Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2018

Als ich einmal in Greta Garbos Kopf war

31.12.2018. So macht man spannende Ausstellungen aus den Beständen, ruft die Berliner Zeitung den übrigen Staatlichen Museen nach einem Besuch im Hamburger Bahnhof zu. Wenig ruhmreich findet sie hingegen deren Umgang mit dem Mäzen James Simon. Im CulturMag-Interview erklärt Judith Schalansky, wie sie Abwesendes erahnbar macht. In der SZ erinnert sich David Grossman an Amos Oz. Und die taz erinnert sich an ihre erste J.D. Salinger-Lektüre.

Atmosphäre der Ambivalenz

29.12.2018. Amos Oz ist gestorben. Die Berliner Zeitung würdigt den israelischen Autor als Schriftsteller und als entschiedenen Mann, der auch fähig war, sich selbst entschieden infrage zu stellen. Die Welt feiert die Neuerfindung der High Fantasy durch Nora K. Jemisins Roman "Zerrissene Erde". Dezeen lässt sich von brasilianisch-japanischer Küche und Design verführen. Es gibt viel zu viel Fernsehen, stöhnt die FAZ. Die SZ warnt vor steigendem Rassismus gegenüber internationalen Künstlern in Deutschland. Die Junge Welt erinnert an den Erfinder des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker, Joseph Goebbels.

Von einem sicheren Sitzplatz aus

28.12.2018. In Monopol denkt Ulf Erdmann Ziegler über den sexuellen Körper in der Kunst nach. Hyperallergic erinnert an die Welt der jüdischen Rentner in Miamis South Beach, die die Fotografen Gary Monroe und Andy Sweet festgehalten haben. Der Standard berichtet, wie russische Bürokraten das Kino im Land bevormunden. Die Welt wünscht sich wieder mehr Härte im Kinderbuch. Die taz kaut an der Tatsache, dass subversive Musik ohne fördernde Konzerne nicht überlebt. Und Frankreich erwartet sich vom neuen Houellebecq einen Serotoninstoß.

Ein unbestimmtes Gefühl der Anderswertigkeit

27.12.2018. Die Filmkritiker feiern die hinreißenden "Ladendiebe" des japanischen Filmregisseurs Hirokazu Kore-Eda. In Berlinartlink erzählt der Fotograf Peter Bialobrzeski, wie seine Städte-Tagebücher entstehen. Georges-Arthur Goldschmidt hofft im Interview mit dem Zeit-Magazin, dass Deutschland nicht vergaulandet. Diedrich Diederichsen outet sich im Freitag als Endgegner des Algorithmus.

Was mir gefällt, muss anderen auch gefallen

24.12.2018. Elfriede Jelinek beschert dem Kölner Schauspiel mit dem neuen Stück "Schnee Weiß" eine krachende Skipartie: Die SZ genießt Sarkasmus als Geisteshaltung. Der Freitag feiert den im Vitra Design Museum gewürdigten Gestalter Victor Papanek, der sich der "Überflussgesellschaft der Schwachköpfe" entgegenstemmte. Im Standard möchte Tex Rubinowitz lieber kein Weihnachtsoratorium geschenkt bekommen. Wer immer noch Geschenklaune ist, kann für die Lotte-Laserstein-Ausstellung der Berlinischen Galerie spenden, weiß der Tagesspiegel, vom Senat bekommt sie nämlich nicht nichts.

Kickpass ins Bodenlose

22.12.2018. In der Welt erinnert sich die in Nigeria aufgewachsene Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie an das Weihnachten ihrer Kindheit. So präsentiert man Ausstellungen und Provenienzforschung, ruft der Tagesspiegel nach einem Besuch in Hamburg in Richtung Berlin. Die taz entdeckt mit der New Yorker Band 79.5 die Girlgroup eines neuen Zeitalters. Die Theaterkritiker streiten über Simon Stones Wiener "Medea". Und alle trauern um F.W. Bernstein.

Radierspuren im wohltuenden Vergessen

21.12.2018. Der Filmdienst betrachtet gerührt eine Filmruine: Dennis Hoppers Regiearbeit "The Last Movie" von 1971. Zeit online sucht den Schlager von heute. Der Tagesspiegel möchte es gern der Tate Britain nachmachen, und ein Jahr lang nur Kunst von Frauen im Museum zeigen. Die Berliner Zeitung möchte es gern britischen Bühnen nachmachen und Fördergelder künftig an "Diversity" knüpfen. Wohin ist die Magie des deutschen Feuilletons verschwunden, fragt traurig der Umblätterer.

Versatzstücke pulverisierten Nischenwissens

20.12.2018. The Nation zeichnet die Debatten über afroamerikanische Kunst in den 60ern und 70ern nach. In der taz erklärt Wulf Herzogenrath, wie sich die Videokunst in Deutschland konstituierte. Im Espectador zweifelt Hector Abad an der Rolle des Kommentators. Und: Mädchen in die Knabenchöre, fordert der Tagesspiegel.

Mit lászló, oskar, mies und anni

19.12.2018. Auf Dlf Kultur fürchtet Virginie Despentes um Frankreichs Freizügigkeit. Hyperallergic berichtet, dass der Künstler Robert Cenedella die großen Museen New Yorks wegen Verschwörung mit den führenden Galerien auf hundert Millionen Dollar verklagt. Im Tagesspiegel offenbart Thomas Oberender, wie herrisch und autoritär ein Intendantentreffen abläuft. SZ und FAZ  treffen sich mit René Pollesch zu Manzini-Studien in Zürich, und Lacan mixt die Drinks.

So fahl. So entrückt.

18.12.2018. Die SZ begegnet in den Bildern Lorenzo Lottos der Mittelschicht der Renaissance. Die NYRB schwelgt in Walton Fords illusorisch-üppiger Tiermalerei. Moviepilot fragt, wer den letzten Sargnagel aufs Kino hämmert: Netflix oder Hollywoods Planwirtschaft der Superhelden. Und die taz stemmt sich mit Earl Sweatshirt "Some Rap Songs" gegen das Powerplay der Streamingdienste.

Ein neuer Shakespeare müsste her

17.12.2018. Ganz Berlin versammelte sich zu Leander Haußmanns "Staatssicherheitstheater" in der Volksbühne. Etwas kratzig erscheint NZZ und Tagesspiegel das Odeur des Prenzlauer Bergs. Die Welt erkennt mit Martha Rosler in New York das grandiose Scheitern der Kunst vor der Wirklichkeit. Im Standard erinnert sich Claus Peymann an die rechten Lümmeln, die ihm schon 1988 aus den Logen der Burg entgegenbuhten. Die Jungle World verehrt Ruth Bader Ginsburg. Die SZ jubelt über Jean-Michel Jarres retrofuturistisches Album "Equinoxe Infinity". Und die FAZ geht mit Thomas Pynchon in den Schalltoten.

Es ist stets der Begriff der 'Unsittlichkeit'

15.12.2018. Der Tagesspiegel begutachtet das renovierte Afrika-Museum im belgischen Tervuren. Die taz feiert die neue, unwahrscheinlich zukunftszugewandte Bibliothek von Helsinki. Mit Matthias Brandts Polizeiruf-Ermittler Hanns von Meuffels verschwindet eine ganze Krimikultur der letzten Ermittlungen, langen Autofahrten und unendlichen Sehnsucht, klagt Spon. Die NZZ beschreibt die Unterdrückung der Jugend-Musikkultur in Russland. Und die Literaturkritiker trauern um Wilhelm Genazino.

Der kostbarste Balkon der Stadt

14.12.2018. Das ernste Spiel mit Identitäten und Versprechen der Metamorphosen prägen für die taz die zwei tollsten Alben des Jahres: von Planningtorock und Swamp Dogg. 2018 ist ein annus horribilis fürs deutsche Kino, klagt Rüdiger Suchsland auf Artechock. In der SZ beklagt Leander Haußmann die miserable Rente von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern. Der Standard betrachtet lustvolle Variationen über Märtyrertode.

Am Gürtel hingen die Waffen

13.12.2018. Die Zeit wünschte sich weniger neue Museen in Berlin und dafür mehr Ausstellungen. Die SZ blickt gerührt auf einen kleinen Fluchtweg für die Nymphen in der neuen Eingangshalle der Berliner Museumsinsel. Die NZZ lernt etwas über "Politics of Design, Design of Politics" in einer Münchner Ausstellung. Die taz bewundert die Unentschiedenheit in Sachen Wunder in Xavier Giannolis "Die Erscheinung".

Alle sind fabelhaft. Alle.

12.12.2018. Die NZZ ruft zum Ausbruch aus dem Kunstgulag, in dem die neue Aktionskunst mittels Unterdrückung, Überwachung, Verleumdung herrscht. Der Tagesspiegel lässt sich von der schwedischen Literaturkritikerin Rebecke Kärde den Fahrplan für den neuen Nobelpreis darlegen. Monopol huldigt dem Ugly Chic, mit dem Miuccia Prada 1996 die Intellektualität in die Mode brachte. Und die taz liebt den Tatortreiniger selbst für seinen souveränen Abtritt.

Das perfekte Idyll, also das Grauen

11.12.2018. Die SZ feiert den heiteren Barock des bayrischen Malerpoeten Heinz Braun. Hyperallergic begibt sich zu den Klängen eines Didgeridoo auf eine "Stolen Goods Tour" durch das British Museum. Die taz erfährt, dass vor allem die Untertitelung die digitale Verbreitung europäischer Filme erschwert. Hundertvierzehn stellt das neue Online-Archiv mit Thomas-Mann-Manuskripten vor. Und die Zeit hört ein denkendes Orchester.

Die Redundanzen des Rauschs

10.12.2018. Zum Saisonbeginn an der Scala erleben NZZ und FAZ die spektakuläre Premiere von Verdis "Attila" als  Demonstration des bürgerlichen Mailands gegen das populistische Rom. Der Standard erlebt bei der Premiere von Johannes Maria Stauds und Durs Grünbeins Oper "Die Weiden" in Wien die Verkarpfung der Menschen. Die SZ fängt mit dem Kollektiv "Slavs and Tatars"   Textschmetterlinge. Und in der Welt schunkeln die Beastie Boys zu James Last.

Voller Trotz und Euphorie

08.12.2018. Die SZ sieht im belgischen "Afrikamuseum" mit Schrecken, wie man die eigene Kolonialgeschichte als Erfolgsgeschichte deutet. Die taz verabschiedet endgültig das Etikett des "weiblichen Schreibens". In der Zeit ist Astrid Lindgrens Tochter Karin Nyman not amused über Pernille Fischer Christensens Film "Astrid". Im Monopol-Magazin spricht Nobuyoshi Araki über seine Bondage-Fotos. Und die Popkritiker trauern um Buzzcocks-Sänger Pete Shelley.

Garten, Stille, Wohnzimmer - der komplette Albtraum

07.12.2018. Pilzgespräche und John Cage: Die Theaterkritiker hören mit Vergnügen (und Engelsgeduld), wie Christoph Marthaler in Zürich mit "44 Harmonies from Apartment House 1776" der Vernunft Kontra gibt. In München hat Kaspar König die Arbeit der Künstlerin Cana Bilir-Meier kritisiert, die ihm und dem ganzen Kunstbetrieb jetzt Rassismus vorwirft. In der NZZ würdigt Sibylle Lewitscharoff das glanzvolle Schreiben der Gertrud Leutenegger. Im Standard reagiert Benjamin Stuckrad-Barre höchst allergisch auf jede Form von Idylle.

Fast ganz ohne Bosheit

06.12.2018. Der Guardian meldet, dass kubanische Künstler aus Protest gegen ein neues Zensurgesetz in den Hungerstreik getreten sind. Die taz empfiehlt Ultra-Hetero-Regisseur Gaspar Noé eine Tanztherapie. Neue musikzeitung und FAZ amüsieren sich prächtig in Axel Ranischs überdrehter Inszenierung der Prokofjew-Oper "Die Liebe zu den drei Orangen". Die SZ möchte selbst entscheiden, ob sie den des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Dirigenten Daniele Gatti noch hören will.

Unergründlich geschichtete Erlebniswelt

05.12.2018. Als schönsten Film des Jahres preisen Tagesspiegel und FAZ Alfonso Cuaróns "Roma", der in Venedig den Goldenen Löwen gewann. Leider ist er kaum in einem Kino zu sehen, weil Netflix dem Kino an die Kehle möchte, wie die Welt schreibt. Die Nachtkritik berichtet entsetzt, dass in Tirana das Albanische Nationaltheater abgerissen werden soll. Der Standard sieht die moderne Kunst vor lauter Punschständen nicht mehr. Der Guardian jubelt über den gestern verliehenen Turner-Pries für die schottische Transgender-Künstlerin Charlotte Prodger.

Ich war jung, ich konnte und wollte es sportiv

04.12.2018. In der Welt taucht Cecilia Bartoli ohne Sauerstoffgerät in Vivaldi-Arien. Die SZ freut sich über den neue politischen Video-Realismus der Turner-Preis-Kandidaten. Die taz weiß: Wer in Kinshasa dazugehören möchte, trägt nicht Yves Saint Laurent, sondern Comme des Garçons, Yohji Yamamoto oder Issey Miyake. Außerdem verachtet sie ein letztes Mal die Menschheit mit den Schlachtenbildnern von Slayer. Das Schweizer Architekturmuseum in Basel feiert die städtische Verdichtung mit einer Grillparty im Innenhof, die NZZ macht lieber die Fenster zu.

Was so abgeht in den Köpfen

03.12.2018. Die SZ lernt in der Ausstellung "Megalopolis" im Leipziger Grassi-Museum, dass Kunst aus dem Kongo eigentlich immer noch in europäischen Museen endet. Außerdem erahnt sie das prohetische Potenzial von Ezra Pound. Die FAZ meint: Die Bibliothek der Zukunft steht in der Wüste von Katar. Politik als Rhetorik beobachten taz und Tagesspiegel in Marie Wilkes Dokumentarfilm "Aggregat". Die NZZ will nur eine Diva verehren, die ihr ernsthaft mit Liebesentzug drohen kann.

Surrealisierung des Alltags

01.12.2018. Blutiger Slapstick, Abziehbilder der Trivialpsychologie, angepinselte kunstreligiöse Weltabgewandtheit, entlarvte Machtgier - die Theaterkritiker kauen am Ergebnis eines Macbeth, an dem Shakespeare, Heiner Müller und Michael Thalheimer feilten. Die NZZ studiert die Kunst der Blöße im antiken Griechenland. Die taz porträtiert den japanischen Synthie-Folk Komponisten Haruomi Hosono. Die FAZ denkt über die neunziger Jahre in der russischen Literatur nach.