Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2015

Stammeln und Stottern und Herumtigern

31.10.2015. Art news  besucht die Frank-Stella-Retrospektive im Moma. Die NZZ sieht mit Beckett und Imogen Kogge dem Verrinnen der Zeit zu und singt eine Hommage auf den Seil tanzenden Büchner-Preisträger Rainald Goetz. Die FAZ hört feurigen und präzisen Mozart in Havanna. In der Welt zieht Dieter Wellershoff Lehren aus dem Krieg. Historiker sind schlechte Romanciers, behauptet in der taz der ungarische Autor György Dragoman.

Unersättliche Blicke auf milliardenfache Ich-Belege

30.10.2015. Margarete Stokowski und David Berger streiten über die Buchhändleraktion gegen Akif Pirinçci. Colin Pantall lässt sich von Ai Weiwei gern zum Fotografieren im Museum auffordern. Die NZZ begutachtet das Verhältnis von Kunst und Jazz. Die SZ begutachtet das Verhältnis von Kunst und Selfies. Die Jungle World feiert die lebendige Maschinenmusik der Krautrocker "Harmonia". Der Freitag kritisiert das alte Denken von Wanda.

Der Realismus einer somnambulen Personenführung

29.10.2015. Interessant gescheitert, so könnte man die Reaktionen auf Jossi Wielers Stuttgarter "Fidelio" resümieren. Die Zeit bewundert Erfolgsstrategien, Vernetzungsvermögen und Selbstmarketing zweier holländischer Malerstars des 17. Jahrhunderts. Danach tanzt sie mit Drake Hotline Bling. Der Freitag stampft den neuen Bond ein. Die SZ besucht Naypyidaw, die neue Hauptstadt Burmas. Die NZZ bewundert die Architektur Vancouvers.

Das Empfindsame, Bloße, Ungeschützte

28.10.2015. Auf den Hofer Filmtagen reist die Welt mit deutschen Jesiden in den Nordirak. Im Standard erzählt der Regisseur Gerd Kroske von zwei Strichen - entlang der Berliner Mauer und entlang der israelischen Mauer. Slipped Disc wünscht sich mehr Musikerinnen bei den Wiener Philharmonikern. Die SZ begutachtet jüngste Theaterinszenierungen rund um Pegida und diagnostiziert ein Wellness-Programm an Selbstvergewisserung für die linke Bourgeoisie.

Land des Morbiden und Makabren

27.10.2015. Wie können wir Flüchtlingen angemessen begegnen, wenn wir immer noch unsere eigenen Fluchtgeschichten verdrängen, fragt Barbara Lehmann in der NZZ. Zensur und Kommunistenhatz nehmen wieder zu in Indonesien, erzählt Laksmi Pamuntjak im Guardian. Das Börsenblatt meldet zufrieden: Niemand will mehr Akif Pirinçcis Bücher verkaufen. Die Presse rechnet mit den Anstandsdamen ab und singt ein Loblied auf den österreichischen Horrorfilm.

Eine Art Simulation von Leben

26.10.2015. In einer Munch-Ausstellung träumt die Welt mit drei Mädchen auf einer Brücke. In der NZZ erklärt Karl Ove Knausgard, warum er keine Fiktion schreiben wollte. Die SZ vermisst Visionen in den Entwürfen für die Bauhaus-Erweiterungen. Die nachtkritik steht ratlos vor den rechtsextreme Delirien der intellektuellen Boheme in Jan Bosses "Wintersonnenwende" am Deutschen Theater.

Die Macht sozialutopischer Ideengebäude

24.10.2015. Die Kritiker ziehen den Hut: Auch in Stuttgart geht Frank Castorf aufs Ganze mit seiner Inszenierung von Platonows Revolutionsroman "Tschewengur". In der Welt beschreibt Sergej Lebedew die Stimmung in Russland und die Fehler der Perestroika. In der FAZ erklärt uns Raoul Schrott, warum wir die Ilias bisher falsch verstanden haben. Die taz steht staunend im Diskursraum der Malerin Amelie von Wulffen.

Gott ist ein Tonband

23.10.2015. Die Welt bewundert den Auftritt des Charolais-Ochsen "Easy Rider" als Goldenes Kalb in Schönbergs "Moses und Aron". Die NZZ informiert über das geplante "Erste irakische Filmfestival gegen den Terrorismus". Die Berliner Zeitung verwandelt sich unter den Harfenklängen Joanna Newsoms zum großäugigen Fan. Die Presse deutet das Unbehagen an Kermanis Gebetsaufforderung

Feuerwerk an Selbstbestimmung

22.10.2015. In der Welt staunt Necla Kelek über die Islamkritik Navid Kermanis. Der Freitag warnt: Die Zwangsbeglückung des Zwangsfinanziers deutscher Theater wird nicht mehr lange gutgehen. Mehr Wohnungen gibt's nur, wenn die Standards gesenkt werden, erklärt der Architekt Philipp Meuser in der Zeit. Die Welt feiert den neuen Asterix-Band: eine Gallileaks-Geschichte! In einer Genfer Ausstellung bewundert die NZZ den Einfluss der japanischen Kunst auf die europäische.

Tischbomben-Allotria und Trompetenfanfaren

21.10.2015. Die NZZ hört in Donaueschingen eine Theorieoper. Der Tagesspiegel erliegt dem Charme der Hippie-Harfen-Elfe Joanna Newsom. Die taz betrachtet den Künstler als exemplarischen Fernsehzuschauer. Die FAZ steht staunend im karakalpakistanischen Nukus vor erstklassiger russischer Avantgardekunst. Die Welt feiert den jungen iranischen Film.

Eine sehr deutsche Sehnsucht

20.10.2015. Der Autor Chandrahas Choudhury beschreibt in der NZZ die zunehmende religiöse Radikalisierung in Indien. SZ und nachtkritik packte doch Unbehagen beim Anblick der Betenden ausgerechnet in der Paulskirche.  Die taz berichtet vom Elektrofestival "Unsound" in Krakau. Die Welt ergeht sich in der Art-deco-Villa des Fabrikanten Cavrois. Im Art Magazin erklärt Museumsdirektor José Lebrero, warum deutsche Künstler Picasso hassten.

Ein sehr deutsches Bild

19.10.2015. Große Ergriffenheit der Kritiker beim gemeinsamen Gebet mit Friedensbuchpreisträger Navid Kermani in der Paulskirche. Perlen vor die Reichen geworfen sieht die FAZ mit dem originellen neuen Gemeindezentrum The River. In der Welt versichern die Popmusiker von The Hurts: Ein guter Anzug hilft in allen Lebenslagen, selbst auf dem Arbeitsamt. Der Tagesspiegel lässt noch einmal Simon Rattles Beethoven-Zyklus Revue passieren.

Aufstand des Lebens gegen die Kunst

17.10.2015. Auf Zeit Online erklärt der Medienaktivist Caram Kapp, was er an "Homeland" rassistisch findet. Die Zeit diskutiert auch, ob Karl Ove Knausgards "Mein-Kampf"-Reihe wirklich Literatur ist. Ist es vielleicht Punk?, fragt die SZ. Die Welt fragt, wie deutsche Kunst eigentlich aussehen soll, Jonathan Franzen trifft auf Baudrillard in der Serengeti. artechock verfolgt erbost die neueste Wendung im Streit um die dffb-Leitung. Die SZ schwenkt ihr Muscle-Shirt zu Michael Wollnys "Hammer"-Jazz.

Konfrontation Fleisch gegen Fleisch

16.10.2015. Anlässlich einer Shunga-Ausstellung in Tokio denkt die NZZ über Erotik und Prüderie in Japan nach. Viel Blut und viel Liebe sehen die Filmkritiker in Guillermo del Toros Gothic-Melodram "Crimson Peak". Auf den Sound kommt es an, erklärt in der Spex Buchpreisträger Frank Witzel über seinen Roman. In München atmen die Theaterkritiker bei Simon Stones Bühnenadaption von Viscontis "Rocco und seine Brüder" auf: Endlich Nahkampf statt Ferndiagnose.

Wie sehr bleibe ich autonom?

15.10.2015. Dem Standard tränen die Augen, wenn er sieht, wie radikal der Kunstbetrieb noch in den Neunzigern von Künstlern kritisiert wurde. Die Welt beraucht sich an den Bildern Zurbarans. Der Tagesspiegel fragt, warum deutsche Autoren, egal welcher Provenienz, so selten exportfähig sind. Die SZ hofft, dass das Musikmagazin Pitchfork auch als neues Conde-Nast-Eigentum unabhängig bleibt.

Virtuosin des Uneindeutigen

14.10.2015. Die Freiheit des Wortes ist nicht selbstverständlich, erinnerte Salman Rushdie auf der Frankfurter Buchmesse. Von taz bis Welt: Alle freuen sich über den Buchpreis für Frank Witzel. Die FAZ singt eine Hymne auf die Schauspielerin Jana Schulz. Die NZZ hätte gern einen Masterplan für das Berliner Kulturforum. Die taz sehnt sich zurück nach den sprechenden Vulven im Pornofilm der Siebziger. Und: Alle trauern um die Fotografin Hilla Becher.

Manifest der Vergeblichkeit

13.10.2015. Cool irgendwie, findet die taz den Buchpreis für Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969". Die Welt beäugt die Opfergaben, die Künstler aus aller Welt in Basel vor dem heiligen schwarzen Quadrat Malewitschs ablegen. Die NZZ lernt die Grundregeln tropischen Bauens in Indonesien. Die SZ ermuntert deutsche Architekten, sich ein Beispiel an Hans Schwippert zu nehmen, der nach dem Krieg für Flüchtlinge baute. Tagesspiegel und SZ hören Beethovens Neunte mit Simon Rattle.

Es lächelt einst, wer jetzo weint

12.10.2015. In der NZZ erklärt die indonesische Schriftstellerin Ayu Utami, wie sie nur aus der Literatur die Geschichte ihres Landes begreifen konnte. Außerdem erklärt uns die NZZ mit Chamisso die indonesische Gedichtform Pantun. Die FAS stellt das Literaturland Indonesien als Hort der Vielfalt vor. Oskar Roehler packt in der FAS die Wut. Shakespeares kurvenreichen "Kaufmann von Venedig" fand der Tagesspiegel in der Münchner Inszenierung von Nicolas Stemann eher flach.

Salonweltschmerz in Ephebengestalt

10.10.2015. Die Welt begutachtet in London mit größtem Vergnügen die neureichen Aufsteiger des Francisco de Goya. Die taz erinnert sich angesichts aus den Wänden quellender Kabel sehnsüchtig an das improvisationsfreudige Nachwende-Berlin. taz und NZZ besprechen den Roman der Stunde: Jenny Erpenbecks Flüchtlingsroman "Gehen. Ging. Gegangen". Die SZ trauert um den Theatervorhang. Der Tagesspiegel sieht Hermann Fritsch an Carl Sternheims wortverspielter Sprache scheitern.

Die Gewohnheiten freier Menschen

09.10.2015. Gestern vergab die Schwedische Akademie den Literaturnobelpreis an die weißrussisch-ukrainische Autorin Swetlana Alexijewitsch, die in ihren vielstimmigen Reportage- und Interviewbänden ein großes Porträt des Sowjetmenschen zeichnet. Die SZ fragt: Ist das Literatur? Alle anderen antworten begeistert: Selbstverständlich. In der NZZ erklärt der Musiker Joe Jackson, warum ihm Klassifizierungsversuche auf den Keks gehen. Politico.eu stellt den russischen Aktionskünstler Petr Pavlensky vor, dem für seine Aktionen gerade drei Jahre Lagerhaft drohen. Und die Autorin Barbara Lehmann schwärmt in der NZZ vom Literaturfestival in Odessa.

Insider und Outsider

08.10.2015. In der Zeit hält Adonis fest: Ich bin ein radikaler Gegner jeder institutionalisierten Religion. Die NZZ betrachtet die körperliche Kunst in der konkreten und umgekehrt. Warum soll Fritz Bauers Homosexualität nicht erwähnt werden, fragt die taz. Außerdem lobt sie sich das Zaudern und Zweifeln der neuen Fehlfarben.

Kein Rauchwölkchen von Nihilismus

07.10.2015. Die Welt betrachtet die Abhörwanzen in Ai Weiweis Studio. Auf ZeitOnline erklärt Matthias Lilienthal, was er sich von seinem Schlepperkongress erhofft: mehr Flüchtlinge, weniger Schlepper. Die NZZ bewegt sich vorsichtig durch die scharfkantigen Bilder El Frauenfelders. Der Merkur hört Knausgard, wie er in Berlin den Knausgard gibt. Die SZ empfiehlt Ridley Scotts "Der Marsianer" allen, die sich für interplanetarische Agrokultur interessieren. Die FAZ hätte Matt Damon gern häufiger beim Denken zugesehen. Die SZ lobt das Leipziger Stadttheater für seine intelligente Jelinek-Inszenierung: Handwerk statt Stacheldraht.

Kraftdemonstration

06.10.2015. Drei fulminante Opernpremieren in Berlin, da staunen sogar die Kritiker in FAZ und SZ. Besonderen Eindruck machte die rauschhafte Wirkung von Meyerbeers "Vasco da Gama". Indonesiens Nationalsprache war eine Erfindung, um die Niederländer zu ärgern, lernt die NZZ. Wenig Sympathie bringt die SZ für Daniel Libeskinds luxuriöses Wohnhaus an der Berliner Chausseestraße auf.

Positionen des Eigensinns

05.10.2015. Ferdinand von Schirachs Stück "Terror" liegt den Kritikern in Frankfurt und Berlin schwer im Magen. Wer will schon Menschenleben aufrechnen? Dissidenz ist keine Schande, hält die SZ dem Museum Folkwang entgegen, das kunsthistorisch übergangene Autodidakten in die Moderne eingliedern will. Die NZZ stellt das Archiv des Prager Fotoateliers Langhans vor. Und wenn die "Hirn-Hengste" des Literarischen Quartetts Weidermann und Biller die Frauen nächstes mal aussprechen ließen, wäre auch die Stuttgarter Zeitung zufrieden.

Die endlose Schönheit des kurzen Augenblicks

02.10.2015. Die NZZ studiert die Bildgründe Joan Mirós. Die Jungle World hofft auf eine Sprechtextbombe von Rainald Goetz in Darmstadt. Die NZZ feiert den Pianisten Igor Levit, der gerade drei große Variationswerke von Bach, Beethoven und Rzewski eingespielt hat. Die Zeit stimmt für Wanda, reuelosen Sex und mitleidlose Romantik. Die nachtkritik beobachtet in Ivan Panteleevs "Peer Gynt"-Inszenierung fasziniert, wie der Theaterstaub aus den Handgelenken Margit Bendokats rieselt.

He liked it hot

01.10.2015. Die NZZ freut sich schon auf die Arbeiten von 35 Künstlern mit 35 berufstätigen Zürchern für die Manifesta 11. Regisseur Joshua Oppenheimer erklärt im Interview mit Negativ, warum selbst ein Film über die Massaker an Oppositionellen in Indonesien unterhaltsam sein muss. Und: Alle trauern um Literaturkritiker Hellmuth Karasek, den vorletzten großen Feuilleton-Promi der alten Bundesrepublik.