Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2018

Das Schauspielerfleisch leuchtet

31.07.2018. Salzburg ganz groß: Auch Johan Simons' "Penthesilea"-Inszenierung mit Sandra Hüller und Jens Harzer haut die KritikerInnen um: So poetisch, intellektuell und lässig haben sie Kleists Stück noch nie gesehen. Der Guardian begegnet in der Ausstellung "Herstory" in Rochdale der weiblichen Seite der Kunstgeschichte.  In der Zeit verzweifelt Georg Seeßlen am Irrglauben des Kinos, mit Remakes in die große Zeit anknüpfen zu können.  Außerdem trauern die Feuilletons um Tomasz Stańko, den großen polnischen Jazzmusiker und Meister der Melancholie.

Wie Picasso, allerdings zu Fuß

30.07.2018. Triumph! SZ, NZZ und Tagesspiegel sind überwältigt von der litauischen Sopranistin Asmik Grigorians, die in Salzburg eine unbedingt und grausam liebende Salome gab. In der SZ erzählt Wim Wenders von seinen Skurpeln, für seinen Film "Grenzenlos" die Steinigung einer Frau in Szene zu setzen. Die FAZ erinnert daran, dass der in einem russischen Lager einsitzende ukrainische Regisseur Oleg Senzow vor 78 Tagen seinen Hungerstreik begann. Die NYRB feiert Brancusis atemberaubend schöne Abstraktionen.

Porträt der Verführung

28.07.2018. Noch als Puppe verkörpert Karl Böhm perfekt den Standesdünkel im klassischen Musikbetrieb, lernt die taz in Bregenz. Autor Viken Berberian stellt uns in der New York Review of Books Madame Moreau vor, die fallen konnte wie Pollock malen. Die FAZ guckt in zwei Mittelalter-Ausstellungen in eine Welt, ferner als der Mond. Die NZZ hört Musik mit künstlichen Ohren.

Herrlich vormärzlich

27.07.2018. Die Musikkritiker strömten in Scharen zum Bayreuther "Lohengrin": Die SZ staunt über die impressionistische Farborgie, die Christian Thielemann mit Wagners Musik veranstaltet. Großes Lob auch für die Sänger. Regisseur Yuval Sharon kommt sehr viel schlechter weg:  doppeltalentierte Wagner-Ahnungslosigkeit bescheinigt ihm die Berliner Zeitung. Tinkerbell möchte ihre Kostüme zurück, informiert Zeit online die Kostüm- und Bühnenbildner Rosa Loy und Neo Rauch. Im Interview mit dem Van Magazin berichtet die Autorin Asli Erdogan von der Drangsalierung erdogankritischer Musiker in der Türkei. Der Guardian träumt vom Künstlerleben in Pont-Aven.

Mir san Weltbürger, mir san Kosmopoliten

26.07.2018. In der taz feiert Franz Dobler das Trikont Label, ohne das Bayern auf dem kulturellen Stand von Ende Mai 1945 wäre. Im Standard wünschte sich Autorin Melanie Raabe etwas weniger Arroganz bei Kritikern und manchen Buchhändlern. Dissidenz ist, wenn man behauptet, man habe sein Gedicht auf den Penis des regierenden Autokraten tätowiert, lernt der Guardian von der Künstlerin Shilpa Gupta. Die FAZ sieht in Avignon Milo Raus Inszenierung "la Reprise" - brutal, aber ein Highlight, versichert sie.

Glück ohne Reue

25.07.2018. Die FAZ bewundert die kraftvolle blackness der schwarzen Madonnen des amerikanischen Künstlers Theaster Gates. Die Welt erzählt, warum die Cinémathèque française eine Ausstellung von Chris Marker ausrichten darf, aber keinen Katalog drucken. Nicht viel zu lachen hatte der Tagesspiegel beim Theaterfestival in Avignon. In der FR stellt die Übersetzerin Claudia Sinnig neue interessante Literatur aus Litauen vor. Die taz unterhält sich mit dem Kulturanthropologe Yektan Türkyilmaz über seine Plattensammlung mit armenischer Musik.

Grübeleien eines hypertrophen Ich

24.07.2018. Die SZ feiert die Wiener Fotografin Stefanie Moshammer, die genauso schöne Americana fotografieren kann wie Penn oder Meyerowitz. Die NZZ liest Knausgards "Jahreszeiten" als literarische Selfies. Der Standard würdigt das Filigrane in der Musik Beat Furrers. Die FAZ pilgert zum Grab von Blues-Legende Robert Johnson am Mississippi. Die taz setzt sich den otoakustischen Emissionen des Technomusikers Jung an Tagen aus.

Die Streicher schmeicheln

23.07.2018. In der NZZ erwägt Hans Ulrich Obrist mit Künstlern, Wissenschaftern und Computerexperten das Potential der Künstlichen Intelligenz. Der Tagesspiegel ist sehr unglücklich, dass Georges Simenons Werk jetzt über mehrere Verlage verstreut erscheint. Die Berliner Zeitung hört Musik der Stunde beim Berliner Impro-Underground.

Polytoxischer Surrealismus

21.07.2018. Die Welt erinnert an das britische Label Trojan Records, das 1968 weiße Arbeiterkinder mit Reggae-Musik bekannt machte und so die Skinhead-Subkultur vorantrieb. Der Tagesspiegel erlebt in einer Berliner Ausstellung erschreckend reaktionäre Ansichten in russischen Provinzen. Die Kritiker streiten weiter über Susanna Nicchiarellis "Nico". Und die Zeit verabschiedet sich mit siebzehn Museen im Ruhrgebiet vom Bergbau.

Testosterongewitter

20.07.2018. Die NZZ untersucht den Trend zur Mini-Wohnung. Die Kunst ist frei in Deutschland, ruft der Tagesspiegel der Münchner CSU zu, die ihren Theaterintendanten einen Maulkorb verpassen möchte. Der Standard summt trotz der angestrengten Inszenierung eine Arie aus Berthold Goldschmidts Oper "Beatrice Cenci". In der taz erklärt Stooges- und Ramones-Entdecker Danny Fields wie man mit Strom aus einer angezapften Straßenlaterne ein tadelloses Album produziert.

Die Motorsägenmusik unserer Träume

19.07.2018. Die New York Review of  Books betrachtet Edward Bawdens idyllisches, vom Krieg unterbrochenes Mittelengland. Die New York Times erzählt, wie das Blanton Museum in Texas sich zwei Jahre lang gegen Kritik absichert, bevor es Vincent Valdez' Ku-Klux-Klan-Gemälde ausstellte. In der SZ erzählt der Schriftsteller Adel Mahmoud vom Wahnsinn der Syrer. Die taz erklärt uns, wie man in Botswana Gitarre spielt.

Nennen wir es Wiener Voodoo

18.07.2018. Der Guardian steht hingerissen vor den New-York-Fotos von Saul Leiter. Ärger gibt's im Burgtheater, wo Martin Kusej das Ensemble umbaut, berichtet der Standard, der schon um das schöne Begräbnis für einige Schauspieler fürchtet. Die NZZ würdigt den französischen Comiczeichner Lewis Trondheim als Autor. Der Tagesspiegel erinnert an die Verdienste der nun endgültig untergegangenen Weinstein Company für den Film.

Unheimliches Rad aus Brie

17.07.2018. Die London Review lernt mit Chagall, was Farbe ist. Der schwedische Alternativ-Literaturnobelpreis könnte entweder an  Don DeLillo oder an J. K. Rowling gehen, meldet die NZZ. Die SZ feiert Erroll Garners "Nightconcert" von 1964. Der Freitag unterhält sich mit Angela Haardt über Frauenquoten im Film. Die Welt trauert um die Rockmusik, die in Bedeutungslosigkeit versinkt.

Wie ein romantischer Schwur

16.07.2018. Shitstorms und Twitterorgien - die öffentliche Debatte ist vergiftet, klagt Ian McEwan in der NZZ. Die Berliner Zeitung feiert das kompositorische Jahrhundertwerk Burt Bacharachs. In der FAS erinnert sich Filmregisseur Dominik Graf an seine Begegnung mit Paul Schrader und das alte Zentralgesetz der Nouvelle Vague. Der Streit ums Tanztheater Wuppertal geht weiter: Die Welt fasst sich an den Kopf über das Intrigentheater. In diesem Konflikt gibt es nur Verlierer, meint die NZZ. Die Tänzer stellen sich hinter Leiterin Adolphe Binder, berichtet der Tagesspiegel.

Maske ohne Antworten

14.07.2018. LensCulture stellt die farbenprächtigen Fotogramme von Liz Nielsen vor. Das Tanztheater Wuppertal hat jetzt weder eine künstlerische noch eine Geschäftsleitung, berichtet die SZ. Thomas Karlaufs Rede zum Festakt für Stefan George steht bei Zeit online jetzt online. FAZ und Welt beleuchten die Vorwürfe gegen George und seine Nachfolger. In der NZZ stellt die Geigerin Julia Fischer ihren eigenen Streamingdienst vor. Und die Filmkritiker erinnern an den vor hundert Jahren geborenen Ingmar Bergman.

Ariadnehaft durch die Kontinente

13.07.2018. Im Freitext-Blog ruft Dagmar Leupold zum Widerstand gegen die Verrohung der Sprache auf. Die FAZ freut sich für Frankfurt über den Erwerb der Faust-Skizzen Robert Schumanns. Die Filmgeschichte ist ein Testament der Regellosigkeit, erkennt Regisseur Christoph Hochhäusler im Interview mit der Gazette. Der Tagesspiegel besucht zwei Berliner Schauen zum Polaroid.

Genau wie Wahn und Sinn

12.07.2018. Die Feuilletons verneigen sich praktisch kritiklos vor Stefan George. Endlich wieder DDR-Kunst im Dresdner Albertinum, freut sich die FR. Das Porträt einer Malaise in Permanenz findet die Berliner Zeitung in dem argentinischen Film "Zama". Im Interview mit der NZZ erklärt der marokkanische Regisseur Nabil Ayouch, warum in seinen Filmen Frauen die Macht haben. In der nachtkritik versucht Ruhrtriennale-Chefin Stefanie Carp zu erklären, warum sie keine klare Position zur antiisraelischen BDS-Kampagne beziehen konnte.

Nicht nur alte dicke Huren

11.07.2018. Der Guardian fürchtet um das Fotografie-Festival Les Rencontres in Arles, das ausgerechnet vom Kunst-Jetset zerdrückt zu werden droht. Die SZ erlebt Otto Dix in seiner ganzen Krassheit in Chemnitz. Die FAZ kann keine Klassik-Krise erkennen: Verglichen mit 1871 seien die Besucherzahlen enorm gestiegen! Der White Cube hat ausgedient, erkennt die NZZ im Aargauer Stapferhaus. Warum werden homosexuelle Schauspieler eigentlich nur für schwule Nebenrollen gebucht, fragt Zeit Online.

Drei Kündigungen erhielt er

10.07.2018. Die SZ erlebt in Avignon mit Senecas "Theyste" sehr zeitgemäß eine Grausamkeit, die sich nicht einmal mehr verstellt. Die FAZ untersucht das katastrophale Mismanagement im Münchner Haus der Kunst. Die taz pocht darauf, dass auch Clubbing politisch sein kann. In La Règle du Jeu erklärt Bernard-Henri Levy die Stärke von Claude Lanzmanns ungeliebtem  Film "Tsahal". Im Freitag geißelt Regisseur Edward Berger die Verschnarchtheit der öffentlich-rechtlichen Filmkultur.

Ernst, aber bekömmlich

09.07.2018. Die Wiener Autorin Tanja Maljartschuk hat in Klagenfurt den Bachmann-Wettbewerb gewonnen. Gegen die Entscheidung haben die Feuilletons nichts einzuwenden.  Doch insgesamt fanden sie den Wettbewerb erschreckend mau. ZeitOnline erkennt gar auf Relevanzverlust. Im Standard beschwört Andrés Orozco-Estrada die Kraft von Brahms in Medellin. Slate.fr ärgert sich darüber, dass selbst feministische Serien wie "The Handsmaid's Tale" Gewalt gegen Frauen zelebrieren.

Nicht das Geld dient hier der Kunst

07.07.2018. In der Literarischen Welt antwortet Thomas Glavinic auf Maxim Billers Poetikvorlesung. Die SZ blickt hinter die Kulissen des Wuppertaler Tanztheaters, wo offenbar gegen Intendantin Adolphe Binder intrigiert wird. FAZ und Tagesspiegel lernen die ganze Bandbreite der Abstraktion mit den Werken von Gerhard Richter und Sean Scully kennen. Die taz staunt, wie gut Schöneweide in Japan ankommt. Und die FAZ empfiehlt Poetry-Slammern ein Lateinstudium.

Die falsche Frage nach dem Warum

06.07.2018. "Shoah" war auch ein Film über ein Bilderverbot und prägte doch unser Bild vom Holocaust - die Feuilletons würdigen den großen Dokumentarfilmer Claude Lanzmann, der gestern gestorben ist. Der FAZ geht das Zeitgenossentum in Klagenfurt auf die Nerven. Die Bühnenbilder Bert Neumanns wollen ins Museum, meldet die SZ. Wo sind die Kunstinstitutionen? Die NZZ sucht die Extreme der Existenz im Metal.

Auf der Klaviatur der Emo-Effekte

05.07.2018. Die Welt studiert in Leipzig die kommunikative Gemengelage der RAF-Zeichen. Feridun Zaimoglu verweist in seiner Eröffnungsrede zum Klagenfurter Wettlesen die Neuen Rechten aus dem Diskursraum der Öffentlichkeit. NZZ und SZ bestaunen ein weibliches Filmwunder in Italien. Der Tagesspiegel feiert die neue Kunsthalle in Mannheim. Die SZ freut sich über die Wiederöffnung der Alten Pinakothek.

Mitschwingenlassen von Ungesagtem

04.07.2018. Mit dem Büchnerpreis für Terézia Mora sind die Feuilletons alle einverstanden. Der Tagesspiegel spürt in Moras Werk schon die aufziehenden Stürme der neuen Weltordnung.  Die SZ stellt fest, dass zwar noch immer mehr Männer mit Literaturpreisen ausgezeichnet werden, an der Spitze aber dominieren die Frauen. Und die NZZ wandelt durch bizarre Kunstgewächse, die Steiner & Lenzlinger im Museum Tinguely in Basel in die Welt sprießen lassen.

Etwas genuin Substanzielles

03.07.2018.
Aktualisiert: Der Georg-Büchner-Preis 2018 geht an Terézia Mora.  Die taz studiert die Modewelt der Schimpansen in Simbabwe. Die NZZ lernt von Lord Byron, dass auch Büchermenschen veritable Athleten sein können. Die SZ feiert Toshio Hosokawas "Erdbeben" als das Beste, was die Opernwelt derzeit zu bieten hat. Außerdem sieht sie mit der Alten Pinakothek sehr schön vorgeführt, wie teuer zwanghafte Einsparversuche werden können. Und The Quietus erinnert daran, wie sich vor dreißig Jahren dem Westen mit "Akira" die Anime-Kultur offenbarte.

Schnell wieder raus

02.07.2018. Aufregung in Bayreuth: Kurz vor der Premiere sagt der Tenor Roberto Alagna den Lohengrin ab, die Welt ärgert sich  über die verludernden Sitten im Operngeschäft. München hat Frank Castorf adoptiert, freut sich die SZ nach seiner dekadent-morbiden "Don-Juan"-Inszenierung am Residenztheater. Monopol beleuchtet die Social-Media-Strategien mancher Museen. Und der Urbanist Christopher Dell empfiehlt der Architektur, vom Jazz das Improvisieren zu lernen.