Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
03.10.2006. Keine Feuilletons heute, aber dafür gibt's eine schöne ausführliche Magazinrundschau. Literaturen beugt das Knie vor Johannes Fest. In Al-Hayat untersucht die libanesische Soziologin Dalal al-Bizri den arabischen Blick auf "den Anderen". In Elet es Irodalom verneigt Bela Tarr sich vor dem "anderen" Gabor Body. Die New York Review of Books kennt eine Sache, die noch heißer ist als GoogleBooks: Espresso Printing! Outlook India fürchtet sich vor Pervez Musharraf. Das TLS glaubt zu wissen, warum Günter Grass so lange über seine SS-Mitgliedschaft geschwiegen hat. Die Lettre druckt die besten Reportagen der Welt. In der Gazeta Wyborcza zieht Salman Rushdie den Hut vor Künstlern in islamischen Ländern. Der Express schämt sich, Franzose zu sein. Die New York Times feiert den Bariton Thomas Quasthoff.

Literaturen (Deutschland), 01.10.2006

Im Schwerpunkt "Ich ist ein Roman" nimmt Literaturen drei jüngst erschienene Autobiografien (Günter Grass' "Beim Häuten der Zwiebel", Imre Kertesz' "Dossier K. Eine Ermittlung" - Leseprobe - und Joachim Fests "Ich nicht") zum Anlass, sich dem Genre als Ganzes zu nähern. Online lesen dürfen wir Jens Biskys Besprechung der Fest-Erinnerungen. Wie schon andere Rezensenten ist Jens Bisky tief beeindruckt vom Vater Joachim Fests, Mitglied der Zentrumspartei und Rektor einer Berliner Volksschule, der 1933 entlassen wurde, weil er die Weimarer Republik verteidigte. "Anfang 1936 belauschten Joachim Fest und sein älterer Bruder Wolfgang einen Streit ihrer Eltern. Die Mutter, von Jahren der Einschränkung und Aussichtslosigkeit zermürbt, bat ihren Mann, über einen Eintritt in die NSDAP nachzudenken: Dies würde doch nichts ändern. Verstellung und Unwahrheit seien 'immer das Mittel der kleinen Leute gegen die Mächtigen gewesen'. Der Vater beharrte auf seinem Trotz, seiner Verweigerung listiger Anpassung: 'Wir sind keine kleinen Leute. Nicht in solchen Fragen!' Das ist ein elitärer Anspruch alten Zuschnitts, dessen Spitze nach einem Jahrhundert unter dem Diktat der Gleichheitsideologien fast unverständlich geworden ist."

Rene Aguigah stellt Heimatkunde vor, wie sie im Buche steht: bei Florian Illies, Adam Soboczynski, Nicol Ljubic und Wolfgang Büscher. "Indem sie recherchieren und erleben und fabulieren, bezeugen sie selbst eine eigentümliche Lust auf Deutschland: eine vergessen geglaubte Sehnsucht nach Landschaft und Natur; ein teils atemberaubend naives Verlangen, den Charakter einer Nation zu ergründen; ein kaum stillbares Begehren, das Verhältnis zu Heimat und Vaterland in der Sprache der Intimkommunikation auszudrücken, in Begriffen von Liebe, Enttäuschung und Trauer."

Weitere Artikel: Während andere über die anstehende Frankfurter Buchmesse reden, blickt Paul Ingendaay bereits amüsiert ins Jahr 2007, zur nächsten Ausgabe, bei der nicht ein Land, sondern "die katalanische Kultur" in Frankfurt zu Gast sein wird, was Definitionsschwierigkeiten hinsichtlich der zu ladenden Gäste erwarten lässt. Zuviel Moschus diagnostiziert Daniel Kothenschulte in der Verfilmung von Patrick Süskinds Roman "Das Parfum". Und in der Netzkarte erregt sich Aram Lintzel über die Webseite Wörterbuch des Krieges und deren moralfreies Gefasel über das Wesen des Krieges.
Archiv: Literaturen

Al Hayat (Libanon), 24.09.2006

Die Zeitung Al Hayat zählt zu den renommiertesten arabischsprachigen Tageszeitungen. Mit Redaktionssitz in London genießt Al Hayat eine Unabhängigkeit, die sie deutlich von der zahlreichen Konkurrenz in arabischen Hauptstädten unterscheidet. Aber auch diese Unabhängigkeit hat Grenzen: Al Hayat befindet sich im Besitz eines Mitgliedes des saudischen Königshauses - kritische Stimmen gegenüber der saudischen Herrscherfamilie finden sich daher nur selten. Ein Forum für die kritischen Stimmen der Zeitung bietet vor allem die Beilage Tayyarat ("Strömungen"), die jeden Sonntag erscheint. Politische Analysen stehen hier neben Beiträgen zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten.

In der Ausgabe vom 24. September 2006 stand - wie in vielen anderen arabischen Zeitungen auch - die Regensburger Vorlesung des Papstes im Mittelpunkt. Es äußert sich zum Beispiel die libanesische Soziologin Dalal al-Bizri, die sich der Kritik an der Papstrede anschließt, um dann einen kritischen Blick auf die arabische Kultur zu werfen: "Um einem Waffenstillstand etwas näher zu kommen, bräuchte es nicht mehr als einen Blick auf uns selbst: Wie oft haben auch wir das Christentum und andere Religionen schlecht gemacht - in allen Phasen unserer Kulturgeschichte und wie auch immer wir uns selbst in unterschiedliche Strömungen aufgliederten! Vor kurzem noch waren wir mit dem Streit zwischen Sunniten und Schiiten beschäftigt, jetzt zwischen Christen und Muslimen. Gott allein weiß, welche Form der 'Andere' morgen annehmen, gegen welchen 'Anderen' sich unsere Feindseligkeit morgen richten wird!"
Archiv: Al Hayat

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.09.2006

Das ES-Magazin druckt einen sehr schönen Essay des Filmemachers Bela Tarr ab, den er anlässlich einer großen Ausstellung des Budapester Ludwig-Museums über den 1985 verstorbenen, legendären Filmemacher Gabor Body geschrieben hat. Dass Body für die Stasi gearbeitet hat, erwähnt Tarr mit keinem Wort. Für ihn zählt nur der Künstler. Body betrachtete, "den Menschen nicht nur als soziale Kreatur, sondern auch als Naturwesen, als Teil des Kosmos... Er stellte die Welt vom Kopf wieder auf die Füße. Er galt als 'andersdenkender', 'marginaler' Künstler (oder als besoffenes Schwein, auch wenn er seit Wochen nicht mehr getrunken hatte. Es war schön mitanzusehen, wie die von der Staatsmacht ausgezeichneten Regisseure und ihre Studiobrigade vor Angst erstarrten, als Body im Smoking mit gelben Knöpfen das Studiocafe betrat.) Von der feuchtwarmen Sicherheit ihrer Schafsställe aus verachteten sie ihn und bemerkten nicht, dass mittlerweile sie diejenigen waren, die marginal geworden waren."

Prominente Intellektuelle, die an der ungarischen Revolution von 1956 beteiligt waren - darunter der Schauspieler Ivan Darvas, die Filmemacherin Judit Ember und der Schriftsteller Ferenc Fejtö - veröffentlichen eine gemeinsame Erklärung, in der sie jegliche Parallelen zwischen den Demonstrationen von heute und dem Aufstand gegen die stalinistische Diktatur strikt ablehnen: Vor zwei Wochen "haben Rechtsradikale und Fußballhooligans in Budapest randaliert, das spricht der Revolution und dem Freiheitskampf von 1956 Hohn. Die Symbole von 1956 wurden in den Unruhen als Tarnung antidemokratischer Gewalt missbraucht. Die Beschädigung des sowjetischen Denkmals der Opfer des Zweiten Weltkriegs, Vergleiche zwischen der heutigen Polizei und der Staatssicherheit, der Missbrauch des 50. Jahrestags von 1956 sollen nur dazu dienen, die legitime, demokratisch gewählte Regierung in Frage zu stellen."

HVG (Ungarn), 28.09.2006

Die gewalttätigen Demonstrationen in Budapest haben die 1917 geborene Grand Dame der ungarischen Literatur, Magda Szaboan den Zweiten Weltkrieg erinnert, wie sie im Interview bekennt. "Ich hatte damals ein Gefühl wie jetzt: Die Nation liegt im Schüttelkrampf, und ich kann nicht gleichgültig, tatenlos zusehen. Ich habe 1938 Hitlers Rede vom Balkon des Hotel Imperial in Wien erlebt und wurde auf dem Weg nach Hause von einem deutschen Soldaten für einen angeblich 'frechen Blick' geohrfeigt. Für mich gibt es nichts Neues mehr auf der politischen Bühne."
Archiv: HVG
Stichwörter: Ungarische Literatur, Wien, Hvg

New York Review of Books (USA), 19.10.2006

Jason Epstein macht sich anhand mehrerer Neuerscheinung Gedanken über GoogleBooks, das er eher für Hand- und Wörterbücher geeignet findet als für literarische Werke. Was er aber richtig toll findet, ist Espresso Printing, das gerade als Testversion in der Bibliothek der Weltbank läuft: "Eine Maschine druckt und bindet nach Bedarf Taschenbücher zu niedrigen Preisen und in Bibliotheksqualität, innerhalb von Minuten und mit minimaler menschlicher Intervention - ein Geldautomat für Bücher. Eine zweite Versuchsmaschine wurde bereits in die Bibliothek von Alexandria geschickt und wird dort bald Bücher auf Arabisch drucken. Eine neuere Version wird noch in diesem Jahr in der New Yorker Public Library installiert werden."

Sollten die USA tatsächlich mit Ölbohrungen im Arctic Wildlife Refuge in Alaska beginnen, wie es der Kongress beschlossen hat, fürchtet Peter Matthiessen um die kostbarste Wildnis der USA: "Die letzte Stätte der Fauna der großen Eiszeit, einschließlich Bären, Wölfe, Vielfraße, Moschusochsen, Elche und im Sommer die 120.000 köpfige Karibou-Herde vom Porcubine River. Überall fliegen Kraniche und Seevögel umher, Myriaden von Wasser- und Küstenvögeln, Falken, Eulen, Würger, Lerchen, Ammern ebenso wie eine Vielfalt von Zugvögeln, die von allen Kontinenten der Welt zu den arktischen Hängen ziehen, um dort zu brüten. Und doch debattieren wir Amerikaner, seine Hüter, ob wir tatsächlich diesen wertvollen Ort zerstören sollen, im dem wir ihn an die Ölindustrie ausliefern."

Weitere Artikel: Frank Rich betrachtet die Misere der amerikanischen Demokraten, die es nicht schaffen, Kapital aus George Bushs wachsender Unbeliebtheit zu schlagen. Besprochen werden Lawrence Wrights Recherchen zu al-Qaida und den 11. September "The Looming Tower", R. Dale Guthries Studie "The Nature of Paleolithic Art" und Michel Houellebecqs Hommage an H.P. Lovecraft, "Against the World, Against Life".

Outlook India (Indien), 09.10.2006

Überhaupt nicht witzig findet Amir Mir die Autobiografie des Präsidenten von Pakistan, Pervez Musharraf (hier kurze Auszüge aus "In the Line of Fire"). B. Raman vergleicht das Buch gar mit Hitlers "Mein Kampf": Wie dieses sei "Musharrafs Buch der Lügen nicht wegen seines Inhalts bedeutsam und besorgniserregend, sondern weil es auf den kranken Geist eines selbstherrlichen Individuums hinweist, das in einer selbst erschaffenen Phantasiewelt lebt. Adolf Hitler war überzeugt davon, dass er der Retter des deutschen Volkes und der Welt sei. Musharraf ist davon überzeugt, er sei der Retter des pakistanischen Volkes und der Welt."

Ferner: Sandeep Pandey kritisiert Lloyd I. Rudolphs und Susanne Hoeber Rudolphs Buch "Postmodern Gandhi" für seine Überbewertung westlicher Einflüsse auf Gandhis Denken. Ranjit Lal empfiehlt ein packendes Buch über Elefanten. Und im Gespräch mit Paromita Mukhopadhyay verrät der Starkoch Anthony Bourdain seine größte kulinarische Herausforderung: Lebenden koreanischen Oktopus. "Er wickelt sich um deine Zunge und saugt sich fest."
Archiv: Outlook India

Foglio (Italien), 30.09.2006

Adriano Sofri entdeckt in den immerhin vier bisher veröffentlichten Büchern von Roms Vorzeigebürgermeister Walter Veltroni, das jüngste eine Autobiografie, einen Hang zur Nostalgie, und bestimmt Veltroni damit zum Prototypen eines neuen Menschenschlags. "Die Entwertung der Gegenwart, die Objekte, die immer schon ihr eigenes Ablaufdatum und ihre Überflüssigkeit in sich tragen, bewirken im Menschen - der nicht mit dem Fortschritt mithalten kann, nicht einmal Bill Gates, nicht einmal Veltroni, weil die Welt modern und der Mensch antiquiert ist, wie Günther Anders sagt - die Wiederkehr der Nostalgie, des Sammlertums, des Antiquariats, und darüber hinaus des Modernariats. Das Modernariat ist die Leidenschaft für die persönliche Altertümlichkeit. Ich spreche von dem Telefon aus Bakelit, das mitten in Walters Zimmer steht."

Weitere Artikel: Giulio Meotti zeigt sich (erst hier und dann hier) sehr beeindruckt vom konservativen Mitstreiter Mark Steyn, der im Spectator und auch in einem neuen Buch gegen den demografischen Kollaps Europas und den Vormarsch des Islamismus anschreibt. "Halb Jerry, halb Bernard Lewis, ein Hauch Bible Belt, der Schwung des Schelms, der einen Nazioffizier im Ghetto nachäfft und eine Note Irving Berlin, den Autor von 'Good Bless America'. Alles zusammengeben, schütteln und servieren." Und Stefania Vitulli empfiehlt das Buch des Landsmanns Alessandro Scafi, der die historischen Paradiese auf Erden im Band "Mapping Paradise" versammelt hat.
Archiv: Foglio

Times Literary Supplement (UK), 29.09.2006

Mit einiger Verspätung reagiert das TLS im Aufmacher auf Günter Grass' Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" und sein Bekenntnis, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Ian Brunskill kann nur gutheißen, dass Grass damit als Gewissen der Nation und Praeceptor Germaniae Schaden genommen hat: "Als Grass sah, wie Willy Brandt sühnevoll als Bundeskanzler 1970 vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos kniete, muss er zweifellos erkannt haben, was wirkliche moralische Autorität ist und woher sie kommt - und zweifellos wusste er auch, dass er etwas Ähnliches für sich nicht in Anspruch nehmen konnte. Brandt war die lebende Verkörperung des heroischen Widerstands gegen Hitler. Grass verdankte seinen Einfluss der Eloquenz und Energie, mit der er seinen literarischen Ruhm benutzte. Vielleicht ist das auch der Grund, dass Grass bei seinem politischen Engagement - anders als viele seiner Vorgänger in diesem Land, das seine Autoren oft viel ernster als verdient nahm - immer sehr viel Wert darauf legte, dass er nicht als Dichter und Denker, nicht von den Höhen der Kultur aus agierte, sondern als engagierter Bürger: Citizen Grass."

Für eines seiner besten Bücher hält Bharat Tandon Martin Amis' neuen Roman "House of Meetings", das postum herausgegebene Zeugnis eines russischen Emigranten und Gulag-Überlebenden: "Auf das Individuum bezogen, mag es stimmen, dass Charakter Schicksal ist und umgekehrt. Aber in einem größerem Maßstab ist Schicksal Demografie, und Demografie ein Monster."

Weiteres: Vielleicht ein wenig blauäugig, aber sehr wertvoll und durchdacht findet M. E. Yapp Ali M. Ansaris Buch "Confronting Iran", das die Beziehungen zwischen den USA und Iran als eine Geschichte der verpassten Möglichkeiten beschreibt. Von Ilan Bermans angriffslustigem Buch "Tehran Rising" rät Yapp eher ab. Seiner Einschätzung nach operiert es mit völlig unhaltbaren Zahlen. Besprochen werden außerdem Andrew Motions schmerzvolle Erinnerungen an seine Kindheit "In the Blood" und Andrew Husseys Paris-Geschichte.

London Review of Books (UK), 05.10.2006

Stephen Holmes bedankt sich bei Francis Fukuyama ("After the Neocons: America at the Crossroads") für sein unbarmherziges Ausleuchten der intellektuellen Inkohärenz, die Amerikas Antwort auf den 11. September zugrundeliegen. "Für Fukuyama erledigen die Neocons einfach ihre Hausaufgaben nicht und ignorieren die politischen und sozialen Dynamiken spezifischer Gesellschaften. Statt dessen überpersonalisieren sie jedes Regime, das sie zu destabilisieren suchen, indem sie es mit einem einzelnen verwerflichen Führer identifizieren."

Weitere Artikel: Michael Dobson findet großen Gefallen an Curtis Perrys Studie über die Darstellung des Herrschergünstlings in der frühen englischen Literatur ("Literature and Favouritism in Early Modern England"), die mit dem Klischee aufräumt, der königliche Herrscher sei der Manipulation durch seinen Günstling wehrlos ausgeliefert. John Donne habe sich zwar immer dagegen gesträubt, sein Leben als einheitliche Biografie auszugeben, weiß Colin Burrow, doch John Stubbs ("Donne: The Reformed Soul") macht seine Sache gut, wenn auch mit einem Schuss zuviel Sentimentalität. Für Paul Myerscough ist das Spannende an Douglas Gordons und Philippe Parrenos Filmporträt "Zidane" die Erkenntnis, dass Zizous Gesicht nicht zu entschlüsseln ist und sich selbst der intimitätsheischenden Nahaufnahme widersetzt. Und Peter Campbell lustwandelt durch die Royal Academy und lobt die Sinnarmut in Rodins Skulpturen.

Lettre International (Deutschland), 01.10.2006

Am Samstag wurde in Berlin der Lettre Ulysses Award für literarische Reportagen verliehen. In der neuen Ausgabe sind Auszüge aus sämtliche Finalisten-Texte zu lesen, die bisher noch nicht auf Deutsch erschienen sind. Darunter natürlich auch Linda Grants Reportage über junge Soldaten in Israel, die den ersten Preis bekommen hat: "Die Jungs waren Kinder, aber diese jungen Frauen waren kleine Mädchen, ausgesetzt, mitten im Westjordanland. Natürlich waren sie in Wirklichkeit 18 oder 19 Jahre alt, sahen aber viel jünger aus, und mir schien, dass zwei Seelen in ihrer Brust wohnten: Die eine träumte von Frieden, und Frieden bestand aus Wolken, Einhörnern, Schmusetieren und anderen kindlichen Phantastereien. Die andere hatte sich hinter Stacheldraht verschanzt, führte die gleichaltrige Palästinenserin ab, die an einer Straßensperre versucht hatte, einen Soldaten niederzustechen, weil ein paar Wochen zuvor ihr Bruder von einem Soldaten aus dem Lager der Fallschirmjäger ermordet worden war."

Vom Bürgerkrieg in Nepal berichtet die Autorin Manjushree Thapa, die sich zu Fuß durch die allerärmsten Provinzen des Landes gemacht hat: "Am nächsten Morgen fragten wir einen Mann, der in der Lodge einen Tee trank, ob hier tatsächlich zwei Frauen von den staatlichen Sicherheitskräften umgebracht worden seien. Er nickte. Eine von ihnen war Lehrerin an einer hiesigen Schule gewesen, die andere eine Schülerin, sagte er. 'Ihre Namen waren Laxmi Shahi und Laxmi Rizal.' Ein Mädchen im Teenageralter, das in der Nähe saß, mischte sich in das Gespräch ein und erzählte, dass die beiden Laxmis hier festgenommen und zwei Wochen lang in der Garnison von Dailekh Bazaar festgehalten worden seien. Dann seien sie zu den unmittelbar vor dem Dorf liegenden Feldern gebracht und erschossen worden. 'Ich habe die Schüsse selbst gehört', sagte sie. 'Ich habe die Armee gesehen. Es waren viele Soldaten und nur die beiden. Sie gingen an den Feldern vorbei. Und da habe ich die Schüsse gehört. Andere Leute im Dorf haben auch gesehen, wie sie erschossen wurden.' Nach einer Pause fügte sie leise hinzu: 'Sie waren keine Maoistinnen.' 'Es wäre auch dann nicht legal, wenn sie welche gewesen wären', entgegnete ich."

Ausgezeichnet wurden auch Erik Orsenna für seinen Text über die globalisierte Baumwollindustrie und Juanita Leon für ihre Chronik aus dem kolumbianischen Drogenkrieg. (Ein Kommentar zum gefährdeten Lettre Ulysses Award hier.)

Folio (Schweiz), 02.10.2006

Diesmal geht es im Folio um Fernsehserien. Kristina Bergmann stellt ägyptische Soaps vor, die für den gesamten arabischen Markt produziert werden. Der Renner ist die während des Sechs-Tage-Kriegs spielende Serie "Ich komme zurück, Alexandria". In den Hauptrollen: der smarte, sexy Ägypter Abduh und ein fieser, jämmerlicher Israeli namens Oliver. "In westlichen Augen wirken solche TV-Serien nicht nur unrealistisch, sondern paranoid. Von den Arabern werden sie verschlungen. 'Sie beweisen ihnen, dass die Israeli Feinde sind', sagt die junge Ägypterin Marwa lakonisch. Marwa studiert Medienwissenschaften und möchte Fernsehansagerin werden. Sie wisse, dass der Konflikt in Wahrheit komplexer sei, als die Seifenopern ihn darstellten. 'Doch auch ich freue mich, wenn der agierende Israeli darin böse und feige ist und für seine Niederträchtigkeit bestraft wird', sagt Marwa. Mit ihren 20 Jahren ist sie eine gewiefte Person."

Weiteres: Mikael Krogerus unterhält sich mit Steven Bochco, dem Erfinder der Serie "Columbo". Judith Halberstam schreibt über die post-post-feministische Serie "Desperate Housewives" und ihren schwulen, republikanischen Schöpfer Marc Cherry. Außerdem empfiehlt die Redaktion Serien, die man gesehen haben muss (allerdings ohne die "Sopranos" auch nur zu erwähnen!).
Archiv: Folio

Espresso (Italien), 05.10.2006

6000 Kilometer, 600 Liter Benzin. Andrzej Stasiuk ist diesen Sommer mit dem Auto durch die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Serbien, Mazedionien und Albanien getourt. "Wir erreichen das Ionische Meer, am äußersten Punkt dieses Kontinents. Die Straße unweit von Himara wirkt wie ein Regalbrett, das in die Felsen eingelassen wurde. Es war so eng, dass man immer wieder mal anhalten musste, um die entgegenkommenden Fahrzeuge vorbeizulassen. Auf der einen Seite war die Felswand, auf der anderen Seite ein mehrere hundert Meter tiefer Abgrund und das Meer. Manchmal wurde die Straße unwirklich. Dann führte sie am Rand der Klippe entlang, am Rand des endlosen Blau. Ich dachte mir, dass es so eine Straße sein muss, auf der die Seelen der in Verkehrsunfällen getöteten Autofahrer umher irren."

In seiner Bustina di Minerva preist Umberto Eco die von ihm als wissenschaftliches Netzwerk mitbegründete "Transcultura"-Initiative, die nun in Frankreich mit interkulturellen Studentreffen die Integration von unten fördert.
Archiv: Espresso

Al Ahram Weekly (Ägypten), 28.09.2006

In einem langen Interview gibt der britische Historiker Paul Kennedy der Regierung Bush einen Crashkurs in Sachen Demokratie-Implementierung: "Demokratie nach dem Schema 'ein Mann, eine Stimme', ohne Berücksichtigung einer marktwirtschaftlichen, durch Gesetze geschützten Basis, führt ins Chaos, genau wie in Ex-Jugoslawien." Wie die Fährnisse des Mehrheitswahlrechts im Nahen Osten zu umgehen sind, weiß Kennedy auch: "Der Irak und Israel könnten nach dem Schweizer Kantons-Modell funktionieren ... vergleichbar den drei getrennten 'Velayaten' Basra, Mosul und Bagdad im Ottomanischen Reich."

Weitere Artikel: Amal Choucri Catta klingen die Ohren von einem Konzert mit Bruckners Sechster und Händels "Wassermusik" in der Kairoer Oper. Anlässlich des dreijährigen Todestages von Edward Said bespricht Ferial J. Ghazoul dessen postum veröffentlichten Aufsatz-Band "On Late Style". Gleichfalls mit Said fragt der amerikanische Literaturwissenschaftler Bruce Robbins, ob der antisäkulare Trend bei der amerikanischen Linken das Ende der Kritik einläutet.
Archiv: Al Ahram Weekly

Gazeta Wyborcza (Polen), 30.09.2006

Pawel Smolenski spricht mit Salman Rushdie über den kulturellen und gesellschaftlichen Stillstand in den muslimischen Ländern. Zur Situation der Künstler dort sagt Rushdie: "Der Westen sollte ihnen genau so viel Gehör schenken, wie einst den Dissidenten in Osteuropa. Sie sprechen die Probleme ihrer Länder klar und ehrlich an und riskieren dabei viel. In ihren Heimatländern hält man sie oft für blasphemisch und revolutionär - das denken sowohl die Regierenden wie die Radikalen in der Opposition. Vor diesen Künstlern habe ich großen Respekt: für sie ist das Verlangen, die Wahrheit laut auszusprechen wichtiger als die Angst. Dabei ist es viel einfacher, ein offener und toleranter Schriftsteller in Kalifornien oder London zu sein als in Bagdad."

Die Geschichte von Rushdies Untertauchen in den neunziger Jahren hat auch eine polnische Episode. So erzählt der heutige Warschauer Stadtarchitekt Michal Borowski, wie Schweden den Schriftsteller einlud, aber aus Angst vor Anschlägen keine Unterkunft stellen wollte. Damals tauchte Rushdie im Haus von Borowski unter - für drei Tage. "Alles kam über den PEN-Club zustande. Sie dachten, da mein Vater, ein Jude, im Krieg von einem polnischen Bauern versteckt wurde, würde ich mich ähnlich verhalten."

In den USA ist soeben ein Album mit Zeichnungen der stalinistischen Führung der Sowjetunion erschienen. "Für die Mitglieder des ZK waren andere ZK-Mitglieder das wichtigste Thema. Bis Ende der dreißiger Jahre gab es kaum andere Motive. Das zeigt, wie verschlossen und selbstbezogen die sowjetische Führung war. Viele der Zeichnungen zeigen Politiker, die kurz darauf in Schauprozessen zum Tode verurteilt wurden. Nur Woroschilow, der nie Karikaturen zeichnete, überlebte 88 Jahre", schreibt Wojciech Orlinski. Und noch eine aktuelle Meldung: Dorota Maslowska hat den renommierten Literaturpreis Nike gewonnen!
Archiv: Gazeta Wyborcza

Express (Frankreich), 02.10.2006

In Frankreich wird wieder heftig über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit debattiert. Auslöser ist dieses Mal der Film "Indigenes" des algerischen Regisseurs Rachid Bouchareb, dessen fünf Hauptdarsteller in Cannes den Schauspielpreis erhielten. Es geht darin um die Beteiligung von Soldaten aus den Kolonien Nord- und Schwarzafrikas an der Befreiung des besetzten Frankreich, die im kollektiven Gedächtnis Landes bis heute eine große Rolle spielt. Allerdings wurde gerade diese Beteiligung lange Jahre totgeschwiegen, den Soldaten wurden sogar die Pensionen gestrichen - "ein Unrecht und ein Skandal erster Güte", wie viele befinden. L'Express widmet dem Thema ein ganzes Dossier.

So erzählt Chrostophe Carriere die turbulente Entstehungsgeschichte des Films. Er weiß von der "mühsamen Schlacht" des Regisseurs Rachid Bouchareb um die Realisierung und Finanzierung des Projekts zu berichten, an der sich Produzenten, Schauspieler und Politiker bis hinauf in den Regierungspalast Elysee beteiligt haben. Zu lesen ist außerdem eine Besprechung des Films, die seine "Zeugenschaft" in Bezug auf ein vergessenes Kapitel französischer Geschichte ebenso lobt wie seine Kinoqualitäten.

Unter der Überschrift "Muss man sich schämen, Franzose zu sein?" unternimmt Eric Conan schließlich einen breit angelegten Versuch der Auflistung der unterschiedlichen Positionen zur kolonialen Vergangenheit. Besondere Beachtung findet dabei die Reaktion der Intellektuellen, die das "ständige Mea culpa" anprangerten. Beispielhaft dafür sei das neue Buch des Romanciers und Essayisten Pascal Bruckner, in dem er mit diesem "nationalen Masochismus" abrechne ("Tyrannie de la penitence", Grasset). "Er will Schluss machen mit dieser Tyrannei der Buße... Er sieht darin eine Form der Anmaßung: 'Längst hat uns die Entkolonialisierung unserer Macht und wirtschaftlichen Bedeutung beraubt, doch in einer kolossalen Selbstüberschätzung sehen wir uns noch immer als das unheilvolle Zentrum des Kraftfelds, dem das Universum untersteht.'"
Archiv: Express

Economist (UK), 29.09.2006

Der Economist ist ausgesprochen froh, dass die EU-Verhandlungen im finnischen Tampere gescheitert sind, nationale Polizei- und Justizaufgaben an Brüssel abzugeben. "Auch wenn es kaum jemand weiß - schon heute erlaubt ein europäischer Haftbefehl einem Richter in einem EU-Land die Verhaftung eines Verdächtigen in einem anderen EU-Land... Würde der spanische Richter Baltasar Garzon seinen Haftbefehl für Augusto Pinochet heute ausstellen, müsste Großbritannien (wo Pinochet sich aufhielt) den ehemaligen chilenischen Diktator vermutlich an Spanien ausliefern." Das war der Europäischen Kommission jedoch nicht genug, sie wollte noch mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern. Aber ein so weitgehender Verzicht auf nationale Souveränität setzt, so der Economist, enormes Vertrauen in die EU voraus. Das Motto im Augenblick sei aber: "In Europe we don't trust."

Weitere Artikel: Der Economist lobt den deutschen Kulturbetrieb für sein perfektes Timing: Nichts hätte den Sinn und Zweck der deutschen Islamkonferenz - den islamischen Fundamentalismus vom Islam zu scheiden - deutlicher machen können als der Skandal um die Absetzung der Mozart-Oper "Idomeneo". Sehr angetan zeigt sich der Economist von Ashley Kahns Hommage an das Jazz-Label Impulse ("The House that Trane Built: The Story of Impulse Records"), das faszinierende Einblicke in die Sessions von John Coltrane, Miles Davis & Co bereithält. Musik zum Buch gibt es auch - in Form einer 4-CD-Box.

Außerdem zu lesen: Wie erreicht werden soll, dass Rumänien und Bulgarien, aber nicht die dort herrschende Korruption zum Jahresbeginn der EU beitreten, ob sich das geopolitische und militärstrategische Bündnis zwischen den USA und der Türkei dem Ende neigt, und was vom Schweizer Referendum zur Einwanderungspolitik zu halten ist. Und schließlich stellt der Economist die virtuelle Online-Welt "Second Life" vor, ein metaphysisches Universum, in dem unter anderem auch Handel betrieben wird, was nun die Großen der Werbeindustrie auf die Bildfläche ruft, zum Entsetzen vieler Mitglieder.
Archiv: Economist

Polityka (Polen), 30.09.2006

"Es ist unheimlich schwierig für eine Polin, zwanzig polnische Filme über Polen in Polen anzuschauen!", stöhnt die gerade mit dem Nike-Literaturpreis ausgezeichnete Dorota Maslowska nach ihrem Besuch des Filmfestivals in Gdynia. Begeistert war sie nicht: "Wenn mich jemand in nächster Zeit foltern möchte, braucht er mir nur einen polnischen Film vorzuführen, am besten einen 'Off'-Film."

In einem sehr interessanten Gespräch verrät John Irving, wie seine Bücher entstehen: "Ich glaube nicht an Schicksal, aber jedes Mal, wenn ich ein Buch schreibe, weiß ich, wie es enden wird. Ich kenne die letzten Absätze, ja sogar die genauen Sätze. Das weiß ich manchmal ein Jahr im voraus, bevor ich überhaupt mit dem Schreiben anfange. Das ist eine Form von Vorsehung." Außerdem erzählt Irving, wie er seinem früheren Lehrer Kurt Vonnegut regelmäßig Nachrichten hinterlässt - immer mit dem gleichen Inhalt: Lebst Du noch?

Und: Adam Krzeminski bespricht Ute Scheubs Buch "Das falsche Leben. Eine Vatersuche", ein Beispiel für die Abrechnung mit der Generation der Väter-Täter in Deutschland.
Archiv: Polityka

New Yorker (USA), 09.10.2006

In einem Kommentar kritisiert George Packer die internationale Tatenlosigkeit in Dafur. "Es würde nicht nur politischen Willen, sondern auch diplomatisches Geschick der USA erfordern, Europa einzuspannen, China zu zwingen und Afrika zu ermächtigen, Khartoum zu isolieren und seine Unterstützung in der arabischen Welt zu unterbinden. Das Fehlen eines solchen Willens ist normal für eine große Macht angesichts des Leidens von Menschen in weit entfernten, unwichtigen Regionen; es ist ein wiederkehrendes Motiv in der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Kollaps moralischer Legitimität ist dagegen ziemlich aktuell."

Weitere Artikel: In einem weit ausholenden Essay erzählt Atul Gawande die Geschichte der Geburtsmedizin und die zunehmende "Industrialisierung" des Gebärens. Adam Kirsch porträtiert den amerikanischen Lyriker Hart Crane. Ian Frazier beschreibt seine Essstörungen als Vorstadt-Vater mittleren Alters. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Landfill" von Joyce Carol Oates.

Jill Lepore bespricht eine neue Biografie über den amerikanischen Pionier, Trapper, Indianeragenten und Groschenromanhelden Christopher Houston "Kit" Carson "Blood and Thunder: An Epic of the American West? (Doubleday). Hilton Als stellt eine aktualisierte Wiederaufnahme von Eric Bogosians 1994 geschriebenem Stück "subUrbia" vor, in dem er den Vorstadt-Ennui der Neunziger wiederauferstehen lässt. Alex Ross sah eine Inszenierung von "Madame Butterfly" in der Met. Und Anthony Lane gesteht, dass er Stephen Frears Film "The Queen" des abgedroschenen Stoffes wegen zunächst mit einiger "Beklommenheit" entgegensah, dann aber vor allem von den schauspielerischen Leistungen, allen voran: Helen Mirren als Queen, mehr als angetan davon war.
Archiv: New Yorker

Przekroj (Polen), 28.09.2006

Der Hochschulboom gilt in Polen als eine der wichtigsten Errungenschaften der Zeit nach 1989. Dennoch sieht Sylwia Czubowska die polnischen Universitäten vor ähnlichen Problemen wie in Rest-Europa: durch "Gießkannen-Förderung" statt Förderung von Elite-Universitäten sind sie im globalen Vergleich drittklassig. "Ohne radikale Reformen wachen wir eines Tages in einem Freilichtmuseum der Bildung auf. Elite bedeutet aber Entbehrung. Das Beispiel anderer Länder zeigt, dass Studiengebühren, höhere staatliche Förderung ausgewählter Universitäten und die Forderung nach engerer Vernetzung der Hochschulen nicht gut ankommen. Ohne das können wir aber bald einpacken."

Polnische Museen könnten bald große Probleme bekommen - da es immer noch kein Reprivatisierungsgesetz gibt, versuchen einzelne Erben, ihr Eigentum vom Staat auf dem Rechtsweg zurückzufordern. Einige Einrichtungen könnten ihre wichtigsten Stücke bald loswerden, schreibt Agnieszka Jedrzejczak. "Millionen von Kulturgütern haben einen ungeklärten Rechtsstatus auf Grund von fehlender Dokumentation, Gesetzeslücken oder teils widerrechtlicher Aneignung, zum Beispiel auf Grund der Bodenreform. Nicht nur Aristokratenfamilien und jüdische Erben kämpfen um ihr Eigentum, sondern auch die katholische Kirche, die immer öfter sakrale Kunstdenkmäler zurückfordert. Zum Glück geht es vielen nicht um das Geld, sondern um die Erinnerung. Sie wollen nur, das Museumsbesucher wissen, dass die ausgestellten Sammlungen über Jahrhunderte im Besitz der Potockis, Czartoryskis oder Tarnowskis waren."
Archiv: Przekroj

New York Times (USA), 01.10.2006

Im New York Times Magazine porträtiert Arthur Lubow den deutschen Bariton Thomas Quasthoff (mit Audio Clips) als begnadeten Sänger und Lehrer: "'Können Sie sich eine Situation vorstellen in der Sie auf einem Stein sitzen, und plötzlich hören Sie im Kopf eine Melodie?' fragt er eine junge Sopranistin, die Schuberts Lied 'Im Frühling" singt. 'Hoffentlich erinnert Sie das an eine Liebesgeschichte mit einem gutaussehenden Mann und nicht - entschuldigen Sie bitte - mit einem deutschen Bauern... Sie erinnern sich beim Singen, wie glücklich Sie einmal waren. Wenn Sie so gucken, sehen Sie aus, als hätten Sie ein Verdauungsproblem. Aber wenn Sie während dieser Phrase lächeln, werden Sie feststellen, dass Ihre Stimme aufleuchtet. Lächeln Sie.' Viele seiner Ratschläge haben mit der physischen Präsentation zu tun. Vielleicht weil seine eigenen Möglichkeiten auf diesem Gebiet begrenzt sind (Quasthoff ist ein Contergan-Kind), hat Quasthoff starke und überlegte Ansichten über die korrekte Positionierung eines Liedersängers. Ihm missfällt die Art wie sein Freund, der englische Tenor Ian Bostridge, auf der Bühne herumlümmelt. Quasthoff glaubt, dass ein Sänger mit gedankenlosen und unnötigen Bewegungen eine intensive Verbindung mit dem Publikum zerstört."

Und Matt Bai fragt im Aufmacher: "Is Howard Dean willing to destroy the Democratic Party in order to save it?"

Der Anfang des Essays von Gary Shteyngart (mehr hier und hier) über eine neue Ausgabe von Iwan Gontscharows Roman "Oblomow" in der Book Review ist wirklich sehr hübsch: "Um elf, als ich gerade noch die letzten Momente eines erquickenden Schlafs auskoste, bringt mir ein Bote die Neuübersetzug des 'Oblomow' vor die Tür, jenes berühmten Slacker-Romans aus dem 19. Jahrhundert, dessen Held, ein Mitglied des faulen russischen Landadels, den größten Teil des Tages im Bett verbringt. 'Scheine im falschen Augenblick gekommen zu sein', sagt der Kurier mit einem Augenzwinkern. Er missversteht meine übliche nachlässige Erscheinung als Symptom eines unterbrochenen Koitus. Ich kehre in mein Bett zurück und werfe einen unglücklichen Blick auf den dicken Band in meiner Hand. Vorerst fühle ich mich schläfrig." Die neue Übersetzung ist von Stephen Pearl, und wenn Sie weiterlesen, werden Sie sehen, dass er wirklich ganze Arbeit geleistet hat.

Außerdem in der Buchbeilage der wichtigsten Zeitung der Welt: Paul Berman bespricht zwei neue Bände über den in den USA legendären Journalisten I.F. Stone. David Orr liest Stephen Frys Plädoyer für die Form in der Lyrik "The Ode Less Travelled" (Auszug). A.O. Scott befasst sich mit der gastronomischen Revolution in den USA, die in David Kamps Buch The United States of Aragula" (Auszug) beschworen wird.
Archiv: New York Times