joon Hos Klassenkampf-Film "Parasite". Die SZ sieht im Bucerius-Kunstforum, dass David Hockney nicht nur knallige Oberflächen beherrschte, sondern auch die Tiefe des Grand Canyons. Die taz labt sich an Laibachs donnerndem Heiner-Müller-Musical "Wir sind das Volk". Der Schriftsteller Robert Posser erzählt im Standard von seiner Reise in den Libanon.

Eine schreibende Drohne

08.02.2020. Lensculture bewundert die erhabene Schönheit von Todesritualen auf aller Welt in den Fotografien des Dänen Klaus Bo. Elfriede Jelineks Bearbeitung der Ibiza-Affäre teilt die Theaterkritik: Hatte Jelinek angesichts der realen Schmierenkomödie überhaupt eine Chance, fragt die NZZ. Wo bleibt die Solidarität unter Fremden, ärgert sich die Zeit mit Blick auf die Debatten um kulturelle Aneignung. Die FAZ öffnet die Schatztruhe der Übersetzernachlässe. Und die Filmkritiker laufen sich warm für die Oscars.

Zerbröselnde Ambientcoda

07.02.2020. Die New York Times bewundert die Rundungen und Hügel der kubanischen Künstlerin Zilia Sánchez. Die FR entdeckt in Düsseldorf einen ganz neuen Peter Lindbergh. In der SZ beklagt der Schriftsteller Leonhard Hieronymi den Verfall des Erzählens und gibt den Amerikanern die Schuld. 54books denkt über Lesen und Schreiben in der Klimakrise und unterm Kapitalismus nach. Etwas mehr Ernst hätte sich die nachtkritik von Robert Borgmanns Inszenierung von "Schwarzwasser" erhofft, Elfriede Jelineks Bearbeitung der Ibiza-Affäre. Die taz plaudert mit Kevin Parker über Science-Fiction in der Disco.

Semantisches Dynamit

06.02.2020. Die Zeit ermuntert die Museen, sich endlich mit den Brüchen des 20. Jahrhunderts auch in den eigenen Sammlungen auseinanderzusetzen. Im Standard setzt der Künstler Claudius Schulze angesichts des Artensterbens auf kluge Maschinen. Die SZ protestiert gegen den geplanten Abriss der Frankfurter Bühnen: Muss es wirklich immer der höchste Komfort, die beste Ausstattung, das neueste Equipment sein? 103 ist er geworden, jetzt hat er sich doch davon gemacht: Die Filmkritiker trauern um Kirk Douglas.

Triumph des Ensembles

05.02.2020. Ist die Berlinale noch ein A-Festival? Im Tagesspiegel verabschiedet sich Berlinale-Chef Carlo Chatrian vom Weltpremierendruck. Von Standard bis FAZ stellen sich die Kritiker hinter Roman Polanskis Dreyfus-Film "Intrige". Die taz gleicht in Frankfurt ihr Italienbild mit dem italienischer Fotografinnen ab. In der FR wünscht sich Christian Baron mehr Geschichten von ganz unten. In der Vogue gesteht Billie Eilish ihre Angst, sich eines Tages den Kopf zu rasieren.

Verzweiflungsschrei im Textildickicht

04.02.2020. Telepolis wirft den Machern der ZDF-Reihe "Das Boot" Geschichtsklitterung vor. Die FR erklärt sich die Causa Alfred Bauer nicht mit Ignoranz, sondern mit dem zwanghaften Willen zur Entideologisierung. Von der Religion lässt sich die SZ im Stuttgarter "Boris Godunow" nicht trösten, wohl aber von Adam Palkas betörend zartem Bass. Die taz verfolgt, wie sich die Mode in eine Reihe von Insider-Jokes auflöst. Und: Lässt die Welt am Sonntag einen Skandal zu Uwe Tellkamp herbeidiskutieren?

Lauter Jubel im Container

03.02.2020. Nicht nur Alfred Bauer, auch der Documenta-Gründer Werner Haftmann hatte seine NS-Vita. In der SZ spricht der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister über die ungeheure Kontinuität bundesdeutscher Eliten. Cargo jubelt über Christian Weises "Berliner "Hamlet"-Inszenierung mit Svenja Liesau, Marx und Schwertkampf. Wie Jedermann erleben FAZ und FR im Frankfurter Schauspiel, wie ein Ende besiegelt wird. Auf 54books wünscht sich Simon Sahner die Öffnung der literarische Räume.

Etwas furchtbar Gutgemeintes

01.02.2020. Die Literarische Welt fragt: Was macht Jan Knopfs Müller-Parodie in der Heiner-Müller-Gesamtausgabe des Suhrkamp Verlags? Dass Alfred Bauer ein Nazi war, wusste man eigentlich schon immer, man wollte nur nicht drüber reden, meint der Filmwissenschaftler Armin Jäger in der Welt. Die Bauer-Geschichte muss man im Kontext sehen, wiegelt Rainer Rother von der Deutschen Kinemathek ab. Das Neue Deutschland würdigt die letzten voll souveränen Independentmusiker der Punkband EA80. Standard und nachtkritik amüsieren sich "Am Wiesnrand" mit Stefanie Sargnagel - bis ins Grab.