Efeu - Die Kulturrundschau

Lust auf die Zukunft

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21.03.2015. Endlich mal Shakespeare sieht der Tagesspiegel in Tilmann Köhlers "Macbeth"-Inszenierung am Deutschen Theater. Die FR sieht dagegen nur geilen Gaukelzauber. Die Berliner Zeitung bittet die Berliner Kulturpolitiker: Lasst Castorf machen, bis er stirbt. Bei Van erklärt die Komponistin Eva Reiter, wie man Klänge verändert: mit einem kleinen Styroporstückchen oder einem Ofenanzünderstäbchen zwischen den Saiten. Der New Yorker feiert den Birkenstock.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.03.2015 finden Sie hier

Bühne


"Macbeth" von William Shakespeare. Regie Tilmann Köhler, Deutsches Theater. Foto: Arno Declair

Im Deutschen Theater Berlin feierte Tilmann Köhlers Inszenierung von Shakespeares "Macbeth" mit Ulrich Matthes in der Hauptrolle Premiere - und dabei handelte es sich zunächst einmal um "Theater der Leiber, der Schreie, des Röchelns", berichtet Peter von Becker im Tagesspiegel. Ansonsten war das aber ein Abend im Zeichen von No-Nonsense, was ihm sehr imponiert hat: "Hier macht einer keine selbstdarstellerischen Faxen ... Es geht wirklich um Shakespeare und keine Eigenkleingeisterei. Wie in der Perspektive des Bühnenbilds kommen einem Ferne und Fremde gerade aus der Entfernung nah, das ist die Präsenz des Theaters und keine falsche, nur fernsehhafte alberne Vertraulichkeit. Ein eher strenger Abend, bei der Premiere mal keine kichernde Claque und am Ende nachdenklicher, statt unbedenklicher Beifall."

Taz-Kritikerin Katrin Bettina Müller deutet den Abend als Versuch, "von der Herausbildung des autonomen Subjekts in der Zeit des elisabethanischen Theaters einmal anders zu erzählen. ... [Doch] wenig in dieser Inszenierung ist zwingend, so leicht sie daherkommt, so leicht entzieht sie sich auch." Ganz und gar nicht begeistert war Sylvia Staude, die in der FR von "sehr viel freudloser Arbeit" auf der Bühne und wohl auch zuhause in der Schreibstube berichtet: Spätestens beim Mannsknäuel, zu dem der Hexenreigen aus dem Stück hier wird, entpuppt sich dieser Abend in ihren Augen als "platter, geiler Gaukelzauber, der mit viel Anlauf jegliche Fantasie niederwalzt." Niedergewalzt fühlt sich Nikolaus Merck nun allerdings nicht gerade: "Warum um alles geht die Inszenierung so glatt und spurlos am Gedanken- und Schmerzzentrum vorbei?", fragt er sich auf nachtkritik.de. Weitere Besprechungen in SZ und FAZ.

Außerdem: Eine Volksbühne ohne Castorf? Den Zeichen der Zeit (hier und dort) nach zu urteilen, ist dieses Szenario in absehbarer Zeit jedenfalls nicht mehr völlig undenkbar. Viel zu verfrüht wäre das, meint allerdings Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung angesichts solcher Aussichten gallig: "Wir haben das, was an diesem Hause gelitten und geleistet wurde, 25 Jahre unter Mühen, Qualen und Zweifeln ausgehalten. Saftige Mühen, markzermürbende Qualen, vernichtende Zweifel, von denen die Gegenwart draußen gar keine Ahnung hat. ... Bitte, liebe Neukulturpolitiker, pfeift auf Vernunft und Mehrheit, habt Mut und lasst ihn machen, bis er stirbt." Da will sich auch Dirk Pilz in seiner FR-Besprechung von Castorfs aktuellen Hamburger Inszenierung von "Pastor Ephraim Magnus" versöhnlich zeigen: Zwar findet Castorf auch hier, wie in jeder Hinsicht gewohnt, keinen zeitlich passenden Absprung, doch macht das diesmal ausnahmsweise ziemlich gar nichts: "Castorf-Theater ist auch Theater in Geiselhaft des eigenen Absolutheitsanspruchs. Selten war das so herrlich rücksichtslos zu erfahren wie jetzt am Hamburger Schauspielhaus. ... Insofern: mit fünf Stunden Spieldauer ein eher kurzer großer Abend."

Weiteres: In der FAZ gratuliert Gerhard Stadelmaier dem Regisseur Peter Brook zum 90. Geburtstag. Im Tagesspiegel würdigt Brook zudem Shakespeare.

Besprochen werden neue Choreografien des Balletts am Rhein und der Badener Tanzkompanie Flamencos en route (NZZ), René Polleschs und Dirk von Lowtzows an der Volksbühne Berlin uraufgeführte Oper "Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte" (Zeit, mehr dazu hier) und Brigida Helbig-Mischewskis am Teatr Studio in Berlin aufgeführter Theaterabend "Pfannkuchen, Schweine, Heiligenscheine" (Freitag).
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Film

Besprochen werden der deutsche Episoden-Horrorfilm "German Angst" (Tagesspiegel) und der Animationsfilm "Shaun, das Schaf" (Welt).
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Stichwörter: German Angst, Horrorfilm

Musik

Udo Badelt wirft für den Tagesspiegel einen Blick ins Programm der MaerzMusik, die gestern in Berlin begonnen hat. Bei der Eröffnung spielte gestern Abend auch die Eva Reiter, mit der sich Eva Freitag für VAN unterhalten hat. Bei dem Gespräch erfährt man, mit welcher Akribie die Komponistin ihren Instrumenten neue, ungewöhnliche Klänge abringt: Sie wollte "ein Material schaffen, das die Illusion von elektronisch-manipulierten Material kreiert, ohne dass die Klänge tatsächlich elektronisch bearbeitet würden. Ich habe dann nach einfachen Mitteln gesucht, die einen Klang hervorbringen, der sehr komplex, bearbeitet, synthetisiert erscheint, und bin dabei auf ganz banale Mittel gestoßen, wie: Ein kleines Styroporstückchen oder ein Ofenanzünderstäbchen zwischen den Saiten einzuklemmen, eine Alufolie um die Saiten zu wickeln … die Stücke haben alle eine seitenlange Legende, wo millimetergenau erklärt wird, wie diese Präparationen am Instrument anzubringen sind. Das Prinzip ist sehr einfach, die Klänge aber sind unglaublich komplex und führen den Hörer ein bisschen irre."

Die Spex lässt die beiden angesagten Singer-Songwriterinnen Courtney Barnett und Laura Marling in aller Ausführlichkeit miteinander plaudern. Für die taz porträtiert Julian Weber den nigerianischen Drummer Tony Allen, der heute in Berlin spielt. In der SZ stellt Harald Eggebrecht das Schumann-Quartett vor. Besprochen werden das neue Album von Kendrick Lamar (ZeitOnline, mehr dazu hier) und Jam Citys neues Album "Dream A Garden" (Spex),

Außerdem wurde gestern zur Eröffnung der MaerzMusik pünktlich zum Höhepunkt der Sonnenfinsternis James Tenneys Komposition "Having Never Written a Note for Percussion" unter freiem Himmel vorgeführt. Die Berliner Festspiele bringen davon eine Aufnahme:

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Kunst

Eine große Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau lädt (nach der Erstpräsentation im New Yorker Guggenheim-Museum) zur Wiederentdeckung der in den Fünfziger und Sechziger Jahren begründeten Avantgardegruppe "Zero" ein. Lange war diese von der Bildfläche und aus dem Bewusstsein verschwunden, berichtet Birgit Rieger im Tagesspiegel, doch jetzt "wird sie gehoben wie ein antiker Schatz, ausgeleuchtet bis in die kleinsten Ecken. Der Kunstbetrieb dürstet nach neuem Stoff aus der Vergangenheit. ... Man spürt die Lust auf die Zukunft und das Interesse an den Urkräften der Natur. Für die junge Nachkriegsgeneration ging es darum, die Realität neu zu sehen. Heute geht es im permanenten Fluss der digitalen Bilder darum, als Mensch überhaupt noch etwas wahrzunehmen." Ein paar Eindrücke bietet ein RBB-Bericht.

Besprochen werden die aus der Sammlung Klaus Staeck bestückte "Kunst für Alle" in der Akademie der Künste in Berlin (FR), die Ausstellung "Romantik im Rhein-Main-Gebiet" im Museum Giersch in Frankfurt (FR) und die Ausstellung "Nach dem frühen Tod" in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (FAZ).

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Literatur

Susanne Meyer (Zeit) hat sich mit der Schriftstellerin Sibylle Berg zum Teetrinken in Zürich verabredet. Für die taz hat Alem Grabovac Martin Walser Stichworte zum Beantworten gegeben. Beim Festival LitCologne gehen ausgestelltes Revoluzzertum und kapitalistische Geschäftigkeit Hand in Hand, berichtet Oliver Jungen (FAZ) amüsiert. Thomas David (FAZ) trifft sich in New York mit der Schriftstellerin Rachel Kushner. Und beim Logbuch Suhrkamp berichtet der Schriftsteller Andreas Maier weiter von seinem "Jahr ohne Udo Jürgens".

Besprochen werden unter anderem Péter Esterházys "Die Mantel-und-Degen-Version" (Welt), David Monteagudos "Wolfsland" (FR, mehr), Tom Drurys "Das stille Land" (FR, mehr), Sibylle Bergs "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" (Jungle World, mehr), Milan Kunderas "Das Fest der Bedeutungslosigkeit" (taz, mehr), Teju Coles "Jeder Tag gehört dem Dieb" (taz, mehr) und Julian Volojs und Claúdia Ahlerings Comic "Ghetto Brother" (Jungle World).
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Design

Nachdem Phoebe Philo sie für Celine auf den Laufsteg geschickt hat (Bild), wird es pelzige Birkenstocks demnächst vielleicht auch in Ihrem Birkenstock-Laden geben. Und Socken, erzählt eine begeisterte, Birkenstock in Neustadt und Görlitz besuchende Rebecca Mead im New Yorker: "Für den Winter plant die Firma außerdem eine Socken-Kollektion, hergestellt von einem Partner in Deutschland, zusammen mit einer Marketingkampagne, die "socks and Stocks" als modische Alternative für die Amerikaner präsentiert. Der Erfolg mag ausbleiben, aber die Socken sind charmant. Nachdem ich einen Prototyp haferfarbene Kniestrümpfe begutachtete hatte, zeigte man mir einen Schlauch aus vierfädigem, cremefarbenen Kaschmir, wie ein luxuriöser Sweater für einen verhätschelten Dackel. Er hatte einen eingearbeiteten Fuß mit einem abgespreizten Zeh, wie eine japanische Tabisocke. Er war so lang, dass er bis zum Oberschenkel reichte und wurde mit einem Kaschmir-Strumpfband überreicht. Es war der ungewöhnlichste Strumpf, den ich je gesehen habe. Und obwohl man sich kaum vorstellen kann, wer außer einer Braut in Lappland in tragen könnte, wäre Meret Oppenheimer sicherlich begeistert."
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