Efeu - Die Kulturrundschau

Seelenwelt in Flammen

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01.02.2023. Tagesspiegel und epdFilm feiern Park Chan-wooks sinnlich-lyrisches Kriminaldrama "Die Frau im Nebel". Der Standard freut sich im Kunstforum Wien über Kiki Kogelniks feministische, aber quietschbunte Ästhetik. Die FAZ erinnert an den Fall des Burgschauspielers Alfred Lohner, dessen Pädophilie noch den missbrauchten Mädchen als Massenpsychose angekreidet wurde. SZ und Welt melden, dass der 34-jährige Lahav Shani neuer Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker werden soll.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 01.02.2023 finden Sie hier

Film

Filmische Täuschungsmanöver: "Die Frau im Nebel" von Park Chan-Wook

Nach seinen Ausflügen ins englischsprachige Ausland kehrt der Thriller-Auteur Park Chan-wook mit dem Kriminaldrama "Die Frau im Nebel" in seine südkoreanische Heimat zurück. Wohl auch, weil das südkoreanische Kino nach den Erfolgen von "Parasite" und "Squid Game" wieder ziemlich boomt, schreibt Simon Rayß im Tagesspiegel. Von den früheren Gewaltexzessen ist hier allerdings kaum mehr etwas übrig, führt Rays weiter aus: Der Regisseur hat "den Grad an Sex und Gewalt deutlich zurückgefahren. Der Blick auf die Liebesgeschichte im Zentrum bleibt unverstellt. ... 'Die Frau im Nebel' spielt mit den Regeln des Genres. Er verdreht sie, weitet sie, sodass der Film unerwartet humorvoll, vor allem aber melodramatisch gerät." Zugleich spricht aus dem Film "seine Liebe zum visuellen Erzählen, besonders zum Kino Alfred Hitchcocks. Parks Film lässt sich auch als 'Vertigo'-Variante verstehen."

Gerhard Midding von epdFilm hat viel Freude an dieser Revue "filmischer Täuschungsmanöver". Und auch er sieht den Regisseur endgültig in einer neuen Werksphase angekommen: "Gewalt und Erotik, die er zuvor provozierend drastisch in Szene setzte, weichen einem argwöhnischen Romantizismus. Die Verführung vollzieht sich vergleichsweise keusch. An Sinnlichkeit gebricht es ihr nicht. Der lyrische Detailreichtum der Inszenierung zeigt sich nicht zuletzt in der Empfindsamkeit für die Witterung der Küstenlandschaften, die hier eine intrigierende erzählerische Rolle spielen." Mit diesem Film wollte er "zu den fundamentalen Bestandteilen des Kinos zurückkehren, auf Action und alles Ablenkende verzichten und das Publikum mit ganz schlichten Mitteln von meiner Geschichte überzeugen", erzählt der Regisseur im taz-Gespräch.

Wer leidet mehr an der Geschichte? Die Schwarzen, die Juden - oder doch der NZZ-Kritiker?

Kenya Barris' auf Netflix gezeigte Culture-Clash-Komödie "You People" lässt Eddie Murphy (als eifersüchtig wachenden, schwarzen Pater Familias) und Jonah Hill (als jüdischen Schwiegersohn in spe) aufeinander treffen. Dieses Karussell der Vorbehalte, Befindlichkeiten und Opferhierarchien ist zwar gutgemeint, aber letzten Endes doch "vermasselt", findet Andreas Scheiner in der NZZ: Die Komödie Film "weiß nicht, ob es ihr um den Zusammenprall von weiß und schwarz geht oder um jenen von jüdisch und muslimisch. Beides kann man machen. Aber wenn man beides zusammen macht, wird es kompliziert. Denn identitätspolitisch steht weiß für privilegiert, für Macht, muslimisch und schwarz stehen für Ohnmacht. Und wo steht jüdisch? Hier hat die identitätspolitische Schleife einen Knoten: Wer das Judentum im Bändel weiß und mächtig verschnürt, hat das antisemitische Stereotyp gleich mit im Gewirr. Jüdisch gleich privilegiert? Das ist das hässliche Zerrbild, das angesichts der 2000-jährigen Geschichte des Judenhasses mehr als verquer ist."

Außerdem: Die Köchin Antje de Vries nimmt den Boom an Filmen und Serien über den überaus ruppigen Umgang miteinander in Sterne-Küchen in der SZ zum Anlass, um ihre eigenen Erfahrungen Revue passieren lassen: Ja, was in den Formaten gezeigt wird, entspringt durchaus der Realität - aber es bessert sich einiges und manches im kurzsilbigen Umgang miteinander ist schlicht funktional. Moritz Borchers widmet sich im Tagesanzeiger ausführlich dem Stand der Dinge in der Horror- und Kriminalfilm-Forschung. Außerdem besprochen werden die Komödie "Ein Mann namens Otto" mit Tom Hanks (Standard) und ein Netflix-Film über Pamela Anderson (ZeitOnline).
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Kunst

Poppiger Feminismus der 70er Jahre: Kiki Kogelniks "Superserpent", 1974. Bild: Kunstforum Wien

Im Standard freut sich Katharina Rustler über die Wiederentdeckung der Künstlerin Kiki Kogelnik, die hinter ihrer eigenen Kunstmarke ein wenig verblasst war. Denn das Werk der 1935 geborenen Künstlerin reicht von abstrakte Malerei über poppige Skulpturen bis zu Performances, betont Rustler: "Zum einen beschäftigte sich Kogelnik Mitte der 1960er-Jahre mit zukunftsweisenden Themen wie Raumfahrt, Robotik und medizinischen Neuerungen. Rund 20 Jahre vor dem aktuell gefeierten A Cyborg Manifesto der Theoretikerin Donna Haraway vermischte Kogelnik in akribischen Zeichnungen bereits Mensch und Maschine. In ihrem 1963 entstandenen Gemälde Fly Me to the Moon griff sie die Mondlandung voraus, ihre Bombenhülsen-Skulpturen waren kritische und zugleich ironische Kriegsrelikte. Zum anderen begeistern ihre Werke mit einer bunt-quietschigen Ästhetik und schlagen mit den darin präsenten, später meist weiblichen Körpern deutlich feministische Töne an."

Hunter Biden bleibt eine tragische gestalt der amerikanischer Politik. Die Republikaner fordern seinen Galeristen auf, die Namen der Sammler preiszugeben, die Unsummen für Hunter Bidens Bilder ausgeben, wie Ingeborg Ruthe in der FR erzählt. Sie vermuten dahinter Einfluss-Erschleichung: "Man könnte die Gebilde in den Farbtupfen als Chimären oder Gewächse deuten. Oft verbläst der Maler mit einem Strohhalm mehrere Schichten verdünnter Tinte, so dass die Wirkung wie bei pointillistischen Bildern der Spätimpressionisten ist. So entstehen stark farbige, surreale, oft psychedelische Abstraktionen. 'Authentizität' eines Lebens aus der Tiefe wieder nach oben, so Hunters Galerist und Förderer. Für den US-Kritikerpapst Jerry Saltz hingegen ist es 'Zombiekunst'. Hunter solle seine Kunst doch an gemeinnützige Organisationen geben. Das ist Öl ins Feuer der Republikaner."

Weiteres: In der FAZ meldet Marc Zitzmann, dass Madonnas "Diana und Endymion" offenbar doch nicht das von der Stadt Amiens vermisste Gemälde ist (unser Resümee).

Besprochen werden die Ausstellung "Which Side Are You On" der Malerin Rajkamal Kahlon in der Wiener Kunsthalle (juvenil, aber subversiv findet taz-Kritikerin Leonie Huber den Witz, mit dem Kahlon Illustration britischer Kolonialgeschichte verarbeite) und Ugo Rondinones Schau "When the sun goes down and the moon comes up" im Musée d'art et d'histoire in Genf (FAZ).
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