Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2016

Paradigmenwechsel des Sitzens

31.12.2016. Das Vulgäre ist gesellschaftsfähig geworden, lernt die NZZ im Londoner Barbican. Ebenfalls in der NZZ gewährt César Aira Einblick in seinen Schreibprozess. Das Möbeldesign ist im Neowattezismus angekommen, konstatiert die SZ. Im Museum Berggruen staunt sie außerdem über die faszinierenden Verbindungen zwischen den Gemälden von George Condo und den Meisterwerken der Moderne. Juan S. Guse interpretiert für die FAZ UN-Resolutionen als literarisches Großprojekt. Und die taz beschwört noch einmal die Toten von 2016.

Der Fünfte im Bunde

30.12.2016. Selbst die deutsche Filmförderbürokratie kann nicht alle Meisterwerke verhindern, freut sich der Freitag mit Blick auf die deutschen Highlights von 2016. Die Berliner Zeitung plädiert dafür, zugunsten der Schauspieler die Intendanten zu entmachten. Die NZZ macht sich Gedanken, wie sich Metropolen in den nächsten Jahrzehnten auf den Zuzug von 2,5 Milliarden Menschen vorbereiten könnten. Und die taz stellt die Hardcore-Veteranen Chicagoer Hispanic-Punkband Los Crudos vor.

Alle moderne Kunst ist Reflexionskunst

29.12.2016. Die Filmkritiker feiern Whit Stillmans Adaption von Jane Austens Briefroman "Lady Susan" als gelungene Mischung aus Screwball-Komödie und Austens Bissigkeit. Die SZ fragt: Wann erlischt das Urheberrecht an einem Schauspielerkörper? Der Welt imponiert der kalte Blick Arnold Gehlens auf die moderne Kunst. In der Zeit schildert Max Goldt den Interessenkonflikt zwischen Leser und dem Autor. Die Berliner Zeitung blickt zurück auf das politischste Jahr in der Popmusik seit langem. Und Debbie Reynolds ist nur einen Tag nach ihrer Tochter Carrie Fisher gestorben.

Unerhörte Pupperlwirtschaft

28.12.2016. Der Standard bewundert in einer fantastischen Schau in Wien die Werke dilettantischer Hofratstöchter. Die NZZ beklagt, dass kaum arabische Gegenwartsliteratur ins Deutsche übersetzt wird. Die SZ bricht eine Lanze für die Gier als ekstatisches Moment der Erkenntnis. Die taz besucht die verödeten Baustellen westlicher Museen in den Arabischen Emiraten. Und mit Variety trauern alle um die im Mondlicht ertrunkene Carrie Fisher.

Schweiß, Tränen, Machismo

27.12.2016. Die Feuilletons trauern über George Michael, den Meister des Eklektizismus und traurigsten Rebellen der achtziger Jahre. Die NZZ erkundet Humanismus und Sadismus in Giacomettis Skulpturen. Die Jungle World besucht das queere Filmfestival Uganda. Und die Welt erlebt in München ein ruhmvolles Stück sowjetischer Panzerknackerästhetik.

Erstaunen im Kleinen, Lebensumsturz im Großen

24.12.2016. In der NZZ lässt sich Brigitte Kronauer überraschen. Der Tagesspiegel wirft im Münchner Haus der Kunst einen Blick auf die kosmopolitische Moderne der Nachkriegsweltkunst. In der taz erinnert sich Jutta Voigt an das süße Leben der DDR-Boheme und Doris Akrap an das ätzend enge Leben ihrer Arbeiterfamilie. Die Spex diskutiert über Pop als Ersatzreligion

Und Jesus wippt mit der Dornenkrone

23.12.2016. Der Standard betrachtet die weibliche Perspektive der französisch-amerikanischen Experimentalfilmerin Babette Mangolte. Die FAZ erfreut sich über Weihnachten an Winnetous idealer Nacktheit. Die taz feiert eine Compilation mit deutschsprachiger Kirchenrockmusik aus den Siebzigern als sensationell tanzbar. Und das Blog Fandor stellt seine liebsten Videoessays 2016 vor.

Vor der besten Biene

22.12.2016. Schönheit und Oberfläche: Die Filmkritiker streiten über Tom Fords Thriller "Nocturnal Animals". Kunst und Nähe: Der Guardian sieht neue Bilder aus Anders Petersens Fotozyklus "Cafe Lehmitz". Genauigkeit und Seele: Die Welt erinnert an den Dichteringenieur Heimito von Doderer. Temperament und Risiko: Die Zeit blickt auf hundert Jahre Bauhaus.

Ungewohnte Winkel entdecken

21.12.2016. Im Tagesspiegel verkündet Chris Dercon "radikales Repertoire" als sein Programm für die Volksbühne. Und: "Wir setzen das Prinzip Castorf fort." Die taz porträtiert den Choreografen Richard Siegal, der mit akademischem Spitzentanz die Schwerkraft aufheben will. In der NZZ erklärt Francis Kéré, wie Schönheit in die Architektur kommt. Und Vulture hofft auf eine Renaissance des Musikvideos.

Schauen statt handeln

20.12.2016. Die FAZ erklimmt ein riesiges Treppenhaus und blickt von oben auf ein infantilisierte New York und seine entmündigten Bürger. Die SZ lauscht in der Frankfurter Oper den dumpfen Trommelschlägen unseres Sprechens. Die NZZ erlebt in Bern, wie der Magier-Maler Paul Klee blinde Surrealisten sehen machte. Standard und taz bewundern in Wien die Naturmalerin Georgia O'Keeffe.

Das verlockende Lotterleben

19.12.2016. Die SZ freut sich im Iwalewa-Haus in Bayreuth über einen geborgenen Schatz: vierzig Jahre namibischer Popmusik. Und der Guardian richtet sich in Richard Murphys Edinburgher Schuhschachtel ein. Nur Journalisten werden nicht über Guy Krnetas Zürcher Medienstück "In Formation" lachen können, versichert die NZZ. FR und FAZ erleben in Tennessee Williams' "Glasmenagerie" eine Kollision mit dem Eisberg der Verzweiflung.

Licht und Dunkelheit und Täuschung

17.12.2016. Monopol sehnt sich vor den Afrika-Filmen des Künstlers und Schlingensief-Schülers Tobias Dostal zurück ins industrielle Zeitalter. In der NZZ erklärt Sibylle Lewitscharoff, warum sie Christoph Schlingensief hasste. Moviepilot blickt wütend zurück auf das Erfüllungsgehilfenkino im Jahr 2016. Die SZ feiert den Tänzer Sergei Polunin. Der Perlentaucher freut sich über die epochalen Ausstellungen zur Berliner Werkstatt für Photographie.

Ins menschliche Maß zurück

16.12.2016. Was ist britische Kunst? Darüber denkt die FAZ vor einem Paul Nash und der Guardian vor einem Turner nach. Der Freitag bewundert den neuen Film der Dardenne-Brüder, "Das unbekannte Mädchen", nach sechs Minuten Kürzung. Die NZZ erinnert an den Zürcher Literaturstreit. Die Berliner Zeitung erzählt, wie Dresden mit Kultur die hässlichen Pegida-Laute übertönen will.

Ins Morgen gerichtet

15.12.2016. Die NZZ bewundert in einer Zürcher Ausstellung den "Albrecht Dürer der Städte", den Fotografen Peter Bialobrzeski. In der Berliner Zeitung macht Regisseur Sergei Loznitsa seine Spiegelneuronen verantwortlich für seine Observierungskunst, die er zuletzt an KZ-Touristen erprobt hat. Die SZ hört sich durch eine 36 CDs umfassende Bob-Dylan-Box.

Eine andere Tiefenstruktur

14.12.2016. Einen Hauch transzendentaler Perfektion verspürt die NZZ in der großen Agnes-Martin-Schau im New Yorker Guggenheim. Die taz hört im Frankfurter Städel die Angstschreie der weißen Frau auf der Flucht. Die FAZ verfällt der Schönheit der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian. Außerdem kommt Gareth Edwards neuer Star-Wars-Film "Rogue One" in die Kinos: Die Welt genießt ihn als schmutziges Kriegskino, die SZ verzieht das Gesicht angesichts der ausgequetschten Zitrone. Der Freitag besucht in Paris lieber die schönste Rumpelkammer der Filmgeschichte.

Spielerische Entblößung

13.12.2016. Im NZZ-Interview setzt der in die Kritik geratene Intendant der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, auf Experimentierfreude und Penetranz. Die SZ erstatte Bericht vom indo-pakistanischer Filmkrieg. Die FAZ blickt Cornelia Schleime ins verschattte Augen, außerdem huldigt sie den labyrinthischen, aber geordneten Welten des chinesischen Science-Fiction-Autors Cixin Liu. Und die Spex gibt Entwarnung: Solange löst keine Kastrationsängste mehr aus.

Bügeln nicht mehr nötig

12.12.2016. taz und FAZ lassen sich im C/O Berlin an die Werkstatt für Photographie erinnern, die in den siebziger Jahren Kreuzberg und Amerika kurzschloss, Erwachsenenbildung und großen Aufbruch. In Simon Stones Baseler "Drei Schwestern" ist kein Satz von Tschechow übriggeblieben, die NZZ jubelt über diese "erhellende und subitle, rohe und elegante" Inszenierung. Auch die Nachtkritik zeigt sich geplättet. Weniger Anklang findet Hans Neuenfels' grob gestrickte "Antigone"-Aufführung in München. Leicht entsetzt kommentieren Welt und SZ die gesetzte Nobelpreis-Gala für Bob Dylan.

Zu samtiger Üppigkeit

10.12.2016. In der NZZ erkundet Thomas Hürlimann in einem mystischen Großessay die Gründe des Seins. In der SZ berichtet Chris Dercon von aggressiven Attacken auf seine Person. Die Welt bewundert schaudernd George Condos gestörte Bilder. Nach der Eröffnung der Barenboim-Said-Akademie in Berlin hofft der Tagesspiegel auf eine akkustische Nachjustierung des Pierre-Boulez-Saals. Und die Feuilletons huldigen jetzt Bob Dylan, der heute den Nobelpreis entgegennehmen lässt, als den Mann, der niemals da war.

Wetterleuchten im Olymp

09.12.2016. Die Musikkritiker pilgern in die Scala, wo Riccardo Chailly die Erstfassung von Puccinis "Madame Butterfly" mit dem Kalligrafenpinsel dirigiert. Dominik Graf und Christian Petzold bringen Kirk Douglas ein Ständchen zum Hundertsten. Die taz porträtiert die kubanische Schriftstellerin Wendy Guerra. Die SZ freut sich über einen neuen Konzertsaal für München, würde aber dort gern auch mal was Ungehörtes hören. Das Art Magazin besucht die Sighard-Gille-Ausstellung in Leipzig.

Sprache, Sake und Sex

08.12.2016. Das art Magazin staunt in einer von Georges Didi-Hubermann kuratierten Pariser Ausstellung, wie kraftvoll Künstler Proteste in den letzten 150 Jahren dokumentiert haben. Der Freitag staunt in einer Hamburger Ausstellung des Fotografen Peter Keetman, wie kraftlos die deutsche Nachkriegsmoderne heute wirkt. In der NZZ erinnert Dana Grigorcea daran, dass die arabischen Staaten für die Rumänen einst Sehnsuchtsorte der Freiheit waren. Die Zeit feiert den Schauspieler Michael Maertens. Die Filmkritiker feiern Hong Sang-soo als koreanischen Eric Rohmer. Die taz stellt im Interview Pionierinnen der Klangforschung vor.

Alle Ernste der Welt

07.12.2016. Die taz erkundet mit Regina Schmekens NSU-Fotoserie "Blutiger Boden" die Leerstellen, die der rechte Terror nicht nur in Dresden hinterlassen hat. Die Presse begegnet in Wien einem staatlich geförderten Karrieremonster. Die Welt protokolliert Chris Dercons Attacke auf die Deutschtümelei der Volksbühne. Der Freitag lässt sich von Jóhann Jóhannsson erklären, wie man das zeitliche Konzept der Außerirdischen in Musik verwandelt. Und Critic.de erlebt in "Salt & Fire" eine durch und durch herzogisierte Veronica Ferres.

Der Rockzipfel des Helden

06.12.2016. Der Guardian gratuliert Helen Marten zum Turner Preis. Im Tagesspiegel denkt die griechischen Schriftstellerin Amanda Michalopoulou an die Schiffbrüchigen in der Literatur. Der Filmdienst diagnostiziert eine Rückkehr zum Irrationalismus im amerikanischen Film. Die NZZ hört in Stuttgart Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt": die Inszenierung von Armin Petras ist ihr zu klamaukig, aber in der Musik grinst Offenbachs Spott subtil.

Diese Härte. Diese Komik.

05.12.2016. Am Berliner Ensemble drückt sich Robert Wilson vor Becketts "Endspiel". Dafür gibts viel Vaudeville. Die taz sieht in Berlin Blüten der Critical Whiteness blühen. Die NZZ reist mit der Schrifstellerin Elena Chizhova in der Transsibirischen Eisenbahn. In critic.de versucht Silvia Szymanski eine Rettung des Sex- und Erotikkinos. Der Tagesspiegel kommt bedrückt aus der Pariser Ausstellung "The Color Line" über die Geschichte der afroamerikanischen Kultur.

Interessante Sachen mit dem Stab

03.12.2016. Der Komponist Edu Haubensak gleitet mit der Musik seines Kollegen Gérard Grisey in den Hades, dorthin wo selbst das Echo erstirbt. Die taz staunt über die Reportagen von Jace Clayton alias DJ/rupture, der als musikalischer Humboldt-Reisender den Globus bereist. In der Berliner Zeitung plädiert Ulrich Khuon, Intendant am Deutschen Theater,  für einen Paradigmenwechsel an der Volksbühne - auch wenn Chris Dercon vielleicht nicht der Richtige dafür sei. Domus besucht eine Mailänder Ausstellung über die Entwicklung der abstrakten Moderne in Osteuropa. Das Art Magazin stellt den Fotografen Oliver Hartung vor.

40 Beispiele von Blut, Schweiß, Tränen

02.12.2016. Alles Meta heute. Die Presse watet durch alte Kunstskandale. Die Welt kneift sich im wieder aufgebauten Barberini-Palais in Potsdam. Im Merkur mailen sich Eva Geulen und Hanna Engelmeier über Peter Sloterdijks in Form eines Mailverkehrs verfassten Romans "Schelling-Projekt". Die FAZ gibt Hillary Clinton mit Bruce Springsteen Nachhilfeunterricht über den "Zorn der Leute". Und in einer Wiener Dramatisierung von Clemens J. Setz wird laut Standard die Welt zum Bild.

Jahrhundertfehler, Jahrhundertgeschenk

01.12.2016. Reflektierter Blockbuster oder Weihnachtsmärchen für weiße alte Männer - die Filmkritiker streiten über Clint Eastwoods Hommage an den Piloten "Sully". Die NZZ bewundert Herrn Juhls Sinn für Farben. Die Zeit rammt das von Herzog & de Meuron geplante Museum des 20. Jahrhunderts in den Boden: risikoscheu, bräsig und den öffentlichen Raum vernichtend. Die Presse legt ein Ei in einer kleinen Ausstellung des Urheberrechtsanwalts und Konzeptkünstlers Guido Kucsko.