Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2017

Eine Art Science-Fiction des Jetzt

31.01.2017. Die Mittelschicht wird aus den Städten verdrängt, ruft die FAZ: Die Preise für Wohnungen sind auf einem Höchststand, ihre Qualität sinkt immer tiefer. Die FR meint allerdings, dass auch die Ansprüche der Mittelschicht stetig steigen. Die Welt trauert um die Sachlichkeit und demokratische Symbolkraft, die das Centre Pompidou einst dem Museum als Insitution verlieh. In der SZ bekennt sich Philip Glass zum Toltekismus. Und die NZZ sieht mit Francesco Cavallis Oper "Il Giasone" in Genf urkomischen Medea-Stoff.

Nach der Art von Walkühen

30.01.2017. In der New York Times erklärt der iranische Regisseur Ashgar Farhadi, warum er jetzt auch nicht mehr zur Oscar-Verleihung in die USA reisen würde, selbst wenn er dürfte. Die Berliner Zeitung hörte beim Festival Club Transmediale ein großes und gewaltiges Muh. Der Tagesspiegel erliegt an der Komischen Oper in Berlin dem Bildzauber der Performancegruppe 1927. Die Presse erlebt in Wien, wie Erich Wolfgang Korngolds Oper "Das Wunder der Heliane" strömt, glitzert, prickelt.

Zauberhafte Agilität

28.01.2017. Der Guardian bewundert die Farbkakofonien der Vanessa Bell. Die NZZ beschreibt die Knebelverträge, mit denen Künstler ihren Assistenten oft Geld und Anerkennung vorenthalten. In der SZ verteidigt Okwui Enwezor die Renovierungspläne David Chipperfields für das Münchner Haus der Kunst. In der Welt fürchtet Paul Auster das Ende des Experiments Amerika. Im TagesAnzeiger erzählt die 19jährige afghanische Dirigentin Negin Khpalwak, wie gefährlich Musikerinnen in Afghanistan leben.

Aus Schmutz und aus Gold

27.01.2017. Mit dem Siemenspreis für Pierre-Laurent Aimard steht es jetzt 42:1 für die Männer, stellt ZeitOnline fest. Im Tagesspiegel bekennt sich Peymann-Nachfolger Oliver Reese emphatisch zum Ensemble. Aus Protest gegen Trump hat Christo ein seit zwanzig Jahren geplantes Großprojekt in Colorado abgesagt, meldet die New York Times. Die SZ erinnert an die Rolle der türkischen Botschaft in Washington für die Geschichte des Jazz. Und in der FAZ präsentiert Ilija Trojanow Hinweise, dass die bulgarische Übersetzung seines Romans "Macht und Widerstand" von einem ehemaligen Spitzel der dortigen Stasi manipuliert wurde.

Beharrungskräfte im System

26.01.2017. Das Ensembletheater ist nicht mehr zeitgemäß, erklärt der Soziologe und Kulturberater Dieter Haselbach in der nachtkritik. Die FAZ findet sich mit Pablo Larraíns "Jackie" in einem gigantischen Protokoll- und Machtapparat wieder. Auch als Luxuskaufhaus macht den Fondaco dei Tedeschi in Venedig etwas her, lobt die NZZ den Umbau durch Rem Koolhaas.

Etwas so Heiteres

25.01.2017. Standard und Presse bewundern in der Wiener Albertina die Höhepunkte feudaler Dekadenz. Die taz stellt Krist Gruijthuijsen vor, den neuen Chef der Berliner Kunst-Werke. Die FAZ staunt über Mel Gibson, der sich mit einem frömmlerisches Schlachtengemälde als Regisseur zurückmeldet: "Hacksaw Ridge" planscht im Blut und predigt Nächstenliebe. Domus bewundert die neue öffentliche Bibliothek in Caen, in der Stadt, Mensch und Kunst in maximalen Austausch treten.

Kunst wird so umarmt

24.01.2017. Die taz verfolgt mit dem Kunstprojekt "Wüstungen" von Anne Heinlein und Göran Gnaudschun, wie die DDR Siedlungen und Landschaften zerstörte, um an der innerdeutschen Grenze freies Schussfeld zu bekomen. Im Art Magazin klagt Kasper König: Entweder ist Kunst kommerziell oder spießig. Das Krumme ist die Antithese zum Bestehenden, lernt die NZZ von Terézia Mora. In Lyon erlebt die FAZ "Jeanne au bûcher" zugleich zäh und zart wie Blütenstaub. Die FR trauert um den Experimentalfilmer, Spurensicherer und Komödiantenlehrer Werner Nekes.

Anschleichen. Verstecken. Überfall.

23.01.2017. Poetisch, didaktisch und dialektisch obendrein findet die FAZ das Berliner Festival "Utopische Realitäten" hundert Jahre nach der Oktoberrevolution. Die Welt lässt sich in Oslo eine Rossini-Bonbonniere schmecken. Die SZ berichtet von den Frankfurter Litprom-Literaturtagen. Marlene Streeruwitz durchdringt mit Max Ernst den dunklen Wald. Und der Deutschlandfunk bewundert die avantgardistische Kunst des Kostas Murkudis.

Brahms leuchtet irgendwie rosa

21.01.2017. Nicht die Fiktion, sondern der psychologische Realismus ist in der Krise, meint die Welt und rät zur Fantastik. Die NZZ entdeckt an der Wiener Albertina Film-Stills als eigene Kunstform. Anti-Stadttheater im Stadttheater sehen FAZ und SZ mit Christopher Rüpings "Hamlet" an den Münchner Kammerspielen. Rechtspopulismus spiegelt sich in der Mode der Berliner Fashion Week nicht wider, stellt ZeitOnline fest. Die Zeit hadert noch immer mit der Akustik der Elphi. Und alle vertiefen sich in der Fondation Beyeler in Claude Monets Reflexionen über Reflexionen.

Die tiefere Wahrheit der höheren Lüge

20.01.2017. Immer noch ergriffen sind die Kritiker von Kenneth Lonergans Indie-Drama "Manchester by the Sea". Überwiegend bestens amüsiert haben sie sich auch mit Michael Thalheimers "Eingebildetem Kranken" an der Berliner Schaubühne. Die SZ stellt amerikanische Autorinnen der Post-Apokalypse vor. Und alle schauen auf Potsdam, wo heute das von SAP-Gründer Hasso Plattner finanzierte Barberini-Museum eröffnet.

Das Leben ist fröhlicher geworden

19.01.2017. Im Tagesspiegel fordert Shermin Langhoff deutsche Politiker auf, nicht nur Erdogan zu besuchen, sondern auch seine politischen Gefangenen. In der Zeit erklärt der amerikanische Dramatiker Ayad Akhtar, wie sich der deutscher Idealismus im Amerikaner voll­endet. Die taz erkennt mit Olivier Assayas' Film "Personal Shopper" die gespenstische Welt, in der wir leben. Rettet den Brutalismus in Australien, ruft Domus.

Die zweite Pauke

18.01.2017. Die russischen Schriftsteller verlassen den PEN, berichtet die Welt, unter anderem möchte Swetlana Alexijewitsch nicht länger "die Stiefel der Machthaber lecken". Voller Wehmut blicken die Kritiker mit Kenneth Lonergans "Manchester by the Sea" auf das Erzählkino von gestern. Die SZ sieht auf der Kölner Möbelmesse die Moderne auf dem Rückzug. Die Presse erlebt im Wiener MAK ausgerechnet in der Glaskunst von Adolf Loos das Ornament in aller Perfektion. Auf ZeitOnline weiß Siri Hustvedt, dass es bei Künstlicher Intelligenz nicht um Rechenleistung geht: "Die Hardware ist extrem wichtig".

Vorne tat ich harmlos

17.01.2017. Der Standard erlebt mit Georg Stefan Troller Paris als Stadt des verzweifelten Lebenshungers. Die taz ist gar nicht dankbar für das Museum Barberini, das Hasso Plattner der Stadt Potsdam geschenkt hat. Domus besucht in Mumbai das Design Museum Dharavi. Der Guardian stößt in Lima auf einen modernen Machu Picchu. Und: Maxim Biller verlässt das Literarische Quartett.

Ein Rausch, ein Glanz

16.01.2017. Einen großen Menschheitstext erkennt die Nachtkritik in Elfriede Jelinkes Mode-Stück "Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)", das Kant mit Roland Barthes und Gisele Bündchen verbindet. Schließlich trug sie ja auch Chanel, als sie die KPÖ verließ, weiß die SZ. Jörg Widmanns Oratorium "Arche" versöhnt die Kritiker jetzt auch mit der Akustik der Elbphilharmonie, vor allem in Block E. Die NZZ huldigt den poetischen Interventionen des Architekten Zhang Ke in Pekings altem Hutong-Viertel. Der Freitag begutachtet am Rande Berlins Mufs und Superspaces.

Die Seichtigkeit der eigenen Träume

14.01.2017. Richard Prince sprengt mit einem geklauten Foto von Ivanka Trump die Grenzen der Konzeptkunst. Spektrum geht in Surinam Raupen sammeln mit der vor 300 Jahren gestorbenen Forscherin Maria Sibylla Merian. Tell setzt die Debatte um die neue Ich-Literatur fort. Die Feuilletons feiern die Indieband The xx. Nur die SZ gruselt sich.

Flüge durch Wurmlöcher

13.01.2017. Die Kritiker spitzen in der Elbphilharmonie die Ohren und diskutieren die Akustik: Grandios (SZ)! Gnadenlos (taz)! Nachbesserungsbedürftig (FAZ)! Die SZ erzählt die unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte des Theaterstücks "Clean City" über fünf Putzfrauen in Athen. Und Otto Freundlichs Skulptur "Der neue Mensch", Aushängeschild der NS-Propaganda gegen "Entartete Kunst", wurde von den Nazis gefälscht, erfährt die FAZ.

Diätischer Klassizismus

12.01.2017. Die FR blickt den gnadenlosen Erben Caravaggios ins kalte Auge. Raphaël Merlin vom Ensemble Quatuor ­Ebène schildert in der Zeit die Gefahren, die von Bratschistinnen ausgehen. Die Welt hört es in der Elbphilharmonie krachen. Die FAZ verteidigt das fiktionale Erzählen. In der NZZ muss sich Milo Rau gegen den Vorwurf kleinbürgerlicher Skandallust wehren.

Und ich gehe schon wieder in die Kirche

11.01.2017. Heute Abend wird die Elbphilharmonie eröffnet. Etwas beklommen verspürt die SZ in Hamburg eine Stimmung wie im Wirtschaftswunder. Auf ZeitOnline schlägt sich Ann Cotten recht tapfer durch den amerikanischen Bible Belt. Ebenfalls auf ZeitOnline beklagt die Regisseurin Julia von Hein die eskapistische Tristesse öffentlich-rechtlichen Filmemachens. Die FAZ blickt mit Josh Kline in Turin in ein unfreundliches Morgen.

Jenes Reich der Zwänge

10.01.2017. Trotz aller Golden Globes: Zum deutschen Kinostarts kommt Damien Chazelles "La La Land" bei den Kritiker nicht gut an: Critic.de erschrickt gar über die strenge Miene, mit der hier zum Exzess angehalten wird. Die SZ wünscht sich mehr Musik-Nerds unter Mädchen. Keine gehuldigten Herrscher, sondern hilflose Helden erlebt die FAZ bei den Händel-Aufführungen in Mannheim und Frankfurt. Im Guardian empfiehlt Jonathan Jones statt eines Museumsstreiks gegen Donald Trump eine Pause im Reality-TV.

Es gab einen Urknall

09.01.2017. Die Nachtkritik lernt in René Polleschs Zürcher Hippie-Zirkusstück "High (Du weißt wovon)", warum die Menschen nicht mehr ganz dicht beieinander sind. Wieviel Fiktion verträgt die Gegenwart?, fragen Welt und FAZ. Ist Kunst überhaupt noch kritisch oder schon ein Ornament der Macht, fragt die FAS. Die SZ erinnert daran, wie aus der Avantgarde Agit-Pop wurde.

How can you not benutz it?

07.01.2017. Die Welt fragt, warum der auf Slowenisch schreibende Autor Florjan Lipuš nicht den Österreichischen Staatspreis erhalten darf. Der Standard empfiehlt Kunstkäufern, in ihrer Anlagestrategie die Preisentwicklung des Feminismus zu berücksichtigen. Die taz lässt sich von der israelischen Performerin Orit Nahmias daran erinnern, dass Therapien von Krankenkassen bezahlt werden. Und in der NZZ verbreitet Kent Nagano Vorfreude auf das Eröffnungskonzert der Hamburger Elbphilharmonie in der kommenden Woche.

Das Aufblitzen der Augen

06.01.2017. Die Kritiker geben sich genussvoll dem sanftem Wohlklang von Brian Enos Album "Reflection" hin, das aus einem einstündigen, von Algorithmen generierten Stück besteht. Keine rechte Begeisterung vermag Park Chan-Wook mit seinem Period Piece "Die Taschendiebin" auszulösen. Die FAZ entdeckt in München den niederländischen Maler Jan Toorop wieder, der einst jeden Stil beherrschte. Und die Opernwelt trauert um den eleganten Maestro Georges Prêtre.

Jeder Satz muss ans Ziel

05.01.2017. Die NZZ bewundert das göttliche Licht der indischen Pahari-Malerei. Eher reserviert begegnet der Standard im MAK dem Handwerk für die Eliten. Im Interview mit der Berliner Zeitung erzählt Martin Walser von seinen Existenzmomenten. In der taz erklärt der Club der polnischen Versager, warum er Antoni Krauzes Propagandafilm "Smoleńsk" ins deutsche Kino bringt. Die Zeit sehnt sich nach neuen Formen für das Politische in der Kunst.

Botschaften für die Zukunft

04.01.2017. Die Welt geht sockfuß in Baden-Baden auf Anschauungsreise mit Michael Müller. England mag wirklich nicht viele Künstler hervorgebracht haben, aber Schottland sehr wohl, erkennt die SZ und ruft auf, die Malerin Joan Eardley zu entdecken. In der FAZ rät Kristof Magnusson: Leichte Sprache fördert die Erkenntnis. Die taz versenkt sich mit dem Saarländer Musikkollektiv Datashock ins Geräusch ohne Pulsschlag.

Das fast schon vergessene Backpfeifengesicht

03.01.2017. Die NZZ stellt fest, dass Schrifsteller und freie Journalisten nicht mehr von ihren Honoraren leben können: Der Markt ist kaputt. In der SZ geißelt Dramaturg Bernd Stegemann die performative  Authentizität im Theater als Lüge hoch zwei. Außerdem sträubt sich die SZ gegen den Versuch, aus dem Museum Literatur zu machen. Die FR fordert Baukultur auch für die Gewerbegebiete. Zum Tod des Kunstkritikers und Schriftstellers John Berger verlinken wir noch einmal auf seine große Fernsehreihe: "Ways of Seeing".

Schräg waren die Bamberger

02.01.2017. Als den James Joyce des Comics preist die FAZ den britischen Autor Alan Moore, sein Jahrmillionen umfassendes Werk "Jerusalem" sei an literarischer Komplexität kaum zu übertreffen. Im NYRB-Blog empfiehlt Claire Mesud die schlichten Linien der Carmen Herrea gegen jede Form der Tyrannei. Welt und Standard haben sich die Neujahrskonzerte angehört und sind sich einig: Die lautesten Sektkorken hat Gustavo Dudamel in Wien knallen lassen.