Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2019

Ein Wille zum ständigen Aufbruch

31.12.2019. Die Zehnerjahre gehen zu Ende, die Kritiker resümieren etwas entmutigt die Refeudalisierung der Kunst und die Verbauhausung der architektonischen Avantgarde, Hoffnung macht ihnen die Diversifizierung der Literatur. Die FR lernt zudem von Hans Haacke, wie Social Grease im Museumsvorstand funktioniert. FAZ und Presse bewundern Eleganz und Understatement in Rian Johnsons Filmkomödie "Knives Out". Und die NZZ tanzt zur Hymne der lateinamerikanischen Protestbewegung: "Plata Ta Tá" von Mon Laferte und Guaynaa.

Das Manierliche und Unbefleckte

30.12.2019. Die SZ erlebt bei der Fotografie-Biennale in Bamako, wie Nachwuchskünstler die Nachbarschaft zum Tanzen bringen.  Die FAZ fragt, ob Kunst heute eigentlich noch misslingen kann. Belgien war der große Trend in der Architektur der Zehnerjahre, weiß der Standard. Der Freitag präsentiert 100 Gecs, deren neues Album wie Katzen-Memes klingt. Würdig und stolz beschließen die Feuilletons das Fontane-Jahr. Und die Handke-Wochen...

Aber ist das jetzt schön?

28.12.2019. Wir brauchen eine kommentierte Ausgabe von Handkes Jugoslawien-Texten, fordert die Slawistin Miranda Jakiša im Tagesspiegel. Die Filmkritiker bewundern die fiebrige Sinnlichkeit, mit der der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz in "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão" Kritik am Patriarchat formuliert. Im Freitag überlegen Magnus Resch und Stefan Heidenreich, wie die Kunstvereine des 18. Jahrhunderts den Kunstbetrieb demokratisieren könnten. Die Nachkritik schildert, wie die freie Theaterszene Ungarns Orbans Kulturpolitik trotzt. Und die FAZ bilanziert, was vom Pop der Zehnerjahre bleiben wird: Überreiztheit und Fatalismus.

Dieser Narzissmus des Hörens

27.12.2019. Das Bröhan Museum zeigt, wie die Nordeuropäer das Bauhaus etwas hyggeliger machten. Die taz hört noch einmal das 40 Jahre alte Album "Y" von The Pop Group und stellt fest: die ganze Hören-muss-wehtun-Überwältigungsästhetik ist noch da. Die Berliner Zeitung bewundert Hans Hesses Annaberger Bergaltar mit seiner Darstellung des mittelalterlichen Bergbaus. Die Zeit feiert Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" in Brüssel, mit einer Titelfigur, die ganz im 21. Jahrhundert lebt. Und: Die Musikkritiker trauern um Peter Schreier.

Der Fremde und die Frau

24.12.2019. Mit Blick auf die berühmten Verkündigungsszenen der Kunstgeschichte fragt der Tagesspiegel: Ist es Gewalt oder Liebe? Die FAZ erlebt einen peterlichten Moment am Residenztheater. Die taz besucht die Söhne Al-Ranans, die auf Sufi-Festen die Pilger in Ekstase spielen. Die SZ feiert Mati Diops Film "Atlantique", der nicht von Flüchtenden, sondern von den Dagebliebenen erzählt.

Laberverblödete Kulturvollzeitstädter

23.12.2019. Wir entstammen dem Schwarz, verkündet der Maler Pierre Soulages in der SZ. Die nachtkritik feiert Thomas Melles wütende "Ode" gegen das eigene Milieu am Deutschen Theater, auch die FAZ freut sich über ein bisschen Weltbilderschütterung. Der Standard verweigert den feierlichen Beethoven-Ton und nimmt das Zornbinkerl aufs Korn, den Auszucker in Werk und Welt. Die taz frischt mit den Wellpappn ihre Bayrischkenntnisse auf.

Man muss einfach die eine Schulter freihaben

21.12.2019. Im Interview mit dem Standard ist Friederike Mayröcker ein wunderbar junges Mädchen. Die abgenutzten Slogans zweier Diktaturen zu vereinen, das ist schon was: In der FAZ gratuliert Peter Nadas der AfD zu ihrer intellektuellen Hochleistung. Die Filmkritiker freuen sich über eine echte Filmperle zum Jahresende: Lulu Wangs "The Farewell". Die Deutsche Bank verkauft peu a peu ihre Kunst - aber warum so heimlich, fragt die SZ. Die taz hört Gospels von swingenden Arzthelferinnen.

Wo sich die Wörter frei sonnen

20.12.2019. Zuviel Sex moniert die SZ in Tom Hoopers Filmadaption von "Cats". Design matters, bescheidet die Welt einem Dresdner Busfahrer, der sein Deutschsein in Old English ausdrückte. Hyperallergic betrachtet immaterielle Kunst aus China. Im Interview mit der FR erklärt Whitney Scharer, warum sie einen Roman über die Fotografin Lee Miller geschrieben hat. Zeit online vermisst den Humor im neuen Album von Samy Deluxe. Ungarns neues Kulturgesetz ist eine Kriegserklärung an die kritische Kunst, warnt der Freitag.

Es lauern Monster in der Träumerei

19.12.2019. Der Guardian feiert eine große Ausstellung afrikanischer Kunst in Dakar. In der Zeit fürchtet Thomas Hettche um die Freiheit der Kunst, die immer mehr Nützlichkeitserwägungen unterzogen werde. Die taz sieht in der neuen Star-Wars-Folge nur Erwartbares. In der NZZ erklärt Architekturforscher Theo Deutinger, warum moderne Anti-Architektur eine neue Phase der Deglobalisierung anzeigt. Die SZ wüsste gern, warum Regisseurinnen in der Volksbühne so häufig auf die kleine Bühne abgeschoben werden. Die taz unterhält sich mit Dokumentarfilmer Atef Ben Bouzid über ägyptischen Jazz.

Bewegt euch mal ein bisschen

18.12.2019. Die SZ erlebt die Unerbittlichkeit russischer Justiz in Kirill Serebrennikows Moskauer Inszenierung von Martin McDonaghs "Hangmen". Die NZZ beobachtet das Verschwinden der Galerien aus Zürichs Innenstadt. Der Standard beobachtet mit Naomi Rincón Gallardo den queeren Alexander von Humboldt beim Zerlegen eines Schwanzlurchs. Die FAZ erlebt im neuen Star-Wars-Film immerhin eine der zärtlichsten Männerszenen der Weltraumoperngeschichte. Hyperallergic schwelgt mit Pariser Mode in Fetischismus und Exzess.

Das Weiß von Bonnard

17.12.2019. Die SZ badet mit Pierre Bonnard in Licht und Wärme. Die FR fragt, wozu wir Jurys und die Idee der Exzellenz brauchen: als Diskussionsgrundlage oder als Herrschaftsinstrument? Die Nachtkritik verbringt einen hinreißenden Abend mit René Pollesch im epischen Theater. Die NZZ jubelt über Lydia Steiers Inszenierung der "Indes galantes" in Genf, die  stahlhelmbewehrte Kriegertruppe durch Rameaus Barockwelt jagt. Die Welt fragt, wozu Düsseldorf das Deutsche Fotoinstitut braucht.

Drama mit Reißwolfeffekt

16.12.2019. Zum Tod von Anna Karina blicken die Feuilletons noch einmal der Nouvelle-Vague-Heroine in die Augen und sehen pure Kino-Poesie. Die Nachtkritik erlebt in Düsseldorf, wie David Bösch Heinrich VI. gegen die Realpolitik des Schwertes verteidigt. Der Standard huldigt Chris Ware, dem James Joyce des Comics. Zu Beginn der anstehenden exzessiven Beethoven-Feiern scheinen FAZ und SZ festen Willens, sich den Komponisten nicht madig machen zu lassen.

Zustand eines randvollen Weltinneseins

14.12.2019. Im Freitag verteidigt die dänische Schriftstellerin Madame Nielsen Peter Handke als einzigen Anwalt der Serben. Die NZZ kämpft sich mit gerümpfter Nase durch den Dschungel von Sexszenen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Die SZ gibt den orientalischen Fantasien des British Museums hin. Der Guardian erinnert sich mit Theaster Gates in der Tate Liverpool an die vertriebenen Bewohner von Malaga Island. Der Standard cruist mit Edward Norton durch Jonathan Lethems "Motherless Brooklyn". Und die Berliner Zeitung lässt sich begeistert von Lucia Bihlers Aliens am Hundehalsband durch die Volksbühne führen.

Aus den Paradiesvogeltagen der Brautwerbung

13.12.2019. Hyperallergic stellt eine Pionierin der modernen Malerei der sechziger und siebziger Jahre vor: Mary Corse. Stefan Puchers "legende" an der Berliner Volksbühne bedient für die SZ nur ein paar Westberliner Revolutionssehnsüchte. Die FAZ bestaunt in Lyon Kopfbedeckungen aus Menschenhaar. Im Filmdienst fragt Lars Henrik Gass von den Oberhausener Kurzfilmtagen was eigentlich die Filmbewertungsstelle und die Murnau-Stiftung noch für die Öffentlichkeit tun, die sie finanziert. Die SZ empfiehlt italienische Schriftstellerinnen.

Das Wirkliche ins Unwirkliche

12.12.2019. Die Literaturkritiker berichten von den Reaktionen auf die Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke oder über das Wetter in Stockholm. Die Kunstmesse art berlin wird eingestellt, meldet der Tagesspiegel, der Senat hat kein Interesse. In der SZ fordert das anonyme Berliner Kollektiv "Soup du Jour": Schluss mit der Überrepräsentation von privilegierten, weißen Männern bei der Gallery Weekend Berlin. Die taz feiert den Witz und das Timing des Filmemachers Quentin Dupieux. Die Zeit fragt sich, ob Maschinen mit ihren losgelassenen Algorithmen nicht inzwischen die interessanteren Künstler sind.

Unerbittlich knüppelt der Pauker

11.12.2019. Die NZZ klopft die morscher werdenden Machtstrukturen in deutschen Theaterkathedralen ab.  Die SZ erlebt mit Oskar Schlemmer in Wuppertal den Menschen als geometrischen Teil einer höheren Raumordnung. Standard und Tagesspiegel berichten von Protesten gegen Peter Handke in Stockholm. Die FAZ feiert eine André-Masson-Schau in den Chemnitzer Kunstsammlungen. Der Standard freut sich über die Wiederbelebung der Flying Luttenbachers. Und dem Guardian wird es mit Banksy in Birmingham schon ganz weihnachtlich.Und Handke zum letzten.

'Fertig!', rufen sie.

10.12.2019. An der Wiener Staatsoper hatte Olga Neuwirths Oper "Orlando" Premiere. Absolut berückend finden Standard und SZ, wie Neuwirth Epochen und Geschlechter musikalisch verschwimmen lässt. In der New York Times erzählt die Modemacherin Rei Kawakubo, wie sie den Entwurf der Opernkostüme Synergie und Zufall überließ. Monopol fragt sich, wie eine neue Kundenfreundlichkeit in der Kunst aussehen könnte. In der taz verbeugt sich die Schriftstellerin Dorota Danielewicz vor Olga Tokarczuk, in der SZ beobachtet Paul Lendvai die Bestürzung liberaler Serben über Peter Handkes.

Figuren, Ichs und Wesenheiten

09.12.2019. Olga Tokarczuk und Peter Handke haben ihre Nobelpreisreden gehalten. Die SZ feiert Tokarczuks  konkretisierende Poesie. Die NZZ begreift Tokarczuks Rede auch als Statement gegen die "verblasene Gegenwartslosigkeit" Handkes, dessen Selbstergriffenheit auch FR und FAZ unangenehm berührte. Außerdem tummelten sich die Opernkritiker in Mailand, wo die Scala mit großem Pomp ihre Saison eröffnete. Die taz porträtiert die Regisseurin Leonie Böhm. Die FAZ trifft den Free-Jazz-Pionier Joe McPhee.

Für mich ist es Brudermord

07.12.2019. In der SZ bereitet uns Olga Neuwirth auf ihr Opus summum vor: ihre Oper "Orlando", die morgen in Wien Premiere hat. Die Dresdner Juwelen sind noch weg, aber der Kunstraub von Gotha hat einen Abschluss gefunden: nach 40 Jahren sind die fünf gestohlenen Gemälde wieder aufgetaucht, berichtet der Dlf. Im Interview mit dem Filmdienst erklärt Regisseur Dominik Graf, warum sein neuer Ermittler im Polizeiruf 110 eine Frau ist. Und Handke.

Alleine zum Apfel

06.12.2019. Kurz vor der Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke kocht die Diskussion noch einmal hoch: Im Tagesspiegel erinnert der Historiker Ludwig Steindorff Handke daran, dass gerade Milošević der Totengräber des Vielvölkerstaats war. In der SZ sekundiert die Historiker Marie-Janine Calic. Die NZZ wundert sich über die eigenartige links-rechte Konstellation, die Handke bis heute verteidigt. Die NZZ stellt die mexikanische Architektin Tatiana Bilbao vor. Die SZ erliegt der Schönheit und Wollust von Baldung Griens Hexen. Der Tagesspiegel empfiehlt wärmstens eine Berliner Retrospektive mit Werken von Kenji Mizoguchi.

Spritz Me with Your Love

05.12.2019. Die Filmkritiker von Artechock, Welt und FR liegen Woody Allen zu Füßen und versichern: Elle Fanning ist so wenig ein dummes Blondchen wie Marilyn Monroe. In Monopol erklärt die Künstlerin Heba Y. Amin, warum sie ein pyramidenförmigen Denkmal für den Nazi-Piloten Hans-Joachim Marseille in der ägyptischen Wüste für ihre Ausstellung in Solingen nachgebaut hat. Die Münchner Abendzeitung fragt, warum die Handke-Debatte fast nur im Internet stattfindet. Die Zeit treibt mit Stefanie Schranks neuem Musikalbum durchs All.

Jenes dialektische Licht

04.12.2019. Wie diskrimierend ist die Avantgarde?, fragt die NZZ. Macht die Aufhebung von Unterschieden in der Kunst nur gute Laune oder auch Sinn?, fragt die Welt. Warum um Kunstpreise wetteifern?, fragt der Guardian und freut sich über gleich vier Turner-Preisträger. Die FR lauscht verzückt der Nagelgeige in Georg Caspar Schürmanns "Getreuer Alceste". Außerdem feiern die Feuilletons den allseits verehrten Jeff Bridges, der das scheinbare Nichtstun zur Kunstform erhob.

Das Zauberwort heißt: Kombiniere!

03.12.2019. Dem David Lynch der Renaissance begegnet die FAZ in der großen Hans-Baldung-Auisstellung in Karlsruhe.  Die FR feiert Gabriel Faurés Oper "Pénélopé" in der feinnsinnigen Inszenierung von Corinna Tetzel und Dirigentin Joana Mallwitz in Frankfurt. Der Tagesspiegel sucht im neuen Woody-Allen-Film vergeblich junge Frauen, die keine älteren Männer anhimmeln.  Und in der Kontroverse um Peter Handke distanzieren sich die ersten Berater von der Schwedischen Akademie.

Der kämpferische Einsatz seiner Kräfte

02.12.2019. Mariss Jansons ist tot. Die Feuilletons trauern um den "aufrichtigsten, integersten und empathischsten" Dirigenten der Welt. In der Londoner Ausstellung "Eco-Visionaries" fragt der Guardian: Wo bleibt die Wut?  Der Tagesspiegel erkennt auf den Grundsatz: Im Zweifel gegen Handkes Zweifel. Und die SZ verfolgt in Mannheim mit bitterem Vergnügen wie Leonie Thies  Herrn R. Amok laufen lässt.