Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2019

Im wilden Spiel des Zeitdrucks

31.07.2019. Im Tagesspiegel erzählt der neue künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, wie er mit dem neuen Wettbewerb "Encounters" zarte Filmpflänzchen fördern will. In der SZ erklärt Monika Grütters, weshalb sie auch die weniger zarten Filmpflanzen mit üppigen Fördergeldern gießt. Zeit Online wandert durch die Wälder Tallinns ins neue Arvo-Pärt-Zentrum. Skeptisch betrachtet die Welt das verkohlte Holz im temporären Notre-Dame-Zwilling. Der Standard staunt, wie beim Wiener Impulstanz-Festival Identitätsdiskurse aufgespießt werden. Außerdem würdigen die Feuilletons Primo Levi zum Hundertsten.

Nichtganzpornos und digitale Filmgedichte

30.07.2019. Thomas Ostermeiers Adaption des Ödön-von-Horváth-Romans "Jugend ohne Gott" von 1937 lässt die Theaterkritiker gähnen: Eine hochstilisierte Schultheateraufführung sah die FAZ. Wo sind die wilden Assoziationen, fragt die SZ. Die FR dagegen meint, egal wie, "Jugend ohne Gott" ist eine dringend nötige Warnung für die Gesellschaft. Neo Rauchs Karikatur über Wolfgang Ullrich wurde für 750.000 Euro versteigert: Siegerkunst, antwortet Ullrich in seinem Blog. Die FAZ meldet fröhlich von einer Mailänder Tagung: Eine Klassikkrise gibt es gar nicht.

Die lange Tradition femininer Nekroästhetik

29.07.2019. Peter Sellars' Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" in Salzburg fällt - trotz Diversity auf der Bühne - bei den Kritikern durch. Lob gibt's aber für Dirigent Teodor Currentzis ebenso wie für eine Koloraturblitze schleudernde Nicole Chevalier als Elettra. Die Tanzkritiker würdigen den am Samstag verstorbenen Choreografen Johann Kresnik. Im Tagesspiegel plädiert Comicautorin Martina Schradl für mehr queere Comics. Die taz übt mit der Künstlerin Aenne Biermann die Vertrautheit mit den Dingen. Zeit online lässt sich vom iranischen Filmregisseur Mohammad Rasoulof die Strafverhandlung gegen ihn schildern.

Keinen Augenblick unberührt

27.07.2019. Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten, aber gegen das Artensterben können wir noch etwas tun, sagt Jonathan Franzen in der Literarischen Welt. Dann ergeht es dem posthumanen Menschen eben wie dem gelben Stinkkohl, lernt der Tagesspiegel bei Heather Philippson im Martin-Gropius-Bau. Die New York Times kritisiert die Entscheidung der George-Washington-Schule, Wandgemälde zu übermalen, weil sie schwarze Sklavenarbeiter zeigen. Die SZ erfährt bei Rachel Kushner, wie verkommen die demokratischen Systeme des Westens inzwischen sind. Und die Theaterkritiker feiern Tobias Kratzers "Tannhäuser" in Bayreuth.

Ein paar Minuten - aber Weltgeschichte!

26.07.2019. Die Welt lacht über Tobias Kratzers "Tannhäuser" als kaputten Typen, vermisst aber Liebe und Religion in Bayreuth. Für die nachtkritik trifft Kratzer dagegen ins Schwarze. Ebenfalls in der Welt erklärt "Face-it"-Regisseur Gerd Conradt, wie er sich gewaltlosen Widerstand gegen die Überwachung durch Gesichtserkennung vorstellt. In der FAZ beklagen die Literaturwissenschaftler Martin Kagel und William C. Donahue eine Literaturkritik, die den Schwanz vor den Buchhändlern einkneift. Ausgerechnet im jordanischen Amman gibt es ein Festival für Street Art, erzählt die NZZ.

Schier endloser Atem

25.07.2019. Die SZ wünscht sich für München eine Stadtverdichtung à la Herzog & de Meuron, Hochhäuser inbegriffen. Außerdem bestaunt sie den "Tod einer Dame", den der isländische Künstler Ragnar Kjartansson in Stuttgart inszeniert. Die Berliner Zeitung lauscht dem deutschen Klang des Komponisten Heinrich Schütz. Die Opernkritiker applaudieren Barrie Koskys nüchterner Inszenierung der Händel-Oper "Agrippina". Die Filmkritiker trauern um den Schauspieler Rutger Hauer.

Himmelfahrt und Höllensturz

24.07.2019. Die Feuilletons trauern um Brigitte Kronauer, Peter Hamm und Art Neville. Die Berliner Zeitung staunt in der Leipziger Ostkunst-Ausstellung "Point of No Return", wie einig sich Staatskünstler und Dissidenten einst waren. Die Filmkritiker erliegen der flirrenden Intensität von Pedro Almodóvars autofiktionaler Nostalgiereise "Leid und Herrlichkeit". In der SZ erklärt Peter Sellars, weshalb er in seinem "Idomeneo" bei den Salzburger Festspielen ganze Arien strich: "Wir haben nicht 1936".

Heilung auf dem Dancefloor

23.07.2019. Die neue musikzeitung hört beim Festival in Erl in Walter Braunfels' "Die Vögel" ein paar verträumte Künstler scheitern. Hyperallergic bekommt Gänsehaut vor den Bildern Amy Bennetts. Die SZ lernt in Kattowitz die Geschichte des polnischen HipHop. The Quietus stellt fest, dass Spike Lees dreißig Jahre alter Film "Do The Right Thing" durchaus noch revolutionäres Potential hat.

Venedig aus Seifensplittern

22.07.2019. Die Jungle World hört afrikanische und europäische Musiker im "Africa Express". In der NZZ erklärt der der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto, warum "Identität" für ihn ein nutzloser Begriff ist. In lensculture umwickelt die finnische Künstlerin Anna Reivilä ihre land art. Die NYRB lernt in einer New Yorker Ausstellung, welchen Einfluss antike Tanzdarstellungen auf die Ballets Russes hatten.

Linie, Linie, Linie

20.07.2019. Bei Beethoven brennt der Rücken, erzählt der Pianist Igor Levit in der NZZ. In der Welt diagnostiziert Thomas Wörtche eine Informationsdelle im Kriminalroman. Martin Parr kann auch freundlich, und das ausgerechnet bei deutschen Kleingärtnern, staunt die SZ in einer Ausstellung des britischen Fotografen. Monopol besucht die Künstlerin Miriam Cahn in ihrem Atelier.

Als wäre man ganz Auge

19.07.2019. Luc Bessons coole Killerinnen haben sich irgendwie überlebt, findet die SZ. Phoebe Waller-Bridges' bitterböse Mörderinnen mit Sex-Appeal liegen dagegen im Trend, versichert die NZZ. Zeit online unterhält sich mit der queeren Schriftstellerin Eileen Myles. Die FAZ beobachtet Perfomance-Kunst durch eine VR-Brille. Die taz hört Rock'n'Roll-Musikerinnen. 

High-Five ans Universum

18.07.2019. In der SZ erklärt der russische Regisseur Pawel Lungin, warum er einen Film über den Abzug russischer Soldaten aus Afghanistan drehen wollte. Außerdem hört sie "fOnk" von Georgia Anne Muldrows. Hyperallergic sieht die Welt mit den Augen des Arte-Povera-Künstlers Jannis Kounellis. Der Tagesspiegel stellt die deutsche Künstlergruppe "Vereinigung der XI" vor.

Der Tarnumhang ihrer Träume

17.07.2019. Aktualisiert: Die italienischen Medien trauern um Andrea Camilleri, der im Alter von 93 Jahren gestorben ist. Der Tagesspiegel denkt über fremd gewordene Heimat nach im Bucerius Kunst Forum. Die SZ feiert das fotorealistische Spektakel von Jon Favreaus Film "König der Löwen". Der Tagesspiegel sehnt sich dagegen nach dem derangierten Charme des Originals. In der FAZ würdigt der Filmwissenschaftler Johannes Rhein die Shoah-Filme Arthur Brauners.

Faktoren der Instabililität

16.07.2019. Hyperallergic berichtet, wie massiv Peking auf einmal gegen die Kunstszene der Stadt vorgeht. Die SZ lernt vom Atelier Loidl, dass soziales Park-Design nur ohne Distanzgrün funktioniert. Die taz stemmt sich gegen die Versuche von rechter Seite, den Asphaltliteraten Jörg Fauser für ihre Systemfeindlichkeit zu vereinnahmen. Im Konzertsaal zählt nicht mehr anerkennender Applaus, konstatiert die NZZ, sondern der eksatische Begeisterungssturm.

Natürlich will Ortlieb nicht sterben

15.07.2019. Der Standard steht in Bregenz mit Thomas Schütte vor kolossalen Männern im Matsch. In Thomas Melles Nibelungen-Variante "Überwältigung" erleben FR und SZ in Worms das Protestkind for Future.  Die FAZ fragt, ob der digitale Angestellte des Amsterdamer Filmmuseums, Jan Bot, Autor seiner Filme ist. Die NZZ erfährt, welche beiden roten Linien in Chinas Literatur nicht überschritten werden dürfen.

Tanzen heißt geschmeidig werden

13.07.2019. Die SZ verschlingt die Körperbilder der Miriam Cahn in München. Die Berliner Zeitung schwelgt im Potsdamer Museum Barberini lieber in barocken Leibern. Die nachtkritik folgt Christiane Mudra auf dem Weg eines Attentäters durch München. Jungle World amüsiert sich über Vanessa Paradis als Pornoregisseurin. Und die taz tanzt mit Yabby You und King Tubby durch ein leidendes Kingston dem Weltuntergang entgegen.

In Sound baden

12.07.2019. Europa war schon immer ein Netzwerk, lernt die FAZ im Prado in der inspirierenden Ausstellung "Velázquez, Rembrandt, Vermeer". Weniger Stil als Stilblüte sieht Zeit online in David Chipperfields James-Simon-Galerie für die Berliner Museumsinsel. Die SZ fragt angesichts bekleideter Liebespaare: Seit wann geht es im Film so prüde zu? Die taz lässt sich von Caspar Brötzmann die Ohren frei pusten.

Wie diese Orgel atmet!

11.07.2019. Die SZ staunt in einer Innsbrucker Ausstellung über die originelle, in die Zukunft blickende Architektur von MVRDV. Außerdem porträtiert sie die Künstlerin Henrike Naumann, die mit alten Möbeln über die deutsche Einheit nachdenkt. Die taz lobt Thomas Vinterbergs Film über die Tragödie des russischen U-Boots "Kursk" als Etüde des Abschiednehmens, die SZ lernt einiges über die Inkompetenz der russischen Marinefunktionäre. Die Zeit unterhält sich mit der Künstlerin Miriam Cahn. Und in der nmz erklärt Regisseur Tobias Kratzer den Unterschied der beiden Tannhäuser-Fassungen Wagners.

Lust am großen Krach und groben Ton

10.07.2019. Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss bekommt den Georg-Büchner-Preis. Bei den Kritikern stößt die Entscheidung auf ein geteiltes Echo: Die Welt lobt seine sprachlich und gedanklich konzentrierten Werke, die taz stört sich jedoch an seiner Neigung zur Abwertung der Gegenwart. Der Guardian hinterlässt einen schmutzigen Fußabdruck in der Olafur-Eliasson-Schau in der Tate Modern. Die NZZ erzählt, wie die HBO-Serie "Chernobyl" die russische Öffentlichkeit aufstöbert. Und die SZ schwebt im Glück mit Abdullah Ibrahims neues Album.

Was wir machen, ist immer sexy

09.07.2019. In der taz blickt Nan Goldin auf einige ziemlich erfolgreiche Aktionen gegen die Sackler-Familie zurück. Der Tagesspiegel zündet mit David Chipperfield die vierte Stilstufe auf der Museumsinsel. Die Tell-Review  unterhält sich mit dem serbisch-ungarischen Schriftsteller Zoltán Danyi über die Bedeutung des erzählerischen Rhythmus'. In der NZZ holt der Belgier Christophe Slagmuylder die transnubische Donaustadt zurück nach Wien. Auf ZeitOnline erklärt der Musiker Ezhel, was türkischen Rap von migrantischem DeutschRap unterscheidet. Und Aktuell: Lukas Bärfuss erhält den Büchner-Preis.

Er kam mit einem Bauchredner

08.07.2019. Der Guardian bedankt sich bei den deutschen Kritikern, die David Chipperfield auf der Museumsinsel zu Höchstleistungen marterten. Artechock sticht in den Filz der kriselnden deutschen Filmbranche. Die FR macht es sich mit Jörg Fauser ungemütlich. Die NZZ schreibt zum Tod des  wahren Filmmoguls Artur Brauner. taz und Welt wiegen sich ein letztes Mal mit João Gilberto zu den melancholischen Klängen des Bossanova.

Werkstatt der Intimität

06.07.2019. Critic.de feiert die Pionierinnen des Film Noir, allen voran die großartige Ida Lupino. In der SZ drückt Filmregisseur Jan-Ole Gerster das kleine Wiener Männchen auf seiner Schulter. Die FAZ besichtigt angeregt negative Räume im ZKM Karlsruhe. In der taz erklärt der Schriftsteller Antonio Ortuño, warum Action die mexikanische Realität nicht erfassen kann.

Reiseführer in die Paradoxien

05.07.2019. Mit den neuen Folgen der Netflix-Serie "Stranger Things" fühlt sich Zeit online in eine planlose Weißt-du-noch-Revue versetzt. In der taz erklärt der Musiker Billy Childish, wie man mit antikommerziellen Späßen sein Publikum los wird. In der FAZ fürchtet Heiner Farwick vom Bund Deutscher Architekten die Folgen des EugH-Urteils für die deutsche Architektur.

Das Drama der Ungefälligkeit

04.07.2019. Die SZ feiert die Farben der russischen Avantgarde-Künstlerin Natalja Gontscharowa, die Welt die Künstlichkeit des Felix Vallotton. In der NZZ erklärt uns die Übersetzerin Akram Pedramnia die Codes der iranischen Literatur. Es lebe das utopische Potenzial, ruft die nachtkritik und lehnt jede Indienstnahme des Theaters für einen politischen Zweck ab. Die Filmkritiker gratulieren Roland Klick, dem Säulenheiligen einer widerständigen Filmkultur von unten, zum Achtzigsten.

Wachaugemäß trunken schief

03.07.2019. Hyperallergic sucht die Sinnlichkeit in Anne Imhofs ultra-hipper Millenial-Ästhetik. Die SZ feiert mit Jannis Kounellis die Schlichtheitsideale südeuropäischer Großmütter. Außerdem bewundert sie die verdrehte Landesgalerie im niederösterreichen Krems. Die NZZ schreibt eine Poesie der ersten Sätze. Die Welt blickt auf die sich selbst erschöpfende Blockbuster-Industrie. Und ZeitOnline staunt über die Beiläufigkeit, mit der das Coming-Out des Rappers Lil Nas X quittiert wurde

Ein Mikrokosmos der Bourgeoisie

02.07.2019. Die taz probiert auf der Berliner Fashionweek Mode Stoffe aus Algen und Brennnesselfasern. In der FAS blickt Rachel Kushner auf die Brutalität unserer nahen Zukunft. Die Nachtkritik erlebt am Münchner Volkstheater, wie man den Pessimismus von Euripides noch übertreffen kann. Die FAZ wünscht der Mailander Scala, dass ihr neuer Intendant die Freunden des leidenschaftlichen Gesangs aufscheucht. Die Jungle World besucht mit der Sibylle die schönen hellen Neubauviertel. Und die Welt donnert in Richtung Mathildenhöhe: Jugendstil ist nicht der Vorläufer des Bauhaus.

Möwen im Allgemeinen und in Cuxhaven

01.07.2019. Birgit Birnbacher gewinnt den Bachmannpreis-Wettbewerb, und die Kritiker fragen sich, wie vorhersehbar ein Text über eine Philosophin ist, die mit Ende 30 in prekärer Selbständigkeit lebt. In der Welt sehnt sich Joachim Lottmann nach mehr Bewegung in Klagenfurt. Die NZZ bemerkt bei Peter Zumthor eine ganz neue Extravaganz.  Die FAZ erinnert daran, wie das Bauhaus Kasimir Malewitsch die kalte Schulter zeigte. Der Freitag erlebt in Chinas neuem Blockbuster-Kino eine  starke Nation mit eisernem Willen, aber ohne Humor. Und Heise steckt noch mal eine Kassette in den Walkman.