Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2017

Die Wangen der hübschen Dame Verwesung

30.10.2017. München bekommt sein lang ersehntes Konzerthaus. Die SZ ist sehr zufrieden mit den Entwürfen für eine Kathedrale der Musik, die vielleicht auch Gewächshaus wird. Die Berliner Zeitung findet, man muss Münchner sein, um sich über reine Klimatechnik freuen zu können. Die NZZ erlebt am Hamburger Schauspielhaus, wie sich Ilse Ritter in Elfriede Jelineks Trump-Stück "Am Königsweg" gegen den dreieinhalb Stunden grausame Großmannssucht stemmt. Und die FAZ bringt Jan Wagners Eloge auf den nach Fisch stinkenden Georg Büchner.

Ein Herr im Frack wirft einen Stuhl

28.10.2017. Die FR lobt Claus Räfles Nazi-Drama "Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" als Ausnahme der Ausnahmen. Die Welt fragt sich, warum der Literaturbetrieb ein so gestörtes Verhältnis zu Dichtern hat. Die nachtkritik vertieft sich in die Seestadt-Saga, eine Social-Media-Serie des Wiener Schauspielhauses. Zeit online fragt, warum prämierter Jazz zu sperrig fürs Fernsehpublikum sein soll. Die taz bringt ein letztes Interview mit Silvia Bovenschen.

Aus der untersten Grabkammer

27.10.2017. Zwei Ausstellungen würdigen zwei große Schweizer Fotografen: Robert Frank und Jakob Tuggener. Das Weltmuseum Wien hat eröffnet, der Tagesspiegel war dabei. taz und Welt verstehen den Salafismus auch im neuen ZDF-Mehrteiler "Bruder - Schwarze Macht" nicht. Dürfen "weiße" Autoren überhaupt über Muslime schreiben, fragt die Welt. Die neue musikzeitung versinkt beim Luther-Oratorium in Halle in einer weichen Decke von Klängen. Die SZ feiert Grace Jones. Alle trauern um Silvia Bovenschen.

Das leitmotivische offene Rasiermesser

26.10.2017. Die NZZ feiert zwei Opernproduktionen zum Mitdenken: Peter Konwitschnys "Penthesilea" und Stefan Herheims "Wozzeck". Die Zeit geht mit einem Feuerzeug einen Pelz kaufen. Im Blog Das Schema ärgert sich Kurt Scheel über die Lobeshymnen für Berlin Babylon. In der taz erklärt die Cutterin Monika Willi Michael Glawoggers Verhältnis zum Realen. Die Musikkritiker trauern um Fats Domino.

Überall knackt es. Man kaut.

25.10.2017. Die Donaueschinger Musiktagen fordern den Kritikern starke Nerven ab: Die FAZ durchsteht eine halbe Stunde den Lärm von Düsenjets, kapituliert aber bei Yoga-Musik. Auf ZeitOnline berichtet Ulrike Draesner aus dem behäbig-lässigen Finnland. Die SZ nimmt die Kulturarbeit der CIA in den Blick. Und die NZZ erkennt, warum das queer-feministische PorYes-Festival eine geschlossene Veranstaltung bleibt.

Beng-deng-deng-deng-deng - zack

24.10.2017. In Stuttgart hatte Humperdicks Märchen- und Hungeroper "Hänsel und Gretel" Premiere - ohne den inhaftierten Regisseur Kirill Serebrennikow. SZ, Welt und FAZ loben den engagierten und bewegenden Abend. Die NZZ lernt auch: Wir Konsumenten sind die Knusperhexe. Der Standard betrachtet mit Thomas Bayrle im Wiener MAK das Faszinosum kapitalistischer Massenproduktion. Die FR bemerkt, dass auch in Zombie-Serien Frauen eine andere Rolle spielen. Und im Zeit Magazin bedauert der Gestalter Tom Dixon, dass niemand mit ihm einen Design-Sarg bauen will.

Die Burg tönt und dröhnt

23.10.2017. Die NZZ begreift mit Camille Henrot im Pariser Palais de Tokyo die Trauer des Phallus-Trägers. Die SZ betrachtet mit Anita Rée in der Hamburger Kunsthalle die isolierte Frau. In der FAZ nimmt Alena Wagnerova noch einmal die Journalistin und Kafka-Geliebte Milena Jesenská in den Blick. Der Standard empfiehlt den Machern des Humboldt-Forums einen Besuch im Wiener Weltmuseum.  Die FAS pocht in der Debatte um Dominik Grafs RAF-Tatort auf das Prinzip des fiktionalen Erzählens.

Epische Ausleuchtung von Grautönen

21.10.2017. Im Gespräch mit der taz erklärt die Musikerin Jamila Woods, was Afrofuturismus bedeutet. In der Welt erklärt Ian Buruma seine Pläne für die New York Review of Books. Die FAZ feiert die allumfassende Depression in Hans-Christian Schmids Miniserie "Das Verschwinden". Die Theaterkritiker verreißen die allumfassende Langeweile in Milo Raus "Lenin".

Die nächste Stufe zünden

20.10.2017. In Youtube Videos findet man mehr Jetztzeit als im Kino, behauptet Filmregisseur Ruben Östlund im Tagesspiegel. Zu Ligeti kann man mindestens so gut tanzen wie zu Bowie, behauptet die Sopranistin Sara Hershkowitz in der taz. In Warschau bringt Michail Jurowski die erste - konzertante - Gesamtaufführung von Anton Rubinsteins Oper "Moses" auf die Bühne, berichtet die FAZ.

Biss ins Grabtuch

19.10.2017. Der Flaneur ist nicht ausgestorben, er ist nur von der Straße ins Internet abgewandert, erklärt Alain Claude Sulzer in der NZZ.  Der Standard sucht einen frischen Blick auf Rubens. Asterix in Italien ist in Hochform, freut sich die Welt. Das tiefste Schwarz und die schönsten Farben bewundert die taz im Yves Saint Laurent Museum in Marrakesch. Zeit online feiert Fred Hersch als intelligentesten und radikalsten Klaviervirtuosen des modernen Jazz.

Sehr schön, hilft mir aber nicht weiter

18.10.2017. 22 Prozent der Intendanzen sind von Frauen besetzt, dafür stellen sie 80 Prozent der Souffleusen: In der Nachtkritik sprechen die Regisseurinnen France-Elena Damian und Angelika Zacek über ihre gestern lancierte Initiave Pro Quote Bühne. NZZ und FAZ feiern die Eröffnung von Griechenlands Nationaloper mit "Elektra" und der großen Diva Agnes Baltsa. Les Inrocks fragt, ob ein Mann, der seine Freundin tot geprügelt hat, ein Recht auf ein Leben als Rockstar hat. Die SZ erinnert daran, dass Hollywoods berühmte "Castingcouch" von Männern und Frauen für ihre Zwecke genutzt wurde. Und im Standard erklärt Sibylle Berg, warum sie keine Literatur mehr liest.

Kapriziös, schnell und kühn

17.10.2017. In der Fotografie geht es nicht mehr ums Sehen, sondern nur noch ums Zeigen, klagt Wim Wenders im Guardian. Die SZ erstarrt in Köln vor dem furchterregenden Intellekt des jungen Tintoretto. Die Berliner Zeitung goutiert Barrie Koskys streng minimalistische Inszenierung von Debussys "Pelléas et Melisande" in der Komischen Oper Berlin. ZeitOnline erkundet die Neoklassik-Szene in der Berliner Nalepastraße. Und die taz gratuliert der Zeitschrift für Architektur und Städtebau arch+ zum Fünfzigsten.

Gehalt und Gewalt und Leidenschaft

16.10.2017. Frankreich war als Gastland geladen, gekommen war Europa, resümiert die NZZ die Frankfurter Buchmesse. Die FAZ quittiert den Friedenspreis für Margaret Atwood mit einem gemütlichen Lächeln. Die Welt lernt in einer Londoner Ausstellung, dass Oper eine Anti-Brexit-Kunst ist. Die Nachtkritik bewundert, wie Pinar Karabulut in Köln die Leidenschaft von "Romeo und Julia" in Eiseskälte erstrarren lässt. Und die SZ geht mit Sol Calero ins Nagelstudio.

Rebellion aus Passion und Sanftheit

14.10.2017. Die taz schaut sich in der afrikanischen Literaturszene um: Einen homogenen Kanon gibt es nicht, lernt sie. Die Welt blickt in die entblößenden Augen der Alice Neel. Die Nachtkritik lernt auf Kampnagel, dass für Frankreich der Balkan schon in Deutschland beginnt. Ziemlich gestrig finden NZZ und Nachtkritik Ante Helena Reckes ausschließlich mit schwarzen Schauspielern besetzte "Mittelreich"-Inszenierung. Und die SZ lauscht elektronischem Rythm & Blues von Kelela.

Striktes Schluchzverbot

13.10.2017. Die Nachtkritik reist nach Georgien und erlebt eine Theaterszene zwischen Aufbruchsstimmung und Sowjetrealität. Nicht mal zur Buchmesse bekommen Literaten Sendezeit in den Öffentlich-Rechtlichen, stöhnt Zeitonline. Die taz lernt Michel Houellebecq in Frankfurt als Linken kennen. Die SZ unterhält sich mit türkischen Schriftstellern über das Schreiben im Exil. Die FAZ lässt sich von gespensterhaften Hauskatzen täuschen.

Diese präzise kalkulierte Selbstqual

12.10.2017. Die Feuilletons sind nach dem Buchmessenauftakt ganz verliebt in Emmanuel Macron: Die FAZ möchte gleich nach Frankreich auswandern, nur die NZZ ist auch ein bisschen verknallt in Merkel. Die Berliner Zeitung vermisst den Egon Schiele des 21. Jahrhunderts. In der Zeit erklärt Lars Eidinger, warum er lieber nicht zur Premiere von Alexej Utschitels Film "Mathilde" nach Russland reisen will. Und im Freitag erklärt die Regisseurin Anta Helena Recke, wie sie Whiteness sichtbar machen will.

Huch, unser Land verändert sich!

11.10.2017. Auf der Buchmesse begegnen die Feuilletons einem charismatischen Macron und einer blassen Merkel. In der Welt verteidigt Robert Menasse den französischen Präsidenten gegen Didier Eribon. Selbst wenn es um Architektinnen geht, ist das Frauenghetto nicht mehr zeitgemäß, ermahnt die NZZ das Frankfurter Architekturmuseum. Die SZ erlebt, wie Kirill Petrenko mit Brahms zu einem Tanz des Verderbens und der Düsternis aufspielt. In der FR huldigt Ayrson Heráclito dem Gott der Blätter.

Das Echo war herrlich

10.10.2017. Robert Menasse erhält für seinen Brüssel-Roman "Die Hauptstadt" den Deutschen Buchpreis. Schön europäisch findet das der Tagesspiegel, zu politisch die FAZ. In der NZZ erklärt der türkische Schriftsteller Ahmet Altan, wie er seinem Gefängnis flieht. Als surrealistisches Meisterwerk feiert die SZ Aribert Reimanns in Berlin uraufgeführte Oper "L'Invisible". In der Berliner Zeitung betont Thomas Oberender, dass Theater keine closed Shops werden dürfen. Und die FAZ erlebt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum Tintoretto als Meister der Bewegung.

Eine Parade langer, nackter Beine

09.10.2017. In der NZZ beschwört Alexandre Gefen den Geist eines neuen Humanismus in der französischen Literatur. Nur warum kommt davon so wenig in den französischen Zeitungen an?, fragt Frédéric Wandelère ebenfalls in der NZZ. Der Tagesspiegel besingt die poetischen Momente aufrichtiger Aufmerksamkeit. Die FAZ erlebt mit György Ligetis "Grand Macabre" exzellentes Musiktheater in Meiningen. Die Welt erlebt, wie Werner Herzog die Kontrolle verliert. Und die SZ erliegt dem Größenwahn der Pariser Modeschauen.

Schlaglicht auf den Riss

07.10.2017. Auf Dezeen wirft Joep van Lieshout dem Louvre vor, seine Skulptur "Domestikator" aus Feigheit vor religiös Konservativen und Tierschützern nicht aufstellen zu wollen. Die SZ denkt über die Schizophrenie der Frankfurter Stadtplanung nach. Die Literaturkritiker feiern die französische Literatur, die gerade eine Glanzzeit erlebt. In der Berliner Zeitung erklärt Michael Haneke, warum sein neuer Film "Happy End" nicht einfach ein Film über Migranten ist: Kunst muss verkomplizieren. In der taz erklärt Musiker Tricky, warum er gern in Berlin lebt: Es ist so klein.

Schreien ist leicht

06.10.2017. Rundweg einverstanden sind die Literaturkritiker mit dem neuen Nobelpreisträger für Literatur, Kazuo Ishiguro, ein Schöpfer weitgehend unbemerkt gebliebener Meisterwerke, wie die FAZ notiert. Die SZ bewundert zwei Wassertropfen im delirierenden Liebesrausch, die sich als "Paneum" verkleidet haben. Struktur ist alles, erklärt Robert Wilson im Tagesspiegel. Identität ist nur Behauptung, lernt die NZZ von den tierischen Skulpturen Jimmie Durhams.

Feingeistig und edelöde

05.10.2017. Die Staatsoper Unter den Linden wurde am Einheitstag mit großem Brimborium neu eröffnet. Der Klang ist besser, aber die Kritiker trauern um die verpasste Chance, einen modernen großen Saal zu bauen.  Nur die FAZ ist zufrieden. Der Tagesspiegel porträtiert die Künstlerin Jeanne Mammen. Der Dichter Dirk von Petersdorff berichtet in der FAZ von einem Lyrikertreffen in Peking. Die SZ begleitet das Underdox-Filmfestival in München.

Immer noch gefährlich hell

04.10.2017. Die Kritiker überschlagen sich vor Begeisterung über Denis Villeneuves "Blade Runner 2019". Der Guardian feiert mit Dali und Duchamp die beiden großen Versauten der Kunstgeschichte. Die SZ lässt sich an den Münchner Kammerspielen von Eugène Labiche das Hirn durchfegen. Der Welt gefällt der neue Nachhall in der umgebauten Staatsoper. Aber wo ist Richard Paulicks egalitäre Idee geblieben?, fragt die Berliner Zeitung.

Die Einöde der Abstraktion

02.10.2017. Was für ein Armutszeugnis, stöhnt der Tagesspiegel: In der morgen wiedereröffnenden Staatsoper in Berlin wird alles genauso aussehen wie zuvor. Paul Klee war kein Abstrakter, lernt die NZZ in der Fondation Beyeler. Die SZ erzählt die Geschichte des Angriffsfotografen. In der taz spricht die Autorin Virginie Despentes über die Depression französischer Männer. Die Zeit ergründet die irre Wut des Oskar Roehler.