9punkt - Die Debattenrundschau

Einfach: nicht antworten

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.02.2014. In der FAZ denkt Thomas Hürlimann über Zulassungsschranken für Schweizer Referenden nach. Außerdem erklärt Juli Zeh in Sachen Internet-Überwachung, warum sie etwas zu verbergen haben will. In Eurozine denkt der ukrainische Autor Volodymyr Yermolenko über die zwei Seelen Europas nach. Die BBC bewundert die Intelligenz der Krähen. Und Libération ist in Aufruhr.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.02.2014 finden Sie hier

Europa

Schweizer Referenden sind eigentlich nur akzeptabel, wenn nur zwanzig Prozent der Schweizer abstimmen, findet Thomas Hürlimann in der FAZ in einer Reaktion auf die Abstimmung zur "Masseneinwanderung": "Denn dann gehen wie zu Gottfried Kellers Zeiten vor allem die politisch Informierten - man könnte auch sagen: die Zeitungsleser - an die Urne. Kluge Resultate sind die Folge. Dieses Mal aber waren es mehr als fünfzig Prozent." Dann war wohl das Internet schuld. Oder nein, es waren EU-Politiker, die schon im vorhinein ihre Missbilligung bekannten: "Weniger als 20 000 Stimmen haben den Ausschlag gegeben - und für die hat Martin Schulz gesorgt."

Jürg Altwegg macht in der FAZ darauf aufmerksam, dass die Schweizer Intellektuellen vor der Abstimmung angelegentlich schwiegen.

Auch Thomas Steinfeld denkt im Aufmacher der SZ über das Thema nach: "Die Schweiz unter den Bedingungen der jüngsten Volksabstimmung: Das ist auch der immer schon verlorene und doch immer wieder erneuerte Glaube an die nationale Immobilie im Zeitalter globaler Bodenlosigkeit."

Mag sein, dass die Ukrainer nicht unbedingt bereit sind, nach den Regeln Europas zu leben, aber für seine Ideale sind sie bereit zu sterben, schreibt der ukrainische Journalist Volodymyr Yermolenko in Eurozine: "Es gibt ein Paradox im Herzen der ukrainischen Rebellion. Sie ist das ideale Milieu, in der die Gesellschaft als ganze leben und wachsen kann wie ein Organismus. Doch außerhalb dieses rebellischen Milieus gibt es tatsächlich keine Gesellschaft: Es gibt nur Individuen und Clans - und der Krieg eines jeden gegen seinen Nachbarn, niemand traut dem anderen. Die Menschen sind geteilt in Familien, Clans und Gruppen, und zwar nicht nur 'die da oben', sondern auch 'wir hier unten'. Trotzdem sind die Menschen Geschöpfe, die von Größerem als nur der kleinen Gemeinschaft träumen. In solchen glauben die Leute zu ersticken, und nur ein kleines bisschen Solidarität reicht ihnen nicht. Es gibt Zeiten, in denen die Leute nach der universalen Brüderlichkeit der Menschheit verlangen. Diese utopische Brüderlichkeit ist die ideale Gesellschaft."
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Gesellschaft

Beliebt sind sie nicht, die Krähen, aber verdammt intelligent. Ein kleiner Film der BBC zeigt es:

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Medien

Die Belegschaft der Pariser Zeitung Libération ist in Aufruhr, weil die Investoren, die sich die Zeitung als eine Art Rennstall hielten, nun doch Geld sehen wollen und vor allem auf die kostbare Immobilie des Blattes nahe des Pariser Marais-Viertels scharf zu sein scheinen, berichtet Johannes Wetzel in der Welt. Andererseits: "Nicht unrecht haben die Anteilseigner mit der Feststellung, dass Libération, wie die Presse insgesamt, ihr Überleben nur den öffentlichen Subventionen und den Zuschüssen der Aktionäre verdankt."

In der NZZ bedauert Marc Zitzmann dagegen sehr, dass die Aktionäre , die Marke Liberation zum Kultur- und Modezentrum umzubauen wollen: "Ersatz ist keiner in Sicht." Hier mehr zu den Auseinandersetzungen von der Lié selbst.

Die scharfe thematische Fokussierung von Glenn Greenwalds und Laura Poitras neuem Magazin The Intercept liegt im Trend, findet Mathew Ingram von paidcontent.org: "This kind of focus on a topic or vertical has already been shown to be a fairly smart strategy, by outlets as varied as The Atlantic, Wirecutter, Skift (which covers travel), and even some old-fashioned names like the Washington Post and the New York Times. The Atlantic, for example, didn't just add coverage of cities to its existing site - it created a specific vertical called Atlantic Cities. And it did the same thing for real-time news aggregation with The Wire."
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Kulturpolitik

12.200 Restitutionen von Raubkunst habe es seit 1998 gegeben, behauptet die Koordinierungsstelle Magdeburg, Betreiberin der Website Lostart.de. Stefan Koldehoff hat für die FAZ mal nachgefragt: "Die Plakatsammlung des jüdischen Chemikers Hans Josef Sachs wurde in Magdeburg nicht als eine, sondern als 4.200 Restitutionen gezählt."
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Internet

Juli Zeh antwortet in der FAZ auf Martin Schulz, der vor einem digitalen Totalitarismus gewarnt hatte, und wendet sich noch einmal gegen die allgemeine Laxheit beim Thema Überwachung. Folgendes Aperçu: "'Ich habe nichts zu verbergen' ist ein Synonym für 'Ich tue, was man von mir verlangt' und damit eine Bankrotterklärung an die Idee des selbstbestimmten Individuums." Nicht nett ist sie zu Twitter: "Ein amerikanischer Privatkonzern wie Twitter kann kein neues Organ der Demokratie sein."

Auf Spiegel Online informiert Ole Reißmann, dass heute der große Tag gegen Internet-Überwachung ist.

In Deutschland versucht man unterdessen den Kommunikationsweg E-Mail zu verstehen. Alle Kulturjournalisten der Republik wurden mit einer Flut von Mails belämmert, weil der Sonderzahl Verlag eine Sammelmail falsch adressiert hatte. Man durfte Hunderte Antworten von Kollegen lesen (und deren Adressen sammeln, wenn man scharf darauf war). Sebastian Leber resümiert im Tagesspiegel: "Eine Redakteurin vom Schweizer Tages-Anzeiger verschickt eine leere Mail. Diese aber gleich drei Mal. Ein Redakteur des Tagesspiegels lässt sich zu einem Kraftausdruck hinreißen und appelliert an seine Kollegen: 'Dieser Quatsch hört nur auf, wenn jeder das Antworten unterlässt! Keine Beschwerden, keine Bestellungen, keine Antworten... Einfach: nicht antworten, an niemanden. Dann ist sofort Ruhe'. Die Frau vom Tages-Anzeiger verschickt zwei weitere leere Mails."
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