Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2017

Ein bisschen mehr Licht in der Rübe

28.02.2017. Große Einigkeit nach den Oscars: Der Preis für Barry Jenkins' "Moonlight" geht in Ordnung, Highlight des unpolitischen Abends bleibt aber die peinliche Panne. Der Tagesspiegel beklagt Hollywoods Monokultur. Die Welt fragt nach zwei Otto-Dix-Ausstellungen: Unbestechlicher Realist oder kalkulierender Radaubruder? Die FAZ blickt in die ahnungslosen Kinderaugen der Paula Modersohn-Becker. Und Martin Laberenz' Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück "Wut" in Berlin wird begeistert besprochen - auch wenn's keiner verstanden hat.

Heroischer Rufer in der Wüste

27.02.2017. Der Oscar für den besten Film geht an Barry Jenkins "Moonlight". FAZ, Welt und ZeitOnline sind zufrieden, critic.de nicht. Im Standard verkündet Aki Kaurismäki künftig lieber zu gärtnern als Filme zu machen. In der SZ will das Kuratorenpaar Elmgreen und Dragset die Türkei mit der Istanbul-Biennale lieber nicht provozieren.  René Polleschs Riesenküken-Spektakel "Ich kann nicht mehr!" teilt die Gemüter: Postbarocke Revolutionsrevue, findet die Nachtkritik, abgenagter Pollesch-Knochen, meint die FAZ. Und dem Tagesspiegel schwinden in der Elbphiharmonie die Sinne.

Das geduckte Leben im Underground

25.02.2017. Große Aufregung vor den Oscars: Die Welt fürchtet, dass Trump uns jetzt auch noch den Oscar für Toni Erdmann nimmt. Im Hollywood Reporter protestieren die Nominierten gegen Fanatismus und Nationalismus. Die SZ lässt sich bei Wolfgang Tillmans in London die Angst vor Chris Dercon nehmen. In der FAZ hat Yasmina Reza keine Lust auf Identitäten. FAZ, NZZ und nachtkritik.de applaudieren Stefan Bachmann, der den Wilhelm Tell in Basel rappen, haten und dissen lässt. NZZ und Standard finden Literatur in Ingeborg Bachmanns böse leuchtenden Traumbildern.

Wer weint, hat keinen klaren Blick

24.02.2017. In Berlin haben sich Kultursenator Klaus Lederer und der neue Volksbühnen-Chef Chris Dercon darauf geeinigt, sich nicht zu einigen, meldet der Tagesspiegel: Der Dissens bleibt eklatant. In der Welt erklärt Documenta-Kurator Bonaventure Ndikung, was Griechenland von Kamerun lernen kann. Die FAZ erkennt in dem Wiener Maler Richard Gerstl einen unglückseligen Narzissten. In der Debattte um die Germanistik möchte die NZZ doch noch auf einige Schwächen des Fachs hinweisen, zum Beispiel das terminologische Geschwurbel.

Wenn die Kunst der Hammer ist

23.02.2017. Tag der großen Retrospektiven: Die FAZ feiert Otto Freundlichs farbenprächtigen kosmischen Kommunismus in Köln, die SZ schaut zu, wie sich Marina Abramovic in Stockholm dem Tode entgegen kuratiert und die NZZ ergründet die Beliebtheit von David Hockney in London. FAZ und Welt suchen in Brasilien die Gründe für den Suizid von Stefan und Lotte Zweig. Tagesspiegel und DeutschlandradioKultur fragen: Droht am Kulturforum ein neues Berliner Bau-Desaster? Und im Standard spricht Isabelle Huppert über Männer.

Der illusionslose Blick des Expressionisten

22.02.2017. Die FAZ fragt, ob eigentlich auch Frauenbünde im Opernbetrieb funktionieren würden. Die SZ zeichnet den Architekten, der auf sein Recht besteht, als tragischen Helden. Der Standard erschauert vor der entblößten Wahrheit in den Zeichnungen Egon Schieles. Der Tagesspiegel sinniert nach Peter Bergs Dokudrama-Thriller "Boston" über die innere Leere nach einem Terroranschlag. Die taz fragt, ob das deutsche Kino jemals einen Film mit dem Titel "Breitscheidplatz" zuwege brächte.

Es geht nicht ums Auserzählen

21.02.2017. Packend, kraftvoll und wild finden NZZ und Tagesspiegel Andrea Scartazzinis Oper über den taumelnden König "Edward II". Der Standard bewundert die Ballerina Rebecca Horner. Die taz feiert die kanadische Bildhauerin Liz Magor. Die Welt stürzt sich mit Walt Whitman ins vibrierende New York. Die Zeit führt vor, wie von Trollen inspirierte Musik klingt.

Die Kämpfe nahen

20.02.2017. Nichts einzuwenden haben die Kritiker gegen den Goldenen Bären für Ildikó Edyenis "On Body and Soul". Und selbst etwas lauwarm resümieren sie eine Berlinale, die im Guten wie im Schlechten wenig Grund zur Aufregung bot. Schlichtweg umwerfend findet der Tagesspiegel György Ligetis von den Berliner Philharmonikern aufgeführte Oper "Le Grand Macabre". Am Wochenende hatte außerdem Ersan Mondtags "Ödipus und Antigone" am Maxim-Gorki-Theater Premiere: Die Berliner Zeitung sah ein erschlafftes Bürgertum seiner Abschaffung entgegentrippeln.

Wir selbst sind das Medium

18.02.2017. Die Feuilletons nehmen Abschied vom großen griechischen Künstler Jannis Kounellis. Die Welt erklärt, was an dem filmischen Dokument von Marcel Proust so aufregend ist. Die FAZ erlebt mit Philip Tiedemanns Inszenierung von Heiner Müllers "Herzstück" im Berliner Ensemble einen vergnüglichen Abschiedsabend. Der Kurier verzweifelt an der Wiener Unfähigkeit zu spektakulärer moderner Architektur. Das Zeit Magazin entdeckt die Unterhose als Mittel des politischen Protests. Und A.V. Club meldet: Der heilige Gral der Nouvelle Vague ist bei Youtube aufgetaucht!

Es war wie die Geburt des Rock'n'Roll

17.02.2017. Unbedingt sehenswert findet der Tagesspiegel Denzel Washingtons Verfilmung von August Wilsons Theaterstück "Fences". Der Freitag rät dringend, den Film in der Originalversion zu sehen. Die NZZ erklärt, warum vom Schweizer Jahresetat für Literaturpreise gerade mal die Hälfte bei den Autoren ankommt. Brian Eno erzählt in Pitchfork, wie sein Album "Reflection" entstand. FAZ und NZZ erliegen in der Münchner Aufführung von Rossinis "Semiramide" dem berückenden Wohllaut der Mezzosopranistin Joyce DiDonato.

Minimalismus ist die Essenz

16.02.2017. Die Feuilletons erliegen einer atemberaubend angstfreien Isabelle Huppert in Paul Verhoevens Vergewaltigungsdrama "Elle". Volker Schlöndorffs "Rückkehr nach Montauk" stößt auf geteiltes Echo. Der Freitag lernt in der Germanistik kritisches Denken. Die FAZ filetiert mit Otto Dix in Düsseldorf die morbide Nachkriegsgesellschaft. Und das art-magazin analysiert die Gewalt der Geste in Medienbildern.

So beginnen die Farben zu leuchten.

15.02.2017. Auf der Berlinale reißt Aki Kaurismäkis Wettbewerbsfilm "Die andere Seite der Hoffnung" die Kritiker mit. Außerdem kommt Paul Verhoevens "Elle" mit Isabelle Huppert ins Kino, die FAZ geht in die Knie vor der Königin des europäischen Kinos. Im Guardian wünscht sich Edouard Louis ein bisschen Willkommenskultur auch in der Literatur. Die NZZ feiert die akrobatische Gesangskunst der Barbara Hannigan als Lulu in Hamburg.

Mit dem Bügeleisen auf Margarinewürfel

14.02.2017. In der SZ erklärt Andres Veiel Joseph Beuys zum Antipoden der RAF und der dogmatischen humorlosen Linken. Im Guardian wirft Wolfgang Tillmans einen letzten Blick auf den schwindenden pan-europäischen Geist. Die taz wünscht sich eine Stadt, die auch über die Bücher spricht, die sie liest. Und die Welt mokiert sich über die Grammy-Verleihung: handzahm wie DDR-Kabarett!

Hang zum Höheren

13.02.2017. Zum Abschied gab Claus Peymann Heinrich von Kleists "Prinz von Homburg": Die FAZ sah den Träumer und Rebellen zum harmlosen Schmerzensmännchen minimiert. Die Welt schluckt ausgerechnet von Peymann die Botschaft: In der Demut liegt die wahre Größe. Die taz lernt mit Milo Raus Zürcher Inszenierung "120 Tage von Sodom" dagegen, wie freundlich Grausamkeit daherkommen kann. Bei den Grammys wurde dagegen der Muttergöttin gehuldigt.

Mirakulöse Voix mixte

11.02.2017. Die Welt wird vor David Hockneys Doppelporträts zum Paartherapeuten. In der FAZ schreibt Zadie Smith über Balthasar Denners Gemälde "Alte Frau". In der Welt erklärt Nora Bossong den Zusammenhang von liebevollen Bärchen und geilen Ludern. Die Musikkritiker trauern um den schwedischen Tenor Nicolai Gedda

Das Neue ist unvermeidlich

10.02.2017. Die NZZ staunt im Kunsthaus Zürich über die erotisch-explosive Spannung in den Berlin- und Ostseebildern Ernst Ludwig Kirchners. Ergriffen besichtigt sie außerdem die vertikale Campus-Universität in Lima. In der FAZ berichtet Olga Martynova vom Literaturfestival in Malaysia. Im Standard erläutert der Komponist Jorge Sánchez-Chiong seinen Pakt mit dem Teufel.

Wettbewerb mit Numerus clausus

09.02.2017. FR und SZ begrüßen drei syrische Busse vor der Dresdner Frauenkirche: Kunst kann eben doch provozieren! Anlässlich des Streits um den geplanten Münchner Konzertsaal kritisiert die SZ die unfairen Architekturwettbewerbe. In der FAZ verteidigen die Literaturwissenschaftler Heinz Drügh, Susanne Komfort-Hein und Albrecht Koschorke ihr Fach und ihre höhere Sensibilität. Und: heute abend wird die Berlinale eröffnet. Die Kritiker feiern schon mal mit zahlreichen Artikeln.

In vollendeten Alexandrinern

08.02.2017. Die Auswahl für das Berliner Theatertreffen steht, nicht dabei sind Burgtheater, Deutsches Theater und das Hamburger Schauspielhaus: Haben die großen reichen Häuser nichts mehr zu bieten?, fragt die SZ. Auch die alten weißen Männer sind nicht dabei, bemerkt der Tagesspiegel. In der NZZ erklärt Martin R. Dean: "Wahrer Stil kann auch schlicht sein." In der FAZ verteidigt Steffen Martus die Germanistik gegen ihre Kritiker und Größenfantasie.

Flüchtige Aufnahmen von gespenstischer Anmutung

07.02.2017. Die taz fragt, ob es in einer identitären Welt überhaupt noch Musik gäbe. In der New York Times verbeugt sich Teju Cole vor dem gewissenhaften Realismus des Fotografen William Christenberry. Die SZ bangt um Frankreichs staatliche Kulturinstitutionen. Die FR erlebt mit Debussy im Stuttgarter Ballett eine sehr lustvolle Faunin. Zur Einstimmung auf Milo Raus "120 Tage von Sodom" huldigt Stefan Zweifel in der NZZ den perversen Werken als der Schule des Bösen.

Auf der Suche nach Wirkung und Aussage

06.02.2017. Die NZZ feiert den fotografierenden Kantonspolizisten Arnold Odermatt, der ganz fantastische Bilder von Autounfällen schoss. Der Tagesspiegel erfährt auf der Transmediale, dass das Zeitalter des Anthropozän zu Ende ist. Die SZ erlebt beim Eclat Festival für Neue Musik die Überwindung der Abstraktion. Der Freitag wünscht sich vom Forum der Berlinale weniger Halbherzigkeit. In der FAZ huldigt Andrzej Stasiuk dem russischen Schriftsteller Andrej Platonow, der an Fortschritt und Unsterblichkeit des Menschen glaubte.

Formvollendet anmutig

04.02.2017. Die taz erkundet mit dem Architekten Winy Maas die demokratischen Stadträume über den Dächern von Rotterdam. In der Welt wendet sich Philip Oswalt mit Grausen von der Kirche ab, die im Schulterschuss mit Militär und Staat den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche betreibt. Die NZZ erlebt mit Alvis Hermanis' "Madame de Sade" in Zürich einen herrlich dekadenten Theaterporno. Der Standard wiegt sich in der melancholischen Poesie des Theaterphilosophen Erwin Piplits. Und in der taz erlebt Diedrich Diederichsen in einer Vinyl-Retrospektive zu Yoko Ono die künstlerische Politik der Liebe.

Das ist natürlich eine Unverschämtheit

03.02.2017. Auch wenn jetzt alle wieder "1984" lesen, eignet sich George Orwells dystopischer Roman nur bedingt zur Beschreibung des Trump-Regimes, meint die NZZ: Die Wahrheit ist viel schlimmer. Mit seinem Debut-Soloalbum verwandelt der Electro-R'n'B-Musiker Sampha Kritiker in Wattemenschen. FAZ und FR berichten fasziniert von den gespenstischen Videoarbeiten des englischen Künstlers Ed Atkins, die zurzeit in Frankfurt zu sehen sind.

Jenseits des Zeig­baren

02.02.2017. In der NZZ beklagt Felix Philipp Ingold die Stillosigkeit der heutigen Literatur. In der Zeit lernt Isabelle Huppert den Kompromiss. Die Presse bewundert die wie Glaskörper geschliffenen Ölbilder Svenja Deiningers. Die Berliner Zeitung lässt sich beim Club Transmediale den Metabolismus mit Infraschallbässen verwirren.

Die Prinzessin trägt nur Rosa

01.02.2017. Die Welt ärgert sich über die Eskapaden Daniel Barenboims, der mit der Staatskapelle auf Steuerzahlerkosten auf Welttournee geht und sein eigenes Haus nicht mehr bespielt. Im SZ-Interview bekundet Fachmann Marcus Staiger Verständnis für den Antisemitismus im deutschen Rap. Die NZZ porträtiert die Schauspielerin Sunny Melles. Die FAZ bewundert in Chemnitz das revolutionäre Parolen- und Posenporzellan der russischen Avantgarde. Außerdem stellt die FAZ die Autorin Christina Sharpe vor.