Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2014

Ästhetische Zeremonie

30.08.2014. In der Welt wünschen sich Autorinnen eine neue Rolle der Frau im Literaturbetrieb. Joshua Oppenheimers "The Look of Silence" hat die Feuilletons in Venedig zutiefst verstört. Der Tagesspiegel findet bei Ulrich Seidl "Im Keller" nur Freaks. Außerdem huldigt er Robert Wilson. Und die NZZ schwelgt in Erinnerungen an die traurig-schöne Freundschaft zwischen Rainer Maria Rilke und Alice Bailly.

Teilweise altvaterisch und beflissen

29.08.2014. Die österreichischen Feuilletons hoffen nach Alexander Pereiras Abschied auf frischen Wind bei den Salzburger Festspielen. Die art lernt von dem kambodschanischen Künstler Bou Meng, wie Kunst leben retten kann. Das Zeit Magazin plaudert lieber mit Mary Bauermeister über eine Ehe zu dritt. Dominik Grafs "Geliebten Schwestern" fehlen Nazis und Kommunisten für einen Oscar, befürchtet die Welt. Und die FR lernt von Goethe Toleranz und Völkerverständigung.

Schönheit und Eigenwilligkeit

28.08.2014. In der FAZ versteht Martin Amis nicht, weshalb seine "Holocaust-Komödie" "The Zone of Interest" hierzulande nicht veröffentlicht werden soll. Bei den Netzpiloten hofft Dani Levy, dass uns die Digitalisierung aus den Fängen der Fernsehanstalten befreit. Die NZZ ist froh über den Abschied Alexander Pereiras bei den Salzburger Festpielen. Und die Feuilletons loben einstimmig Alejandro González Iñárritus Auftaktfilm "Birdman" bei den Filmfestspielen von Venedig. 

Ausbrüche ins Unbekannte

27.08.2014. Die FAZ sieht in Hirstville das Mesozoikum der Kunst aufziehen. In der FR erklärt Hans-Thies Lehmann, warum gutes Theater zwangsläufig auf ein Desaster hinausläuft. In der Presse versichert Boris Pahor, dass Alter der Kreativität nicht schadet. Außerdem beginnen heute die Filmfestspiele von Venedig, wo auch Fatih Akins Armenien-Film "The Cut" laufen wird. Der Guardian war bei Kate Bushs erstem Konzert seit 35 Jahren. Außerdem gibt es Michel Houellebecq im Double-Feature.

Mit wundervoller Eleganz wie Delikatesse

26.08.2014. In der SZ fragt Karl Schlögel die deutsche Kulturpolitik, wie lange sie eigentlich noch das Jahr der russischen Sprache zelebrieren will. Im Zürcher Tages-Anzeiger analysiert der Theatermacher Milo Rau die politische Psychologie der Dschihadisten aus dem Westen. In der Nachtkritik klagt Frank-Patrick Steckel über Bad Hersfeld: Geld für Amazon, aber nicht für die Festspiele. Der Tagesspiegel hörte beim Berliner Konzert des West-Eastern Divan Orchestra die Verzweiflung und Wut des Nahen Ostens toben.

Die Ferse in einem Suppenlöffel

25.08.2014. Die NZZ beobachtet nur halb erfreut, dass mit dem Chauvinismus auch Fjodor Dostojewski in Russland wieder in Mode kommt. Die taz verteidigt den proletarischen HipHop gegen das Röhrenjeans-Raptum der Mittelklasse. Die Welt berichtet, dass Chinas wichtigstes unabhängiges Filmfestival geschlossen wurde. Beim Tanz im August lassen sich die Kritiker widerstandslos von Anne Teresa De Keersmaeker und Marcos Moreaus in ein Netz der Blicke einhüllen. Außerdem trauern alle um Richard Attenbourough.

Debütantinnenblut

23.08.2014. In der SZ ist Regisseur Ridley Scott froh, dass sein Filmbild nicht mehr davon abhängt, wann es ins Chemiebad getaucht wird. In der Welt überlegt Clemens Meyer, was eine gute Kurzgeschichte ausmacht. Außerdem erklärt die Welt am Beispiel von Frank Castorf, warum die Ossis kein klassisches europäisches Musik- und Sprechtheater können. Die NZZ geht in der JVA Tegel ins Theater. Die SZ flaniert über ein Kiesbett von Ólafur Elíasson.

Glaubt nicht alles, was in den Zeitungen steht

22.08.2014. In der FAZ erklärt Rüdiger Safranski, weshalb er Biografien schreibt. Das Blog It's Nice That testet Keramik aus 3D-Druckern. Der Tagesspiegel taucht in die außerirdischen Landschaften russischer Farbfotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert. Nachtkritik begibt sich mit der Neuköllner Oper auf den Taksim-Platz. Und in der Welt fragt sich Christian Holtzhauer: Was bedeutet heute eigentlich Kulturnation?

Wunderbar anarchisches Parlando

21.08.2014. Marlene Streeruwitz ärgert sich in der Welt über die Politik des Deutschen Buchpreises: Mit Populismus kann sie nämlich nichts anfangen. Und ein Mann ist sie auch nicht. Der Tagesspiegel glaubt nicht, dass Bertolt Brecht in die SED wollte. In der Jungle World versteht der Kunsttheoretiker Tom Honert nicht, weshalb sich Kunstschaffende stillschweigend ausbeuten lassen. Und in der FR fordert der Schriftsteller Said Sayrafiezadeh von Amerikas Kulturschaffenden: Setzt euch endlich mit dem Krieg auseinander! Ebenfalls in der FR will Antonio Banderas die spanische Jugend aufwecken.

Krach wurde plötzlich Musik

20.08.2014. Die taz besucht Künstler in der Türkei, die Erdogans Eingriff in die Kultur fürchten. Übersetzerin Katy Derbyshire verteidigt in ihrem Blog den neuen Roman von Judith Hermann gegen zynische deutsche Kritiker. Heute beginnt das Atonal-Festival in Berlin: Bei Electronic Beats erinnert sich Dimitri Hegemann an die krachigen Ursprünge im Westberlin der Achtziger.

Empfindlich pulsierende Geometrie

19.08.2014. Der Tagesspiegel sieht fassungslos, wie das deutsche Filmerbe verrottet. Im Berliner Hauptbahnhof hört er Neue Musik. The New Republic untersucht den Sex in der Architektur. Die Welt fragt, ob schwarze Sängerinnen künftig nur noch die Aida singen dürfen. Die Theaterkritiker vergeuden kostbare Lebenszeit in Andreas Kriegenburgs Salzburger Inszenierung von Ödön von Horváths "Don Juan kommt aus dem Krieg".

Cinéma pauvre mit Formbewusstsein

18.08.2014. Die SZ durchlebt bei der Ruhrtriennale eine große Kraftorgie von Heiner Goebbels. The Quietus freut sich über eine Kollaboration der Krautrocker Can und Faust. Die taz besucht das Rockfestival im ungarischen Sziget. Und alle gratulieren Lav Diaz für seinen Goldenen Leoparden.

Hüte im Ballett der Mörder

16.08.2014. Dave Eggers und kein Ende in Sicht: Die FAZ porträtiert den Autor, die taz - einmal mehr murrend - die Hauptfigur. Peter Steins "Fierrabras" und Monty Python: Lächerliche Parodie oder Retter der Schubertnuss? SZ und Welt sind uneins. Die Welt trauert der guten alten Verlagswelt hinterher, als Verleger den Autoren noch Freunde waren. Die NZZ reist erst in die Musikszene Islands und erholt sich dann in europäischen Sanatorien. Und die taz berfürchtet: Wir fotografieren uns noch zu Tode.

Kleine Schuftereien

15.08.2014. Peter Steins Inszenierung der Schubert-Oper "Fierrabras" in Salzburg war ein Schock! Der Tagesspiegel schwebte - geblendet von der edlen Schönheit bepinselter Gaze - im siebten Opernhimmel. Die taz sah noch nie solch konsequente Verweigerung jeder Regieanstrengung. Die FAZ stochert in der Asche der Arroganz Peter Steins. Berlin feiert den Künstlerkörper Peter Steins. In der NZZ lernt Peter von Matt von Karl Kraus, wie Propaganda in die einzelnen Gehirne sickert. Die taz feiert den rumpeligen Punk von Trümmer.

Facetten des Fakes

14.08.2014. Nach der Bekanntgabe der Longlist des Deutschen Buchpreises herrscht Enttäuschung in der taz, einen Skandal gar wittert die Welt. Über Dave Eggers hingegen sind sich weiterhin alle uneinig, carta rümpft nach der Lektüre die Nase.Die digitale Schwarmintelligenz mischt jetzt auch im Städtebau mit, berichtet die Zeit. Die NZZ hat auf der Yokohama-Triennale in Japan Dinge gesehen, die andere gar nicht sehen wollen. Die taz tanzt Voguing. Und: Alle trauern um Lauren Bacall.

Schrilles Plappermäulchen

13.08.2014. In Electronic Beats erinnert sich Alec Empire, wie er den Digital Hardcore ausbrütete. Der Standard bewundert die Ästhetik von Richard Princes White Trash. Die nachtkritik hat nicht genug dicke Schenkel für Alexander Scotts Salzburger "Orpheus"-Inszenierung. Die New York Times trauert um Lauren Bacall.

Mollig edelherb die Mittellage

12.08.2014. Eine Schule des Sehens durchläuft die taz in Salzburg vor fünfzig Fotografien zu Roland Barthes' Fototheorie. Der Standard hat Gott gesehen, und er sieht aus wie Scarlett Johansson. Die SZ bewundert die existenzielle Mode von Jean-Paul Gaultier und Dries van Noten. Der Guardian trauert um Robin Williams.

Töne von tiefreichender Schönheit

11.08.2014. Opernkritik im Liebesrausch: Anna Netrebko als Leonore lässt die Journalisten vor Wonne erzittern und dann in einen warmen Abgrund rauschen. Die Welt bewundert die schönen Beine von Cate Blanchett und Isabelle Huppert in Genets "Zofen". Die taz betrachtet Farbfotografien aus Russland. FAS und Berliner Zeitung feiern Dave Eggers Anti-Google-Roman "Der Circle".

Hemmungslose Metropolraserei

09.08.2014. Die taz weiß nicht genau was sie schlechter findet: Dave Eggers' Roman "The Circle" oder die hymnischen Vorbesprechungen. Alle Feuilletons gratulieren Mummins-Erfinderin Tove Jansson. Die NZZ entdeckt den "offiziellen Mittelpunkt der Welt" in Kalifornien. Die SZ schaut sich bei Instagram und Twitter heutige "Stars" an und trauert alten Leinwand-Ikonen hinterher. Außerdem tanzte sie schon auf den Berghain-Sex-Partys der ersten Jahre, als andere noch Diedrich Diederichsen lasen.

Im Leben geht es nun mal um nichts

08.08.2014. Seit den Gezi-Protesten blüht die Lyrik in der Türkei, berichtet Dradio Kultur. In der taz erklärt Gerhard Seyfried, wie deutsche Soldaten durch den Ersten Weltkrieg kamen: Alle auf Speed, ja. Die NZZ begutachtet die der Glasgow School of Art übergestülpte nordische Kiste von Steven Holl. In Revolver erklärt Harun Farocki, warum die Filmwelt heute eine Feudalgesellschaft ist. Bis ins Letzte durchdachte Irrelevanz sieht die nachtkritik im Musiktheater "Der Schatten" von Chilly Gonzales und Adam Traynor. Die SZ lauscht Evgeny Kissin, der Schubert mit Beethovenscher Kraft in den Griff will.

Zuckerbäckeravantgarde

07.08.2014. Die Feuilletons vergnügen sich heute einstimmig auf dem Planet der Affen, der taz fehlen dort allerdings ein paar Frauen. Hauptsache keiner der Affen hat Selfies gemacht, sonst gibt's Ärger, warnt der telegraph. Ohne Louis-Sebastien Mercier wäre Paris nicht Paris, glaubt die FAZ. Der Freitag reist zum Atomkern des Beatnik-Kosmos'. Deutsche Hiphopper machen Abi und wollen nur noch schmusen, klagt die taz.

Melange aus Avantgarde und Aggression

06.08.2014. Die Welt annonciert einen Bücherherbst mit starken weiblichen Stimmen. Die Nachtkritik beweist Durchhaltevermögen in Ivo Dimchevs Performance "Icure" bei ImpulsTanz. In der FAZ freut sich Steven Soderbergh auf ein Comeback als Filmregisseur - jetzt, wo er zehnstündige Kinofilme fürs Fernsehen drehen darf. Tagesspiegel und Berliner Zeitung bewundern Albert Kahns "Archiv des Planeten".

Sonische Fragilität

05.08.2014. Culturemag bewundert Robert Warshaws Kunst, die Schönheit eines Schauspielers zu beschreiben. Castorfs "Ring" versetzt die Kritiker immer noch in Wallungen - pro und contra. Die NZZ porträtiert den Autor Bodo Morshäuser, und sie stellt neue Designer aus Kapstadt vor. Die New York Times feuert eine neue Beethoven-Biografie in die Ecke (um sie dann gleich wieder aufzuheben). Der Freitag hört in den Stücken von bei FKA Twigs das Herz der Popmusik schlagen.

Das definitive Leckmich

04.08.2014. Riesenlob für den Salzburger "Rosenkavalier" und den Testosteron ausatmenden Faun, den Günther Groissböck als Ochs gibt. Riesenlob auch für Castorfs Bayreuther "Ring" und den grandiosen Kiril Petrenko. Wo ist der Schock im Pop, fragt die Zeit. In der FAZ erklärt Judith Hermann, warum die Arbeit am Roman viel Ähnlichkeit hat mit der Arbeit im Bergwerk. Der Tagesspiegel geißelt die Orgien der Unfähigkeit des Berliner Senats.

Das Schicksal, für das der Keks steht

02.08.2014. So einfach ist selber schreiben ja nun auch nicht, klagt Urs Mannhart in der NZZ. Die Welt sucht lieber neue literarische Talente. Der SZ schwirrt beim Castorf-Zerfetzen in Bayreuth der Kopf. Die FR nascht genüsslich 1800 Spekulatius-Soldaten bei einer Ausstellung zum Ersten Weltkrieg in Dresden. Und die Ruhrbarone fürchten subventionierte brave Filmpädagogik.

Weh und wund im sauren Kitsch

01.08.2014. Die russische Kunstavantgarde war ukrainisch, erinnert Felix Philipp Ingold in der NZZ. Die FAZ fragt ratlos vor Gerhard Richters neuer Serie: Trauerarbeit im Akkord? Die Jungle World hört den ultimativen Mix aus Post- und Krautrock von Trans Am. In Salzburg fällt auch Katie Mitchells Anti-Kriegs-Collage "The Forbidden Zone" durch. Alle trauern um den Filmemacher Harun Farocki.