Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2018

Das Jetzt ist roh

31.03.2018. Die Berliner Zeitung bewundert Klarheit, Eleganz und Perfektion in den Fotografien Irving Penns. Die Nachtkritik bedauert, dass die Dresdner in Scharen aus Sebastian Hartmanns freiem und wildem Theater gelaufen sind. In Libération bekundet Dominique Manotti ihre Sympathie für die Polizei. In der FAZ wünscht sich Wolfgang Hegewald mehr Schriftsteller an die Hochschulen. Die SZ bemerkt, dass sich das Konzept von H&M so verschlissen hat wie einT-Shirt aus Bangladesch. Ebenfalls in der SZ erklärt Jazzmusiker Michael Wollny, wie Improvisation funktioniert: Wenn man gut sortiert hat, kann man sich auch verlieren.

Umwerfend enthusiastischer Ernst

29.03.2018. In ihrem Blog stellt die Erbin des Wollschläger-Nachlasses Gabriele Gordon klar: Hans Wollschläger wollte seine Übersetzung des "Ulysses" selbst überarbeiten und das auch nur in Kleinigkeiten. Die SZ fürchtet um den Hollywood-Actionfilm, wenn der Berliner Senat Rainer Rümmlers Unterführung am ICC schließt. Und sie geht in die Knie vor dem Bach-Dirigenten Raphaël Pichon. Die NZZ besucht Ägyptens größtes unabhängiges Kulturfestival. Mit #metoo ist es nicht getan, erklären die Schauspielerin Bibiana Beglau (Welt) und die Theaterregisseurin Pınar Karabulut (nachtkritik): Die Veränderungen müssen in den Grundstrukturen stattfinden.

Sie stand nicht zur Verfügung

28.03.2018. Die NZZ bewundert die vielen Nuancen von Weiß in den Bildern Foujitas. SZ und Tagesspiegel verfolgen die Debatte um Eugen Gomringers "Avenidas"-Gedicht mit zunehmender Verzweiflung. Gegen die Zumutungen der Gegenwart plädiert die Opernregisseurin Barbara Beyer für den Gesang als Existenzweise. Auf ZeitOnline bekundet Viktor Martinowitsch, dass auch er Armando Ianuccis in Russland verbotene Comic-Verfilmung "The Death of Stalin" nicht komisch findet. Außerdem trauern die Feuilletons um Stéphane Audran, die kühle Blonde aus den Filmen Claude Chabrols.

Es eskaliert so vor sich hin

27.03.2018. taz und FAZ bewundert im Kunstmuseum Wolfsburg die Bilder des Fotoreporters Robert Lebeck, die der Stern nicht zeigte, wahrscheinlich weil sie zu komplex waren: Zum Beispiel Rudi Dutscke 1968 in Prag. Der Guardian gerät in Nottingham Bann von Linder Sterlings magischen Punk-Masken. Bei der MaerzMusik schaudert die SZ Komposition unter den schroffen Gesten in Georges Aperghis' Komposition "Migrants". Außerdem stellt sie das feministische Theaterkollektiv Henrike Iglesias vor. In der Jungle World sucht  der Konzertveranstalter Berthold Seliger vergeblich nach jungen Opernbesuchern im Silbersee.

Ein Schub im weißen Feuilleton

26.03.2018. Die SZ lässt sich in Mailand die Kälte der faschistischen Moderne ins Gesicht wehen.  Wolfgang Ullrich bemerkt in seinem Blog, dass die Auktionshäuser keinen Unterschied mehr machen zwischen zeitgenössischer Kunst und Alten Meistern. In der FAZ sieht der jüdische Rapper Dimitri Chpakow kein Problem in den antisemitischen Posen des Gangsterraps. Tagesspiegel und NZZ hängen mit Herbert Fritsch fröhlich in den Seilen. In der Welt huldigt Daniel Barenboim der Dynamik Claude Debussys.

Bis ins Kokette oder Koboldhafte gesteigert

24.03.2018. Der Tagesspiegel würdigt die große Irving-Penn-Retrospektive im C/O Berlin als Fotoausstellung des Jahres. Auf Zeitonline kann Friedrich Ani über Uwe Tellkamp nur mit dem Kopf schütteln. Die FR erfährt in einer Frankfurter Ausstellung, weshalb die Sanierung der Städtischen Bühnen mindestens 800 Millionen Euro kosten wird. In der Versorgerin erinnert Berthold Seliger an den Komponisten Jacques Wildberger. Und die taz lernt von Trajal Harrell den Unterschied zwischen einer butch femme und einer femme realness.

Die Gürtellinie des Dirigenten

23.03.2018. Das Van Magazin hat die Münchner Akten zur Diskussion um die Pädophilie-Vorwürfe gegen James Levine gelesen - und diese Diskussion fand im Jahr 1997 statt.  Die SZ sieht Hans Karl Breslauers 1924 entstandenen prophetischen Stummfilm "Stadt ohne Juden". Die FAZ kritisiert die Seminaritis der MaerzMusik. In der nachtkritik wünscht sich Andrea Heinz, die Linke möge es sich in ihrer habituellen Kritik am Staat nicht ganz so gemütlich machen. Und das Ensemble der Münchner Kammerspiele solidarisiert sich in einer Erklärung mit Matthias Lilienthal.

Postglamouröse Selbstminimierung

22.03.2018. Die FR feiert Sara Jakubiaks erlesenen Auftritt in Erich Wolfgang Korngolds Oper "Wunder der Heliane". Die SZ lobt Alexander Schimmelbuschs in der deutschen Hochfinanz angesiedelten Roman "Hochdeutschland" als den politischen Roman zur Zeit. Der Standard lehnt erste Gedichte einer mit Goethe und Schiller gedopten künstlichen Intelligenz ab. Die Filmkritiker sind baff angesichts des After-Herbert-Achternbusch-Bombeneinschlags in Josef Bierbichlers Regie-Debüt "Mittelreich". Die Zeit hört Andris Nelsons mit Bruckner ins Nichts galoppieren.

Zahnräder des Bedeutens

21.03.2018. Da haben CSU und SZ ja ganze Arbeit geleistet, ärgert sich der Tagesspiegel: Matthias Lilienthal wird seinen Vertrag bei den Münchner Kammerspielen nicht verlängern. Leider wird er nicht ein zweites Mal die Volksbühne retten können, bedauert die Berliner Zeitung. Die taz fragt sich, was für ein Bild von Drogen und Clubkultur der Spiegel verbreitet. Die SZ freut sich über Hamburgs Osterweiterung.  Und in der FR erkennt Gilberto Gil im Rhythmus den Ursprung von allem.

Ballett der verlorenen Illusionen

20.03.2018. In der NZZ geht Michael Braun den Weg von der Schwermut in die Anarchie. Die FR folgt Roberto Saviano auf Google Street View durch die Drogenquartiere Neapels. Tex Rubinowitz überlistet in der Standard die Schreibblockade. Der Indiepop-Sänger Sam Vance Law erklärt in der SZ, dass Schwulsein im Pop schwieriger wird, weil in der Branche weniger Geld zu holen ist.  Die FAZ sucht nach einem Design für das reine Menschsein. Und die taz sehnt sich nach Schönheit  in der Baukultur.

Keinerlei Neigung zum System

19.03.2018. Die Leipziger Buchmesse ist zu Ende gegangen, die Feuilletons diskutieren, ob die rechten Verlage zu viel oder zu wenig Aufmerksamkeit erhielten. Außerdem trauern sie um den verstorbenen Autor Michael Rutschky. Der Merkur bringt ein Video-Gespräch mit ihm.  Eine kolossale Sprachsprengung erlebt die Nachtkritik mit Rainald Goetz' "Krieg"-Trilogie am Berliner Ensemble.  Der Tagesspiegel lauscht bei der MaerzMusik einem Schlitten im Schnee. Die Welt spürt in den Bildern des Malers Patrick Angus die soziale Kälte der schwulen Subkultur. 

Mit Sirenen, Bohrern und einem Motorrad

17.03.2018. Tellkamp und kein Ende, aber man hat bei dieser Debatte doch dazugelernt, freut sich die taz. Die SZ hätte sich etwas mehr Humor gewünscht und eine Würdigung der Tatsache, dass Walser und Enzensberger ostdeutschen Nachwuchs haben. Der Standard nimmt ein Schnäuzchen von der Bildwelt Keith Harings. Im Filmdienst erklärt Regisseur Robert Schwentke, was für ihn einen Antikriegsfilm ausmacht. Die Musikkritiker amüsieren sich in der angenehm durchgeknallten Ausstellung "Underground und Improvisation. Alternative Musik und Kunst nach 1968".

Der tollste Trennungssong der Saison

16.03.2018. Die Literaturkritiker sind zufrieden mit den Leipziger Buchpreisen für Esther Kinsky und Karl Schlögel. Derweil geht die Tellkamp- Debatte weiter: Die Rechte war immer Teil des intellektuellen Lebens in Deutschland, erinnert die Welt. Im Deutschlandfunk findet Monika Maron Suhrkamps Distanzierungsversuch von seinem Autor Tellkamp ungeheuerlich. Spon unterzieht Tellkamps Äußerungen einem Faktencheck. Außerdem: Der Freitag feiert eine Filmsensation: Robert Schwentkes "Der Hauptmann". Und Zeit online hört Schizorock von Lucy Dacus.

Diener dieses Reichtums

15.03.2018. Im Interview mit der Zeit ist Durs Grünbein genervt vom Alarmismus heutiger Debatten. Im Freitag empfiehlt Per Leo im Umgang mit rechten Verlagen: einfach mal taoistisch klug ignorieren. Dass Filme über die Ränder der Gesellschaft nicht grau sein müssen, lernt die begeisterte SZ in Sean Bakers knallbuntem Film "The Florida Project". Die taz sieht mit Andrei Swjaginzews "Loveless" eine postmoderne Variante von Bergmans "Szenen einer Ehe". Die NZZ erliegt dem Zauber der Hyperrealität von Magritte, Dietrich, Rousseau und Co.

Der Künstler kann sich nicht aus dem Staub machen

14.03.2018. Heute Abend eröffnet die Leipziger Buchmesse. Der Umgang mit der neuen Rechten wird die Hauptfrage werden, glaubt die FAZ. In der SZ erkundet Durs Grünbein, wieviel Gemeinheit die Meinungsfreiheit ertragen muss. Die NZZ streift durch die Literatur des Gastlands Rumänien. Nach dem Rauswurf James Levines wirft der Boston Globe einen Blick auf den kultisch-elitären Zirkel, den der Maestro um sich gescharrt hatte. Und ZeitOnline fürchtet, dass anspruchsvolle Filme demnächst nicht mehr ins Kino kommen, sondern online versendet werden.

Wird das unsere Zukunft sein?

13.03.2018. Die taz lernt von Ydessa Hendeles in der Wiener Kunsthalle, dass der Widerstand gegen Toleranz und Aufklärung nicht da ist, sondern erzeugt wird. Die NZZ ersehnt in Ljubljana die nächste Le-Corbusier-GenerationSpOn bemerkt, dass der zunehmend hektische Filmfestivalbetrieb zunehmend ins Leere läuft. Die SZ erkennt in der Debatte um Uwe Tellkamp die Tücken der Diskursdebatten. Außerdem befindet sie: Wir müssen Miles Davis neu hören

Wahrhaft königliche Renitenz

12.03.2018. Der Standard erlebt Tobias Moretti im Burgtheater als einen der großen Verweigerer der Moderne. Außerdem lernt er von Francesca Woodman, wie das weibliche Selbstbild im Auge des Betrachters zersplittert. Die SZ nimmt im Musée du Quai Branly kolonialistische Kunst in den Blick. NZZ und Welt wünschen sich, dass Uwe Tellkamp noch viel mehr Debatten anstößt. Die FAZ staunt über Tellkamps Ost-Nationalismus. Und Tatort-Macher Dietrich Brüggemann wütet auf seinem Blog d-trick gegen die öffentlich-rechtliche Monokultur.

Das vegetabilische und viridianische Blubbern

10.03.2018. Sehr uneins in ihrer Entrüstung reagieren die Feuilletons auf den Eklat um Uwe Tellkamp und Suhrkamp. Die Zeit wünscht sich einen feministischen, aber zensurfreien Blick auf den westlichen Kunstkanon. Le Monde diplomatique blickt mit leisem Optimismus in die algerische Kulturszene. Die FAZ entdeckt in Alex Garland den neuen David Cronenberg. Ebenfalls in der FAZ fordert der Architekt Robert Kaltenbrunner seine Kollegen zu weniger Selbstverwirklichung und mehr Nachhaltigkeit auf.

Schule aller Schändlichkeiten

09.03.2018. Dass Bach die ideale Voraussetzung für die brachial-erotischen Kräfte des Jazz geschaffen hat, lernt die SZ vom Jazzpianisten Brad Mehldau. Die taz sieht in Leipzig beste Voraussetzungen für ein Handgemenge zwischen Linken und der neurechten Verlagsszene. Die FAZ bewundert Schimmer, Glanz und Leben in den Porträts des spanischen Impressionisten Joaquín Sorolla. Die Gleichsetzung von Schauspielerinnen und Prostituierten ist uralt, erklärt der Romanist Gerhard Poppenberg in der FAZ.

Das Achselzucken als Wille und Vorstellung

08.03.2018. Die Filmkritiker liegen Harry Dean Stanton zu Füßen, der in seinem letzten Film, "Lucky", einen rüstig-renitenten Cowboy-Rentner verkörpert. Die SZ sieht doppelte weiße Hirsche in Alex Garlands Verfilmung des Science-Fiction-Romans "Auslöschung". Die FAZ besucht die Ausstellung "Exil - Erfahrung und Zeugnis" in der Deutschen Nationalbibliothek. Auf Zeit online erinnert sich die Schriftstellerin Ayeda Alavie an das erste Juwel in ihrem deutschen Wortschatz. Die NZZ stellt das Projekt Bach-Stiftung vor. Die FAZ thematisiert das Elend der Filmförderung in Deutschland.

Hier die Enge, da die Weite

07.03.2018. Die NZZ porträtiert die Gruppe Forensic Architecture, die Menschenrechtsverletzungen mit der Rekonstruktion von Tatorten nachgeht. Die SZ besucht den kubanischen Schriftsteller Angel Santiesteban, der mit Ironie und Sarkasmus dem sozialistischen Trugbild beikommen will. Im Guardian beklagt Joel Meyerowitz, dass die Handys der Straße die Sexiness genommen haben. Die taz schwebt mit Alexander Hacke und Danielle de Picciotto nach Krems und in die Mojave-Wüste. SZ und Welt jubeln über den Einzug von Serge Dorny und Vladimir Jurowski in die Bayerische Staatsoper.

Die Partie ist mörderisch

06.03.2018. Der Mensch ist ein Strandläufer am Meer der Ewigkeit, lernen SZ und NZZ  in Heinz Holligers Oper "Lunea" über den Dichter Nikolaus Lenau. Hans Neuenfels' Berliner "Salome"-Inszenierung enttäuscht alle, die auf einen Skandal gehofft haben, bemerken FAZ und Tagesspiegel. Die taz hört bei Anna von Hauswolff, wie klar und schön eine entzauberte Welt klingen kann. Die NZZ ahnt, dass Österreichs Literatur auch dank einer klugen Verlagsförderung so gut dasteht.  Christoph Hochhäusler beklagt in seinem Blog Parallel Film die Unreife der deutschen Filmkultur. Die Oscar-Verleihung beschäftigt weiterhin die Feuilletons.

Süffig süß wie Liebeslyrik

05.03.2018. Heute Nacht  wurden die Oscars vergeben. Dass vor allem Guillermo del Toros Sumpfmonster-Liebesmärchen "The Shape of Water" abräumte, geht für die Kritiker in Ordnung, nicht jedoch die belanglose Gala.  Immerhin Frances McDormand brachte ein Statement. Die taz entdeckt in Heidi Speckers Digitalfotografien das Unbequeme im Gefälligen. Nach dem neuen René-Pollesch-Abend "Hello, Mister MacGuffin!" schwirren der begeisterten NZZ Theoriebrocken wie Flipperkugeln im Hirn. Die FAZ gewinnt den netten Diskursonkel sogar schon richtig lieb.

Kunst UND Kompetenz

03.03.2018. Die SZ reist nach Rumänien, dem Gastland der Leipziger Buchmesse. In der nachtkritik erklärten die Dortmunder Theatermachern Kay Voges und Alexander Kerlin, wie sie in einer neuen Akademie Theater und digitales Knowhow zusammenführen wollen. Die NZZ spaziert gut gelaunt durch das frisch renovierte Zürcher Museum für Gestaltung. LensCulture stellt den Fotografen Eddo Hartmann vor, der gerade für seine Fotos aus Nordkorea ausgezeichnet wurde. Die taz hört kapitalistische Feedbackschleifen in den Memories of Cindy.

Zum Niederknien prickelnd

02.03.2018. Die FAZ bewundert feinste japanische Holzschnittkultur. Der Tagesspiegel staunt über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in der italienischen Kunst der Zwischenkriegszeit. Die taz ergibt sich der Liebe und dem Rausch in der Autobiografie des Palais-Schaumburg-Bassisten Timo Blunck. Auf Zeit online warnt Museumsdirektorin Marion Ackermann vor einem selbstgerechten Moralisieren in der Kunst. Der Tagesspiegel sucht den Durchblick im Streit um den Nachlass von Imre Kertesz.

Szenisch, lakonisch, milieugenau

01.03.2018. Die NZZ geht auf einen Drogentrip mit den Nasca. In 10 nach 8 beschreibt die kroatische Dramatikerin Ivana Sajko die schwierige Situation von Kunst und Theater in Kroatien. Auf Zeit online erzählt Jan Böttcher von seiner Reise nach Rumänien und in die rumänische Literatur. Der Standard sucht eine catchy Melodie auf dem neuen Breeders-Album. Die taz feiert die Unentschiedenheit der Liebe in Luca Guadagninos Adaption von André Acimans Roman "Call me by your Name".