Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2017

Dieses "Kopf ab!"-Geschrei

30.11.2017. In der Zeit erzählt der Jazzmusiker Tyshawn Sorey, was seine Kunst mit Meditation zu tun hat. Die nachtkritik stellt drei Inszenierungen vor, die sich mit dem Rechtspopulismus dort auseinandersetzen, wo es weh tut. In der Berliner Zeitung wundert sich Matthias Lilienthal über die Wiederauferstehung des Ensemble-Theaters als Anti-Globalisierungs-Revoluzzer. In der NZZ denkt Orhan Pamuk über Erinnerungen nach. So einfallsreich war die German Angst noch nie, jubelt die Berliner Zeitung über Baran bo Odars erste deutsche Netflix-Serie "Dark".

So geht elitär!

29.11.2017. Auf Screen Daily bringt Tom Tykwer die Frage auf, ob Berlinale-Jahrgänge jemals so schlecht gemacht waren wie manche Berichte über Dieter Kosslick. Die NZZ hätte gern von Reinhard Jirgl gewusst, warum er sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht. Der Standard verbringt mit dem Theaterkollektiv Signa eine ziemlich lustige Nacht in einem Hamburger Obdachlosenheim. Die taz feiert eine vorbildlich krititisch kuratierte Schau lateinamerikanischer Kunst im Frankfurter MMK. Und die SZ feiert die japanische Architektur des Verschwindens.

Der ganze Museumsplunder

28.11.2017. Die taz zelebriert mit der Galerie BRD das Ende der Koketterie. Die SZ fragt, wann die Ballettwelt endlich Hetero-Ästhetik und Kavaliersgetue entsorge. Die Presse lässt sich Lebenskraft von einem Trophäenkopf im Wiener Weltmuseum spenden. Ganz richtig findet die Berliner Zeitung, wie falsch Olivier Py die Choräle der Wiedertäufer in Meyerbeers Oper "Le Prohète" klingen lässt. Critic.de stürzt sich voller Begeisterung mit Marvens Krens Serie 4 Blocks" in die lupenrein böse Welt einer Neuköllner Rockergang.

Kniefall vor dem Publikum

27.11.2017. Mit dem Aufruf der Filmemacher sieht FAZ die Berlinale in einer veritablen Krise. Die FR erklärt, dass die Suche nach einer Kosslick-Nachfolge auch deswegen so schwer ist, weil der Filmbetrieb kein Interesse an Kunstvermittlung hat. Die NZZ stellt Südafrikas Lyriker der Born-Free-Generation vor. Und die taz erkundet die Heavy-Metal-Szene im Libanon.

Es geht um eine künstlerische Debatte

25.11.2017. Im Tagesspiegel fordert Regisseur Christoph Hochhäusler für die Nach-Kosslick-Zeit endlich wieder ein Profil der Berlinale-Sektionen. Tagesspiegel, Artechock und Berliner Zeitung diskutieren mit. Die Welt sucht nach einem Motiv hinter Modiglianis Nackten. Niemand hat den weiblichen Orgasmus so gut beschrieben wie D.H. Lawrence, versichert Catherine Millet in der taz und dankt dafür Lawrences Frau Frieda. Die SZ grübelt über den "erweiterten Kunstbegriff". In der NZZ umkreist Alain Mabanckou den Identitätsbegriff im postkolonialen Zeitalter. 

Elektrische Gedanken

24.11.2017. In Berlin stellte Frank Castorf mit gegenwartskritischem Widerwillen in der Stimme seine geplante, sechseinhalb Stunden lange Inszenierung von Victor Hugos "Die Elenden" am BE vor. Die NZZ wandert mit Monteverdi, Schostakowitsch und Mozart im Ohr durchs Victoria & Albert Museum. Die taz hörte eine Hommage auf die Sängerin Barbara. Im Perlentaucher fordert Lukas Foerster mehr Experimentierlust der Berlinale nach Dieter Kosslick. Nachtrag: Auf SpiegelOnline fordern 79 Regisseurinnen und Regisseure eine internationale, paritätisch besetzte Findungskommission für die Kosslick-Nachfolge.

Schlag in den Nacken

23.11.2017. In der Berliner Zeitung verteidigt Philipp Ruch seine Mahnmal-Aktion im Garten neben Björn Höcke: Wir leisten Nachbarschaftshilfe. Die Feuilletons sind wenig beeindruckt. Mahn­mal-In­itia­to­rin Lea Ro­sh findet die Aktion dagegen prima. In der NZZ denkt Saša Stanišić über die Bedeutung von Herkunft nach. Der Freitag sucht einen Nachfolger für Dieter Kosslick, möglichst nicht aus der Filmförderung. Der Perlentaucher feiert Kathryn Bigelows "Detroit" als Anti-Tarantino. Zeit online wird mit Björk zum Rainer Langhans.

Die Anmut einer Bach-Fuge

22.11.2017. Die New York Review of Books stellt nach einem Besuch der Anni-Albers-Schau im Guggenheim Museum klar: Textilkunst ist Kunst, nicht Handarbeit und nicht Kunsthandwerk. Die SZ begutachtet das schöpferische Handwerk des Fotografen Werner Mantz. Die NZZ lauscht Martha Argerich beim entfesselten Selbstgespräch. Außerdem bringt sie Hintergründe zum Eklat um den Schweizer Buchpreis. Die taz lässt sich noch einmal von Peter Brooks großem Welttheater in den Bann schlagen.

Die B-Seite zum Soundtrack der Moderne

21.11.2017. Die Berliner Zeitung singt beim Berliner Offshore Festival mit Virginie Despentes eine Ode auf die Hässlichen, Fetten und Armen. Die SZ erlebt im Palazzo Strozzi, wie mit der Gegenreformation Bilder von weltlichen Frauen aus der Kunst verschwanden. In der FAZ beklagt Lukas Bärfuss die Verfilzung des Schweizer Literaturbetriebs. Die Welt wundert sich einmal mehr über die Naivität der Popkultur. Die NZZ preist die Architektur des Südtiroler Rationalisten Armando Ronca. Außerdem entscheidet sich in Brüssel, ob Mediatheken national begrenzt bleiben.

Zwischen den Backen eines Schraubstocks tanzen

20.11.2017. In der SZ wiegelt Wolf Prix Nachfragen zu unwürdigen Arbeitsbedingungen auf Großbaustellen mit dem Verweis auf die Machtlosigkeit von Architekten ab. Im Standard erzählt Jette Steckel, wie sich das Theater prostituiert. Beschämt erlebt der Standard danach ihre Ibsen-Inszenierung "Ein Volksfeind" am Burgtheater. Die FAZ schaut hinter die Kulissen der Affäre von Henry Kissinger und Ingeborg Bachmann. In der SZ denkt Herbie Hancock über die Kreativität von Androiden nach. Und alle trauern um Malcolm Young.

Hinter dem Autorenschwall

18.11.2017. Der Tagesspiegel erlebt in der Ausstellung "Queer City" wehmütig, wie freizügig das Leben in Sao Paulo einst war. In der FAZ erklärt Jonathan Franzen, warum er lieber keinen Trump-Roman schreibt. In der taz erzählt Fatih Akin, weshalb er in seinem neuen Film mit Diane Kruger eine blonde Weiße als Rächerin besetzt hat. Der Standard bewundert in Wien die Schönheit von Falten. Morbide und ziemlich französisch finden die Kritiker das neue Album von Charlotte Gainsbourg. Und die FAZ warnt vor Smart Cities als bewohnbaren Suchmaschinen.

Traumhaft synchron

17.11.2017. "Obszön" finden die Feuilletons das 450 Millionen Dollar Gebot für den da Vinci, der möglicherweise nicht mal aus der Hand des Künstlers stammt. Die Kritiker sind sich uneins: Ist Morrissey ein Apologet des Rechtspopulismus oder nur eine eitle Protestdiva? In der Nachtkritik erzählt Thomas Ostermeier, dass den SchauspielerInnen an der Schaubühne das Mitbestimmungsrecht zu wenig Sex-Appeal hatte. Und der Tagesspiegel blickt mit Barbara Wolffs Fotografien auf beide Seiten der Mauer.

Die Essenz unseres eigenen Potenzials

16.11.2017. Jeff Koons, der die heutige Ausgabe der Welt gestaltet hat, erklärt im Interview, was Picasso, Boucher und da Vinci gemeinsam haben. Der Freitag staunt, wie schön die Flüchtlingsboote vor der Kamera Ai Weiweis aussehen. Auf Zeit online und in der nachtkritik streiten Regisseurin Amy Stebbins und Dramaturg Sebastian Huber über Ayad Akhtars Bühnenstück "Geächtet". Die Zeit stöbert mit Begeisterung durch 60.000 Briefe Felix Mendelssohn Bartholdys. Die taz feiert den Spirit des Jazzsaxofonisten Pharoah Sanders.

Der Rausch solcher Erleuchtung

15.11.2017. SZ und Zeitonline sind sich uneins: Ist Jan Henrik Stahlbergs "Fikkefuchs" der wichtigste deutsche Film des Jahres oder ein frauenfeindliches Machwerk? Auch Theaterkriege sind nur Theater, beruhigt Chris Dercon in der NZZ. In der FR ahnt die Schriftstellerin Nnedi Okorafor: Wenn Aliens in Afrika landen, dann zuerst nach Lagos. Die taz testet schon mal afrikanische Kolonien im Weltall.

Mit desillusioniertem Zorn

14.11.2017. Wie man eine aufregende Ausstellung zur Oktoberrevolution kuratiert, lernt der Guardian in der Tate Modern. Die FAZ hat ein echtes Bildungs­er­leb­nis im Bode-Museum, das in der Ausstellung "Unvergleichlich" europäische und afrikanische Kunst nebeneinander stellt. ZeitOnline vermisst beim Berliner Open Mike das Untergründige. Die Jungle World feiert Ali Soozandehs Rotoskopie-Film "Teheran Tabu". Und in der NZZ betrachtet Ai Weiwei das Schöne und das Dunkle der Flüchtlingsströme.

Nicht mal ein Fegefeuerchen

13.11.2017. Mit gefletschten Zähnen stürzen sich die Feuilletons auf Chris Dercons Volksbühnen-Auftakt: Die FAZ möchte sich beleidigt auf die Seite der Besetzer schlagen, nur Zeitonline meint: "Geil!" Die SZ stellt fest, wie die Becher-Marke ihre Klasse korrumpierte. In Alejandro Inarritus Virtual-Reality-Installation "Carne y Arena" wird sie selbst zum Flüchtling. Der Standard schaut sich Potemkinsche Dörfer in Russland an. Und die NZZ verfällt dem kosmischen Gefühl von Wolfgang Laibs Blütenpollen.

Auf der Kippe von Erleuchtung und Delirium

11.11.2017. Die Kritiker sind zur Eröffnung des Louvre nach Abu Dhabi gereist: Alles politisch korrekt, findet die FAZ. So reingewaschen wie die Emirate es mögen, meint die SZ. Hin- und hergerissen lesen Tagesspiegel und Berliner Zeitung den neuen Roman von Peter Handke. Die taz blickt mit Malick Sidibe in Paris wehmütig auf vergangene Freiheit in Mali. epdFilm fragt, wieviel UFA noch im deutschen Kino steckt. In der Nachtkritik kritisiert Monika Grütters Spardruck und Kritikereminenzen im Feuilleton.

Der eigene lustvolle Blick

10.11.2017. FR und Tagesspiegel feiern Rahul Jains Dokumentarfilm "Machines" über eine indische Färberei. Zeitonline erklärt den Öffentlich-Rechtlichen, was sie in puncto Dokumentarfilm von Netflix lernen können. Reicht es schon rassistische Stereotype zu reproduzieren, fragt die taz beim Spielart-Festival, das sich postkolonialen Diskursen widmet. Die NZZ empfiehlt Facebooks Sittenwächtern ein Studium der Kunstgeschichte. In der taz sinniert der Rock'n'Roller Ian Svenonius über die Macht von Popkultur im Kalten Krieg.

Anmaßung pur

09.11.2017. Wie rüde, aber auch wie grandios brutalistische Architektur sein kann, lernt die FR in einer Ausstellung. Kino-Zeit lernt in Ulrike Pfeiffers Porträtfilm über den Avantgarde-Filmer und Wahrnehmungsforscher Werner Nekes einen echten Universalgelehrten kennen. In der Popzeitschrift fragt Wolfgang Ullrich, ob Künstler wie Philipp Ruch und "identitäre" Aktionisten wie Martin Sellner den selben Schönheitsbegriff teilen. Die PiS kann Polens Kulturinstitutionen zwar zerstören, aber neu aufbauen gelingt ihr nicht, erklärt im Gespräch mit der nachtkritik Theaterregisseur Jan Klata. Die neue musikzeitung berichtet vom George-Enescu-Festival.

Ein Bo­te, dem die Ho­se brennt

08.11.2017. In der NZZ bekennt Jonathan Franzen: Donald Trump erzeuge bei ihm nichts als große Leere. Die FAZ besichtigt auf der Architekturbiennale Chicago das Drama der Bodenpreise. Die SZ feiert in Bologna noch einmal die Fotografie der Arbeit. Die taz arbeitete sich beim Berliner Jazzfest freudig durch mehrere Schichten gestapelte Klangflächen. Auf ein sehr geteiltes Echo stößt George Clooney mit seinem Vorstadt-Drama "Suburbicon". ZeitOnline erkundet unsere Komplizenschaft mit Kevin Spacey.

Schreiben und dann bis sieben Uhr schlafen

07.11.2017. Die FAZ erlebt mit dem Fotografen Alec Soth in den Hamburger Deichtorhallen die erschütternde Einsamkeit der Menschen am Mississippi. Reinen Genuss beschert Sebastian Baumgarten der NZZ mit seiner "Mahagonny"-Inszenierung in Zürich. Bei Milo Raus Generalversammlung imponiert der taz die durchtrainierte Professionalität von BerufspolitikerInnen. Außerdem ahnt sie, warum Smartphones zu protzigem Branding in der Streetwear führen. Die SZ blickt noch einmal auf das literarische Frankreich, das seine großen Preise vergeben hat.

Echsenäugige Extremmenschen

06.11.2017. Die FR lässt sich von Milo Rau an der Schaubühne den aussichtslosen Zustand der Welt erklären. In der Zeit fürchtet sich auch Daniel Kehlmann vor vormodernen Zeiten. Die FAZ verliebt sich in den frühen Axel Hütte. taz und NZZ staunen, wie gut Bob Dylan und Jesus zusammen klingen. Die taz schaut sich in der japanischen Filmszene um.

Eine Art sinnlicher Intelligenz

04.11.2017. In der Jüdischen Allgemeinen erzählt Max Czollek, Organisator der "Radikalen Jüdischen Kulturtage", wie es sich für Juden in Deutschland anfühlt, immer auf Antisemitismus, Schoa und Israel reduziert zu werden. taz und Nachtkritik erleben beklommen, wie Sasha Marianna Salzmann und Sivan Ben Yishai das Gefühl jüdischer Desintegration im Gorki Theater inszenieren. In der taz wünscht sich die Autorin Yaa Gyasi, dass Literatur schwarzer Schriftsteller auch jenseits der Themen Diskriminierung und Sklaverei wahrgenommen wird. FAZ und FR entfliehen mit Jil Sander in Frankfurt dem Alltag. In der taz erklärt der Schriftsteller China Mieville, warum Trump und Putin nicht mal gute Monster sind.

Den Leser zum Weinen bringen

03.11.2017. Der Guardian stellt unbequeme Fragen: Ist es in Ordnung, das antisemitische Ende eines Shakespeare-Stücks zu ändern? Und darf man Bilder von Menstruationsblut in der U-Bahn zeigen? Zeitonline liest von Künstlicher Intelligenz verfasste Kurzgeschichten aus Japan. Das artmagazin erlebt bei der Off-Biennale in Budapest eine Gegenwelt zur reaktionären Stimmung in Ungarn. In der taz spricht Lars Eidinger über sein erstes HipHop-Album.

Vulkanisch rülpsende Klangströme

02.11.2017. Wo bleibt die Aufarbeitung der Schuld der Museen, fragen sich die Kritiker nach dem Besuch bei der "Bestandsaufnahme Gurlitt" in Bonn und Bern. Auch der NS-Kunstsammler kommt ihnen zu gut weg. In der Zeit fordert der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, verpflichtende Restitution auch für private Sammler. In der Nachtkritik plädiert der Dramaturg Necati Öziri für politisches Theater jenseits weißer Denksysteme. Die Kritiker vergeben Bestnoten für Nicolas Wackerbarths Fassbinder-Experiment "Casting".

Zum Gott geadelt durch die Kunst

01.11.2017. Die taz feiert die Rückeroberung des öffentlichen Raums bei der Biennale in Karatschi, allerdings nur unter Polizeischutz. Außerdem genießt sie den akademischen Jazz des Komponisten Tyshawn Sorey. Die FAZ bewundert im Brüsseler Théâtre de la Monnaie, wie Antonello Manacorda einen Teenager bändigt. Die NZZ erzählt von der verrückten Liebe der Iraner zur Dichtung. Der Standard wäre in Wien vornehmer Auktionsgesellschaft beinahe auf Trophäenjagd gegangen.